Tag 6: Brandenburg an der Havel & Potsdam

Das Tagebuch des Straßenlesers: 3. Tour (2016)

Brandenburger Tor, Luisenplatz, Potsdam (© Avda)

Montag, 5. September 2016
Brandenburg an der Havel

Ich schlafe tatsächlich auf der Rückbank meines Renault Clio bis elf Uhr Mittags durch. War wohl doch Wodka im Slush.
Das wirft meinen Zeitplan jetzt natürlich ein wenig aus dem Konzept. Und heute habe ich um 17 Uhr eine Verabredung mit einer Reporterin der Potsdamer Neueste Nachrichten. Den Termin muss ich natürlich einhalten.
Ich fahre ins beschauliche Brandenburg an der Havel. Ein nedliches Städtchen. Nur kann ich die Fußgängerzone nicht finden. Okay, da ist so ein Sträßchen, vielleicht 200 Meter lang, auf dem keine Autos, dafür aber Straßenbahnen fahren. Aber das kann doch nicht die Straße Brandenburgs sein. Oder doch? Ich frage ein paar Mädels, wo hier die Fußgängerzone oder ein Marktplatz ist.
»Ähm …«, schauen sie mich verwundert an. »Na, hier die Straße.«
Oha.
Wie gesagt, ist die »Fußgängerzone« eine einfache Straße, die für den Autoverkehr tabu ist. Es gibt einen Bordstein links und rechts, der aber nicht breiter ist als auf normalen Straßen. Setze ich mich da hin, kommt kein Mensch mehr an mir vorbei. Apropos Menschen: Heute ist Montag. Dennoch ist hier nichts los. Kaum einer ist hier auf der Straße unterwegs. Seltsam. Ich beschließe, erst mal zu Mittag zu essen und währenddessen zu überlegen, was ich nun mache.
Beim Vietnamesen stehen drei Alkis am Tresen. Einer skypt. Als ich mich an ihm vorbeidrücke, fragt die Stimme aus dem Computer, wer das denn eben war, der sich am Chatpartner vorbeigedrückt hat.
»Das war Deutschlands erster Straßenleser.«
»Aha.«
Als ich mein Essen bekomme, gerät der Laptop-Alki ins Schwärmen: »Ick muss euch en Video zeigen. Da bekomm ick immer ’ne Putenpelle von. Dit is ein Pfarrer und der singt ›Halleluja‹. Während ’ner Trauer … äh, Trauung. Also die trauern … trauen sich … die heiraten. Okay? Und der singt. Boah, wenn ick nur dran denke. Guck mal: Putenpelle. Jetzt schon.«
Dann klickt er auf den Play-Button.

Nach dem Video wischt er sich die Tränen aus dem Gesicht, während einer der anderen Alkis ständig wiederholt: »Ja, dit is ’ne jute Stimme.«
Ich habe keine Zeit für eine Lesung im leeren, aber schönen Brandenburg. Ich spaziere die Havel entlang zu meinem Auto zurück und mache mich auf den Weg zum Tourabschluss nach Potsdam.

Potsdam

In Potsdam einen erschwinglichen Parkplatz zu finden ist quasi unmöglich. Am preiswertesten scheint das Parkhaus des Krankenhauses zu sein. Ja, das ist tatsächlich billiger als auf der Straße zu parken. Faszinierend.
Ich erreiche den mit der Reporterin ausgemachten Treffpunkt am Brandenburger Tor – ja, gibt’s auch in Potsdam – fünf Minuten zu spät. Die Reporterin und der mitgekommene Fotojournalist sind wegen der fünf Minuten schon leicht nervös. Ich stehe anscheinend dem Feierabend im Weg, der im Falle der Reporterin wohl auch erst möglich ist, sobald der Artikel über mich verfasst wurde. Wir machen uns gemeinsam auf, einen geeigneten Platz für meine Lesung zu finden. Die Reporterin hätte am liebsten, dass ich mich sofort vor das Brandenburger Tor setze und loslege. Der Platz ist aber denkbar ungünstig.
»In der Brandenburger Straße ist es wesentlich besser«, erkläre ich. »Vor Cafés, Supermärkten oder Malls in einer möglichst nicht allzu breiten Straße. Das sind die Orte, die für eine Straßenlesung geeignet sind.«
Solch ein Ort befindet sich knapp 500 Meter vom Brandenburger Tor entfernt, was die beiden Journalisten nur mäßig amüsiert. Immerhin kann mich die Reporterin auf dem Weg zu ebendiesem Platz interviewen.
Die Lesung läuft schleppend an. Die Journalistin interviewt Passanten und zieht nach gut 20 Minuten von dannen. Kaum ist sie weg, verkaufe ich zwei Bücher. So kann’s gehen.

2016 09 06 Potsdamer Neueste Nachrichten Warten auf den Glücksfall Ausschnitt

Berlin

Als ich in Berlin ankomme, hole ich Julia vom Flughafen ab. Ihr Kurzurlaub ist so vorbei wie meine Tour und in unseren Keller, in dem ich eine Kiste voll Erinnerungsstücke aufbewahre, wurde eingebrochen. Geklaut wurde nichts, doch meine Erinnerungsstücke liegen überall verteilt und teilweise zerstört auf dem modrigen Boden. That’s life.
Und wir sind alle Siegertypen …

Duisburger Thesen
Stephan:
»Ich habe von dieser ganzen Religionskacke genug. Die Menschen müssen nur eines wissen und das reicht vollkommen aus: Gott heißt Rudi.«

Ich:
»Völler oder Dutschke?«

Stephan:
»Scheißegal. Hauptsache Rudi.«

Copyright
Titelbild: © Avda – Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY SA 3.0 Unported über Wikimedia Commons


Hintergrundbild: © Eugen Rung
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