Tage 48-53: Songkran! … und die Folgen

Curry-Competition

v.l.n.r.: Raphael (Schweiz), Ioanna (Griechenland), Jamie (England) & Yasmin (Malaysia/Australien/Schottland)

Montag–Samstag, 12.–17. April 2010
Chiang Mai

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Rock und Roll: Heute beginnt Songkran! Die Thais feiern vier Tage lang ihr neues Jahr. Und das wird im wahrsten Sinne des Wortes »feucht fröhlich«. Es ist nicht nur so, dass sich sehr viele Thais maßlos besaufen, was tragischerweise alljährlich zu vielen Todesfällen durch Verkehrsunfälle führt – dieses Jahr werden es 166 Tote in ganz Thailand sein. Nein: Die Thais spritzen alles und jeden, der ihnen während der Feiertage über den Weg läuft, mit Wasser nass!
Was ursprünglich als eine religiös spirituelle Waschung begann, ist heute eine Wasserschlacht gigantischen Ausmaßes. Speziell die Wasserschlacht von Chiang Mai ist legendär, was daran liegt, dass rund um die quadratische Altstadt Chiang Mais ein gut 15 Meter breiter Wassergraben führt, der dafür sorgt, das es mitten in der Stadt Wasser ohne Ende gibt.
Doch gehen wir chronologisch vor: An Mahasongkran, dem letzten Tag des Jahres, sammeln sich gegen Mittag die ersten Krieger der Giant-Guesthouse-Army vor unserer Feste. Rebekka und ich haben uns am Vortag schweres Gerät beschafft: fette Wasserpistolen vom Typ YX-1500. Wo die einschlagen, bleibt nichts mehr trocken. Pock, der lustige, dicke Kellner hat schon einen Schlauch raus auf die Straße gelegt und Eimer bereitgestellt.
Kurz nachdem die Angriffe auf Passanten und Rollerfahrer beginnen, gesellen sich immer mehr Giants zu uns. Mit Kreidepulver wird eine matschige Pampe angerührt, die der Kriegsbemalung dient.

Als wir genügend Kämpfer mobilisiert haben, ertönt der Ruf nach einem heimtückischen Angriff auf ein benachbartes Hostel. Wir füllen unsere Waffen und Eimer und ziehen in die Schlacht.

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v.l.n.r.. Rebekka, Tiger (Australien), Dani (Spanien) und ich
Hinter unseren breiten Schultern verstecken sich die restlichen, arglistigen Giant Warriors
© Ioanna Mare & Dani Arrando

Das gegnerische Guesthouse erwartet unseren Überraschungscoup natürlich nicht. Der Sieg und die Eroberung ihrer Wasserquelle ist eine sichere Sache. Fünf Meter vor dem Feind bricht die Giant Army ein mörderisches Kampfgeschrei los. Der Feind ist geschockt: »Oh my God! They attack us! They attack us!«
Der Sieg ist greifbar nahe, als der feige Gegner plötzlich zurückzuschießen beginnt und wir feststellen müssen, dass es sich nicht nur um einfaches und harmloses, frisch gezapftes Wasser, sondern um extra gekühltes Eiswasser handelt! Uns gelingt es zwar bis zur Eistonne vorzustoßen und den einen oder anderen Eimer mit Eiswasser zu füllen, doch dann wird es einfach zu kalt und wir beschließen den vorübergehenden Rückzug. Trotzdem war der Angriff ein voller Erfolg. Wir haben keinen Mann verloren.

Nachdem sich kaum noch ein Mensch am Giant Guesthouse vorbeitraut – es muss sich herumgesprochen haben, wie gnadenlos wir sind –, beschließen wir, zur Hauptstraße vorzustoßen. Hier tobt die Schlacht am wildesten: Tausende Thais und Farangs geben sich eine Schlacht »Jeder gegen jeden«. Das Wasser wird entweder von verschiedenen Restaurants, Bars etc. bereitgestellt und ununterbrochen in Regenwassertonnen nachgefüllt oder mit Eimern aus dem Kanal geholt. Hierzu kann man sich sogar extra Schnüre organisieren, die man an die Eimer knotet, um das Wasser aus dem Kanal schöpfen zu können. Außerdem fahren noch massenhaft Pick-ups und Tuk-Tuks über die vollkommen zum Erliegen gekommene Hauptverkehrsstraße, die ebenfalls Tonnen mit (Eis-)Wasser transportieren. Es dauert in der Nähe der Hauptstraße keine fünf Sekunden, bis man bis auf die Unterhose durchnässt ist.

Chiang Mai - Songkran (5)
… der hat gesessen …
Jamie und ich

Chiang Mai - Songkran (4)

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Pock alias Joker

Chiang Mai - Songkran (6)
Rücken an Rücken: Jamie und Kicu (Spanien), davor: Tiger

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Nicht jeder Thai frohlockt übrigens der »Eimer-über-den-Kopf-Attacke«. Es gibt noch genügend Thais, die mit einem Eimer Wasser durch die vollkommen verrückt gewordene Masse spazieren, lediglich ihre Fingerspitzen befeuchten und dann wenige Tropfen auf Vorbeimarschierende spritzen. Deswegen hat man ab und an schon fast ein schlechtes Gewissen und fragt sich, wie viel Schuld die Farangs an der »Eskalation der Tradition« tragen. Beobachtet man dann aber die vielen mitwirkenden Kinder oder auch unsere direkte Nachbarin, verfliegen solche Gedanken sehr schnell:
Am zweiten Songkran-Tag, auch Nao genannt, was soviel wie »der erste Tag nach dem Ende des letzten Tages« bedeutet, flitzt zum Beispiel ein Eichhörnchen wenige Meter über unseren Köpfen über eine Stromleitung. Irgendjemand aus unserem Guesthouse bemerkt es und fragt im Spaß, wer denn wohl als Erster das Eichhörnchen von dort herunterschießen würde. Alle reagieren veganisch korrekt und rügen den Fragenden mit einem: »Uuuaaaah«, als wir auf einmal die uns schon ewig an diesem Tage völlig alleine attackierende knapp 50-jährige Nachbarin hören, die auf Thai wohl so etwas wie: »Ach was! Schaut mal, ein Eichhörnchen!«, ruft und ohne zu zögern das Feuer – äh, Wasser – auf den Nager eröffnet. Das Eichhörnchen plumpst zum Glück nicht von der Leitung, sondern legt einen Zahn zu und kann den Schüssen entfliehen. Die ulkige Nachbarin lacht sich dabei kaputt …
A propos kaputt: Es gibt erste Opfer zu beklagen! Nach dem ersten Songkran-Tag haben wir mit Laura aus London und ausgerechnet Rebekka zwei wertvolle Kriegerinnen im Kampf verloren. Die zwei liegen krank im Bett und bei beiden wird der Zustand leider mehrere Tage andauern.
Ich muss meine Frau rächen und stoße dabei am dritten Tag, also an Talueng Sok, dem Neujahrstag, auf einen Thai-Teenie, der offensichtlich schwul ist. Seine sehr tuckige Art macht ihn höchst amüsant. Es beginnt mit einer harmlosen Attacke meinerseits: Heute trage ich neben meiner YX-1500 auch einen 10-Liter-Eimer mit mir herum. Diesen bekommt der lustige Kollege ab, was ihn fast zum Umfallen bringt: »Oh! Oh! Ooohooh! Okay!«
Er taumelt und ich kann mir das Lachen bereits nicht mehr verkneifen. Der Thai ist mit einigen Kumpels auf einem Pick-up unterwegs. Pick-up-Fighter darf man nicht unterschätzen, das habe ich in den letzten Tagen gelernt. Denn, wenn es eine relativ sichere Quelle für Eiswasser gibt, dann auf einem Pick-up. Und so kommt es dann auch. Der mollige Thai füllt sein Eimerchen und holt zum Gegenangriff aus. Nachdem dieser geglückt ist, bin ich es, der: »Uaaah! Uaaaah! Aaaaah!«, brüllt und im Kreis springt. Das Wasser ist schweinekalt! Na warte, denke ich mir und lasse die mich umgebenden Giants wissen, dass wir einen Teenie und einen Pick-up zu zerstören haben! Die Eimer werden wieder gefüllt und gemeinsam wird der Thai mit der Brille attackiert. Diesmal bekommt er gute 30 Liter ab, was ihn wieder sehr stark ins Taumeln bringt. Wie schon beim ersten Angriff und – ich nehme es vorweg – wie auch bei den folgenden 25 Attacken ruft er dabei: »Oh! Oh! Ooohooh! Okay!«, und holt zum Gegenangriff aus. Blöderweise trifft der Gegenangriff immer nur mich! Ausnahmslos! Die anderen Giants interessieren den Kollegen einen Scheiß und ich bekomme massenhaft Eisduschen ab. Nach locker 15 Minuten des unerbittlichen Bekämpfens verabschieden wir uns sportlich und freundlich voneinander und der Pick-up fährt wieder weiter. Uff.
Später am Tag fährt ein Chinese auf seinem Roller am Giant vorbei und drückt in der Angst, einen Eimer abzubekommen – welch Überraschung an solch einem Tag –, volle Möhre auf die Handbremse. Dummerweise drückt er aber nur die Bremse fürs Vorderrad und schon liegt der Mann vor uns auf dem Boden. Tja … der Ellbogen und das Knie sind ein bisschen lädiert und der Spiegel ist kaputt. Eigentlich ist der Mann ja selbst schuld daran, aber Jamie tröstet den Chinesen damit, dass wir für den entstandenen Schaden an seinem gemieteten Zweirad aufkommen werden. Der Spaß kostet letztlich 30 Baht pro Person, worüber sich Mister Joe – nicht ganz zu Unrecht – ziemlich aufregt: »He maybe has drived motorbike two days in his life. And today: must know is Songkran. Own fault! You don’t have to pay!«

Chiang Mai - Songkran (7)
Typische Attacke auf Rollerfahrer vor dem Giant Guest House

Es ist einfach unglaublich, wie viel Spaß es machen kann, vier Tage lang andere Leute nass zu spritzen und selbst nass gemacht zu werden. Und das, obwohl es auch den Radius, in dem man sich bewegen kann, stark beeinträchtigt: Rollerfahren ist gefährlich, auf der Ladefläche eines Pick-ups wird man auch nass und in Restaurants, die mehr als eine Ecke vom Giant entfernt sind, kommt man auch niemals trocken an. Vielleicht ist auch das der Grund dafür, dass Jamie an einem und Kicu an zwei Abenden für das komplette Guesthouse kochen. Bei Jamie, der einen Thai-Kochkurs in Chiang Mai absolviert hat, gibt es leckeren Massaman Curry. Jamie hat übrigens 15 Jahre als Musikproduzent gearbeitet und reist nun schon mehrere Monate umher. Das macht er so lange, bis sein Job im Cirque du Soleil in Macau beginnt. Kicu macht einmal Pad Thai Kicu Style und am nächsten Abend Pizza. An allen drei Abenden wird darauf geachtet, dass neben den Fleischfressern auch Vegetarier und Veganer anwesend sind. Sehr cool.
Am 16. April ist es dann vorbei mit dem Begrüßen des neuen Jahres … und die halbe Stadt liegt, aufgrund des Dreckwassers, das jeder über vier Tage hinweg abbekommen hat, krank im Bett. Mich hat es dann auch erwischt und mit mir 90 % der restlichen Giant Warriors. Wir haben aber auch ausdauernd gefightet! Ich glaube, ich komme jetzt jedes Jahr zum thailändischen Neujahrsfest nach Chiang Mai: vier Tage Party und mindestens zwei Tage Magen-Darm-Infektion. Rock und Roll und Chock Dee Phi Mai! Happy New Thai Year!
Loïc schießt übrigens noch ganz nebenbei den Vogel ab: Nach Songkran will er nach Pai weiterreisen und dort einige Tage verbringen. Also fährt er morgens mit dem Minibus über die kurvenreiche Bergstraße ins vier Stunden entfernte Dorf. Ich liege krank im Bett und frage mich abends, ob ich jetzt auch noch einem Fieberwahn verfallen bin, da ich plötzlich Loïcs Stimme zu hören glaube. Rebekka, die unten bei unseren neuen Freunden sitzt, klärt mich später darüber auf, dass Loïc tatsächlich wieder zurückgekommen ist: Er hat in Pai den Bus verlassen, ist durch zwei Straßen gelaufen, hat kaum einen Menschen auf der Straße gesehen und sich daraufhin gedacht: »Hier ist ja gar nichts los! Fahre ich lieber wieder zurück nach Chiang Mai.«
Dieser Belgier ist Entertainment pur. Ich weiß nur nicht, wie viel Absicht da jedes Mal dahinter steckt …

Copyright
Einige der Fotos auf dieser Seite stammen von Ioanna Mare, Daniel Arrando & Arek. Das Teilen und Bearbeiten der Fotos ist – wie bei allen Fotos auf dieser Website – nur mit ausdrücklicher, schriftlicher Genehmigung zulässig.

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