Tag 7: La Habanas schöne Seite

Anarchistenherz

2007 02 13 16.23.32 edited

Dienstag, 13. Februar 2007
La Habana

Unsere Klamotten sind alle klamm, was nicht gerade angenehm ist. Daher schauen wir uns heute Morgen erst einmal nach einer neuen Bleibe um. Von Ralf und Birgit, meinen jefes in der Tauchschule auf Mallorca, in der ich hin und wieder arbeite, haben wir den Tipp bekommen, dass ein gewisser Manolito gegenĂŒber des Convento de Santa Clara ein sehr schönes Zimmer vermietet.
In Manolitos Treppenhaus in der Calle Cuba begegnen wir einer Anwohnerin, die wir fragen, wo wir Manolito finden können. Sie lĂ€dt uns zu sich in die Wohnung ein und sagt, dass sie schnell mal mit Manolito spricht, um zu fragen, ob sein Zimmer ĂŒberhaupt noch frei ist. Ob sie Manolito tatsĂ€chlich fragt, wissen wir nicht. Auf jeden Fall ist sein Zimmer nicht zu haben. Aber natĂŒrlich hĂ€lt sie gleich eine Alternative fĂŒr uns parat: Wir sollen hier auf einen gewissen Diosdado warten. Solange sitzen wir in der Wohnung einer sympathischen Familie und schauen ein wenig dem kubanischen Familienleben zu. Die Tochter und ihr Freund wollen sich gerade auf den Weg irgendwohin machen und verabschieden sich mit laut und feucht schmatzenden KĂŒssen von der Zeitung lesenden Oma. Eine wirklich sĂŒĂŸe Szene und uns fĂ€llt auf, dass in jeder kubanischen Wohnung, in der wir bisher waren, auch die Oma lebte.
Eine knappe viertel Stunde spĂ€ter steht der angekĂŒndigte Diosdado in der WohnungstĂŒr. Der Mann mit dem seltsamen Namen ist ein putziger, kleiner, alter Herr, der sich zunĂ€chst einmal darĂŒber wundert, dass wir so riesig sind. Hierzu sei angemerkt, dass ich ein 1,82 Meter großer Riese bin und Rebekka eine Amazone von sagenhaften 1,66 Meter ist.
Diosdado fĂŒhrt uns durch die Straßen La Habanas und erklĂ€rt uns circa hundert Mal, dass die HĂ€user dieser Stadt wahnsinnig alt sind: ȴDos cientos años!«
»¥Quinientos años!«
»¥Mil años!«
SpÀtestens nach den GebÀuden, die laut Diosdado bereits 1.000 Jahre alt sind, gehen wir davon aus, dass er Humor hat.
In der ObrapĂ­a, der direkten Parallelstraße des Obispo befindet sich seine Wohnung. Die Lage ist also schon mal unschlagbar. Drinnen erwartet uns seine ebenfalls sehr kleine Frau Hermelinda. Die beiden sind so putzig, dass es uns schwer fĂ€llt, das Dauergrinsen, das sich von der einen zur anderen Backe breitmacht, zu unterdrĂŒcken. Zudem sind die beiden – typisch kubanisch â€“ extrem mitteilungsbedĂŒrftig. Allerdings in einem sehr gut verstĂ€ndlichen Spanisch, was die Unterhaltung und das Kaffeetrinken mit den beiden sehr amĂŒsant gestaltet. Wir schauen uns das Zimmer an und handeln kurz mit den beiden einen kleinen Rabatt aus. Obwohl die Wohnung total zentral liegt, ist sie schön ruhig, da sie durch einen Innenhof vom lauten Stadtleben abgeschirmt ist. Außerdem sieht sie sehr gemĂŒtlich aus â€ŠÂ und die Sonne scheint hinein. Morgen ziehen wir um.

Heute beginnt das Salsafestival in La Habana, was die Habaneros in großes VerzĂŒcken zu versetzen scheint. Zumindest werden wir heute mehrfach darauf angesprochen. Wir werden außerdem immerzu und unzĂ€hlige Male gefragt, wo wir herkommen. Sobald wir die Frage beantworten, folgt die immergleiche Reaktion: ȴAh, de Alemania! Alles klar?«
»Alles klar« scheint der typischste Spruch der Deutschen auf Kuba zu sein. Warum auch immer â€Š
Besonders nett ist die Unterhaltung mit einem PĂ€rchen unseren Alters, das uns direkt zum Salsafestival mitnehmen will. Wir lehnen dankend ab.
»Wir wollen kein Geld von euch«, versichern sie uns, was uns in der Seele wehtut, da wir unsere Absage wegen dieses Gedankens gar nicht aussprachen. Wir unterhalten uns noch kurz weiter, als sich uns ein Polizist nÀhert und die beiden plötzlich abrupt: »Adiós«, sagen und verschwinden. So manch alter Hardliner unter den Cops sieht es heute noch nicht gerne, wenn sich Einheimische mit Touristen unterhalten. Traurig, aber anscheinend wahr.
Wir spazieren weiter zur Plaza de Armas. Ein wirklich sehr schöner, grĂŒner Platz, umgeben von prĂ€chtigen Bauten. Leider sind auch hier, wie ĂŒberall in La Habana, die kleinen Brunnen eingezĂ€unt â€“ im Gegensatz zu den BĂŒrgersteiglöchern.

Von der Plaza de Armas aus spazieren wir das Ufer des Canal de Entrada entlang in Richtung MalĂ©con und genießen den Blick hinĂŒber nach Casablanca.

Am Castillo de San Salvador de la Punta, dort wo das Meer in den Canal de Entrada fließt, schwimmen einige Einheimische mit Freunden und ihren Hunden im Meer. Einen Strand gibt es nicht, nur ein â€“ fĂŒr die FĂŒĂŸe schmerzhaft aussehendes â€“ breites Felsenufer. Von hier aus hat man einen großartigen Blick ĂŒber den MalĂ©con und die Skyline La Habanas, den Stadtteil El Vedado.

Morgen ist auch im Sozialismus Valentinstag, weswegen heute extrem viele Kubaner mit quietschbunten Torten unterwegs sind und wir polizeilich kontrollierte Menschenschlangen vor ParfĂŒmerien und BlumengeschĂ€ften beobachten können. Alles im Zeichen der Liebe â€Š

Apropos Liebe: Neben der barocken BasĂ­lica Menor de San Francisco de AsĂ­s, die sich auf dem gleichnamigen Platz direkt neben dem Schiffsterminal Sierra Maestra befindet und heute ein Musuem fĂŒr christliche Kunst ist, steht eine lebensgroße Bronzefigur eines Mannes mit langen Haaren, spitzem Kinnbart und einem ĂŒber die Schultern geworfenem Umhang. Der Mann sieht aus, als spaziere er gemĂŒtlich am Kloster vorbei, bepackt mit Notizen, die er sich unter den rechten Arm geklemmt hat. Die Bartspitze sowie die linke Hand der Figur wurden durch vorbeikommende Passanten ĂŒber die Jahre hinweg blank gerieben.

José María López Lledín alias »El Caballero de París«

Doch wer ist der Mann, der weder wie ein Guerillero noch nach einem Heiligen aussieht, sondern vielmehr den Eindruckk eines Bohemien macht? Es ist José María López Lledín, den man in La Habana unter dem Namen »El Caballero de París« kennt.

<center>El Caballero de París (1899–1985)</center>
Der »Gentleman aus Paris« wurde 1899 in Spanien geboren und kam als ZwölfjĂ€hriger mit dem deutschen Dampfschiff Chemnitz nach Kuba. Als junger Mann soll er fĂŒr ein Verbrechen, das er nicht begangen hatte, Gefangener der MilitĂ€rfeste Castillo del PrĂ­ncipe gewesen sein und dabei seine geistige Gesundheit verloren haben. Welches Verbrechen ihm zur Last gelegt wurde und wie lange er im GefĂ€ngnis saß, sind Mysterien, welche bis heute nicht geklĂ€rt werden konnten. Fest steht jedoch, dass er fortan als Vagabund durch die Straßen La Habanas wanderte. In den 40er und 50er Jahren kannte jeder in der Stadt den Kauz, der besonders damit auffiel, niemanden anzubetteln, stets höflich und respektvoll zu sein, philosophische oder politische Diskussionen zu fĂŒhren und nur Geld von Personen anzunehmen, die er auch kannte oder mochte. Wenn er Almosen annahm, schenkte er den Spendern im Gegenzug Dinge wie eine von ihm kolorierte Postkarte, einen mit SchnĂŒren verzierten Stift oder Anspitzer. Er soll stets gelĂ€chelt, Damen gerne Blumen und Kindern Drucke von Heiligen geschenkt haben.
Die Habaneros liebten ihren extravaganten Obdachlosen. Sobald die Polizei ihn, aus welchen GrĂŒnden auch immer verhaftete, und die Info durch die Presse an die Bevölkerung weitergegeben wurde, regte sich stets sofortiger Protest und der »Caballero« wurde jedes Mal umgehend wieder in die Freiheit entlassen. 1941 wurde er gar auf Anordnung des PrĂ€sidenten wieder aus einer Nervenheilanstalt entlassen.
In der Nacht des 11. Juli 1985 verstarb der »Gentleman« und nahm auch das Geheimnis des Ursprungs seines Spitznamen mit ins Grab. Der Stadthistoriker Eusebio Leal, sorgte spĂ€ter dafĂŒr, dass die sterblichen Überreste des JosĂ© MarĂ­a LĂłpez LledĂ­n exhumiert und vom Cementerio de Santiago de las Vegas in das ehemalige Franziskanerkloster umgebettet wurden, neben dem heute â€“Â ĂŒber 30 Jahre nach seinem Tod â€“ als Bronzefigur verweigt vorbeispaziert. Ich vermute, dass nicht vielen Vagabunden je eine solche Ehre zuteilwurde.

Zum Abendessen geht’s ins Restaurant »La Mina« auf der Plaza de Armas. Wir sind mit dem Essen noch nicht ganz fertig, als ĂŒber uns plötzlich die Wolken aufbrechen und dickste Regentropfen niederprasseln. Wir beschließen daher, noch einen Mojito und einen Daiquiri zu schlĂŒrfen. Der Daiquiri haut ganz besonders rein, sodass ich leicht knĂŒlle bin, als wir uns im Dunkeln auf den Heimweg machen. Im Obispo lĂ€cheln uns drei kleine, niedliche Jungs an: Sie wollen unbedingt ein bisschen Kleingeld fĂŒr ein helado, ein Eis. Na, da wollen wir mal nicht knausrig sein! Unsere Finanzspritze dĂŒrfte den drei chamacos eine durchaus große Portion Eis gesichert haben.

Rum im Tetra PakDer Fund des Tages: Rum im Tetra Pak!

Quellen
Informationen zum »Caballero de París«: CubaGenWeb & Sputnik Mundo

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