Tag 46: Doi Suthep und das belgische Koma

Curry-Competition

2010 04 10 12.46.14

Samstag, 10. April 2010
Chiang Mai – Doi Suthep

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Mister Joe kommt mit dem Auto einfach nicht bei: Rebekka, die beiden Polen Anna und Arek, Dani aus Spanien, Ioanna aus Griechenland, Loïc aus Belgien und ich warten knappe 90 Minuten bis Mister Joe endlich mit dem Pick-up vorfährt und ihn Mong übergibt. Mong, der Mann mit dem Blutegel zwischen den Augen und dessen Spitzname »Hobbit« ist, fährt uns bei unserem heute also stattfindenden Tagestrip.
Während der Fahrt auf der, für sieben Personen dann doch zu kleinen, Ladefläche sitzen wir fast aufeinander und lernen uns ein klein wenig näher kennen. Dani und Ioanna leben im »wahren Leben« als Artisten, bereisen nahezu den kompletten Südosten Asiens und haben drei Mal geheiratet: in Spanien, in Griechenland und »für den Staat«. Loïc ist bislang noch recht ruhig, was wohl daran liegt, dass sich der Französisch sprechende Lütticher ein wenig für sein Englisch schämt. Wir erfahren aber recht schnell, dass er auf kulinarische Abenteuer steht und in Chiang Rai, was weiter im Norden liegt, Hund gegessen hat. Später am Tag taut er dann richtig auf und offenbart seine belgische Herkunft auf genau die Weise, wie sich Belgier am ehesten zu erkennen geben: Er philosophiert vom Bier. Nahezu nonstop. Arek macht einen Thai-Massage-Kurs und plant in Europa als Masseur durchzustarten. Anna, die den Trip organisiert hat, arbeitet mal hier, mal da in Europa – nur nie in Polen – als Psychologin.

Unser erstes Ziel an diesem Tag ist ein Trekkingpfad. Der bergauf führende Weg soll gute fünf Kilometer lang sein und an einem Tempel enden. Dort will uns Mong in einer Stunde wieder abholen.
Der den Pfad umgebende Wald ist furztrocken und das hindurch führende Flussbett vollkommen ausgetrocknet. Allzu spannend ist dieser Spaziergang daher nicht. Dafür ist die Wanderung um so schweißtreibender, da es einmal mehr drückend heiß ist und der Trampelpfad wirklich durchgehend bergauf führt.

Nach etwas mehr als 20 Minuten erreichen wir einen Tempel und fragen uns, ob das tatsächlich der Tempel ist, den wir erst nach fünf Kilometern und einer knappen Stunde hätten erreichen sollen.
Der Tempel befindet sich entweder noch im Aufbau oder wird renoviert. Ein paar wenige Arbeiter basteln an der Fassade des Tempels. Die tempeltypischen Figuren sehen demnach brandneu aus. So einen ganz »frischen« Tempel umgibt eine andere Aura als all die Tempel, die wir bisher gesehen haben.

Arek stellt fest, dass der Weg noch weiter den Berg hinauf geht. Ob sich weiter oben noch ein Tempel befindet, können uns die Arbeiter aber nicht sagen. Die Straße führt an diesem Tempel vorbei, weswegen wir uns unsicher sind, ob das tatsächlich schon der Ort ist, an dem wir auf Mong warten müssen. Einige von uns wollen hier bleiben, während andere noch weiter wandern wollen. Schließlich setzen sich Arek und die allgemeine Neugierde durch und wir klettern den schnell immer steiler werdenden Pfad weiter nach oben. Nach höchstens 100 Metern stehen wir auf einmal hinter der Leitplanke der Straße. Hm, dann war das wohl doch der Tempel. Gerade als wir über die Straße kommend wieder den Tempel erreichen, fährt ein anderer Giant-Guesthouse-Angestellter mit dem anderen, wesentlich älteren Pick-up am Tempel vor. Oha, Mong macht Feierabend und mein Rucksack ist im falschen Wagen.

Wir werden zum Wat Phra That Doi Suthep, Chiang Mais Wahrzeichen, das auf dem Berg Doi Suthep liegt, gebracht. Am geschäftigen Parkplatz mit kleinem Markt angekommen, haben wir die Wahl, den Tempel entweder über eine 200 Stufen lange Treppe zu erreichen, deren Geländer zwei riesige Schlangen – Nagas genannt – sind, die sich von Treppenbeginn bis zum oberen Ende durchziehen, oder mit dem schräg den Berg hochfahrenden Aufzug. Rebekka und ich entscheiden uns für den Aufzug. Vorerst genug geschwitzt …
Oben angekommen betreten wir den Innenhof des Tempels. Zuerst fällt der goldene Chedi ins Auge, und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn durch die Sonne blendet das achteckige Bauwerk ordentlich. Rund um den Chedi führt ein abgezäunter Weg, den viele Buddhisten mit Blumen in ihren Händen betend entlangschreiten.

Im Außenbereich des Tempels gibt es wie in Ayutthaya ein Glockenspiel, das die Besucher ununterbrochen zum Erklingen bringen. Rebekka und ich lassen uns da nicht lumpen und schlagen auch die Holzklöppel.
Im Tempelhof gibt es auch einen Glocken- beziehungsweise Gongturm mit unter anderem einem zwei Meter großen Gong.

Eine kleine Girl-Group in traditionellen Kostümen tanzt zu weniger traditionell klingender Musik einen Schirmtanz, während auf der gegenüberliegenden Seite des Tempels wieder anders gekleidete Kinder einen völlig anderen Tanz vorführen. Diese Tanzgruppe gehört dem Volk der Hmong an. Die Hmong sind eines der indigenen Völker Thailands. Das bedeutet, dass sie Nachkommen einer Bevölkerung sind, die vor Kolonisation, Eroberung oder Staatsgründung bereits in dieser Region gelebt haben und sich, ihrer Vergangenheit bewusst, ihre Traditionen und Sprachen erhalten. In Thailand leben knapp 150.000 Hmong, die tatsächlich einen eigenen Dialekt oder gar eine eigene Sprache sprechen, die die meisten Thais nicht verstehen können.

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Der Tempel ist besichtigt, also geht’s wieder runter zum Auto und ab zum bitter nötigen Schwimmen im Wasserfallbecken.
Unser Fahrer fährt uns zum Eingang des Nationalparks. Oh, der Zutritt zum Wasserfall ist kostenpflichtig: 200 Baht pro Person. Hm … Zum Glück denkt jeder so wie wir und die Diskussion mit dem Kassierer beginnt. Als Erstes wollen wir abchecken, ob der Wasserfall zurzeit überhaupt Wasser führt. Was der Kassierer darauf antwortet, klingt nicht so überzeugend. Auf einen Rabatt lässt er sich aber auch nicht ein, was daran liegt, dass das Ticket mal wieder für den kompletten Tag im gesamten Nationalpark gültig wäre. Also entscheiden wir uns zur Umkehr. Unser Fahrer kennt noch andere, kostenfreie Wasserfälle.
Der nächste Versuch schlägt ebenfalls fehl: kein Wasser. Zu dieser Zeit des Jahres gibt es anscheinend einfach keine anständigen Wasserfälle in Thailand. Beim dritten Wasserfall ergeben wir uns dann unserem Schicksal: Am Huaykeaw Waterfall gibt es wenigstens kleine Becken, in denen auch einige Thais schwimmen. Das Wasser sieht allerdings sehr braun aus und macht stellenweise den Eindruck, dass es sich bereits seit Wochen nicht mehr bewegt hat.

Dani klettert den Felsen, über den sich eigentlich das Wasser stürzt, hinauf, um zu sehen, ob es wenigstens oben ein zum Schwimmen geeignetes Wasserbecken gibt. Als er oben ankommt, zeigt er aber mit dem Daumen nach unten.
Meine Fototasche und ich werden von einer kleinen Gruppe pubertierender Thai-Mädels entdeckt. Ich soll den Fotoapparat auspacken und ein Foto von den Mädchen machen. Nachdem ich die komplette Gruppe abfotografiert habe, bestehe ich auch auf ein Gruppenfoto mit mir, was speziell das dicke Mädel zu seltsamen Geräuschen zwischen Lachen und Grunzen animiert.

Lange bleiben wir nicht am Wasserfall. Auf dem Rückweg bewundern wir noch die gegrillten und frittierten Insekten und Frösche, die man sich zum Knabbern kaufen kann und dann geht’s weiter.

Wir lassen unseren Fahrer wissen, dass wir weniger auf der Suche nach einem schön anzusehenden Wasserfall als vielmehr auf der Suche nach einer Schwimmmöglichkeit sind. Also fahren wir nun zum See, dem Huay Tung Tao. Na, geht doch.
Der Huay Tung Tao ist ziemlich groß und ein schmaler Sandstrand zieht sich um ihn herum. Dort haben sich wiederum kleine Restaurants mit Zeltdächern sowie Schwimmreifen- und Tretbootverleiher niedergelassen. Es gibt kaum einen Quadratmeter hinter dem Strand, der nicht mit einer Holzhütte oder einem Zeltdach belegt ist.

Heute Abend soll irgendwo an diesem See das Chiang Mai Beach Festival stattfinden. Loïc, Ioanna und Dani gehen auf jeden Fall hin. Da wir uns mit der kompletten Ausflugscrew verdammt gut verstehen, beschließen Rebekka und ich also heute Abend ebenfalls Party zu machen.

Am Abend gehen wir zum nahe am Hostel gelegenen Parkplatz, von dem aus ein kostenloses Shuttle zum preiswerten Festival fährt. Das Shuttle ist ein Songthaew, dass die mehr und mehr werdenden Party-People zum Strand bringen soll. Da man – wenn überhaupt – höchstens zwei Songthaews zum Transport einsetzt, dauert es jedoch dementsprechend lange, bis man sein Shuttle zum Strand bekommt.
Die Fahrt zum See ist urkomisch. Loïc ist bereits gut angetrunken und redet noch schlechteres Englisch als er es sowieso schon spricht. Dafür redet er ohne Unterlass. Dani möchte wissen, wie das mit dem ›H‹ am Wortanfang bei französischsprachigen Menschen ist. Können die das wirklich nicht aussprechen? Loïc versteht nicht, was er will und so müssen wir ihm Beispiele liefern:
»How do you say ›hotel‹ in English?«
»Hôtel? Iiin Engelish? The same.«
»So: say it.«
»Hôtel?« Er spricht es französich aus. Also mit stummem ›H‹: Otel.
»Yes, in English.«
»The same!«
Wir müssen andere Geschütze auffahren: »How do you say ›he‹?«
»What?«
»He.«
Ich buchstabiere ihm das Wort auf Französisch, was in etwa so klingt: »Asch«, für ›H‹ und: »ǝ.« – Das ist ein unbetontes ›E‹ wie in ›Schule‹. – Also: »Asch, ǝ.«
»ǝ«, antwortet er mit nach oben gezogenen Schultern und einem irritierten Gesichtsausdruck.
»No, say it in English!«
»I don’t understand.«
Das Festival ist klein und sympathisch. Der Eintritt kostet heute Abend 300 Baht, morgen nur 200 Baht. Es gibt auch Zwei-Tages-Tickets, VIP-Tickets und Deluxe-Tickets, die dem Besucher kostenlosen Zugang zu den Getränken gewähren.
Wenn man die Festivalwiese betritt, läuft man direkt auf einen kleinen selbst gebastelten, schwarzlichtaktiven Wegweiser zu. Links geht es zur Chill Out Area, rechts zur Hauptbühne und oben steht groß geschrieben: »You are here.« Höhö.
Die Musik ist von ganz gut bis auszuhalten, die Stimmung aber ist ausgelassen. Die Festivalsaison hat begonnen! Yeeeehaw! Rebekka und ich schwingen stundenlang das Tanzbein und Loïc macht das, wofür ein Belgier lebt: Er besäuft sich hemmungslos. Ich bin irgendwann auch nicht mehr so ganz taufrisch und verschwinde mal eben kurz zum Pinkeln. Eine Stunde später findet Dani mich schlafend auf einem Baumstumpf sitzen. Gemeinsam gehen wir zurück zu den Mädels und Loïc, der mittlerweile im Koma liegt. Aufwecken ist nicht möglich, also tragen wir ihn in der Decke, auf der er liegt zum Shuttle-Parkplatz. Wir müssen mindestens eine halbe Stunde warten, bevor das scheiß Taxi kommt. Loïc macht uns derweil zur Attraktion des Parkplatzes: »Is he okay?«
»Yes, he’s from Belgium.«
Loïc bekommt von alldem nichts mit. Selbst die Fahrt im Songthaew, die er auf dem Boden zwischen unseren Füßen verbringt, bekommt er nicht mit. Erst als wir wieder in Chiang Mai ankommen, gelingt es uns, den Belgier zu wecken. Er schafft es sogar, bis zum Guesthouse zu laufen. Loïc ist übrigens kein Gast im Giant. Wo er eigentlich wohnt und wo sein Rucksack untergestellt ist, weiß keiner von uns so recht. Er, zum derzeitigen Zeitpunkt, vermutlich auch nicht. Aus diesem Grund legen wir ihn einfach zu Mong ins Zimmer. Mong schläft zurzeit im Wohnzimmer, das für jeden zugänglich ist. Ein Sofa ist noch frei und schon schläft Loïc wieder.

<center>Eskalation in Bangkok</center>
Am Abend des 10. April werden in Bangkok bei schweren Ausschreitungen Demonstranten, Soldaten und ein japanischer Journalist getötet. Insgesamt fallen 25 Menschenleben der Gewalt zum Opfer.
In Chiang Mai merkt man davon nahezu nichts. Es fällt lediglich auf, dass beispielsweise am Somphet Market fast jeder Stand mit einem Radio oder Fernsehgerät ausgestattet ist, worüber den ganzen Tag über Reden der Rothemden-Führer ausgestrahlt werden.Mit Farangs über Politik zu diskutieren, ist den Thais eher fremd und führt auch zu herzlich wenig, da Chiang Mai die Rothemdenhochburg schlechthin ist. Die meisten Thais fürchten aber primär, dass die Touristen – für viele die einzige oder Haupteinnahmequelle – durch die Unruhen Thailand fernbleiben werden.

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