Tag 16: Heidelberg & Mannheim

Das Tagebuch des Straßenlesers: 1. Tour (2015)

Heidelberg

Montag, 21. September 2015
Heidelberg

Erfreulich unverkatert wachen Julia und ich am Tag nach der Geburtstagsfeier der »Twins« auf der Wohnzimmer-Bettcouch meiner Schwester Michaela in Heidelberg-Kirchheim auf.

Ela versorgt uns mit übrig gebliebenen und super leckeren veganen Cupcakes und los geht’s in Richtung Innenstadt. Meine Schwester und ihr Freund Ralf kündigen an, dass sie vielleicht nachkommen werden.
Es scheint nahezu unmöglich zu sein, in Heidelbergs Altstadt eine Parklücke zu finden, die nicht in einer Tiefgarage ist.
Kaum habe ich mein Equipment aufgebaut, micht vorgestellt und den ersten Satz gelesen, eilt ein Mann vom Laden schräg gegenüber auf mich zu: »Hier dürfen sie nicht lesen. Das gibt Ärger mit dem Ordnungsamt.«
»Und wo kann ich lesen?«, frage ich ihn, ohne jedoch eine hilfreiche Antwort zu erwarten. Will er mich nur loswerden oder gibt es tatsächlich Orte in Heidelberg, an denen Straßenkunst erlaubt ist?
»An der Ecke zur Theaterstraße. Da dürfen sie lesen«, antwortet er erstaunlicherweise.
Hat dort sein größter Feind seinen Laden und er will ihn nur mit mir ärgern? Oder darf ich dort wirklich auftreten, ohne dass das Ordnungsamt Stress macht? Wie auch immer: Hier kann ich es auf alle Fälle verhacken. Entweder macht der Mann Stress oder das Ordnungsamt.
Die Ecke Haupt- und Theaterstraße eignet sich nicht schlechter für eine Straßenlesung als mein voriger Platz. Und meine Theorie, wonach es sich für mich lohnt, eigenes Publikum mitzubringen, bestätigt sich: Julia sitzt nicht lange auf den mitgebrachten Isomatten. Schnell gesellen sich zunächst ein Mädel und dann ein Typ zu ihr, bevor dann auch meine Schwester und Ralf dazustoßen. Ich werde von asiatischen Touristen fotografiert sowie kurz interviewt, mein sitzendes Publikum bleibt mir treu, lacht laut und applaudiert. Kurz: Die Lesung macht großen Spaß. Am Ende habe ich - inklusive dreier verkaufter Bücher – knapp 50 € im Hut und obendrein in der Zuhörerin Alexa die erste Käuferin eines Exemplars von »Serendipity – Teil 2«.

Mannheim

Die A656, die Heidelberg mit Mannheim verbindet, ist vollkommen verstopft. Julia und ich schlagen uns in den immer wieder aufs Neue merkwürdigen Innenstadtring durch, der aus den »Mannheimer Quadraten« besteht. Falls Du Mannheim nicht kennen solltest: Der Innenstadtring ist eigentlich hufeisenförmig. Der Bogen – bestehend aus Parkring, Luisenring, Friedrichsring und Kaiserring – ist ziemlich genau drei Kilometer lang. Die Bismarckstraße, die mehr oder weniger parallel zum unweit verlaufenden Rhein liegt, verbindet die Hufeisenenden. So weit so unspektakulär. Seltsam wird es erst, wenn man sich durch die Straßen des Hufeisens schlägt: Die Innenstadt Mannheims besteht nämlich nur aus rechteckigen Blocks, wie man sie aus amerikanischen Planstädten kennt. Ich muss gestehen, dass ich lange Zeit davon ausging, dass Mannheim im Krieg so zerstört wurde, dass die Amerikaner das Zentrum komplett neu aufbauen mussten. Diese Theorie ist falsch. Tatsächlich gehen die total langweilig und humorlos angelegten Blocks auf Friedrich IV. von der Pfalz zurück, der von 1583 bis 1610 Pfalzgraf und Kurfürst der Pfalz war. Doch die eigentliche Krönung sind die Straßennamen in den »Quadraten«. Die Straßen heißen nicht etwa Friedrichstraße, Pfalzgasse, Badener Weg oder wie auch immer. Nein, im Zentrum von »Monnem« hat man den Straßen so romantische Namen wie D5, G4 oder U2 verpasst. Kein Witz! So sitze ich am heutigen Nachmittag beispielsweise auf einem an sich ganz hübschen Platz. Einen hübschen Namen hat der Platz jedoch nicht erhalten. Der Platz, der andernorts Marktplatz, Kornplatz, Obermarkt etc. heißen würde, heißt in der Reichsbürger-Naidoo-Stadt trocken und humorlos … G1. Ohne Scheiß. Ich hoffe, dass der Platz unter Mannheimern wenigstens als Wochenmarkt und nicht als G1 bezeichnet wird. Falls Du, hochwohlgenährter Leser, Mannheimer bist, kannst Du mich sehr gerne darüber aufklären, wie ihr Badenser die Straßen und Plätze Eures Zentrums unter Euch nennt.

Straßenlesung Mannheim Marktplatz G1

Die Lesung verläuft gänzlich unspektakulär. Erst als sich Julia für ein Mittagsschläfchen auf die Isomatte legt, wird es mal kurz ein wenig lustiger. Ein Omalein bleibt neben mir stehen, schaut zunächst auf Julia, dann auf mich: »Was ist denn mit ihr da?«
»Die macht ein Nickerchen«, antworte ich.
»Wieso ist die so müde? Und wieso macht sie das Nickerchen hier?«
»Straßenkunst ist harte Arbeit.«
»Aha.«
Ich lese unweit zweier Cafés. Nach getaner Arbeit und gerade genug Geld im Hut, um das Parkticket zu bezahlen, überwinde ich mich erstmals dazu, mit meinem Hut in der Hand eine kleine Runde entlang der äußeren Tischreihen zu wagen. Ich verhalte mich dabei viel zu schüchtern, murmele leise nur: »’Ne kleine Spende für den Straßenleser?«
Niemand gibt mir etwas. Lediglich ein Philanthrop schenkt mir ein nettes Wort: »Du hast uns genervt, Alter.«
»Jo. Danke.«
Deswegen lese ich eher ungern vor Cafés.
Wir essen Sandwiches bei Subway und verlassen Mannheim in Richtung Speyer. Dort lebt meine Schwester Claudia – der andere Zwilling.

Copyright
Titelbild: Hauptstraße, Heidelberg
© Cristian Bortes - Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY 2.0 über Wikimedia Commons

Foto: G1, Marktplatz, Mannheim
© Fotograf: unbekannt. Lizenziert unter Public Domain (Copyright abgelaufen) über Wikimedia Commons

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