Tag 5: Illegal Adrenalin getankt
Anarchistenherz

Sonntag, 11. Februar 2007
Matanzas – La Habana

Vor der Abfahrt bekommen wir noch eine weitere kubanische Alltagskomödie geboten: Der Typ, der uns das Angebot unterbreitet, sagt, dass wir uns nicht von der Stelle bewegen sollen. Wieso? Die Erklärung geben wir uns selbst, indem wir ihn einfach aus der Ferne beobachten: Offensichtlich muss er sich erst einmal ein Auto organisieren, mit dem er uns die knapp 100 Kilometer in Kubas Hauptstadt fahren kann. Das Ganze dauert uns dann aber doch etwas zu lang und nach knapp 15 Minuten beschließen wir, uns doch ein Busticket zu kaufen.
Wir geben dem guten Mann ein Zeichen und bewegen uns in Richtung Schalter. Dort will uns jedoch keiner was verkaufen. Stattdessen sitzt ein Mann regungslos hinter dem Tresen, während eine Frau neben ihm stehend angeregt am Telefonieren ist.
Irgendwann sagt der Mann dann auf einmal, dass wir uns doch endlich mal hinsetzen sollen, der Bus fahre ja schließlich erst in einer halben Ewigkeit. In dem Moment kommt unser Taxifahrer angerannt und teilt uns mit, dass es jetzt losgehen könne. Alles klar. Wir dackeln hinter ihm her und beladen einen alten klapprigen Lada. Neben uns fahren noch zwei weitere Menschen mit: Ein Engländer und ein Kubaner. Der Engländer erklärt uns, dass sich der Preis nun durch vier teilt und wir somit anstatt zehn nur noch fünf CUC pro Person zu zahlen hätten. Cool.
Der Engländer hat vor sechs Jahren eine Frau in Pinar del RĂo geschwängert und besucht seither jährlich seine Freundin und ihr gemeinsames Kind fĂĽr einen Monat. Da er flieĂźend spanisch spricht und zudem auch noch Schwarzer ist, wird er von jedem Kubaner fĂĽr einen Landsmann gehalten und dementsprechend nicht abgezockt. Anders ergeht es da uns zwei beiden Bleichgesichtern. Wir mĂĽssen nämlich trotz dem wir zu viert im Taxi sitzen, zehn CUC pro Person zahlen, mit der BegrĂĽndung, dass wir ja schlieĂźlich Touristen seien. Der nette Engländer meckert daraufhin kräftig mit unserem Chauffeur, bleibt jedoch erfolglos.
Die Fahrt ist der reinste Wahnsinn. Schöne Landschaften wechseln sich mit absoluter Armut und postrevolutionärer Hinterlandromantik ab. So sehen wir Kinder und Jugendliche auf Feldern Baseball mit selbst gebastelten Bällen und Schlägern spielen. Hunde, Kühe, Pferde und Hühner kreuzen die holprige Straße. Fahrradfahrer wackeln von Schlagloch zu Schlagloch … und unser Fahrer prescht mit über 100 Sachen über eine Piste, die sich am ehesten noch als »breiter Feldweg« beschreiben lässt. Kommt ein Hindernis, wird gehupt. Macht das Hindernis nicht schnell genug Platz, wird sich einfach daran vorbeigequetscht. Faszination und Todesangst wechseln sich so regelmäßig ab.
Kurz vor La Habana fahren wir vom Feldweg auf die autopista, die Autobahn. Dort weiden KĂĽhe zwischen den Spuren, kubanische Tramper winken mit Peso-Scheinen und sowohl Ochsenkarren als auch Fahrradfahrer sind auf der breiten StraĂźe unterwegs. Markierungen gibt es ebenso wenig wie Verkehrszeichen. Alles ziemlich abenteuerlich.
Als wir die ersten Häuser des Stadtrands passieren, fahren wir rechts ran. Wir sollen unseren Fahrer jetzt bezahlen. Schließlich, so erklärt er uns, könnten wir ihm nichts mehr geben, wenn die Polizei ihn wegen des illegalen Fahrens anhalten und verhaften sollte. Überhaupt macht sich bei dem Mann die Bullenparanoia breit. Jedes passierte Polizeiauto wird im Rückspiegel genauestens beobachtet und sobald vor uns ein Polizeiwagen fährt, wird ein geradezu auffällig großer »Sicherheitsabstand« gehalten. Am Busbahnhof angekommen, traut er sich daher auch nicht zu parken, weil zu viele Polizisten in der Nähe sind. Also fahren wir noch zwei Ecken weiter und steigen in einer Seitenstraße aus.
Dummerweise sind wir nicht – wie vermutet – am Hauptbahnhof herausgelassen worden, sondern irgendwo anders in der Zwei-Millionen-Stadt. Die Orientierung fällt schwer, da wir zunächst keine Straßenschilder ausfindig machen können. Schließlich entdecken wir bepinselte Steinblöcke auf dem Boden, die einem den Namen der Straße verraten.
Wir fragen eine ältere Dame, wo wir denn nun eigentlich sind. Die Frau sieht anscheinend zum ersten Mal in ihrem Leben einen Stadtplan ihrer Stadt und hält verzweifelt eine weitere Passantin an. Diese weiß es auch nicht so genau und so kommt eine dritte Frau hinzu, die uns helfen will. Als wir der illustren Runde mitteilen, dass unser Ziel Habana Vieja, also die Altstadt, ist, geht ein Raunen durch die Runde.
Man teilt uns mit, welchen Bus wir zu nehmen haben. Allerdings haben Bekki und ich gar keine Lust, uns mit dem ganzen Gepäck in einen überfüllten Stadtbus zu quetschen, zumal der Weg auf dem Stadtplan gar nicht so weit aussieht. Also lassen wir die Damen wissen, dass wir lieber zu Fuß gehen wollen. Ob es an unserer Aufmachung liegt oder an meinem ungeübten Spanisch? Ich kann es mir nicht erklären. Aber plötzlich zückt die Jüngste der dreien Geld aus ihrer Tasche und hält es uns vor die Nase. Wir weigern uns sofort und vehement, die Pesos anzunehmen. Sie besteht jedoch darauf. Wir allerdings ebenso: Wir wollen ihr Geld nicht. Also greift sie zur absoluten Überrumpelungstaktik und quetscht Rebekka das Geld – zwei Peso Cubano, was sechs Cents entspricht –, zwischen Finger und Stadtplan und haut schnell ab.
Frisch mit den finanziellen Mitteln ausgestattet, die für zwei Bustickets ausreichen, geleitet uns die älteste Frau dann auch noch zur richtigen Haltestelle. Dort angekommen, verlässt sie uns glücklicherweise wieder. Andererseits hätten wir wohl oder übel einsteigen müssen, da das Geld ja extra für die Busfahrt »investiert« wurde. Wir wollen aber nach wie vor laufen und warten bis auch die letzte der drei Damen außer Sicht ist und verdünnisieren uns. In diesem Moment fährt unser eigentlicher »Bus« vor. Es ist ein camello genannter amerikanischer Sattelschlepper, dessen Auflieger an zwei Kamelhöcker erinnert – was schließlich den Namen erklärt. In diese seltsamen Vehikel sollen sich bis zu 300 Menschen hineinquetschen können. Nach dem Adrenalinrausch auf dem Weg nach La Habana ziehen wir – bei dieser Vorstellung – definitiv den Spaziergang vor.
Wir finden nach einigen hundert Metern FuĂźmarsch heraus, dass wir uns in Vedado, in der Nähe der Plaza de la RevoluciĂłn, befinden. Also leider doch nicht ganz so nah an unserem Ziel, wie wir zunächst vermutet hatten. Schritt fĂĽr Schritt werden die Rucksäcke schwerer und schwerer. Und auch Havanna ist – so stellen wir auf unserer Wanderung fest – größtenteils eine Ruinenstadt. Irgendwann kommen wir am Capitolio vorbei, welches lustigerweise dem Kapitol in Washnington verdammt ähnlich sieht. Wir schlagen den Paseo de MartĂ, der auch Paseo del Prado genannt wird, in Richtung Parque Central ein und erreichen nach knapp drei Kilometern FuĂźmarsch endlich den Block, in dem sich unser neues Heim befindet: im Zentrum La Habanas, in einer heruntergekommenen SeitenstraĂźe, in der die Kinder und Jugendlichen Baseball und Murmeln spielen.
Wie immer werden wir neugierig beäugt, stören den Betrieb aber sonst nicht weiter. Der Straßenbeton ist kaputt, sobald ein Lüftchen weht, bekommt man kleine Sandkörner und Steinchen übergeweht. Von außen sieht unser Haus wenig einladend aus. Innen ist es hingegen sehr schön, wenn auch äußerst schlicht. So luxuriös wie in Matanzas, wo wir sogar einen eigenen Kühlschrank hatten, ist es hier aber bei Weitem nicht.

Wir stellen unser Gepäck ab, legen uns kurz hin und schauen uns dann die Stadt mal genauer an. Gleich an der ersten Straßenecke werden wir Zeuge einer kubanischen Hochzeit. Die Braut, die ganz in Himmelblau gekleidet ist, sitzt erhöht im Cabrio-Oldtimer, dem eine Kolonne hupender Autos folgt. Der Bräutigam scheint in einem anderen Wagen zu sitzen. Zumindest sehen wir ihn erst, als die Gesellschaft vor einem Restaurant Halt macht. Er trägt einen weißen Anzug.
Eher durch Zufall finden wir kurz hinter dem oppulenten Museo de Bellas Artes, dem Nationalmuseum der Schönen Künste, den Obispo, eine Art Fußgängerzone. Die Straße ist ganz nett, aber auch sehr gequetscht. Der Obispo verfügt selbstverständlich nicht über die Ladenansammlung, wie wir sie aus Europa kennen oder man es in einer Hauptstadt erwarten würde. Stattdessen scheinen die wenigen Läden äußerst provisorisch in die Ruinen früherer Geschäfte eingezogen zu sein. Der Obispo bietet aber auch wirklich schöne Flecken. Das sind primär die Orte, die mit Unterstützung der UNESCO saniert wurden.
Wir finden zu unserer großen Freude einen supermercado. An der Kasse stehend, quatscht mich ein Fremder an; zu schnell für mich, um ihn zu verstehen. Dies versuche ich ihm mitzuteilen. Allerdings sieht er plötzlich leicht eingeschnappt aus und weiß gar nicht mehr so recht, wo er hingucken soll. Eine seltsame Situation. Später finden Bekki und ich durch unser Wörterbuch heraus, dass ich ihn nicht bat langsamer zu reden, sondern ihm vielmehr nahelegte, doch bitte die Klappe zu halten. Mein Spanisch ist definitiv noch verbesserungswürdig.