Tag 4: Al Capone residierte in Disneyland

Anarchistenherz

2007 02 10 13.06.12 edited

Samstag, 10. Februar 2007
Matanzas – Varadero

Varadero steht heute auf dem Programm, was soviel bedeutet wie: Sommer, Sonne, Strand und Meer.
Allerdings stellt sich uns erst einmal die Frage, wie wir überhaupt zu Kubas berühmtesten Strand kommen. Varadero liegt knappe 40 Kilometer östlich von Matanzas auf der lang gestreckten Halbinsel Hacacos.
Wir stellen uns daher einfach mal an die Ausfallstraße in der Nähe der Playa und beobachten das Vorgehen der Einheimischen, die hier in Gruppen herumstehen und »kubanisch reisen«. Eine komplizierte Taktik oder ausgefeilte Regelkunde müssen wir anscheinend nicht entschlüsseln. Man steht einfach so da, hebt ab und an mal winkend den Arm oder brüllt den vorbeifahrenden Autos: »¡Varadero!«, entgegen. Das funktioniert bei den einen besser, bei den anderen weniger erfolgreich.

Ein Astrobus kommt vorbei, bremst und mit einem Mal rennen die gut 20 bis 30 Kubaner um uns herum auf ihn zu. Bekki und ich stehen dem in nichts nach und sprinten ebenfalls auf die sich öffnende Bustüre zu.
Astrobus ist die staatliche Busgesellschaft, bei der Touristen mit Convertibles zahlen müssen. Diese Busse heißen auch VIP-Busse, da sie teurer aber auch wesentlich luxuriöser sind als die anderen alten und klapprigen Busse, die auf Kubas Straßen unterwegs sind. Laut unserem Reiseführer ist bei Astrobus jedoch regelmäßig mit Pannen zu rechnen.
Eine Panne haben wir zwar nicht zu vermelden, dafür aber eine gut viertelstündige Tankpause. Als der Fahrer endlich wiederkommt, klappt er lässig seinen Sonnenschutz auf. Fortan dürfen wir ein überlebensgroßes Foto dreier nackter Frauenärsche bestaunen.

 

Varadero ist auf den ersten Blick nur sehr schwer mit Matanzas zu vergleichen. Der 10.000-Einwohner-Ort ist komplett auf Tourismus ausgelegt: von der Zweiten Welt nach Disneyland in 30 Minuten.

Die Península de Hicacos hat oder hatte den ein oder anderen berühmten Fan, der sich hier in irgendeiner Art und Weise verewigte. So versenkte Fidel Castro vor geraumer Zeit einige Schiffe vor der Küste, um den Meeresbewohnern einen neuen Lebensraum zu schaffen. Fulgencio Batista hatte eine Villa in Varadero, der Waffenfabrikant Irénée DuPont errichtete sich einen protzigen Palast und – was ich als großer Fan von Mafiafilmen ganz besonders spannend finde – Al Capones Sommerhaus steht noch heute in Varadero.

Ups.
Dieses ist übrigens nicht Al Capones Sommerhaus. Kein Mensch konnte uns sagen, wo es sein soll. Nur einer meinte, es zu wissen … und lag falsch. Was soll’s: Bis zur Internetrecherche haben wir es geglaubt und jetzt finden wir es ziemlich lustig. Auch, weil wir uns schon vor Ort über das – für einen Mafiaboss – doch recht bescheidene oder zumindest unspektakuläre Anwesen wunderten. Die schwarze Limousine passt immerhin.

Varaderos Strand ist abartige 20 Kilometer lang. Das Wasser ist kristallklar und schimmert obsidianfarben und smaragdgrün. Der weiße Sand ist allerfeinstens und sauber.

Leider kommt die Sonne heute gegen die Wolken nicht wirklich an, so dass wir unseren Strandtag nicht all zu sehr ausdehnen.
Wir müssen feststellen, dass wir es verrafft haben, genug Geld mitzunehmen. Heute ist also Hungern angesagt, und wir sorgen uns leicht, ob wir überhaupt noch nach Matanzas zurückkommen, da Kubaner sehr schnell das Interesse an einem verlieren, sobald sie feststellen, dass man ihnen kein Geld zu bieten hat. Dies kann allerdings auch von Vorteil sein, wird man doch ständig angequatscht, ob man nicht dieses oder jenes kaufen will, hier oder da hingebracht werden möchte oder noch eine Unterkunft für die Nacht braucht.
»Gracias, pero no tenemos dinero.«
… und schon steht man wieder ganz alleine da.

Auf der Suche nach dem Busbahnhof – unser Reiseführer geht uns mittlerweile mächtig auf den Sack, weil kaum was von dem, was drinsteht, stimmt oder die Infos lückenhaft sind (siehe auch Al Capones Sommerhaus) – werden wir erstmals Zeuge einer Dominopartie. Einer verlorenen, wie es scheint. Schließlich springt der (schlechte) Verlierer plötzlich wie ein HB-Männchen auf und brüllt seinen Gegenüber übelstens an. Neben Baseball ist Domino übrigens der Freizeitspaß der Kubaner, der immer und überall praktiziert wird.

Als wir den Busbahnhof endlich finden, werden wir auch gleich wieder angesprungen:
»Wo soll’s denn hingehen?«
»Nach Matanzas.«
»30.«
»Was? Peso Cubano?«
»Nein! Convertibles.«
»Du uns auch«, senden wir ihm via Blickkontakt. »Wir haben nur noch zehn Convertibles.«
… und weg ist der Typ, der irritierenderweise die Uniform des Busunternehmens Viazul trägt. Viazul ist neben Astrobus der zweite große VIP-Busanbieter.
»Für zehn Pesos kommt ihr nirgendwo hin«, meldet sich ein anderer.
»Wir sind aber für zehn Pesos von Matanzas hierher gekommen.«
Wir verlassen den ungemütlichen Busbahnhof wieder. Auch, weil der nächste Bus noch 90 Minuten auf sich warten lässt und die Jungs dort irgendwie etwas strange drauf sind.
Wir entschließen uns dazu, es genauso zu machen wie auf der Hinfahrt: an die Straße stellen, winken, rufen, rennen. Und so klappt’s dann auch wieder sehr flott: Wir stehen noch keine fünf Minuten am Ortsausgang und schon hält ein Bus an. Wir rennen hin, fragen unterwegs einen Kubaner, ob der Bus auch wirklich nach Matanzas fährt und steigen ein. Ich habe das mit den unterschiedlichen Bussen jedoch noch nicht so ganz gerafft und bezahle mit Convertibles, obwohl dieser Bus ein »Einheimischenbus« ist, bei dem man auch für Peso Cubano mitgenommen wird. Der Busfahrer dürfte sich freuen, sind zehn Convertibles doch vermutlich knapp ⅔ seines offiziellen Monatsgehalts.

Auf der Rückfahrt fahren wir wieder durch die Armenviertel Matanzas. Beim Blick aus dem Fenster denke ich an Humberto und ein ungutes Gefühl beschleicht mich: Etwas läuft verkehrt in Kuba. Noch kann ich es nicht verstehen, geschweige denn in Worte fassen. Aber meine Intuition sagt mir, dass Rebekka und ich auf dieser Reise noch vor die ein oder andere Herausforderung gestellt werden. Wenn es etwas gibt, das ich zutiefst verabscheue, dann ist es Ungerechtigkeit … doch ich fürchte, dass ich sie bereits riechen kann. Ich weiß nur noch nicht genau, aus welcher Richtung sie kommt.

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