Tag 1: Bayreuth

Das Tagebuch des Straßenlesers: 1. Tour (2015)

Montag, 7. September 2015
Bayreuth

Ich beginne die Tour im oberfränkischen Bayreuth. Es nieselt leicht und von einer belebten Fußgängerzone kann man an diesem Montagabend nun wirklich nicht sprechen. Kaum habe ich mit meiner Lesung begonnen, spaziert eine türkische Mama mit ihrem niedlichen Sohn an mir vorbei. Das heißt, eigentlich spazieren sie direkt auf mich zu. Die Mutter greift in ihre Tasche und drückt ihrem Kleinen etwas in die Hand. Der strahlt auf einmal über beide Bäckchen und kommt mit einem stolz vor sich gestreckten 5-Euro-Schein auf mich zu.
»Wow! Vielen Dank!«, unterbreche ich meinen Satz kurz und lächle den Jungen an. Das ist doch mal ein ordentlicher Start!
Kurz darauf kommt eine liebe Oma an mir vorbei, die – obowohl sie vermutlich herzlich wenig mit dem Erzählten anfangen kann – es sich nicht nehmen lässt, mir mitzuteilen, dass »das so schön ist, was sie da machen«.
Ein Freak, der zunächst einen Passanten quer durch die Fußgängerzone lauthals und äußerst niveaulos beschimpft, setzt sich während der Lesung hinter mich und blökt zunächst fleißig weiter vor sich hin.
»Boah, nee!«, denke ich mir und versuche, mich auf meinen Text zu konzentrieren und mich nicht von dem Vogel hinter mir ablenken zu lassen. Einfach ist’s nicht und ich werde zunächst das Gefühl nicht los, dass der Kollege sich absichtlich in meine Nähe gesetzt hat, um mich zu nerven. Irgendwann bemerke ich aber, dass der Typ mehr und mehr verstummt und seine schräge Lache seltsam oft zu lustigen Passagen meines Buches passt. Gibt’s doch nicht: Er hört mir tatsächlich zu! Irgendwann stolpert er dann vor mich und brüllt mich überraschend begeistert an: »Das ist Kunst! Weiter so! – Brauchst du Geld?«
»Klar brauch’ ich Geld!«, antworte ich – ehrlich gesagt ziemlich irritiert. Freude an (Straßen-)Kunst hätte ich dem Mann nicht zugetraut. Er puhlt ein paar Münzen aus seinem Geldbeutel, entschuldigt sich, dass er nicht mehr hat – ich bilde mir ein, unter anderem eine 2-Euro-Münze aufblicken zu sehen – und zieht von dannen.
Mir werden von zwei Mädels noch zwei Bücher abgekauft und eine Gruppe Teenies schenkt mir zum Abschluss der Lesung ein Bier - original aus Bayreuth. Während die Sonne endgültig untergeht, sitze ich zufrieden lächelnd in der Maxstraße und zähle 14 Euro in meinem Hut.

2015 09 07 Bayreuth
Maxstraße, Bayreuth, 7.9.2015

Nürnberg

Nächster Halt: Nürnberg. Ich erreiche die Frankenmetropole gegen 21:30 Uhr. Ich war noch nie in Nürnberg. Ich lasse mich von meinem Navi in die Innenstadt navigieren und suche einen Platz, an dem ich heute Nacht auch möglichst im Auto pennen kann. Ich kennen niemanden in Nürnberg und möchte keine Kohle für ein Hostel zahlen. Ist nicht das erste Mal, dass ich in meinem Clio auf der Rückbank pennen werde. Neben genügend Nächten auf Festivals beispielsweise war ich 2011 auch schon mal »auf Tour«. Allerdings war’s keine Lesetour.
Ich hatte im Juni 2011 für einen Monat bei den M. E. First Class Divers auf Mallorca als Divemaster gearbeitet. Von 2001 an habe ich fast jedes Jahr in der Tauchschule von Ralf und Birgit gejobbt. Ist wie nach Hause kommen. Zudem war es 2011 die letzte Möglichkeit für mich, bei den beiden anzuheuern, da sie gerade im Begriff waren, die Tauchschule zu verkaufen. Während meines Monats in Portopetro lernte ich auch einen reichen Unternehmer und dessen Künstlerfreund kennen. Der Reiche war ein arroganter Schnösel, der ständig dem Orgasmus nahe mit seinen Geldscheinen in der Tasche herumspielte – »Ich liebe dieses Gefühl. Und dieses Geräusch …« – und einen immer »verbesserte«, wenn man Geld als Kohle, Asche, Moneten oder den Untergang der Menschheit bezeichnete.
»Geld! Es ist Geld! Nicht mehr … und schon gar nicht weniger.« Arr, arr … spritz.
Der Künstler war ein ulkiger Zeitgenosse, der mit der sympathischen Chefsekretärin des Unternehmers verheiratet war – es vielleicht auch noch ist – und die Idee für einen Spielfilm hatte. Die beiden mochten mich, ihnen gefiel »Erinnerugen« und sie suchten nach jemandem, der die Idee des Künstlers zu einem Film machen kann. Also engagierte mich der »Money Boy«: Ich sollte für das Schreiben eines Drehbuchs bezahlt werden, für die dafür benötigten Monate nach Mallorca in eine seiner Fincas ziehen und zusätzlich noch einen Imagefilm für seine Firma drehen. Ja, geiler Scheiß!
Also bin ich wieder nach Berlin geflogen, um meine Sachen zu packen und mit dem Auto Ende Juli über Mainz, Frankreich, Andorra und Katalonien nach Mallorca gefahren. Als ich dann in Portopetro vor Dagobert Duck stand, wunderte der sich nur, dass ich zurückgekommen bin … und warum überhaupt. Der Mann wusste plötzlich von nichts mehr – wir hatten, bevor ich in Berlin aufgebrochen bin – noch einmal wegen meines Engagements telefoniert. Das war vor zwei Wochen.
Es ist eine lange, spannende und skurrile Geschichte. Die Jobs, eine Aufwandsentschädigung oder was auch immer hat es jedoch bis heute nicht gegeben. Dafür waren die zwei Monate, die ich im Sommer 2011 auf Mallorca und in meinem Auto verbrachte so schräg, dass ich dadurch eine Idee für einen Film bekommen habe. Yeah.
Nach meiner Zeit auf Mallorca – wo ich übrigens stets in einem Bett und nie im Auto geschlafen habe (vielen Dank Ralf und Birgit!) – ging’s mit meiner Nobelkarosse weiter, die Côte d’Azur entlang – über Monaco nach Italien, von dort per Flugzeug für neun Tage ins wunderschöne Istanbul, wieder zurück nach Bergamo und über Bern nach Hause.

2011 10 16 10.24.30 Dennis Knickel Cannes Frankfreich
Cannes, 16.10.2011

Ich parke in der Karl-Grillenberger-Straße, spaziere durch die Innenstadt, setze mich in einen Irish Pub, futtere ’ne Fallafel und lege mich pennen …

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