Tag 29: Düsseldorf

Das Tagebuch des Straßenlesers: 1. Tour (2015)

Straßenlesung Burgplatz Düsseldorf

Sonntag, 4. Oktober 2015
Düsseldorf

Nach meiner üblichen Suche nach einem geeigneten Standort mit möglichst vielen Passanten aber ohne Straßenkunstkollegen lande ich am Rheinufer. Genauer: auf dem Burgplatz, vor dem Schifffahrt-Museum im Schlossturm. In der Nacht habe ich hier eine breite Freitreppe entdeckt. Das Wetter ist gut. Dementsprechend sind meine Hoffnungen groß, dass die Treppe mit vielen Menschen besetzt ist, die die Sonne am Zusammenfluss von Rhein und Düssel genießen – wovon man im Übrigen leider nichts sieht.
Die Treppe ist quasi leer, unbesetzt. Fuck. Lediglich ein paar Sportler, Touris und einheimische Passanten überqueren den Burgplatz. In Zentrum der Altstadt sah es indes nicht viel besser aus: Die guten Plätze sind entweder bereits belegt oder es werden noch die Spuren der letzten Nacht entsorgt, was für Lärm und auch dort für erstaunlich wenig Fußgänger sorgt. Nun sitze ich fünf Meter über dem Rhein, vor einer Treppe unmittelbar neben der Freitreppe, die hinunter zum Wasser führt, an dem sich Dutzende Restaurants und Bars reihen, in denen letzte Nacht primär mit grässlicher Schlagermucke gefeiert wurde. Verglichen mit dem Kölner Rheingarten ist hier dennoch quasi nichts los. Ob der Düsseldorfer wohl jeden Sonntag im Bett auskatern muss?
Wenn ich ehrlich bin, empfinde ich den Platz als nicht halb so Erfolg versprechend wie den Kölner Rheingarten. Und Köln war ein Reinfall. Meine Motivation hält sich nach meiner nur mäßig gemütlichen Nacht im Auto etwas in Grenzen.
Doch was soll ich sagen? Die vergleichsweise wenigen Menschen, denen ich am Burgplatz begegne, machen meine Düsseldorfer Lesung zu einer unerwartet schönen Lesung: Ich lese nur zwei Kapitel, verkaufe dennoch zwei Bücher und finde 9,25 Euro in meinem Hut. In ’ner Stunde 33,25 €. Abzüglich der Druckkosten für die zwei Bücher bleibt ein Gewinn von rund 21 Euro. Kein schlechter Lohn für eine knappe Stunde, zu der ich auch eine sehr putzige Unterhaltung mit einer älteren Dame zählen darf, die zu den Passanten gehört, die ihren Spaziergang für meine Lesung unterbrechen und mir zuhören.
»Das war ja spannend!«, spricht sie mich an, als sie auf mich zukommt, während ich mein Zeug zusammepacke.
»Hat’s ihnen gefallen? Das freut mich.«
Bei Herrschaften dieser Altersgruppe gehe ich in der Regel davon aus, dass sie meine Geschichten nicht so spannend finden. Speziell wegen der vielen englischen Dialoge.
»Ja, sehr sogar! Das Kapitel mit der Schießerei hat mich an eine meiner eigenen Reise erinnert.«
»Wurde auch auf sie geschossen?«, frage ich eher amüsiert.
»Ja, in Miami.«
Ernsthaft?
»Ernsthaft?!«
»Ich war mit meinen Söhnen unterwegs. War im Prinzip genau wie bei ihnen.«
What the fuck?
Als müsste sie mir den Wahrheitsgehalt beweisen, verweist sie darauf, dass einer ihrer Söhne sie hier gleich abholen und die Geschichte bestätigen können wird.
»Was genau ist in Miami passiert?«, packt mich die Neugierde.
»Na, wie bei ihnen: Wir waren spazieren, als plötzlich jemand geschossen hat. Wir sind weggerannt und mussten uns in einem schlammigen Flussbett verstecken. Wir sahen danach aus …«
Ich glaub’s ja nicht. Bevor ich fragen kann, wie lange die Geschichte her ist, ob sie damals mit zwei Kindern unterwegs war oder ob die erwachsenen Söhne mit ihrer Mutter im Oma-Alter fliehen mussten, stehen auch schon der gut 40-jährige Sohn und dessen Frau samt Kind neben uns. Die spannende Oma begrüßt ihre Familie, erzählt, dass ich »Deutschlands erster Straßenleser« bin und eine Geschichte erzählt habe, die sie an ihr Erlebnis in Miami erinnert hat.
»Ah, die Schießereri samt Verfolgungsjagd«, schüttelt der Sohn mit einem noch immer recht ungläubigen Lächeln seinen Kopf.
Sagenhaft. Ich würde liebend gerne noch mehr erfahren, doch die Familie scheint Pläne zu haben. Schade.
Ich esse im kleinen Restaurant Thaido zu Mittag und warte auf eine Reaktion von Luana Bellinghausen, damit ich weiß, ob ich sie heute in Aachen besuche oder weiter in Richtung Mönchengladbach fahre. Kurz darauf meldet sie sich und lässt mich wissen, dass sie Zeit hat, da sie heute wie erhofft keine Theaterprobe mehr hat.

Aachen

Ich treffe Luana viel zu selten. Die Hauptdarstellerin aus Erinnerungen ist in meinen Augen nicht nur eine tolle Schauspielerin, sondern auch eine Person, mit der ich sehr gerne Zeit verbringe. Entsprechend freudig ist auch unser Wiedersehen. Eine zeitlich eigentlich noch mögliche Lesung in der Drei-Länder-Grenzstadt verschiebe ich auf morgen …
Am nächsten Tag beschließe ich dann allerdings, mir noch einen freien Tag zu gönnen, weiter mit Luana abzuhängen … und gemeinsam unsere Kater auszukurieren. Und schon habe ich einen Grund, 2016 noch einmal zu Besuch zu kommen und dann auch in Aachen zu lesen. Sehr geschickt, Herr Knickel.

Copyright
Titelbild: Burgplatz, Düsseldorf
© Till Niermann - Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons

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