Tag 37: Die Terrasse des »Casa Grande«

Anarchistenherz

Donnerstag, 15. März 2007
Holguín – Santiago de Cuba

Wir verlassen die "Stadt der Parks" gegen Abend. Diesmal klappt alles am Busbahnhof, lediglich der Bus hat eine halbe Stunde Verspätung.
Wir lernen einen Kanadier kennen, der in der Dominikanischen Republik arbeitet. Er ist nett, findet sich selbst allerdings auch äußerst jung geblieben (kubanische Freundin), lässig und schlau.
Er erzählt uns von seiner großen Liebe Jackie, einer Kubanerin aus Holguín. Er überlegt, ob er sie heiraten und mit in die Dominikanische Republik nehmen soll.
Im Bus erklären wir einem "Frischling", ein älterer Engländer, wie er in Kuba überlebt, ohne als armer Mann nach Hause zu kommen. Der Kanadier und ich schaffen es, den guten Mann bis zu seinem Ausstieg in Bayamo mit wichtigen Tipps zu bombardieren. Mal sehen, ob er sich jetzt noch auf die Straße traut …
Karte - Santiago de Cuba
Gegen halb neun erreichen wir im Dunkeln Santiago de Cuba. Wir haben jetzt schon so einiges über Santiago gehört. Das Meiste hatte etwas mit aggressiven Jínteros und armen Haitianern zu tun, so dass wir uns keine all zu großen Hoffnungen machen, Santiago wesentlich besser als die Totalkatastrophe La Habana zu finden.
Wir teilen uns ein Taxi mit dem Kanadier. Der neue Busbahnhof liegt nämlich schlauerweise fünf Kilometer außerhalb des Zentrums, was dann doch etwas zu weit für diese Uhrzeit und mit all dem Gepäck ist. Zudem ist unser Stadtplan nicht groß genug: Der Busbahnhof befindet sich irgendwo jenseits der Karte unseres Reiseführers.
Für drei Peso Convertible fährt uns ein dicker Santiaguero mit seinem Lada zum Parque Céspedes, dem Zentrum der zweitgrößten Stadt Kubas. Heute beginnt das Salsafestival in Santiago, nur dass es diesmal auch tatsächlich ein Festival gibt und wir nicht in irgendeine Spelunke geführt werden und eine Runde Mojito ausgeben müssen[1]. Das Festival geht bis einschließlich 19. März.
Wir verabschieden uns vom Kanadier. Da wir das Geld nicht passend haben, versprechen wir ihm, ihn mal zum Kaffee einzuladen. Er macht sich wohl keine Hoffnungen, das Geld jemals wieder zu sehen.

Nach kurzem Suchen finden wir ganz in der Nähe ein sehr nettes Casa. Da auf dem Parque einiges los war, beschließen Bekki und ich, noch mal einen Trinken zu gehen und auf den ersten Verkaufstag der "Die Treppe"-DVD anzustoßen. Das Hotel Casa Grande hat eine wunderbare zum Parque gewandte Terrasse, auf der die Cocktails teilweise nur zwei CUC kosten.
Der Kanadier, dessen Lebens- bzw. Liebesgeschichte wir heute schon zwei Mal zu hören bekamen, sitzt drei Tische weiter mit einer Prostituierten. Wir lassen den Kellner wissen, dass er ihm doch bitte ein Bier auf unsere Rechnung bringen soll, was den Kellner offensichtlich mehr als verwirrt. In Kuba kriegt man nichts geschenkt …
Der Kanadier bemerkt uns erst, als der Kellner ihm das Bier bringt und scheint leicht peinlich berührt zu sein. Er kommt zu uns, bedankt sich für die Begleichung unserer Schulden und erklärt uns, dass er die Dame im November hier kennen gelernt hat und sie sich nun zufällig wieder getroffen haben und äh, ja also, ah …
Ein Zauberer zaubert sich von Tisch zu Tisch und führt auf extrem sympathische Weise allseits bekannte Tricks vor, die einen jedoch trotzdem immer wieder überraschen. Er weiß einfach sehr zu amüsieren. So lässt er zunächst ein Tuch verschwinden, dann meinen Ron Collins, den er mir kurz darauf aus einer Papiertüte direkt in den Mund schüttet. Rebekka klaut er die Armbanduhr, die sich – durch meine Hilfe als Komplize – auf einmal in meiner Faust wieder findet. Dann versucht er die Karte zu erraten, die wir zuvor gezogen haben (Pik Drei). Allerdings findet er sie nicht. Das kann nicht mit rechten Dingen zugehen, und so muss ich das komplette Kartenspiel durchforsten, um dann festzustellen, dass sich die Karte, die Bekki und ich angeblich gesehen haben wollen, überhaupt nicht darin befindet. Kurz darauf findet er sie dann aber doch: in seinem Portemonnaie …
Als er fertig ist, applaudieren wir kräftig, haben jedoch leider kein Kleingeld für die fünf Minuten Privatshow. Wir versprechen ihm aber, dass wir, sobald wir welches haben, ihn für die großartige Unterhaltung belohnen werden.
Versprochen ist versprochen, und nachdem wir die Getränke bezahlt haben, führen Rebekka und ich dem Zauberer einen eigenen "Trick" vor, und ich zaubere durch aufs Ohr hauen und Haare raufen einen CUC aus meiner Wolle in meine eigentlich leere Hand. Das fasziniert: Der Zauberer lacht über den kleinen Gag, drückt mich an seine Brust und sagt auf eine untypisch klingende Weise "Gracias." Erst jetzt bemerken wir, dass er offenbar taubstumm ist.

Auf der Terrasse entdecken wir das Pärchen aus Bratislava, das wir schon in Santa Clara am Busbahnhof gesehen haben. Die beiden sagen uns, dass das Hotel auch eine Bar auf dem Dach hat, was offenbar kaum einer weiß. Zumindest ist dort nie etwas los, der Ausblick sei allerdings phänomenal. Wir trinken unseren Kaffee aus und folgen den beiden kurz darauf nach oben. Sie haben Recht. Dort oben hat man einen großartigen Ausblick über das nächtliche Santiago und den Parque Céspedes, auf dem gerade eine komplett in Weiß gekleidete Son-Band aus Japan spielt.
Mit Susanna und Peter kann man sich sehr cool unterhalten. Die beiden sind in Havanna lustigerweise auch zum "Salsafestival" geführt worden, mussten jedoch nur 16 CUC für vier Mojito zahlen.
Peter war vor fünf Jahren schon einmal auf der Insel und bestätigt unsere Vermutung, dass die Einführung des Peso Convertible den Charme Kubas zerstört hat. "Es ist eine andere Insel." Vor fünf Jahren hat er mit zwei Freunden nur 400 Dollar für drei Wochen Kubaurlaub zahlen müssen und die Menschen waren "karibischer".
Die Zeit mit den beiden vergeht doch erstaunlich schnell. Wir hätten sicherlich noch wesentlich länger dasitzen können, doch die beiden brechen morgen nach Baracoa auf, und der einzige Bus fährt um 7:30 Uhr morgens. Diesen wollen/müssen wir übrigens auch irgendwann nehmen, denn Baracoa ist unser nächstes Ziel.

Wir schlendern durch das Zentrum Santiagos, die "¿Taxi?"-Fragenden lächeln, wenn wir ihnen eine Abfuhr erteilen und rufen uns sogar "Gute Nacht" hinterher. Bisher finden wir Santiago äußerst geil. Hoffentlich ändert sich daran nichts.

  • [1]
  • Siehe La Habana, 14. Februar 2007

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