Tag 6: Verwirrendes Kuba
Anarchistenherz

Montag, 12. Februar 2007
La Habana
Nach dem FrĂĽhstĂĽck, welches lustigerweise exakt das gleiche wie in Matanzas
Céspedes lässt als erstes seine Sklaven frei und bewaffnet diese. Als die Spanier seinen Sohn gefangen nehmen und für seine Freilassung die Kapitulation der Aufständischen fordern, antwortet Céspedes, dass alle Kubaner seine Söhne seien. Sein Sohn wird daraufhin erschossen.
Im April 1869 wird er zum Präsidenten der im Untergrund gebildeten »Republik in Waffen« ernannt, in deren Verfassung die Abschaffung der Sklaverei und der Kampf für die Unabhängigkeit verankert werden.
1874 fällt Céspedes. Nach dem Krieg verlangt General Maceo die Unabhängigkeit von Spanien. 1879 wird die erste Verfassung der Republik Kuba entworfen. Die Unabhängigkeit wird jedoch nicht erreicht. Die Kubaner erhalten lediglich mehr Rechte. José Martà geht aus Verbitterung über die nicht erlangte Freiheit ins Exil.
Am 24. Februar 1895 landen Gómez und Martà mit vier weiteren Freiheitskämpfern auf Kuba. Es gelingt den Revolutionären diesmal, die komplette Insel zu mobilisieren.
Knapp drei Jahre später, am 24. Januar 1898, lassen die USA das Kriegsschiff USS Maine in den Hafen von La Habana einlaufen, um ihre »Freundschaft« mit dem kubanischen Volk zu demonstrieren. Am 15. Februar explodiert die Maine aus ungeklärten Gründen. 266 Menschen sterben und Spanien wird beschuldigt, einen Anschlag auf das Schlachtschiff verübt zu haben. Daraufhin interveniert die USA militärisch auf Kuba. Der Spanisch-Amerikanische Krieg beginnt. Später kommt der Vorwurf auf, der Geheimdienst der USA habe das Schiff gesprengt, um den USA einen Vorwand zum Eingreifen zu geben. Neuere Erkenntnisse deuten jedoch tatsächlich auf einen Unglücksfall hin.
Kuba ruft die Republik aus, die USA behalten sich aber das Interventionsrecht vor. Bis Mai 1902 regiert eine amerikanische Militärregierung. Kuba wird zum größten Tabak- und Zuckerlieferant der USA.
Nach Batistas »Wiederwahl« – ohne Gegenkandidaten – werden Castro und seine Gefolgsleute nach weniger als zwei Jahren aus Publicitygründen begnadigt. Die Revolutionäre emigrieren daraufhin nach Mexiko. Dort lernen sie Ernesto »Che« Guevara kennen und planen einen erneuten Umsturz des Regimes.
Am 2. Dezember 1956 landen 82 Revolutionäre mit der umgebauten Vergnügungsyacht »Granma« auf abenteuerliche Weise auf Kuba: Das Holzboot, dessen Namen ins Deutsche übersetzt »Oma« lautet, ist eigentlich nur für eine Besatzung von maximal 25 Menschen konzipiert. Die Treibstofftanks sind zu klein, um von der im mexikanischen Bundesstaat Veracruz gelegenen Stadt Tuxpan nach Kuba zu kommen, sodass weitere Tanks auf das Deck geschraubt werden müssen. Ein Revolutionär geht zwischendurch über Bord, was zu einem längeren Wendemanöver führt. Vor der kubanischen Stadt Niquero läuft die »Granma« auf Grund, sodass die Guerilleros die schweren Ausrüstungen zurücklassen müssen.
Bei ersten Kämpfen sterben zudem gleich 70 Revolutionäre. Lediglich zwölf Partisanen können entkommen und beginnen mit dem Anwerben neuer Kämpfer. Nach zwei Jahren haben sie eine Armee von 50.000 Menschen um sich vereint. Es beginnt der berühmteste Guerillakrieg der Geschichte.
Am Morgen des 1. Januar 1959 flieht Batista in die Dominikanische Republik. Noch am selben Abend verkĂĽndet Fidel Castro in Santiago de Cuba den Sieg der Revolution.
Das Museum ist etwas überfrachtet. Die Suppenlöffel einzelner Guerilleros beispielsweise interessieren uns herzlich wenig. Umso spannender sind dafür die erklärenden Texte zu den einzelnen Ausstellungsstücken gestaltet: Keine Möglichkeit wird ausgelassen, um den amerikanischen Neo-Imperialismus zu diabolisieren.
Das Highlight des Museums ist sicherlich die originale »Granma«, mit der Che, Fidel und Co. von Mexiko nach Kuba aufbrachen, um das Land zu befreien. Die Jacht steht hinter dem Museum, in einem eigens angefertigten Glaskokon. Drumherum stehen diverse Fahr- und Flugzeuge der Guerilleros und des späteren Castro-Regimes.
Nach knapp vier Stunden im Museum bummeln Bekki und ich durch die Stadt und wundern uns abermals darüber, in welch kaputten Häusern hier gelebt und gearbeitet wird. Und wie kommt es, zu diesen riesigen Löchern in den Bürgersteigen? Die sind wirklich lebensgefährlich! Man kann hier einfach nicht durch die Straßen gehen, ohne ständig nach unten gucken zu müssen. Überall könnte eines dieser Löcher lauern, die gerne mal drei Meter tief sind und durch die das Abwasser zwischen nach oben ragenden Metallstangen fließt …

Wir spazieren etwas am Canal de Entrada entlang, einem Kanal, der Habana Vieja und Habana Centro vom Stadtteil Casablanca trennt. Es ist schön hier, sind doch die meisten Gebäude entlang dieser Meile saniert worden. Von der Plaza de San Francisco aus gehen wir zur Plaza Vieja, die mal wieder die Widersprüchlichkeit dieses Landes in beeindruckender Weise offenbart: Sämtliche Häuser sind in tadellosem, restauriertem Zustand. Lediglich das Haus in der Mitte des Platzes sieht extrem einsturzgefährdet aus. Und genau dieses Haus wirkt wiederum wie das einzige von einer Familie bewohnte Gebäude der Plaza. Zumindest lässt die Wäsche, die zum Trocknen draußen hängt, darauf schließen.
Oder stehen wir hier vor einem Projekt gelebter sozialer Gerechtigkeit? Die Plaza Vieja sowie die gesamte Altstadt gehören seit 1982 zum UNESCO-Weltkulturerbe und werden seitdem saniert. Steht diesem Haus und seinen Bewohnern lediglich die Sanierung und Verdrängung noch bevor? Oder wird die Ruine als Symbol erhalten, das verdeutlichen soll, dass auch den »Durchschnittskubanern« trotz aller wahrscheinlich bevorstehender Veränderungen ihr Platz an dieser exponierten Stelle erhalten bleiben soll, kann und wird? Wie ist das überhaupt mit Miete und dem Mietspiegel in Kuba? Ist dieses Gebäude auf der Plaza Vieja somit überhaupt ein Widerspruch oder vielmehr ein Zeichen des Aufbruchs, der Öffnung des Landes und zugleich eine Demonstration der kommunistischen Gleichheit? Wie wird sich das Land verändern, wenn der erkrankte Fidel stirbt?
Kuba vermag zu verwirren und mehr Fragen aufzuwerfen als Antworten zu liefern.

Im Obispo setzen wir uns ins Café Paris. Eine Salsakapelle sorgt für gute Stimmung, die ihren Höhepunkt erreicht, als ein ziemlich freakig aussehender Typ sich plötzlich eine Bierflasche schnappt und ein unglaublich phänomenales »Trompetensolo« hinlegt.

Im Café Paris essen wir zum ersten Mal das kubanische Nationalgericht Moros y Cristianos: weißer Reis mit schwarzen Bohnen. Schmeckt unspektakulär aber gut und kostet wenig. Oder auch nicht: Denn, wie die Kellnerin letztlich auf die zu zahlende Summe kommt, ist uns ein Rätsel.
Es nervt schon, dass überall noch die »Touristenabzocke« mit draufgeschlagen wird. Wir haben uns jetzt vorgenommen, in Zukunft die Kellner, Verkäufer etc. auf den »falschen« Preis anzusprechen und falls nötig auch zu diskutieren. Hier wird nämlich nicht nur einfach das Trinkgeld aufgerundet. Selbst im Supermarkt kommt es vor, dass man zu wenig Wechselgeld herausbekommt oder ein Preis vom Verkäufer anscheinend spontan erfunden wird, was auch ganz unproblematisch möglich ist, da nicht alle Produkte mit Preisschildern etikettiert sind.
Was macht man den ganzen Tag im »Sozialismus«? Zu Konsumieren gibt es nicht allzu viel und macht keinen Spaß, da man sich ständig fragt, ob man gleich wieder übers Ohr gehauen wird. Also machen wir das, was so viele Kubaner tun, setzen uns einfach nichts tuend auf die Straße und beobachten das Geschehen. Für eine solche Beschäftigung bietet sich der Paseo del Prado besonders gut an. Diese sehr schöne Flaniermeile zieht sich vom Capitolio bis hinunter zum Malecón, der berühmten Uferstraße.
Die 1772 angelegte Straße trennt die koloniale Altstadt vom Centro Habana. Irgendwann teilt sich die Straße und eröffnet zwischen sich eine schöne Allee mit Bänken aus Muschelkalk. Ab und an unterbrechen bronzene Löwen die Reihe der Bänke. Man sitzt hier zwischen den Fahrbahnen und kann wunderbar die Spazierenden beobachten. Dies tun wir auch ausgiebigst. Besonders angetan hat es uns hierbei ein kleiner Junge, der gerade dabei ist, die Welt zu entdecken. Sein Vater rennt ihm – immer mehr im Schweiß badend – dabei hinterher und rettet ihn das ein oder andere Mal vorm Umfallen oder Steinchen essen. Wir amüsieren uns köstlich, was der Mutter des Kleinen auch nicht lange verborgen bleibt. Freundlich lächelnd kommt sie auf uns zu und schenkt uns Erdnüsse, die hier von meist alten Herren, in einer konischen Papiertüte verpackt, verkauft werden. Es macht Spaß, einfach nur herumzusitzen und die Leute zu beobachten.
Es wird dunkel. Wir machen uns auf in unsere Straße, in der anscheinend immer Leben herrscht: vorbei an mit Baseballschlägern spielenden Kindern, herumstreunenden Hunden und sich lauthals unterhaltenden Erwachsenen.
Wäre dies nicht Kuba, würde man sich im Dunkeln und mit Geld in der Tasche wohl kaum in solch eine Straße trauen. Doch dies ist Kuba, und man freut sich über das rege Treiben auf der staubigen Straße und fühlt sich in keiner Weise bedroht.