Tag 32: Borramy und die Kinder von Angkor
Curry-Competition
Samstag, 27. März 2010
Siem Reap – Angkor, Kambodscha
Banteay Samré
Da uns auf der Fahrt zum Tempel das Dörfchen neugierig gemacht hat, bitten wir Chel auf der Rückfahrt in Pradak haltzumachen. Wir wollen ein wenig durch den Ort spazieren, der offenbar primär von Bauern bevölkert ist. Aus irgendwelchen Gründen denkt Chel, dass er dabei im Schritttempo neben uns herfahren muss, was uns ziemlich auf die Nerven geht. Wie sieht das denn aus? Zwei Europäer mit ihrem Privat-Tuk-Tuk »trauen« sich ins authentische Einheimischennest, lassen sich aber sicherheitshalber vom Tuk-Tuk mit laufendem Motor begleiten, damit sie, sobald »Gefahr im Verzug ist«, schnell die Fliege machen können. Sehr entspannt das Ganze. Ich versuche Chel zum Stoppen zu bringen, indem ich mit meinen Händen eine »Stopp«-Bewegung mache und ihn mit höflichem Ton bitte: »You wait here, please.«
Chel versteht wieder einmal kein Wort und tuckert weiter neben uns her. Auch als wir die Straßenseite wechseln und ihn somit zum Geisterfahrer machen, folgt er uns. Wir beschließen, dass wir den Spaziergang nach knapp 20 Metern besser wieder abbrechen und begeben uns in ein »Einheimischenrestaurant«. Hier ist alles sehr einfach gehalten: Eine Speisekarte gibt es nicht, denn es werden nur zwei Mahlzeiten angeboten. Diese sind auch bereits gekocht und warten in ihren Töpfen auf Hungrige, die sie verspeisen. Leider ist das eine ein Hühnchen Curry und das andere »Amok«. In Siem Reap gelingt es mir, das kambodschanische Nationalgericht mit dem seltsamen Namen vegan zu bekommen, was mich zu dem Schluss kommen lässt, dass Amok – meiner feinen Zunge nach – nichts anderes ist, als Massaman Curry mit Fisch. In Pradak wird Amok aber eben nur mit Fisch angeboten und extra Gemüse schnippeln will oder kann man für uns nicht. Die Frau sieht ziemlich hilflos aus, als wir sie fragen … Wir probieren es gegenüber. Chel hat mittlerweile übrigens endlich mal den Motor abgestellt und beobachtet uns. Ich glaube, er findet es gut, dass wir uns in einen Imbiss, der zu 99 % von Einheimischen frequentiert sein dürfte, hineintrauen und dort auch essen wollen; zumindest lächelt er uns ununterbrochen an.
Kinder entdecken uns! Fünf Mädchen versammeln sich um uns und versuchen, uns ihre selbst gebastelten Figürchen aus gefärbten Palmblättern zu verkaufen. Wir lehnen dankend ab, was die Kinder aber nicht zur Aufgabe bringt. Die sympathischen Damen zwischen fünf und 13 folgen uns unter das gegenüberliegende Bambusdach und schauen uns zu, wie wir versuchen, die Köchin zu bitten uns etwas Gemüse über den Reis zu schnippeln. Die Köchin ist sich nicht hundertprozentig sicher, ob sie uns richtig versteht, als sich das älteste der Mädchen einmischt und dolmetscht. Englisch können hier erstaunlich viele, vor allen Dingen junge Kambodschaner. Chel, etwa Anfang 30, ist da eine eher seltene Ausnahme. Die Köchin versteht nun. Anhand ihrer Reaktion merken wir, dass sie uns auch bereits zuvor verstanden hatte, es wohl aber nicht wahrhaben wollte, dass wir auf leckeren Fisch und schmackhaftes Hühnchen in Soße verzichten wollen, um Reis mit Gemüse zu essen. Seltsam, diese Farangs. Und wir wundern uns gleichzeitig etwas darüber, dass alle benachbarten Essensstände – Restaurant ist nicht unbedingt die korrekte Bezeichnung hierfür – dasselbe Essen anbieten.
Für 1000 Riel, knapp 25 Cent, bekommen wir trockenen Reis mit Gemüse, was erstaunlicherweise richtig gut schmeckt. Die Köchin kann es aber – glaube ich – immer noch nicht fassen.
Die Kinder setzen sich an den Nebentisch und schauen uns vollkommen ruhig und geduldig beim Essen zu. Keine bietet uns mehr ihre Figürchen an; sie schauen uns einfach nur zu. Das amüsiert mich und ich beginne mal wieder zu schielen und doof zu gucken, was bei den jungen Fräuleins eine Mischung aus irritierter Faszination und amüsierter Unterhaltung auslöst. Als ich mir den Zeigefinger so tief ins Ohr stecke, dass er in meinem Mund ankommt und ich damit meine Backe von innen zu kratzen beginne, nimmt die Irritation überhand über das »merkwürdige Geschehen«. Vielleicht hat die Kleinste, für die ich dieses Kunststück vorführe auch nur bemerkt, dass nicht etwa mein Zeigefinger, sondern meine Zunge die Bewegung in der Backe auslöst. Und dann schmunzelt sie doch noch. Yeah.
Weil die Mädchen einmal mehr so niedlich sind und die Älteste uns bei der Essensbeschaffung behilflich war, kaufen wir ihnen doch noch etwas ab. Ich frage, ob die fünf Geschwister sind.
»We three and they«, antwortet die Kambodschanerin mit den Englischkenntnissen. Ich frage, ob es möglich wäre, dass sie das Geld teilen, woraufhin die herzige Kleine: »Sure«, antwortet. Wir geben also jeder »Familie« 500 Riel und bekommen dafür von der Ältesten einen Palmvogel. Wir verabschieden und bedanken uns – »Aukun Cheran« – und fahren weiter zur nächsten Anlage.
Der Tempel, den wir am ersten Tag aufgrund der Hitze ausgespart hatten, ist der nächste, den wir besuchen: Banteay Kdei.
Die Pforte zum Banteay Kdei
Als wir durch die Pforte des lang gezogenen Tempels gehen, kommt uns eines der Armbändchen verkaufenden Mädchen entgegen: »Where you from?«
Das ist in Angkor die Standardfrage derer, die einem etwas verkaufen wollen.
»Germany«, antworten wir wie immer brav.
»80 million people, capital Berlin«, entgegnen einem die Kinder dann immer. Dieses Mädel hat aber noch eine Info mehr zu bieten: »80 million people, capital Berlin, four million people live there.«
»Wow! Very good!«, loben Rebekka und ich die Kleine für ihr Wissen.
»Thank you«, sagt die Kleine schüchtern, aber durchaus auch stolz. Normalerweise beginnt nun das Verkaufsgespräch. Aber dieser Sonnenschein bleibt erstaunlicherweise bei der Unterhaltung: »What’s your name?«
Die kleine Khmer lispelt niedlich.
»I like your name«, sagt sie nach erhaltener Info zu Rebekka.
»And what is your name?«, möchte ich wissen.
»Borramy.«
»That’s a beautiful name.«
»Thank you.«
Wir bleiben stehen. Tempel haben wir nun schon einige gesehen, weswegen es uns nicht mehr mit allzu extremer Neugierde in diesen hineinzieht. Außerdem wollen wir uns als nächsten und letzten Tempel den »Sonnenuntergangstempel« Phnom Bakheng anschauen. Und es dauert noch, bis die Sonne untergeht. Wieso also nicht einmal ein paar Minuten mit einer jungen Einheimischen verbringen?
»You are nice«, lächelt sie uns mit ihren glänzenden dunklen Augen an. »This is for you. A present.«
Sie holt einen breiten und einen schmalen Armreif aus ihrem Körbchen und legt sie Rebekka auf den National Geographic Art Guide.
»Oh … no! You don’t have to …«
Wir versuchen uns zu wehren, aber sie besteht darauf. Intelligente Taktik oder pure Freundlichkeit … vielleicht ja auch einfach beides. Borramy ist unglaublich süß.
»How old are you?«
»26.«
Sie ist erstaunt. In Phuket hat mich eine für 30 gehalten. Kommt jetzt schon wieder so etwas?
»You look younger.«
Borramy hat’s drauf.
»Like … 19.«
So ein Schatz!
»What about you? How old are you?«
»Eleven. Do you have sisters and brothers?«, fragt die kleine Neugierige.
»Two sisters and one brother«, hört sie von Rebekka und: »Three sisters«, bekommt sie von mir als Antwort.
»Only sisters?« Sie kann es kaum fassen.
»Only sisters«, bestätige ich.
»I have ten sisters and two brothers.«
»Wow!«
Sie hat eindeutig gewonnen.
»But four of them are already dead.« Das ist dann plötzlich wie ein Schlag ins Gesicht. Die Kindersterblichkeitsrate ist in Kambodscha mit knapp sechs Prozent noch ziemlich hoch. Über einer Spendenbox in unserem Hostel hat Rebekka gelesen, dass eins von sieben Kindern in Kambodscha stirbt.
»I speak ten languages.«
Zum Glück wechselt Borramy das Thema.
»Ten?!« Das glauben wir nicht.
»Yes: German, danke. English, thank you. Spanish, gracias. French, merci. Russian, spasiba. Polish, dziękuję. Japanese, arigatō. Chinese, xièxie. Thai, kop khun ka. And Cambodian: aukun cheran.«
Das ist beeindruckend: »You are very intelligent. You must be very good at school.«
»I want to become a doctor.«
»Good choice.«
»Thank you. You want to see the temple?«
Schon fast schweren Herzens bejahen wir die Frage. Vorher wollen wir ihr aber noch etwas für die geschenkten Armbändchen zurückgeben. Blöderweise haben wir kein anständiges Geschenk in unseren Taschen. Das einzige, was bleibt, ist also unromantischerweise ein Dollar.
Lieber Leser, falls du einmal nach Kambodscha reisen solltest: Pack dir einen zusätzlichen Rucksack mit schönen kleinen Geschenken für diese unfassbar liebenswerten und hübschen Kinder! Über Spielsachen oder Ähnliches freuen die sich bestimmt mindestens genauso sehr, wie über das Geld, mit dem sie in ihrem jungen Alter bereits ganze Familien ernähren. Vielleicht freuen sich die Kinder über Spielzeug ja sogar noch mehr, da das Geld zu Hause garantiert den Eltern übergeben wird, damit diese Essen, Kleidung etc. davon kaufen können. Wenn in diesem Land schon Kinder arbeiten gehen müssen, dann gib ihnen auch zusätzlich noch etwas, das ihre Mühen für sie selbst besser spürbar belohnt. Bedenke auch, dass jeder einzelne Tourist eine gewisse Mitschuld an der Kinderarbeit in Kambod-scha trägt. Die Kambodschaner sind ein schlaues Volk und wissen, dass Touristen einem süßen Kind viel eher Armbändchen abkaufen als einem Erwachsenen. Die Erwachsenen, die man in Angkor arbeiten sieht, verkaufen übrigens Essen und Trinken, sind Fremdenführer und Tuk-Tuk-Fahrer oder Landminenopfer, die Musik machen.
Borramy nimmt den Dollar dankend an und schenkt uns daraufhin noch zwei viel hübschere und aufwendigere Armbänder.
Borramy
Banteay Kdei
Als wir nach erfolgreicher Besichtigung den Tempel wieder verlassen, verabschieden wir uns von Borramy, die mittlerweile ein altes Fahrrad mit Holz bepackt hat. Ich frage sie, was sie damit vorhat, woraufhin sie uns mitteilt, dass ihre Mutter nun Feuer machen und etwas kochen kann.
Phnom Bakheng
Und so endet unser Drei-Tages-Trip nach Angkor.
Zum Abschluss unseres Siem Reap-Aufenthaltes essen wir mal wieder in unserem Lieblingsstraßenrestaurant. Dort kennt man uns. Allerdings muss man auch sagen, dass die beiden Geschwister, die den Laden mit ihrer Mutter schmeißen, sich auch tatsächlich jedes Gesicht merken können. Unglaublich. Wenn man mal mit einem: »See you tomorrow!«, von den beiden verabschiedet wurde und plant nicht mehr dort essen zu gehen, sollte man sich beim Durchqueren der Straße eine gute Ausrede einfallen lassen. Die beiden sprechen nämlich jeden einstigen Kunden an. Einmal mehr ist der Unterhaltungswert in dieser Straße großartig. Als wir wieder mit: »See you tomorrow!«, verabschiedet werden, informieren wir die Familie traurig, dass wir morgen abreisen. Also rufen uns die Mutter und die beiden Geschwister: »See you next year!«, hinterher. Na dann …
Auf dem Night Market verhandle ich über den Preis eines Trikots der kambodschanischen Fußballnationalmannschaft. Bei 4,50 Dollar treffen wir uns und ich bin nun glücklicher Besitzer eines knallgelben Trikots mit blauen Ärmeln. Rebekka meint, dass es meinen Teint noch dunkler wirken lässt und ich nun aussehe wie ein Schwede … was wohl auch an der Trikotfarbe liegen mag.
Zwei Italiener verhandeln mit dem Besitzer des Antiquitätenstandes über den Preis einer wahrlich antik aussehenden Statue. Als Laie würde ich die Figur als echt bezeichnen; zumindest sieht sie wirklich alt und toll aus. Wenn wir es richtig mitbekommen, treffen sie sich bei 350 Dollar und besprechen nun die Ausfuhr beziehungsweise die Einfuhr nach Italien. Sollten das am Ende etwa tatsächlich echte Antiquitäten sein? Schließlich gibt es hier ja auch Elfenbeinpfeifen und Krokodilledertaschen …