Tag 9: Casablanca, oder: Auf der anderen Seite des Ölteppichs

Anarchistenherz

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Donnerstag, 15. & Freitag, 16. Februar 2007
La Habana

Der Tag beginnt heute sehr früh: Es ist noch nicht einmal richtig hell draußen, als Hermelinda und Diosdado die Glotze anwerfen. Und wie es sich für alte Leute gehört, ist der Fernsehen laut, sehr laut. Kurz darauf klingelt das Telefon, Hermelinda klingt nervös, rennt den kleinen Flur zu unserem Zimmer entlang und klopft nervig penetrant an die Tür: »¡Deni, Deni!«
Ich versuche besonders müde zu klingen: »Si, un momentito, por favor«, und öffne mit übertrieben zusammengekniffenen Augen die Tür.
»¡Hay una inspección!«
Was ist los? Hermelinda erklärt total hektisch und in viel zu schnellem Spanisch, dass jeden Moment die Polizei hier eintreffen wird, um das Casa Particular zu kontrollieren. Später erfahren wir, dass es solche Inspektionen monatlich zu geben scheint.
Das Problem, das sich für die beiden Kubaner mit dieser Inspektion ergibt, ist die Tatsache, dass sie »zu viele« Touristen bei sich aufgenommen haben. Erlaubt sind für ihre Wohnung lediglich zwei, aber da ist ja noch dieser Franzose von nebenan …
Der ist glücklicherweise immer noch auf Achse und Hermelinda besitzt selbstverständlich einen Zweitschlüssel. Also wird mal eben schnell sein Zeug zusammengepackt und in unser Zimmer geschafft.
»Ihr seid heute Morgen um vier Uhr hier angekommen. Okay?«
Alles klar. Nun beginnt das Warten. Rebekka und ich, noch immer vom gestrigen Tag ziemlich genervt, frühstücken und harren der Dinge. Was wird hier wohl gleich geschehen? Vorsichtshalber packen wir sämtliche Wertgegenstände in meinen Rucksack und verschließen ihn mit Bekkis Vorhängeschloss. Wer weiß, ob so ein Bulle nicht auf die Idee kommt, imperialistische Spionagewerkzeuge oder dergleichen zu konfiszieren.
Irgendwann kommt dann der Franzose zurück und findet sein leer geräumtes Zimmer vor. Hermelinda rennt – noch immer im Panikmodus – hinter ihm her und brabbelt in flottem Tempo dieselbe Geschichte noch einmal herunter. Der Franzose gibt der Herzinfarktnahen mehr als deutlich zu verstehen, dass er kein Wort versteht, weshalb ich ihm die Situation erkläre. Er scheint glücklich darüber zu sein, dass er heute sowieso La Habana verlässt.
Die Polizeiinspektion bekommen wir nicht mehr mit, da wir heute wieder eine größere Wanderung unternehmen wollen: Es geht nach Casablanca, dem Stadtteil auf der anderen Seite des Canal de Entrada.

Dafür müssen wir jedoch zunächst den Anlegeplatz der Fähre suchen: Am Museo del Ron Havana Club in der Nähe der Plaza de San Fransisco werden wir fündig. Von hier aus setzt regelmäßig eine »Peso-Cubano-Fähre« über.

Die Überfahrt über den dreckigsten Fluss, den wir je gesehen haben, kostet für uns beide 20 Peso Cubano, also knapp 90 Cent. Was die Habaneros sich und ihrer Stadt mit dieser Verschmutzung antun, ist unbeschreiblich. Rund um den Kanal stinkt es nach altem Öl, die Kaimauer ist pechschwarz und tote Vögel treiben im tatsächlich vorhandenen Ölteppich! Abartig. Noch abartiger ist unsere verstörende Beobachtung, dass hier all zehn Meter tatsächlich ein Angler seine Angel ins Wasser taucht. Ist das etwa allen Ernstes der übliche Verschmutzungsgrad?

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Drüben angekommen, wandern wir den Hügel hinauf zum knapp 20 Meter hohen Cristo de La Habana. Die Jesusfigur wurde von der Künstlerin Jilma Madera aus 67 Blöcken weißen Carrara-Marmors herausgearbeitet, der vor der Verschiffung aus Italien noch von Papst Pius XII. gesegnet wurde. Zweieinhalb Monate nach Pius’ Tod wurde die Statue an Heiligabend 1958 eingeweiht. Viele Kubaner sehen in der Haltung der Hände Jesu – um das nicht unerwähnt zu lassen – eine quasi göttliche Ehrerbietung der kubanischen Kultur: Sieht es doch so aus, als halte Jesus in seiner Rechten eine imaginäre Zigarre und in der Linken ein nicht vorhandenes Glas Mojito.

Der marmorne Christus ist eine imposante Figur, deren Anblick man jedoch mal wieder nicht allzu sehr genießen kann, da dort mal wieder mehrere Kubaner versuchen, an Geld zu kommen.
»Foto?«
»Taxi?«
»Cuban Cigar?«
Wir verstehen dummerweise kein Wort und sprechen tragischerweise auch keine der gängigen Sprachen. Was soll man machen?
Der Ausblick auf die Stadt ist aber wirklich sagenhaft.

Weiter geht es in Richtung Fortaleza de San Carlos de la Cabaña. Die größte spanischen Festung auf dem amerikanischen Kontinent wurde zwischen 1763 und 1774 erbaut.

Vor der Feste findet eine Art Schulbuchbasar statt. Obwohl quasi keine Touristen zugegen sind, beschließen wir, dass uns der Anblick von außen genügt. Neben dem Fort befindet sich eine Kaserne. Im Vorbeigehen können wir kubanische Soldaten beim Kampfsporttraining beobachten. Das Fotografieren militärischer Anlagen ist strengstens untersagt. Warnschilder gibt es keine, dafür wacht jedoch die Staatsgewalt am Zaune, bereit, jedem Spion die Kamera abzunehmen. Auf einer Wiese sind martialisch romantisch mehrere Raketen und anderes Kriegsgerät aufgebaut, auf denen Kinder herumtollen. Mich bedrücken solche Bilder ja eher.

An der Landspitze, wo sich der Canal de Entrada und das offene Meer treffen, thront das 1598 zur Abwehr von Piratenangriffen errichtete Castillo de los Tres Reyes del Morro sowie ein schicker Leuchtturm aus dem 19. Jahrhundert.

Mit der Fähre geht’s wieder zurück nach Vieja, und wir freuen uns darauf, wieder Autoabgase anstelle von Schmieröl einatmen zu dürfen. Ganz Casablanca stinkt danach.

Am hübschen und total überfüllten Hauptbahnhof wollen wir noch schnell herausfinden, wie und wann wir von Havanna zu unserem nächsten Ziel Playa Larga weiterreisen können. Playa Larga liegt in der Bahía de Cochinos, der berühmten Schweinebucht. Dort wollen wir uns nach dem Stress der Hauptstadt ein paar Tage entspannten Strandurlaub gönnen. Das Personal hat jedoch anscheinend keinen Plan und schickt uns ohne auch nur eine hilfreiche Information (n)irgendwohin.

Estación Central de Ferrocarriles

Auf dem Weg Richtung Casa kommen wir in der Stadt dann noch zufällig an dem »gut sortierten Supermarkt« vorbei, den uns unser toller Reiseführer empfiehlt und beschließen, den Laden mal genauer unter die Lupe zu nehmen. Als wir den gut klimatisierten Markt betreten, schickt man uns gleich wieder heraus: Rucksäcke sind hier drinnen verboten, können aber auf der Straße in einem Aufbewahrungshäuschen abgegeben werden. Kein Bock auf den Scheiß. Wieder etwas angefressen, gehen wir zurück in unser Casa Particular.
Später sitzen wir gemütlich an der Plaza de Armas und genießen die Ruhe, die man in Havanna nur abends bekommt. Doch auch die währt nicht ewig, und schon sind wir zwei Verliebten wieder im Fadenkreuz: Mit verliebt romantischem Blick nähern sich aus dem Nichts plötzlich zwei kleine Männer. Einer der beiden ist mit einer Gitarre, der andere mit einer Violine bewaffnet. Beim unerwarteten und äußerst amüsanten Anblick der beiden beginne ich zu lachen, was die Herren dummerweise als pure Freude zu empfinden scheinen und schon spielen sie uns ein Lied. Zum Dahinschmelzen. 30 Sekunden später bekomme ich die gelbe Kappe des Violinisten unter die Nase gedrückt und darf mich einiger Centavos entledigen. Dies reicht ihnen natürlich nicht: Nein, die Männer wollen Euro. Boah, ist das anstrengend … Sie bekommen nichts mehr von uns.
Um punkt neun Uhr knallt es plötzlich laut, und die Plaza de Armas vibriert kurz. Passend zu unserem heutigen Ausflug nach Casablanca werden wir erstmals Zeugen des »Cañonazo de las nueve«, dem allabendlichen Abfeuern der Kanone des Castillo de los Tres Reyes del Morro. Der Kanonenschuss ist ein aus Kolonialzeiten beibehaltenes Ritual, welches seinerzeit das Schließen des Hafens ankündigte. Der Hafen wurde damals mit einer schweren Eisenkette, die tagsüber auf dem Grund des Canal de Entrada lag, »abgeschlossen«, indem man die Kette spannte und somit von draußen ankommenden Schiffen die Zufahrt versperrte.

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