Tag 28: Lolos Welt

Kaffee, Kiffer, Killerkatzen

Dienstag, 7. September 2004
Kona, Hawaii

Wir schlafen heute recht lang, was wohl damit zusammenhängt, dass es heute Vormittag absolut ruhig auf der Farm ist … Aber weshalb?
Gegen elf Uhr wage ich mich mal nach draußen, um die Lage abzuchecken: James ist wie immer bei der Arbeit, aber ansonsten herrscht tote Hose. Hm?
»Another holiday today, James?«
»Well, I think today is Day of Recovery, hehe!«
Die vertragen wirklich nichts, die Amis. Einen Nachmittag »Saufen« zieht einen Tag Erholung nach sich. Bekki und ich gehen erst einmal wieder Māmaki pflücken und schaufeln danach wieder mit Hacke und Schaufel Erdhaufen für den künftigen Bananenhain.
Zwischendurch kocht Lolo – der übrigens eigentlich Dolores heißt, höhö – für Bekki und mich Māmaki-Tee. Lolo bereitet den Tee allerdings mit frisch gepflückten und nicht mit getrockneten Blättern zu: »¡Es más mejor!«
Überhaupt soll sich der heutige Tag zu einem Lolo-Tag entwickeln …
Dolores nennt sich vermutlich Lolo, da »Dolores« sowohl in den USA als auch bei uns ein Frauenname ist. Der 60-jährige Salvadorianer, dessen Familie bekanntlich in Kanada lebt, arbeitet seit vier Jahren bei Trent und bewohnt ein kleines Zimmerchen mit »todo que necesita«, also: »allem was er braucht«. Das umfasst einen eigenen kleinen Fernseher mit 50 englischen und drei spanischen Sendern, eine Kochstelle, einen eigenen Kühlschrank, ein Waschbecken, natürlich ein Bett und eine Air-Condition-Anlage, mit der man, laut Information des stolzen Besitzers, das Zimmer auf die exakt gewünschte Temperatur abkühlen kann.
Lolo, dessen Mama durch Beten Lava umleiten kann, ist ein Mensch, der an manchen Tag absolut lieb, sympathisch und süß ist – zum Beispiel wenn er einen auf einen Passionfruitbaum klettern lässt, Māmaki-Tee kocht und einem alle möglichen netten Ratschläge und Lehrstunden in Pflanzenkunde gibt. An anderen Tagen jedoch, möchte man ihn am liebsten zum Mond schießen. Wenn man beispielsweise innerhalb kürzester Zeit eine Straße betonieren soll, dies zuvor jedoch noch nie getan hat und die spanischen Anweisungen des hektischen Mittelamerikaners nicht versteht. Bekki vergleicht Lolo mit Luis de Funés, was ganz und gar nicht abwegig ist.
Während Bekki und ich unseren Māmaki-Tee schlürfen, machen Lolo und Gonzalo einen mittelamerikanischen »Taco con Salsa y BBQ de Ayer Break«. Ich, als großer Liebhaber hispanischer Kultur inklusive Essen, frage Gonzalo, ob er mir das Rezept der gestrigen Salsa und des Habanero-Salates geben könne: »¡Si, seguro!«
Lolo, der das BBQ am Labor Day verpasst hat, da er seltsamerweise arbeiten war, bekommt auf einmal – vermutlich aufgrund des verpassten Grillens – die grandiose Idee für uns ein Abschiedsbarbecue am Samstag veranstalten zu wollen.
»Ist doch nicht nötig …«
»DOCH!«
Hm … okay. Warum auch nicht, in das Essen von gestern hätte ich mich hineinsetzen können. Köstlich! 2005 werden Bekki und ich also vermutlich in Mexico WWOOFen. Dieses Essen … 
Als ob Abschiedsgrillen am 11. September nicht schon genug des Guten wäre, fragt Lolo auf einmal, ob Bekki und ich heute Abend ins Hilton wollen. Hä?
»Und was sollen wir da wollen?«
»Na, Boot fahren, Zug fahren und Delfine anschauen!«
»Hä? Ein bisschen teuer, oder?«
»No! Is for free!«
Na dann, warum eigentlich nicht. Und von welchem Zug spricht er eigentlich? Auf der ganzen Big Island gibt es keine einzige Zugstrecke.
A las seis y media soll es losgehen. Lolo und Gonzalo kommen allerdings – ganz Hispano eben – erst um kurz nach sieben … dafür aber très chic!
Lolo stolziert mit halboffenem Hemd, enger Gigolo-Hose und – einmal mehr ganz Hispano – mit zurückgegeltem Haar. Typ: 60-jähriger Strand-Macho.
Gonzalo wartet mit einem weißem Las Vegas T-Shirt, einer weißen kurzen Hose, seiner Goldrandbrille und – ganz Hispano – zurückgegeltem Haar auf. Typ: »Hab kein Geld, will aber unter all den reichen Säcken nicht auffallen, ziehe mich daher so an wie ich denke, dass reiche Säcke sich anziehen, greife aber modisch voll ins Klo, da reiche Säcke sich nicht so anziehen, sondern vielmehr Leute, die unter reichen Säcken nicht auffallen wollen und denken, dass reiche Säcke sich so anziehen.«
Nach knapp 35-minütiger Fahrt kommen wir in Lolos grünem Kleinwagen im Waikoloa Beach Resort in der ’Anaeho’omalu Bay an. Bereits auf dem Parkplatz wird klar, dass wir nicht so ganz ins Schema des typischen Hilton-Touristen passen, da unser Auto das kleinste, billigste und vor allem ungewaschenste Auto auf dem gesamten riesengroßen und dennoch vollgeparkten Parkplatz ist. Ich habe noch nie so viele frisch polierte und somit strahlend saubere Autos auf einem Parkplatz gesehen. Auf diesen Parkplatz dürfte so ziemlich jeder Autohändler dieser Welt neidisch werden.
Es wird aber noch besser! Lolo führt uns zum Eingang des Hilton Waikoloa Villages, der wie die Pforte eines ägyptischen Pharaonenpalastes wirkt: Riesig, pompös und reich. Wie sich bei jedem weiteren Meter, den wir ins Hilton vorstoßen herausstellt, ist das gesamte Hotel wie ein Palast aufgemacht. Riesige und hohe Säle, Lagunen, Swimming Pools mit Wasserfällen, in verwinkelte Ecken eingebaute Whirlpools, ein Koi-Teich, Flamingos, Pfauen, unzählige Restaurants, Statuen, einer Hängebrücke und – tatsächlich – ein Delfinarium, das sich direkt neben einem Lagunenstrand befindet und viel zu klein für die armen Tiere ist. Und dann gibt es wahrhaftig noch eine hoteleigene Zug- und Bootsstrecke, welche sich quer durch die große Clubanlage zieht. Wahnsinn.
Eine Übernachtung kostet lächerliche 460 Dollar.
Lolo offenbart uns plötzlich, dass er drei Monate im Hilton Waikoloa Village gearbeitet hat, bevor er bei Mountain Thunder angeheuert hat. Da Bekki und ich aus dem Staunen nicht mehr herauskommen – so etwas haben wir wirklich noch nie gesehen –, wird Lolo immer stolzer und setzt sein niedliches »Ich bin total zufrieden mit mir und der Welt«-Grinsen auf. Irgendwie sieht er dabei ein bisschen wie ein echter Gast des Hilton Waikoloa Villages aus. Ich glaube auch, dass er sich in diesem Moment auch so fühlt. Nach einem knapp 90-minütigen Spaziergang durch das Paradies der Großverdiener lädt uns der sichtlich glückliche und befriedigte kleine Mann wieder in sein kleines Auto und fährt uns – mit einem kurzen Stop bei Burger King – wieder auf den Hualālai ins »Mountain Thunder Coffee Plantation Village«.

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