Tag 31: Die Schlagstock-Lady und Che â€“ Faschismus? Kommunismus?

Anarchistenherz

Freitag, 9. MĂ€rz 2007
Cienfuegos â€“ Santa Clara

Auf dem einzigen Fahrplan steht, dass der Bus nach Santa Clara um 11:20 Uhr vormittags fĂ€hrt. Aus diesem Grunde stehen wir frĂŒh auf und laufen rechtzeitig die ziemlich lange Strecke von unserem Casa zum Busbahnhof los. Gegen viertel vor elf erreichen wir den Busbahnhof und wollen uns ein Ticket kaufen. Allerdings will man uns am Schalter in der großen Wartehalle, die voller Kubaner ist, kein Ticket verkaufen. Wir sollen zu VĂ­azul gehen und uns dort einen Fahrschein erwerben. Hier sei nur fĂŒr Einheimische etwas zu bekommen. Alles klar. Ab zum nĂ€chsten Schalter. Am VĂ­azul-Schalter bitte ich höflich den Herren um zwei Tickets nach Santa Clara. "FĂŒr welchen Bus?", fragt der Morgenmuffel. "Na den jetzt gleich um zwanzig nach elf," antworte ich. "No hay." Das heißt soviel wie: "Da fĂ€hrt keiner."
"Und wann fÀhrt einer?"
"Um vier Uhr heute Nachmittag."
"Um â€Š was?!"
"Um vier Uhr heute Nachmittag."
"Aber wieso steht auf dem Plan dann 11:20 Uhr?"
"Nein."
"Was?"
"Nein."
Die typische Unterhaltung zwischen einem spÀtestens jetzt genervten AuslÀnder (meiner Wenigkeit) und dem neurotisch schlecht gelaunten TicketverkÀufer endet an dieser Stelle.

Der 11:20-Uhr-Bus ist offensichtlich nur fĂŒr Einheimische, was jedoch nirgends steht. Auch merkwĂŒrdig ist, dass Astro hier nur Kubaner mitnimmt und VĂ­azul die AuslĂ€nder. Darauf muss man auch erst mal kommen, sind wir doch bisher immer mit Astro gefahren[1].

FĂŒnf Stunden â€Š Was soll man da machen? Wir haben zu viel GepĂ€ck, als dass wir uns damit in die Stadt setzen könnten bzw. wo wĂ€re der Unterschied, sich fĂŒr fĂŒnf Stunden in die Stadt zu setzen. Ganz klar: mit all dem GepĂ€ck wĂŒrde jeder zweite Kubaner auf uns zukommen und uns entweder ein Casa Particular oder ein Taxi verkaufen wollen. Viel zu stressig. Hier drin, im "VIP-Warteraum" fĂŒr CUC-Zahlende, ist man eindeutig ungestörter. Auch wenn die Location nicht gerade die schönste ist.
Reisende kommen und gehen, und uns bleibt nichts anderes ĂŒbrig, als ĂŒber sie zu lĂ€stern. Die abartig lauten und unsympathischen VĂ­azul-Angestellten kommen auch, gehen aber leider nicht mehr. So wird Rebekka innerhalb der fĂŒnf Stunden dreimal von der Schlagstocklady dazu aufgefordert, gefĂ€lligst ihre Tasche vom Nachbarstuhl zu nehmen. Warum man seine Tasche nicht auf den Stuhl neben sich stellen darf, wird wohl auf ewig ihr Geheimnis bleiben. Vor allem, wenn sich knapp 100 StĂŒhle, aber nur zehn Reisende im Wartesaal befinden.
Der Fernseher, den man â€“ wie man auf einem Warnschild lesen kann â€“ nicht berĂŒhren darf, wird von den Angestellten auf die volle LautstĂ€rke aufgedreht, wĂ€hrend man sich gleichzeitig auf den am Weitesten vom GerĂ€t entfernt platzierten Stuhl setzt. Nett und Ă€ußerst angenehm.

Der Bahnhof befindet sich genau neben dem Busterminal, so dass ich mich dort mal schnell erkundige, ob nicht zufĂ€llig ein Zug nach Santa Clara fĂ€hrt. Und tatsĂ€chlich: Es fĂ€hrt einer! Allerdings erst um halb fĂŒnf morgen frĂŒh. Oh yeah!
Aus irgendwelchen GrĂŒnden vergehen die fĂŒnf Stunden dann aber doch erstaunlich schnell, und wir tauschen den harten Plastikstuhl der Wartehalle gegen den gemĂŒtlich gepolsterten Sessel eines VĂ­azulbusses.

Karte - Santa Clara

Der wie immer etwas zu kalte, aber dennoch erstaunlich komfortable Bus bringt uns in etwa zwei Stunden in die Stadt, die Che damals eroberte. Als wir uns der Stadt nĂ€hern, sehen wir auch bereits die "Hauptattraktion" der 190.000-Einwohner-Stadt: die Che-Statue. Darunter befinden sich seine 1997 in Bolivien ausgegrabenen Gebeine und ein Museum ĂŒber ihn.
Als wir den Busbahnhof verlassen, spielt sich dieselbe Szene wie immer ab: die halbe Stadt kommt auf uns zu gerannt um uns zu begrĂŒĂŸen:
"Taxi!?"
"Casa Particular!?"
Erstmals wenden wir eine Taktik an, die erstaunlicherweise sogar als "erfolgreich" zu bezeichnen ist. Wir antworten einfach laut: "Wir haben schon ein Casa, das uns nur zehn Peso Convertible kostet." Erstaunte Gesichter erstaunter Kubaner blicken uns an. Unmittelbar danach ist jedes Interesse an uns verloren.
Wir marschieren mit unserem GepĂ€ck in Richtung Innenstadt und erhalten so einen ersten Eindruck von Santa Clara. Eine hĂ€ssliche Stadt soll es sein. Eine Stadt, die zur Durchreise und zum Angucken des Che-Denkmals genĂŒgt, zu mehr jedoch nicht.
Wir können diese Meinungen, ehrlich gesagt, nicht bestĂ€tigen. Klar, es fehlt das Meer und es ist nicht touristisch, aber dafĂŒr ist es auch nicht all zu dreckig (staubig dafĂŒr schon) und kaputt. Außerdem lĂ€cheln einen die Leute hier an!
Wir erreichen den Parque Vidal, den zentralen Platz Santa Claras. Auch hier ist es schön, und wir fragen uns, woher diese Stadt das eher schlechte Image hat.

parque-vidal.jpg

Plötzlich steht einer der "Casa Particular!?"-BrĂŒller vom Busbahnhof wieder vor uns und teilt uns mit, dass er es sich ĂŒberlegt hat und uns fĂŒr 10 CUC bei sich aufnimmt. Auf diese "BrĂŒller" stehen wir jedoch so ĂŒberhaupt nicht und außerdem meint er vermutlich sowieso pro Person zehn Peso Convertibles. Wir lehnen dankend ab. Einen Block vom Parque entfernt finden wir ein Hostal. Unser erstes Casa in Matanzas war ebenfalls ein Hostal, und so entscheiden wir uns dafĂŒr, hier zu klopfen. Man bittet uns höflich hinein, zeigt uns das sehr gute Zimmer, und wir einigen uns auf einen fairen Preis. Hostales scheinen die besten Casa Particulares zu sein. Zumindest hat es den Anschein, als hĂ€tte jedes Hostal auch einen Patio, einen Innenhof, der den LĂ€rm der Straße abhĂ€lt und die GĂ€ste von den Besitzern trennt. Obwohl wir mitten im Zentrum wohnen, ist es hier sehr leise. Bingo.
Zudem entdecken wir unmittelbar darauf, dass Santa Clara eine FußgĂ€ngerzone hat! Diese erreicht zwar nicht ganz die QualitĂ€t von Cienfuegos, schlĂ€gt aber ganz klar den oberen Teil des Obispo in La Habana (sauberer und interessanter).

Kurz vor dem Abendessen entdecken wir den "Tren Blindado", einen gepanzerten Zug, der nach der Che-Statue die zweitgrĂ¶ĂŸte SehenswĂŒrdigkeit der Stadt ist. Mit diesem Zug sollte Nachschub fĂŒr Batistas Truppen herbeigeschafft werden. Die RevolutionĂ€re entfernten jedoch die Gleise und lauerten dem Zug in Santa Clara auf. Auf diese Weise landeten die Waffen bei den Guerilleros und nicht bei den Truppen Batistas.

Tren Blindado

Ein ulkiger Kubaner spricht uns an: "Este es el Tren Blindado!", sagt er, als wir gerade davor stehen. "Wissen wir", antworten wir. Als er von uns erfÀhrt, dass wir Deutsche sind, strahlt er und sagt mit nettem Akzent: "Iss sprecke auck ein bisscken deutsch." Oho! Woher denn? Seine Antwort haben wir bisher auf diese Frage noch nie gehört: "Iss habe ein Buch und ein Kassett. Da lerne iss seit Kurzem." Auf die Frage, weshalb er ausgerechnet deutsch lernt, antwortet er, dass er die Sprache so schön findet. Das haben wir auch noch nie gehört.

Das Essen im Casa ist sehr gut, und wir lernen drei Bremer (Fritz, Johannes und Johannes) kennen. Drei sehr nette und interessante Typen: Fritz arbeitet zurzeit als Englischlehrer in Ecuador, und der eine der beiden Johannesse studiert derzeit in Havanna Spanisch und besucht eine Salsa-Schule. Der andere Johannes hat schon ein Jahr in Brasilien gelebt. Man kann sich mit den Dreien sehr gut unterhalten, unsere Meinungen ĂŒber das politische System Kubas sind indessen nicht immer die gleichen. Sobald ich den Begriff "Faschismus" in Verbindung mit Kuba erwĂ€hne, denken die Bremer unglĂŒcklicherweise offenbar, ich wolle Fidel mit Hitler vergleichen. Dass jeder Nazi ein Faschist, jedoch nicht jeder Faschist ein Nazi ist, vergessen viele nun mal sehr oft. Zu einem Land, in dem man â€“ beispielsweise â€“ offiziell wohl fast ausschließlich BĂŒcher von einem Autor (JosĂ© MartĂ­) und BĂŒcher ĂŒber sechs RevolutionĂ€re[2] kaufen kann, fĂ€llt mir jedoch nichts anderes ein als "Faschismus". Ein Staat, der in so prestigetrĂ€chtige und teure Dinge wie Augenmedizin und Aidsforschung investiert, seine BĂŒrger aber in Ruinen leben lĂ€sst, Oppositionellen den FĂŒhrerschein und das Arbeitsrecht entzieht und Touristen als "wertvoller" betrachtet als das eigene Volk, ist faschistisch.
SelbstverstÀndlich wird Kuba durch das Helms-Burton-Gesetz (Embargo) stark geschÀdigt, aber Kuba ist kein armer Staat und die staatlichen Investitionen und Subventionen erreichen wohl eher zuletzt das eigene Volk. Man mag es "Staatskapitalismus" oder sonst wie nennen. Ich finde es faschistisch.
Die Bremer argumentieren allerdings gut und interessant und können Bekki und mich durchaus auf einiges aufmerksam machen, das wir so noch nicht wussten bzw. durch den ein oder anderen emotionalen Moment hier in Kuba anders, vielleicht etwas zu subjektiv, sahen.

Wir haben einen schönen Abend zu fĂŒnft und bleiben lange wach, trinken Rum und diskutieren. Ein schöner Abend.

Die Bremer
Fritz, Johannes (Brasilien), Johannes (Havanna) und Bekki


  • [1]
  • Nur von Trinidad nach Cienfuegos nicht. Da sind wir das erste und bisher auch einzige Mal mit VĂ­azul gefahren

  • [2]
  • Fidel Castro, Che Guevara, Camillo Cienfuegos, JosĂ© MartĂ­, MĂĄximo GĂłmez und Carlos Manuel de CĂ©spedes

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