Tag 6: Verwirrendes Kuba

Anarchistenherz

2007 02 12 12.07.19 edited

Montag, 12. Februar 2007
La Habana

Die Kubaner in La Habanas Zentrum (Centro) und Altstadt (Vieja) leben in den frĂŒheren Prunkbauten der Zuckerbarone. In diese Villen zog man nach der Revolution neue WĂ€nde ein und so wurden aus PalĂ€sten MehrfamilienhĂ€user im kolonialen Baustil. Die neuen WĂ€nde hatten zur Folge, dass der Grundriss so mancher Wohnungen Ă€ußerst seltsam und verwinkelt ist. Unser neues Zuhause zĂ€hlt wohl auch zu dieser Sorte Wohnung. UnglĂŒcklicherweise liegt unser Zimmer dabei in solch einem blöden Winkel, dass die Sonne hier nicht hineinscheinen kann und die Luftfeuchtigkeit durch das Bewohnen ordentlich steigt. Soll heißen: Heute Morgen ist all unser Zeug etwas klamm.
Nach dem FrĂŒhstĂŒck, welches lustigerweise exakt das gleiche wie in Matanzas ist – lediglich der PolvorĂłn »fehlt« â€“, machen wir uns auf zum Museo de la RevoluciĂłn, das sich im ehemaligen PrĂ€sidentenpalast befindet. Hier wird die politische Historie Kubas von den ersten SklavenaufstĂ€nden ĂŒber den zehnjĂ€hrigen UnabhĂ€ngigkeitskrieg, dem erneuten UnabhĂ€ngigkeitskrieg bis hin zur Revolution und deren Auswirkungen bis in die 90er Jahre dargestellt.

<center>Der ZehnjĂ€hrige Krieg (1868–1878)</center>
Der Befreiungskampf gegen die spanische Krone findet unter der FĂŒhrung von Carlos Manuel de CĂ©spedes statt. Der Krieg wird unter anderem mit der UnterstĂŒtzung vieler Sklaven gefĂŒhrt. Prominente KĂ€mpfer sind unter anderem Antonio Maceo, MĂĄximo GĂłmez und JosĂ© MartĂ­, der im 1895 beginnenden UnabhĂ€ngigkeitskrieg zum Volkshelden avanciert.
CĂ©spedes lĂ€sst als erstes seine Sklaven frei und bewaffnet diese. Als die Spanier seinen Sohn gefangen nehmen und fĂŒr seine Freilassung die Kapitulation der AufstĂ€ndischen fordern, antwortet CĂ©spedes, dass alle Kubaner seine Söhne seien. Sein Sohn wird daraufhin erschossen.
Im April 1869 wird er zum PrĂ€sidenten der im Untergrund gebildeten »Republik in Waffen« ernannt, in deren Verfassung die Abschaffung der Sklaverei und der Kampf fĂŒr die UnabhĂ€ngigkeit verankert werden.
1874 fĂ€llt CĂ©spedes. Nach dem Krieg verlangt General Maceo die UnabhĂ€ngigkeit von Spanien. 1879 wird die erste Verfassung der Republik Kuba entworfen. Die UnabhĂ€ngigkeit wird jedoch nicht erreicht. Die Kubaner erhalten lediglich mehr Rechte. JosĂ© MartĂ­ geht aus Verbitterung ĂŒber die nicht erlangte Freiheit ins Exil.
<center>Der Kubanische UnabhĂ€ngigkeitskrieg (1895–1898)</center>
Unter der FĂŒhrung von JosĂ© MartĂ­, der wie Antonio Maceo bereits frĂŒh in diesem Krieg stirbt, und General MĂĄximo GĂłmez y BĂĄez († 1905) beginnt 1895 der nĂ€chste Versuch Kubas, sich von der spanischen Krone zu lösen.
Am 24. Februar 1895 landen Gómez und Martí mit vier weiteren FreiheitskÀmpfern auf Kuba. Es gelingt den RevolutionÀren diesmal, die komplette Insel zu mobilisieren.
Knapp drei Jahre spĂ€ter, am 24. Januar 1898, lassen die USA das Kriegsschiff USS Maine in den Hafen von La Habana einlaufen, um ihre »Freundschaft« mit dem kubanischen Volk zu demonstrieren. Am 15. Februar explodiert die Maine aus ungeklĂ€rten GrĂŒnden. 266 Menschen sterben und Spanien wird beschuldigt, einen Anschlag auf das Schlachtschiff verĂŒbt zu haben. Daraufhin interveniert die USA militĂ€risch auf Kuba. Der Spanisch-Amerikanische Krieg beginnt. SpĂ€ter kommt der Vorwurf auf, der Geheimdienst der USA habe das Schiff gesprengt, um den USA einen Vorwand zum Eingreifen zu geben. Neuere Erkenntnisse deuten jedoch tatsĂ€chlich auf einen UnglĂŒcksfall hin.
Kuba ruft die Republik aus, die USA behalten sich aber das Interventionsrecht vor. Bis Mai 1902 regiert eine amerikanische MilitĂ€rregierung. Kuba wird zum grĂ¶ĂŸten Tabak- und Zuckerlieferant der USA.
<center>Die kubanische Revolution (1953–1959)</center>
26. Juli 1953: Der unbekannte Fidel Castro Ruz stĂŒrmt mit 160 Getreuen die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba. Der Aufstand misslingt. 68 Gefolgsleute Castros werden gefoltert und hingerichtet. Castro wird zu 15 Jahren Haft auf der Isla de la Juventud verurteilt. WĂ€hrend der Gerichtsverhandlung hĂ€lt Castro am 16. Oktober 1953 seine berĂŒhmte Verteidigungsrede »La historia me absolverå«, »Die Geschichte wird mich freisprechen«.
Nach Batistas »Wiederwahl« â€“ ohne Gegenkandidaten â€“ werden Castro und seine Gefolgsleute nach weniger als zwei Jahren aus PublicitygrĂŒnden begnadigt. Die RevolutionĂ€re emigrieren daraufhin nach Mexiko. Dort lernen sie Ernesto »Che« Guevara kennen und planen einen erneuten Umsturz des Regimes.
Am 2. Dezember 1956 landen 82 RevolutionĂ€re mit der umgebauten VergnĂŒgungsyacht »Granma« auf abenteuerliche Weise auf Kuba: Das Holzboot, dessen Namen ins Deutsche ĂŒbersetzt »Oma« lautet, ist eigentlich nur fĂŒr eine Besatzung von maximal 25 Menschen konzipiert. Die Treibstofftanks sind zu klein, um von der im mexikanischen Bundesstaat Veracruz gelegenen Stadt Tuxpan nach Kuba zu kommen, sodass weitere Tanks auf das Deck geschraubt werden mĂŒssen. Ein RevolutionĂ€r geht zwischendurch ĂŒber Bord, was zu einem lĂ€ngeren Wendemanöver fĂŒhrt. Vor der kubanischen Stadt Niquero lĂ€uft die »Granma« auf Grund, sodass die Guerilleros die schweren AusrĂŒstungen zurĂŒcklassen mĂŒssen.
Bei ersten KĂ€mpfen sterben zudem gleich 70 RevolutionĂ€re. Lediglich zwölf Partisanen können entkommen und beginnen mit dem Anwerben neuer KĂ€mpfer. Nach zwei Jahren haben sie eine Armee von 50.000 Menschen um sich vereint. Es beginnt der berĂŒhmteste Guerillakrieg der Geschichte.
Am Morgen des 1. Januar 1959 flieht Batista in die Dominikanische Republik. Noch am selben Abend verkĂŒndet Fidel Castro in Santiago de Cuba den Sieg der Revolution.

Das Museum ist etwas ĂŒberfrachtet. Die Suppenlöffel einzelner Guerilleros beispielsweise interessieren uns herzlich wenig. Umso spannender sind dafĂŒr die erklĂ€renden Texte zu den einzelnen AusstellungsstĂŒcken gestaltet: Keine Möglichkeit wird ausgelassen, um den amerikanischen Neo-Imperialismus zu diabolisieren.
Das Highlight des Museums ist sicherlich die originale »Granma«, mit der Che, Fidel und Co. von Mexiko nach Kuba aufbrachen, um das Land zu befreien. Die Jacht steht hinter dem Museum, in einem eigens angefertigten Glaskokon. Drumherum stehen diverse Fahr- und Flugzeuge der Guerilleros und des spĂ€teren Castro-Regimes.

Nach knapp vier Stunden im Museum bummeln Bekki und ich durch die Stadt und wundern uns abermals darĂŒber, in welch kaputten HĂ€usern hier gelebt und gearbeitet wird. Und wie kommt es, zu diesen riesigen Löchern in den BĂŒrgersteigen? Die sind wirklich lebensgefĂ€hrlich! Man kann hier einfach nicht durch die Straßen gehen, ohne stĂ€ndig nach unten gucken zu mĂŒssen. Überall könnte eines dieser Löcher lauern, die gerne mal drei Meter tief sind und durch die das Abwasser zwischen nach oben ragenden Metallstangen fließt â€Š

2007 02 17 11.41.23 editedSymbolbild: Es gibt noch wesentlich breitere Löcher

Wir spazieren etwas am Canal de Entrada entlang, einem Kanal, der Habana Vieja und Habana Centro vom Stadtteil Casablanca trennt. Es ist schön hier, sind doch die meisten GebĂ€ude entlang dieser Meile saniert worden. Von der Plaza de San Francisco aus gehen wir zur Plaza Vieja, die mal wieder die WidersprĂŒchlichkeit dieses Landes in beeindruckender Weise offenbart: SĂ€mtliche HĂ€user sind in tadellosem, restauriertem Zustand. Lediglich das Haus in der Mitte des Platzes sieht extrem einsturzgefĂ€hrdet aus. Und genau dieses Haus wirkt wiederum wie das einzige von einer Familie bewohnte GebĂ€ude der Plaza. Zumindest lĂ€sst die WĂ€sche, die zum Trocknen draußen hĂ€ngt, darauf schließen.

Oder stehen wir hier vor einem Projekt gelebter sozialer Gerechtigkeit? Die Plaza Vieja sowie die gesamte Altstadt gehören seit 1982 zum UNESCO-Weltkulturerbe und werden seitdem saniert. Steht diesem Haus und seinen Bewohnern lediglich die Sanierung und VerdrĂ€ngung noch bevor? Oder wird die Ruine als Symbol erhalten, das verdeutlichen soll, dass auch den »Durchschnittskubanern« trotz aller wahrscheinlich bevorstehender VerĂ€nderungen ihr Platz an dieser exponierten Stelle erhalten bleiben soll, kann und wird? Wie ist das ĂŒberhaupt mit Miete und dem Mietspiegel in Kuba? Ist dieses GebĂ€ude auf der Plaza Vieja somit ĂŒberhaupt ein Widerspruch oder vielmehr ein Zeichen des Aufbruchs, der Öffnung des Landes und zugleich eine Demonstration der kommunistischen Gleichheit? Wie wird sich das Land verĂ€ndern, wenn der erkrankte Fidel stirbt?
Kuba vermag zu verwirren und mehr Fragen aufzuwerfen als Antworten zu liefern.

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Im Obispo setzen wir uns ins CafĂ© Paris. Eine Salsakapelle sorgt fĂŒr gute Stimmung, die ihren Höhepunkt erreicht, als ein ziemlich freakig aussehender Typ sich plötzlich eine Bierflasche schnappt und ein unglaublich phĂ€nomenales »Trompetensolo« hinlegt.

2007 02 12 15.03.37 edited

Es war das Jahr 2007: Da hatte ich leider nur schlechte Kameras, wie man hier eindrucksvoll sehen kann:

Im CafĂ© Paris essen wir zum ersten Mal das kubanische Nationalgericht Moros y Cristianos: weißer Reis mit schwarzen Bohnen. Schmeckt unspektakulĂ€r aber gut und kostet wenig. Oder auch nicht: Denn, wie die Kellnerin letztlich auf die zu zahlende Summe kommt, ist uns ein RĂ€tsel.
Es nervt schon, dass ĂŒberall noch die »Touristenabzocke« mit draufgeschlagen wird. Wir haben uns jetzt vorgenommen, in Zukunft die Kellner, VerkĂ€ufer etc. auf den »falschen« Preis anzusprechen und falls nötig auch zu diskutieren. Hier wird nĂ€mlich nicht nur einfach das Trinkgeld aufgerundet. Selbst im Supermarkt kommt es vor, dass man zu wenig Wechselgeld herausbekommt oder ein Preis vom VerkĂ€ufer anscheinend spontan erfunden wird, was auch ganz unproblematisch möglich ist, da nicht alle Produkte mit Preisschildern etikettiert sind.
Was macht man den ganzen Tag im »Sozialismus«? Zu Konsumieren gibt es nicht allzu viel und macht keinen Spaß, da man sich stĂ€ndig fragt, ob man gleich wieder ĂŒbers Ohr gehauen wird. Also machen wir das, was so viele Kubaner tun, setzen uns einfach nichts tuend auf die Straße und beobachten das Geschehen. FĂŒr eine solche BeschĂ€ftigung bietet sich der Paseo del Prado besonders gut an. Diese sehr schöne Flaniermeile zieht sich vom Capitolio bis hinunter zum MalecĂłn, der berĂŒhmten Uferstraße.

Die 1772 angelegte Straße trennt die koloniale Altstadt vom Centro Habana. Irgendwann teilt sich die Straße und eröffnet zwischen sich eine schöne Allee mit BĂ€nken aus Muschelkalk. Ab und an unterbrechen bronzene Löwen die Reihe der BĂ€nke. Man sitzt hier zwischen den Fahrbahnen und kann wunderbar die Spazierenden beobachten. Dies tun wir auch ausgiebigst. Besonders angetan hat es uns hierbei ein kleiner Junge, der gerade dabei ist, die Welt zu entdecken. Sein Vater rennt ihm â€“ immer mehr im Schweiß badend â€“ dabei hinterher und rettet ihn das ein oder andere Mal vorm Umfallen oder Steinchen essen. Wir amĂŒsieren uns köstlich, was der Mutter des Kleinen auch nicht lange verborgen bleibt. Freundlich lĂ€chelnd kommt sie auf uns zu und schenkt uns ErdnĂŒsse, die hier von meist alten Herren, in einer konischen PapiertĂŒte verpackt, verkauft werden. Es macht Spaß, einfach nur herumzusitzen und die Leute zu beobachten.
Es wird dunkel. Wir machen uns auf in unsere Straße, in der anscheinend immer Leben herrscht: vorbei an mit BaseballschlĂ€gern spielenden Kindern, herumstreunenden Hunden und sich lauthals unterhaltenden Erwachsenen.
WĂ€re dies nicht Kuba, wĂŒrde man sich im Dunkeln und mit Geld in der Tasche wohl kaum in solch eine Straße trauen. Doch dies ist Kuba, und man freut sich ĂŒber das rege Treiben auf der staubigen Straße und fĂŒhlt sich in keiner Weise bedroht.

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