Tag 57: Das indische Viertel und Chinatown

Curry-Competition

Mittwoch, 21. April 2010
Bangkok

Wir erreichen Bangkok gegen neun Uhr morgens. Egal, ob man mit dem Bus oder dem Zug durch Bangkok fährt, die Stadt ist faszinierend: Vor dem Fenster sieht man mal Armut, mal Wohlstand. In Holzbaracken, die direkt an den Gleisen von den Bewohnern selbst erbaut wurden, herrscht bereits reger Verkehr. Hier leben anscheinend auch viele Taxifahrer, zumindest sieht man zwischen all den Holzhütten auch mal eines der rosa Autos stehen; entweder im Freien oder in einer selbst gezimmerten Garage. Essensstände und kleine schäbige Restaurants gibt es in dieser direkt an den Gleisen gelegenen Hüttensiedlung ebenfalls. Je tiefer wir in die Stadt vordringen, desto mehr übernimmt der Wohlstand das Bild. Große, grüne Parkanlagen und moderne, hohe Häuser stehen rund um die stark befahrene Straße und um die Gleise, die irgendwann am Hauptbahnhof Hua Lamphong enden. Die Fahrt im Schritttempo durch Bangkok dauert fast eine Stunde.
Am Bahnhof angekommen, erkundigen wir uns, wo Bus Nr. 53 abfährt.
»Can I help you?«
»Ha sip sam?« Yeah. Bus Nr. ha sip sam fährt in Richtung Khaosan Road.
Der Bus kommt einfach nicht bei, dafür aber ein dicker Thai, der uns auf »typisch europäische« Art begrüßt: Er streckt einem freundlich grinsend die Hand entgegen und lacht dabei. Ich weiß noch immer nicht genau, an welche Filmfigur der Mann mich erinnert. Auf jeden Fall lacht er jedes Mal vor und nach seinen Sätzen. Egal was er sagt. Außerdem lacht er auf eine maßlos übertriebene Weise. Schreibe ich nun »hahaha«, so sind dies exakt die Silben, die der Mann mit tiefer Stimme lacht. Dabei hält er sich die dicke Wampe und zieht seinen Kopf in den Nacken: »Hahaha! Where you come from, hahaha?«
Auf Thailändisch heißt fünf übrigens »ha«, weswegen Thais im Internet anstelle von Smileys einfach »555« schreiben: hahaha. Aber das nur nebenbei.
Der Mann, dessen Lache irgendwo zwischen Badesalz und dem Konzentrationslager-Ehrhardt aus Ernst Lubitschs »Sein oder Nichtsein« anzusiedeln ist, textet und lacht uns gut fünf Minuten lang zu. Mir ist es dann doch noch etwas zu früh für so viel fröhliche Konversation und so gelingt es mir, den Mann durch meine noch leicht dämmrige Abwesenheit genügend zu langweilen, sodass er uns in Ruhe lässt.
Plötzlich kommt der Bus um die Kurve und hält mitten auf der stark befahrenen Straße. Konzentrationslager-Ehrhardt, Rebekka und ich sprinten dem Bus entgegen. Der Bus ist noch gar nicht zum Stehen gekommen, als zwei Fahrgäste aus der offenen Tür hüpfen und der Busfahrer direkt wieder aufs Gaspedal drückt. In den zwei Sekunden haben wir es gerade mal durch die vordere Autoreihe geschafft. Was war denn das jetzt?
Der Dicke reagiert so, als passiere das öfter, indem er gar keine Reaktion zeigt und sich einfach wieder hinsetzt. Nach weiteren zehn Minuten des Wartens haben wir keine Lust mehr und halten ein Taxi an. Ich frage den Fahrer, wie viel es denn in etwa in die Khaosan Road kosten würde. Er überlegt kurz und sagt 100 Baht. Na gut. Wir müssen auch mal aufs Klo. Kaum sitzen wir im Taxameter-Taxi, fällt mir auch schon auf, dass der Taxameter ausgeschaltet ist. Ich mache den Thai darauf aufmerksam. Er reagiert aber nicht. Ich wiederhole nun mehrfach, dass der Taxameter ausgeschaltet ist und er ihn bitte einschalten soll. Nach wenigen Hundert Metern reicht es dem Fahrer dann. Er dreht sich zu mir und meckert: »I said 100 Baht.«
Oha. Wir wollen aber mit Taxameter fahren, da das – soviel ist nun klar – garantiert billiger ist. Das lasse ich den Mann wissen und schon fährt er links ran und schmeißt uns raus. Das nächste Taxi fährt uns – mit Taxameter – für 71 Baht in die Khaosan Road.
Sämtliche Läden in der Khaosan Road sind noch geschlossen und die Straßenstände noch nicht aufgebaut. Die Khaosan Road ist eine breitere Straße, als man tagsüber und abends vermuten würde.

Bangkok - Khaosan Road

Wir schleppen uns und unser Gepäck wieder in die Soi Rambuttri. Das ist die Straße, die sich am Ende der Khaosan Road, rund um den Wat Chai Chana Songkhram zieht. Nachdem wir unser Zeug im Merry V. Guesthouse abgestellt haben, machen wir uns auf den Weg zum Phra Athit Pier. Dort nehmen wir für 25 Baht pro Person die Personenfähre über den Mae Nam Chao Phraya. Der Chao Phraya ist Bangkoks großer und breiter Fluss, der sich von Nord nach Süd durch die komplette Stadt zieht, um dann im Süden der Metropole, an der Nahtstelle von Malaiischer und Indochinesischer Halbinsel in den Golf von Thailand zu münden. Neben Mekong und Saluen ist der Chao Phraya Thailands größter und wichtigster Fluss, der sein Wasser aus dem Zusammenfluss mehrerer kleinerer Flüsse speist. Der Fluss fließt unter anderem auch durch Ayutthaya und bewässert mit seinen vielen Khlongs (Kanälen) Reisanbaugebiete.
Die Fähre legt – sagen wir mal – schwungvoll an: Mit relativ hoher Geschwindigkeit nähert sich das Boot dem Anleger. Der Captain scheint mal eben schnell die Handbremse zu ziehen und reißt die Fähre um lockere 90° auf die Seite. Durch die Drehung des Bootes ist die Geschwindigkeit weg und die Ein- und Ausstiegsstelle direkt am Anleger. Das nenne ich mal eine gekonnte und lässige Anlegemethode.
Die Fähre ist mit orangenen und gelben Plastikschalenstühlen ausgestattet. In der ersten Reihe sitzt ein Thai mit einem Mikro, der uns Passagieren die nächste Haltestelle ankündigt und erzählt, was man von dort aus alles besichtigen kann.
Das Ufer links und rechts von uns ist einmal mehr – typisch Bangkok – sehr abwechslungsreich. Riesige Glaspaläste und Wolkenkratzer wechseln sich mit alten, baufälligen Holzhütten ab. Der Wat Arun, auch Tempel der Morgenröte genannt, da sich die Sonne morgens auf den porzellanbedeckten Türmen spiegelt, erinnert an Angkor und gleich auf der gegenüberliegenden Uferseite befindet sich der Königspalast. Auf dem Fluss selbst ist viel Verkehr: Andere Fähren, schwere Schlepper, Tuk-Tuks und stark nach Hausboot aussehende Barkassen kreuzen über den Chao Phraya.
Es gibt also wieder viel zu bestaunen.

Bangkok - Chao Phraya - Wat Arun
Wat Arun

Bangkok - Chao Phraya - arm
Hier eine Holzhütte …

Bangkok - Chao Phraya - reich
… und in direkter Nachbarschaft ein schicker Wolkenkratzer

Bangkok - Chao Phraya - Verkehr

Bangkok - Chao Phraya -

Wir verlassen die Fähre am Anleger Oriental, der nahe an Chinatown und dem indischen Viertel liegt. In der Nähe des Piers befindet sich O.P. Place, ein extrem schickes und ebenso extrem teures Kaufhaus für Antiquitäten, Schmuck und Stoffe. Ein Concierge begrüßt die Kunden … oder in unserem Fall: die neugierigen Touristen. Innen ist alles mit Holz verkleidet. In einem Geschäft entdecke ich eine Opiumpfeife, die wie die Elefantenknochenpfeifen aus Kambodscha aussieht, aber aus grünem Stein gefertigt ist.
»Thao loi krap?«, frage ich die Verkäuferin.
»86.000 Baht.«
Nachdem sich meine Gesichtslähmung gelockert hat und meine Atemnot vorüber ist, setze ich ein geschocktes Gesicht auf und versuche diese Zahl in Euro umzurechnen. 50 Baht sind 100 Cent. 86 × 2 sind 172. Noch das Komma richtig setzen und … 1720 Euro?! Für eine Opiumpfeife?
»It’s made of jade.«
Oha, grüner Stein. Ich verstehe. Ich atme durch meinen offenen Mund ein, verkneife dabei mein Gesicht und hole mit meinem Kopf zum Schütteln aus, als die Dame mit: »I make you good price!«, versucht, mir das Pfeifchen doch noch schmackhaft zu machen.
»Das schaffste nicht«, denke ich mir, entschuldige und verabschiede mich höflich.
In anderen Geschäften dieses Hauses fragen wir dann erst gar nicht nach Preisen … auch wenn mich der ausgestreckte Mittelfinger, den die Burmesen im 10. Jahrhundert in Stein gemeißelt haben, durchaus reizen würde.

Bangkok - O.P. Place - birmanischer Stinkefinger

Wir spazieren ein wenig die Surawong Road hinunter. Überall kann man Schmuck kaufen und die indische Variante – oder besser Raubkopie – von Pizza Hut, namens Indian Hut, verkauft indisches Essen. Wir schlendern in Richtung Norden zur Si Phraya Road. Irgendwo auf dem Weg zurück zum Flussufer zweigt ein kleiner Weg von der Straße ab, in dem einige kleine Straßenstände Essen anbieten. Essen ist in Thailand immer gut und der kleine Markt sieht interessant aus, also geht’s rein da. Als wir auf der Gasse um eine Ecke biegen, sitzt da ein Thai vor seinem Geschäft auf einem Plastikstuhl. Drei Meter neben ihm schneidet seine etwa 16-jährige Tochter gerade Kräuter. Der Vater sieht Rebekka, mich und meine Kamera, fängt an zu strahlen und fordert mich auf, seine Tochter zu fotografieren. Die schrickt plötzlich auf und dreht sich zu ihrem Vater. Als sie uns sieht, beginnt sie verschämt zu lächeln. Ich will den stolzen Papi nicht enttäuschen und beginne, das Mädel abzufotografieren. Papa freut sich lauthals und mein Modell schaut lieb in die Kamera. Als ich fertig bin, zeigt der glückliche Erzeuger mir beide Daumen, woraufhin ich zur ultimativen Erquickung des Herrn auf seine Tochter zeige und ein, in perfektem Thai vorgetragenes: »Sulai mak«, von mir gebe. »Sulai mak« heißt »sehr schön«. Und nun ist der Mann nicht mehr zu halten: Er hebt mit seinem Hintern kurz vom Stuhl ab, prustet laut aus und ruft vollkommen euphorisch und amüsiert: »Sulai mak!«, durch die Gasse. »Sulai mak!«, ruft er immer wieder und dann noch irgendwas auf Thai, von dem ich außer »Farang« nichts verstehen kann. Im Jubel des Herrn Papa verlassen wir die Szenerie.

Bangkok -

Wir erreichen wieder das Ufer des Chao Phraya und betreten flussaufwärts Chinatown. Anscheinend sind wir hinter Bangkoks erster christlicher Kirche, der Rosenkranz Kirche in der »Schrott Road« gelandet, zumindest ist hier jeder zweite Laden ein Schrott- und Eisenwarenhändler.

Bangkok - Chinatwon - Schrott Road - Schrott (1)

Bangkok - Chinatwon - Schrott Road - Schrott (2)

Bangkok - Chinatwon - Schrott Road - Durian

Zwischen der nahe dem Flussufer gelegenen Songwat Road und der nördlich von ihr von West nach Ost halbwegs parallel verlaufenden Charoen Krung Road, zieht sich ein unüberschaubar großer Markt durch unzählige enge Gässchen. In den ersten Gässchen, in die wir kommen, gibt es ausschließlich Schuhe und Flip Flops zu kaufen. Flip Flops mit Camouflage-Muster, wie wir sie unserem Freund Thorsten mitbringen wollen, finden wir aber nirgends … Hmpf.
Wir schlendern weiter und stellen fest, dass man außer Schuhen auch alles andere Lebensnotwendige hier kaufen kann. Die Gassen sind dabei aber manchmal so eng, dass keine zwei Meter Platz zwischen den Ständen zum Durchkommen sind. Nicht nur in diesen schmalen Passagen ist ein riesiges Gedränge. Unfassbar viele Einheimische sind unterwegs. Farangs halten sich bereits seit Verlassen der Fähre stark in Grenzen, so ist es auch auf Chinatowns Markt. Wir spazieren lange durch die Gassen und erst als wir sie im Westen in der Pahurat Road, circa eineinhalb Kilometer Luftweg vom östlichen Beginn des Marktes wieder verlassen, macht mich die vermutlich etwas neidische Rebekka darauf aufmerksam, dass ich hinter meinem Rücken nahezu ununterbrochen von der weiblichen Bevölkerung Bangkoks ob meines grandiosen Aussehens abgefeiert wurde. Yeah, Baby! Rooaarrr!

Bangkok - Chinatwon - Markt (1)

Bangkok - Chinatwon - Markt (2)

Bangkok - Chinatwon - Markt (3)

Bangkok - Chinatwon - Markt (4)

Wir stehen zwischen dem indischen Pahurat Markt, der lediglich durch die Chak Phet Road vom Chinatown-Markt getrennt ist, und dem Old Siam Plaza. Das Old Siam Plaza ist ein dreistöckiges Einkaufszentrum. Die oberen beiden Geschosse ziehen sich wie riesige Balkone um die Halle im Erdgeschoss. Es gibt vor allem Textilien zu kaufen. Essen, speziell Süßes, ist aber – wie überall in Thailand – auch ausreichend vorhanden. Wir essen mit Kokosmilch übergossene Maiskolben.
Die Tripet Road führt zur Memorial Bridge. Am Wat Ratchaburana überqueren wir die stark befahrene Straße und befinden uns plötzlich schon wieder auf einem Markt. Diesmal ist es der wohlriechende Blumenmarkt in der Mahathat Road.
Das Leben auf Bangkoks Straßen zu beobachten ist schlicht und ergreifend spannend: Zuerst das Gewusel in Chinatown und nun hängt an einer Hauswand eine Stehleiter an einem dünnen Seil. Zwischen den beiden Leitern sitzt auf einer ungesicherten Metallplatte ein Mann, der an der Hauswand arbeitet. Das Ganze geschieht in etwa zehn Metern Höhe.

Bangkok - Leiter

An einem Pier werden in großen Bambuskörben die unterschiedlichsten Lebensmittel verfrachtet, ein junger Arbeiter ruht sich auf einer Hängematte aus, die über die Ladefläche eines Pick-ups gehängt wurde und dann endlich bekomme ich es auch mal mit, wie ich die Herzen zweier jungen Damen zum Pochen bringe. Rooaarrr!
Am Thien Pier schlürfen Rebekka und ich noch schnell gemeinsam eine Kokosmilch leer und nähern uns dann dem Königspalast. Der Palast sieht von außen aus wie einer von vielen Tempeln. Der einzige Unterschied besteht wohl in der Fläche, die der komplette Komplex einnimmt. Das sind nämlich ganze 2,6 km². Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Amtsantritt des amtierenden Königs Bhumibol 1946 war der Phra Borom Maharadscha Wang die Residenz der Könige von Thailand beziehungsweise Siam. Heute residiert der König im Chitralada-Palast in der Ratchawithi Road.
Von Tempeln haben wir nach acht Wochen dann aber doch langsam genug. Außerdem schmerzen uns nach nunmehr bereits über sechs Stunden Stadterkundung die Füße schon ordentlich. Wir beschließen also, uns den Palast nur von außen anzuschauen. Das reicht uns momentan vollkommen aus. Auf der Straße vor dem Palast stehen natürlich auch wieder diverse Stände. Hier stechen besonders Stände hervor, an denen man sich kleine Glücksbringer kaufen kann. Die Glücksbringer sind metallene Kettenanhänger oder kleine Steintafeln für die Hosentasche mit buddhistischen Symbolen und Gesichtern von Mönchen darauf. Kleine Lupen liegen bereit, damit man sich die Talismane auch ganz genau anschauen kann.

Bangkok - Glücksbringer

Wir durchqueren noch eine kleine Gasse, die direkt am Fluss zwei Piers miteinander verbindet, und trinken bei einem netten Ausblick auf den Fluss einen teuren Fruit Shake. Durch die enttäuschend unspektakuläre Thammasat Universität erreichen wir wieder die Pra Athit Road, an deren Pier unsere Tour heute Morgen begann. Duschen, Abendessen und nicht allzu spät ins Bett lautet der Plan nach diesem langen, aber wirklich schönen Tag. Und den setzen wir dann auch eins zu eins in die Tat um …

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