Tag 8: La Habanas nervige Seite
Anarchistenherz

Mittwoch, 14. Februar 2007
La Habana
Unser erstes Ziel am heutigen Tage ist das Capitolio. Auf der Straße vor diesem Touristenmagneten werden wir – wie immer – angequatscht und fangen eine nette Unterhaltung mit einem einheimischen Pärchen an. Sie wollen uns zum Salsafestival bringen, was wir diesmal dann auch annehmen. Hätten wir es nur gelassen …
Ich unterhalte mich mit ihm über Filme und unser Gespräch führt zwangsläufig zu Wim Wenders’ »Buena Vista Social Club«. Ganz zufällig befinden wir uns gerade in unmittelbarer Nähe einer Bar, in der sowohl das Festival stattfinden, als auch der Buena Vista Social Club einst gespielt haben soll. Und schneller als wir diesen Zufall hinterfragen können, sitzen wir auch schon mit den beiden in einem kahlen Raum im oberen Stockwerk der Bar und schmeißen eine Runde Mojitos, zu der sich das Pärchen und – wie sich herausstellt – auch der bedrohlich dreinguckende Barkeeper selbst einladen. Vom Festival, das hier stattfinden soll, ist nicht allzu viel oder, genau genommen, nichts zu spüren: Außer uns befinden sich noch zwei Kellner und – immerhin – auch ein DJ im Raum. Das war’s dann aber auch schon. Da wurden wir wohl verarscht. Immerhin bekomme ich eine Zigarre geschenkt und die Unterhaltung bleibt im Großen und Ganzen auch unterhaltsam. Bei der Rechnung wird natürlich noch die Touri-Abzocke draufgepackt und kaum ist’s bezahlt, sitzen Bekki und ich alleine da. Sympathisch.

Nach diesem Erlebnis und den anderen erfahrenen Betrügereien haben wir vorerst keinen Bock mehr auf den hier so üblichen und omnipräsenten Small Talk. Von daher geben wir uns ab sofort als Polen aus, die kein Wort irgendeiner der Sprachen verstehen, in der Kubaner womöglich kommunizieren könnten: Polnisch spricht hier niemand. Dieses Verhalten ist uns zwar selbst zuwider, aber wir wollen uns nicht bei jeder Unterhaltung fragen, ob und wann uns der Gegenüber versucht auszunehmen.
Der Eintritt ins Capitolio kostet drei CUC pro Person. Möchte man Fotos machen, kostet dies noch mal zwei CUC pro Kamera. Diesen Hinweis »übersehen« wir zufällig und fotografieren trotzdem heimlich. Irgendwie müssen wir ja die überteuerten Mojitos wieder zurückschlawinern.
Vor der Revolution befanden sich der Senat und das Repräsentantenhaus im Capitolio. Heute ist die 1860 gegründete Akademie der Wissenschaften hier untergebracht.
Rechts in der Halle steht die zwölf Meter hohe, über 40 Tonnen schwere und mit Gold überzogene Bronzeskulptur »La República«, die die zweitgrößte in einem Raum stehende Skulptur der Welt sein soll.
Die »Arbeit« und die »Tugend«, zwei sechs Meter hohe Statuen, wachen vor dem Capitolio neben der imposanten Granittreppe. Der linke Gebäudeteil beherbergt heute das Museo Nacional de Historia Natural, in dem es, laut unseres Reiseführers, unter anderem eine Nachbildung der in präkolumbianischer Zeit bewohnten Höhle bei Punta del Este auf der Isla de la Juventud zu sehen geben soll. Diese Höhle, die erst 1910 entdeckt wurde, wurde durch ihre gut erhaltenen Felszeichnungen berühmt und ist daher auch als »Sixtinische Kapelle der Höhlenmalerei« bekannt.
Von der nachgebauten Höhle ist weit und breit nichts zu sehen, wodurch sich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass wir unseren ReisefĂĽhrer× alsbald in die nächstbeste Tonnen treten werden. Aber auch ohne den Nachbau der Höhle hat das Capitolio durchaus seine beeindruckenden Räume. Besonders der Saal des Senats ist faszinierend, der ziemlich streng, fast schon bedrohlich wirkt. Wie nahezu ĂĽberall auf Kuba fĂĽhlen wir uns in eine längst vergangene Zeit zurĂĽckversetzt, dieses Mal ins 19. Jahrhundert: Nur allzu gut kann man sich vorstellen, wie in diesem Raum Männer mit PerĂĽcken und Roben auf ihren schweren, ledernen Sesseln sitzend ĂĽber die Ausbeutung des Volkes debattieren.
Entschuldige bitte die schlechte Qualität der Bilder …
Alles in allem ist das Capitolio ganz nett, aber nicht so der Brüller. Die meisten Wege im Gebäude sind abgesperrt, was mal wieder nervt. Das Beeindruckendste am Capitolio ist sicherlich die zwölf Meter hohe Statue im Eingangsbereich und der in den Boden eingelassene Diamant in der Mitte des Raumes.
Wir machen uns auf in Richtung El Vedado, dem Stadtteil westlich der Altstadt und des Zentrums. Da wir uns nicht in den Camello quetschen wollen, der auch der Hauptarbeitsplatz von La Habanas Taschendieben sein soll, und uns heute auch nicht noch von Taxifahrern übers Ohr hauen lassen möchten, geht’s zu Fuß dorthin.
In der Avenida de los Presidentes passieren wir das Denkmal José Miguel Gómez’. Es handelt sich hierbei um einen pompösen Kreisverkehr, also um ein äußerst praktisches Denkmal.
Seine Regierung wurde wegen einiger Zugeständnisse und Gesetze vielfach kritisiert. So wurden unter seiner Ägide Hahnenkämpfe legalisiert und die nationale Lotterie ins Leben gerufen. Hinzu kommen Korruptionsskandale und Vetternwirtschaft: »Cuando se baña salpica«, »wenn er badet, spritzt es«, hieß es, was eine Anspielung auf die Verteilung der öffentlichen Ämter unter seinen Verwandten war. Er erhielt den Spitznamen »Tiburón« – zu Deutsch »Hai«.
Klingt sympathisch. Doch es wird noch wesentlich schlimmer: Gómez’ Regierung ließ 3.000–5.000 Schwarze massakrieren, die nach dem gewonnenen Krieg ihre Rechte einforderten. Viele der durch die Armee getöteten Afrokubaner waren Veteranen im Befreiungskrieg. Durch brutalsten Rassismus grenzte Gómez’ Regierung die erst wenige Jahre zuvor befreiten Sklaven aus der Gesellschaft aus. Die Versklavung der Afrikaner begann in Kuba bereits im frühesten 16. Jahrhundert und endete erst 1886!
Während der Kämpfe gegen die afrokubanischen Rebellen starben notabene nur zwölf Regierungssoldaten.
Wieso steht dieses Monument noch?
Schließlich erreichen wir unser Ziel: La Rampa, die auch einfach nur »La 23« genannt wird. Dies ist – laut unserem Reiseführer – das lebhafteste Einkaufszentrum der Stadt. Außer einem Reisebüro sowie dem ein oder anderen Hotel und Restaurant fällt uns jedoch kein einziger Laden und schon gar nichts »lebhaftes« auf. Stirb Buch, stirb!
Enttäuscht schleppen wir uns mit schmerzenden Füßen zum Malecón. Als Promenade kann man den Malecón übrigens nicht bezeichnen, da die Stadtplaner La Habanas eine – wenn nicht sogar die – Hauptverkehrsstraße direkt am Meer verlegen ließen. So kommt dann auch, trotz der tollen Aussicht auf die Skyline, kein wirkliches Urlaubsfeeling auf – was auch mal wieder damit zusammenhängt, dass man sich als Ausländer hier nirgends hinsetzen kann, ohne sofort angeschnorrt oder zugetextet zu werden. Das Meer sieht allerdings sagenhaft schön aus. Immerhin.
Es ziehen Regenwolken auf, und die ersten Tropfen finden ihren Weg durch Havannas Smog auf unsere Haut. Ganz in der Nähe befindet sich glücklicherweise ein vegetarisches Restaurant, auf das wir uns seit Tagen freuen. Für gerade einmal vier CUC bekommt man hier ein vegetarisches Menü und einen Liter Saft. Tja, die »komplett aktualisierte Auflage 2006« unseres Individualreiseführers behauptet das zumindest. Doch was finden wir tatsächlich vor? Na klar.
Also geht’s über den Malecón zurück in Richtung Centro und Vieja. Der Sonnenuntergang fällt aufgrund der Regenwolken heute obendrein noch aus. Unsere Füße brennen und wir haben keine Lust auf gar nichts mehr. Ein Tag, den man getrost vergessen kann. Ein Strand wäre jetzt schön. Allerdings scheint es in der ganzen Hauptstadt, die direkt am Meer liegt, nur einen einzigen zu geben. Der Strand ist gut fünf bis sechs Kilometer von unserem Casa Particular entfernt, und wenn es ein Strand für zwei Millionen Menschen ist … dann wollen wir den eigentlich auch gar nicht sehen.
Als wir ohne Abendessen in die Heia wollen, dürfen wir noch feststellen, dass Diosdado und Hermelinda frenetische Fidel-Fans: »Alles richtig gemacht, und hier ist ja auch alles so schön.«
So Sprüche gehen uns heute mal so gar nicht rein. Und der Zyniker in mir denkt sich, dass diese Leute offensichtlich noch nie eine Stadt gesehen haben, die nicht nur aus Ruinen besteht. In diesem postapokalyptischen Havanna wäre »Mad Max« garantiert der Kultfilm schlechthin.
Wir ziehen uns in unser Zimmer zurĂĽck, drĂĽcken den Lichtschalter und warten die obligatorischen 20 bis 30 Sekunden, bis das Licht angeht. Am Morgen dauert es immerhin nur fĂĽnf bis zehn Sekunden, bis der Strom flieĂźt.
»komplett aktualisierte Auflage«: Da können wir nur müde lächeln …