Tag 33: Die Zeit, in der die Welt sich falsch herum dreht – Tag 1

Kaffee, Kiffer, Killerkatzen

Sonntag, 12. September 2004
Kona – Pahoa, Hawaii

Unser letzter Tag als Willing Workers on Trent Brokemans organic Mountain Thunder Coffee Farm. GemĂŒtlich und friedvoll packen Bekki und ich unser GepĂ€ck. GemĂŒtlich und friedvoll, genauso, wie wir vorhaben die Westseite der Big Island zu verlassen. GemĂŒtlich und friedvoll.
Nachdem die Koffer gepackt sind, machen Bekki und ich uns auf die Suche nach dem Big Boss. Gut erzogen wie wir nun mal sind, wollen wir uns bei ihm fĂŒr Obdach und manchmal bezahltes Essen bedanken, und das, obwohl wir ihn nicht leiden können. Zudem haben wir noch »GeschĂ€ftliches« mit ihm zu klĂ€ren, wie beispielsweise unsere Wochenendbezahlung in Kaffee. Da die Wochenenden offiziell unsere freien Tage waren, wird jede mit Arbeit verrichtete Wochenendstunde mit Kaffee bezahlt. Ansonsten erwĂ€hnte Trent einmal, dass es gut wĂ€re, wenn wir so um die 30 Stunden in der Wochen arbeiten wĂŒrden. Außerdem wollen wir die KTA-Rechnung vom Vortag in Bares umtauschen, da Trent â€“ laut WWOOF-Statuten â€“ zur Bezahlung unseres Essens verpflichtet ist. Zudem ist unser Hauptanliegen an Trent an diesem sonntĂ€glichen Morgen eigentlich eine von ihm am Vortag versprochene Touristentour ĂŒber seine Farm fĂŒr Bekki, mich und meine Kamera.
Aber Trent ist nicht aufzufinden! Will sich da etwa jemand drĂŒcken, uns keinen Kaffee und keine 47,50 Dollar bezahlen? Teuer waren wir fĂŒr Trent ĂŒbrigens nicht: In den gesamten vier vorherigen Wochen musste er nur knapp 75 bis 100 Dollar fĂŒr unser beider Essen locker machen. Oder ist Trent einfach nur kamerascheu?
Eisern machen Bekki und ich uns auf die Suche nach dem Großgrundbesitzer. Nach einiger Zeit wird uns dies jedoch zu blöd und wir organisieren uns selbst eine kleine Touritour.
Irgendwann finden wir dann Brentus Debilus, den Sohnemann Numero Uno mit den grandiosen Deutschkenntnissen: »Sieg Heil!«
Und nicht zu vergessen, seine wunderbare Verabschiedung in good ole German: »Asch Widderstehn!«
Ich verkneife mir jeden weiteren (pubertÀren) Kommentar.
Brent the Brain teilt uns mit, dass sein alter Herr samt Mama Lisa in die Stadt zum Brunchen gefahren sei. Aha.
»Und wann kommt Trent wieder?«
»In ein paar Stunden.«
Toll.
»Wir mĂŒssen aber weg.«
»Ja.«
Okay, unsere einzige Möglichkeit scheint also folgende zu sein: Wir mĂŒssen uns die Zeit nehmen, dem 25-jĂ€hrigen Riesenbaby zu erklĂ€ren, dass wir nach Pahoa mĂŒssen â€ŠÂ also auf die andere Seite der Insel â€ŠÂ 120 Meilen entfernt von hier â€ŠÂ Osten â€ŠÂ da drĂŒben halt! Und das möchten wir noch hinbekommen, bevor es dunkel wird, da es keinen Bus gibt. Wir mĂŒssen trampen. Kapiert? Von daher mĂŒssen wir Trent sprechen.
Tja, und siehe da! Er nimmt tatsÀchlich das Telefon in die Hand und versucht Papi auf dem Handy zu erreichen. Der geht jedoch nicht ran. Aber Lisa hat ja auch ein Handy. Super! Die geht auch ran.
Als dieses GesprĂ€ch allerdings endet, kann Brent uns plötzlich noch nicht einmal mehr den Kaffee geben, den er uns vor diesem Telefonat â€“ nach eigener Aussage â€“ noch hĂ€tte geben können.
HĂ€?
Daraufhin lĂ€sst er uns sitzen, 50 Dollar will er uns auch nicht geben und die Zeit vergeht â€Š
Irgendwann kommt Felipe daher, den wir eigentlich gar nicht all zu sehr mögen und der uns zuvor auch nicht unbedingt das GefĂŒhl absoluter Sympathie entgegengebracht hat. Felipe soll sich jedoch als nĂŒtzlich und nett erweisen, da er uns Lisas Handynummer organisiert. Nun können wir also selbst mit Lisa sprechen, was die Situation allerdings nicht verbessert.
»I can’t understand you! I did never pay WWOOFers with money!«
Das liegt allerdings daran, dass alle vorigen WWOOFer immer mit James einkaufen waren und James Trent die Rechnung vorlegte, der daraufhin James und keine WWOOFer auszahlte. Dies versuche ich Lisa am Telefon zu erklĂ€ren. Sie understands mich aber einfach nicht und meint letztendlich nur noch, dass sie gerade auf dem Weg zurĂŒck zur Farm sei.
Also warten wir vor dem Office auf Lisa. Kurz darauf kommt der dunkle BMW vorgefahren und biegt in die Hauseinfahrt des Lehnsherren ein. Wir folgen dem Auto und treffen vor der Garage auf Trent. Juchhe!
Als ich gerade: »Hey Trent!«, sagen will, bemerkt dieser uns, dreht sich um und schmettert uns folgende klischeehafte Weiße-Reiche-US-MĂ€nner-Floskel an den Kopf: »There is nothing more I have to say to you. You did not work enough, so I won’t give you any coffee and you also won’t get any money from me. So, â€ŠÂ« â€“ und jetzt wird’s richtig Hollywood â€“ »  leave my property. I will give you ten minutes before I call 911. I will call the police!«
Mein krasser und wohl ĂŒberlegter Gegenkommentar zu dieser, nicht unbedingt zu erwartenden BegrĂŒĂŸung, ist folgender: »HĂ€?«
Diese gewagte Aussage, welche ich mir besser zwei Mal hĂ€tte durch den Kopf gehen lassen sollen, bringt das Fass zum Überlaufen. Die Bombe Trent explodierte: »Okay! NOW I’M GONNA CALL THE POLICE!« â€ŠÂ spricht’s, dreht sich um und verschwindet.
Okay, nun ist Diplomatie angesagt. Ich ĂŒberlege, denke nach, mein Kopf qualmt. Was soll ich sagen? Mein Mund öffnet sich, die Lippen fĂŒllen sich mit Blut und ich verabschiede den Boss mit erhobener linker Faust:
»Exploiter!«
Ja, das ist gut und das tut gut. Viva la revolución! Viva l’anarchia!
GlĂŒcklicherweise hat James hinter den BĂŒschen unserer »Konversation« gelauscht und geht schnellen Schrittes zum Truck: »I will drive you down!«
Bekki und ich nehmen in Windeseile unser GepĂ€ck und dann â€“ genauso schnell â€“ Abschied von unserer kleinen Farm. Schön, schön war die Zeit.
James, dessen Weltbild nun komplett zerstört scheint â€“ »Suuuuure, he will give you the money for the food« â€“, fĂ€hrt uns zum Matsuyama Store, von wo aus wir unsere Reise nach Pahoa beginnen wollen.
Von James, der völlig durch den Wind ist, verabschieden wir uns in Freundschaft und Frieden. Sein Kommentar zu diesem absolut abstrusen Anfall seines Chefs, der uns in den letzten Wochen sowieso am liebsten war, wenn wir ihn weder gesehen noch gehört haben, lautet: »It’s strange. It’s reeeeally strange â€ŠÂ«
Oh ja. James hat vollkommen recht. Das war strange. Wiiiiiirklich strange.
Da stehen wir nun, von amerikanischen Cops und verrĂŒckten Bounty Huntern gejagt, mit vier Koffern, zwei RĂŒcksĂ€cken, zwei TĂŒten und fragen uns, mit welcher BegrĂŒndung der reiche Stupid White Man die Cops wohl gerufen hĂ€tte oder sogar hat.
Nach kurzen 90 Minuten â€“ kotz â€“ erbarmt sich unser wahrhaftig ein Auto mit Riesenkofferraum. Unpraktischerweise passen wir zwei nicht mehr ins »FĂŒhrerhaus« und mĂŒssen uns in den Kofferraum zu unseren Koffern quetschen. Praktischerweise, und das ist genial, fĂ€hrt das HippiepĂ€rchen, welches gerade vom Campen kommt, nach â€ŠÂ na, wohin? â€ŠÂ nach Pahoa! Yes!
Knapp zweieinhalb Stunden spĂ€ter erreichen wir unser neues Domizil fĂŒr die nĂ€chsten vier Wochen: Pahoa.
Jetzt heißt es nur noch unsere Farm zu finden bzw. die Besitzerin Dae Thea anzurufen und zu fragen, wo sie denn wohnt. Aber, wie kann es auch anders sein, geht zunĂ€chst niemand ans Telefon. Als dann endlich doch mal jemand abnimmt, bekommen wir nur folgende Antwort: »I don’t know what you’re talking about. Wrong number â€ŠÂ«
Hmpf.
Und nun? Haben wir nicht die Adresse von Dae Thea per E-Mail erhalten? â€“ Nein, nur eine Postfachnummer. Na klasse! Lebt sie nach unseren Informationen nicht in der Nachbarschaft der Pangaia Farm und der Farm von Andy Sarhanis, die auch WWOOFer beschĂ€ftigen? Hm â€ŠÂ mal schauen.
Die beiden Hippies, John und Anne, sollen sich an diesem Abend als wahre Retter erweisen, denn sie fahren uns zu Pangaia und Andy Sarhanis, um nach dem Weg zu Dae Theas Farm zu fragen. Dort kennt aber keiner â€“ noch nicht einmal der unter irgendwelchen psychedelischen Drogen stehende Nackte bei Andy Sarhanis â€“ Dae Thea bzw. Gwenette, wie sie sich auch manchmal in ihren Mails nennt.
Soll dieser Tag tatsĂ€chlich im Freien enden? Wild Campen im Nirgendwo? Nein, denn John und Anne laden uns zu sich ein, sodass wir eine wirklich nette Nacht in ihrem Hippiehaus in der Black Sand Subdivision bei Pahoa verbringen dĂŒrfen. Als Dankeschön lassen wir ihnen eine Pringlespackung Mountain Thunder Mac Nuts da.
An diesem Abend schreiben wir Dae Thea noch eine Mail. Dabei finden wir beim Lesen einer Ă€lteren Mail Dae Theas eine weitere Telefonnummer. Doch auch hier meldet sich niemand â€Š

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