Tag 35: Die Zeit, in der die Welt sich falsch herum dreht – Tag 3

Kaffee, Kiffer, Killerkatzen

Dienstag, 14. September 2004
Pahoa, Hawaii

Die Verrückte, deren Brüste wir, wegen ihres ausgeleierten T-Shirts und regelmäßigen Schweiß Abwischens mit ebendiesem, schon mindestens fünfmal sehen mussten, will sich an diesem Morgen bis spätestens 9:30 Uhr wieder auf der Farm blicken lassen. Um elf Uhr rollt sie dann auch wahrhaftig in ihrem Truck an. Bekki und ich beschließen bereits direkt nach dem Wachwerden, dass wir diese Farm sofort verlassen werden, falls das Greenhouse, in welchem wir laut Gwenettes E-Mails unser Zelt aufschlagen sollen, nicht gut genug – sprich sauber, katzenfrei und trocken – sein sollte.
Aus diesem Grunde lassen wir uns als allererstes an diesem Tag das so genannte Greenhouse zeigen.
Um überhaupt dort hinzugelangen müssen wir uns durch drei Meter hohes Gras kämpfen. Endlich dort angekommen, müssen wir feststellen, dass selbst im Greenhouse keine einzige Nutzpflanze wächst. Somit offenbart sich, dass auf der gesamten Farm – außer Unkraut, den obligatorischen Coquí-Fröschen, Killerkatzen, Flöhen, Viren und Kakerlaken – nichts gedeiht. Mit anderen Worten: Wir können uns nicht wie vorher abgesprochen aus ihrem Garten ernähren. Kein Telefon, keine Elektrizität, kein fließend Wasser, keine Zivilisation … und jetzt auch noch kein Essen.
Immerhin haben wir hier endlich mal einen der quakenden Coquí-Plagegeistern zu Gesicht bekommen. Ein schwacher Trost, aber mit irgendetwas muss man sich ja motivieren.
Das Greenhouse kann zudem noch nicht einmal vier Wände vorweisen, dafür aber die Spuren uneingeladener menschlicher Gäste, die ganz augenscheinlich mindestens eine Party hierin gefeiert haben. Uns ist klar: Hier können wir kein Zelt aufbauen, geschweige denn unsere Koffer aufbewahren.
Völlig verstört und irritiert laufen wir hinter der hektisch vor sich hinprappelnden Paranoiden her, die uns in jedem Satz auf die Gefahren hinweiset, in denen wir uns befinden: »It’s dangerous to …«
»The neighbours are dangerous guys!«
»It’s a dangerous place out here!«
»Dennis, never let her alone!«
Und so weiter und so fort …
Während sie uns all diese Horrorgeschichten erzählt, streichelt sie hier ein Kätzchen, hebt da eins hoch und redet mit den Hunden, wovon es auch zwei gibt.
Jetzt soll unser Arbeitstag beginnen. Zunächst befreien wir die Zufahrt von umherliegenden Palmwedeln, dann befestigten wir eine neue Hundeleine an einem Baum und zuletzt beginnen wir den Raum unter dem »Haus«, direkt neben der »Außentoilette« zu säubern. Wir sortieren halb verrottete und total zugeschissene Holzlatten der Größe nach auf verschiedene Haufen: gute Latten, nicht mehr ganz so gute Latten. Zwischendurch meckert sie kurz auf, wenn Bekki oder ich eine noch völlig gute Latte zu den nicht mehr ganz so guten Latten legen. Zudem findet Dae Würga unter dem ganzen Schmodder und dem Holz einige mit Vinyl und Katzenpisse überzogene Gitter, welche – aufgrund ihres grandiosen Zustandes – natürlich sofort vorsichtigst auf den Truck geladen werden müssen. Die kann man ja beim Recyclecenter verkaufen! Juchhe! Zur doppelten Sicherung des Werttransportes muss ich noch ihre Klamotten, die sich bereits auf der Ladefläche befinden und – warum auch immer – vollkommen nass sind – wuäh! – unter die Vinylgitter legen.
Nun ist Schluss mit der Höflichkeit! Bekki und ich müssen hier weg – sofort! Freundlich aber bestimmt erklären wir dem ekligsten Menschen, dem wir je begegnet sind, dass wir sie nach noch nicht einmal 24 Stunden gerne wieder verlassen würden.
»Okay! Hab ich mir ja fast schon gedacht … Mit mir hält’s nie jemand aus.«
Den zweiten Teil sagt sie so zwar nicht, wir können es jedoch aus all ihren Erzählungen heraushören, dass sie keinen all zu guten Stand bei ihren Mitmenschen zu haben scheint.
»Soll ich euch bei einem meiner Freunde unterbringen? Oder soll ich Andy Sarhanis fragen, ob …«
Nein, danke. Deine Freunde wollen wir erst gar nicht kennen lernen. Wer weiß, wie die drauf sind. Und bei Andy laufen die Leute nackt und total breit herum. Außerdem wohnt Andy in der gleichen Straße wie du, was bedeutet, dass es weder Elektrizität, fließend Wasser, Telefon, Essen noch Zivilisation gibt.
Vielleicht um uns doch noch zu halten, packt sie auf einmal Geschichten aus ihrer Vergangenheit aus. Ob es sich dabei tatsächlich um ihre erlebte Vergangenheit handelt, ist schwer zu sagen:
Geboren wurde Dae Thea als rothaariges Adoptivkind irgendwo auf dem Festland. In den frühen 60er Jahren verschlug es sie und ihre damalige Adoptivfamilie – die anscheinend nicht die einzige in ihrem Leben war – nach Hawaii. Irgendwann gab es irgendeine Adoptivmutter, die Vizepräsidentin bei EMI war. Auf ihr Konto geht die Verwirklichung von Francis Ford Coppolas Skandalfilm »Apocalypse Now«, den niemand anderes machen wollte und natürlich der Vertrag mit den vier Liverpooler Pilzköpfen, die später als »The Beatles« Weltruhm erlangen sollten.
In Kalifornien gründete Gwenette mit einigen anderen Leutchens ein College, welches heute das berühmteste Drehbuchautorencollege Kaliforniens oder gar ganz Amerikas ist. So mancher Schauspieler verirrte sich wohl auch dorthin, u.a. Harrison Ford.
Irgendetwas muss dann schief gelaufen sein oder wie Dae Thea es sagen würde: »I don’t like finished things.«
Auf alle Fälle ist sie heute weder reiche Teilhaberin an dem Drehbuchcollege, noch hat sie die EMI-Vizepräsidentinnen-Millionen geerbt, sondern lebt nun vielmehr bei Freunden und schaut ab und an mal nach ihrer »Farm« alias »Das größte Katzenklo Hawaiis«.
»Get in the truck. I will bring you to a hostel in Pahoa. A friend of mine owns it.«
A friend’s hostel? Herrje. Hört der Alptraum denn nie auf? Hauptsache weg hier lautet das Credo, weswegen wir uns sofort auf die Rückbank setzen. Sobald sie uns in Pahoa abgesetzt hat, können wir uns ja ein anderes Hostel suchen.
Wir rechnen damit, dass sich die Verrückte nun ans Steuer setzt und losdüst … tut sie aber nicht. Stattdessen können … müssen wir beobachten, wie sie eine geschlagene dreiviertel Stunde im Kreis um den Truck herumläuft … mit einem Spaten in der Hand! Nach und nach legt sie dabei an Tempo und erschreckenderweise auch an Aggressivität zu. Uns wird gleichzeitig von Minute zu Minute unwohler: »Ähm, wie wollen wir uns denn im Falle eines Spatenangriffs verteidigen, Schatz?«
Unverhofft reißt die mittlerweile laut schimpfende Irre die Fahrzeugtür auf: »Why is everybody leaving me?! Why?!«
Hm.
»You have to pay the gasoline. My truck is leaking.«
Geht klar – solange du uns nicht meuchelmordest. Anscheinend haben wir Glück und sie plant nicht, uns unter einem Haufen guter und weniger guter Holzlatten, bedeckt mit Killerkatzenscheiße und bevölkert von Atomspinnen, neben dem Außenklo zu verscharren. Stattdessen startet sie tatsächlich den Wagen und fährt uns schweigend nach Pahoa.
In Pahoa setzt sie uns vor Pete’s Place, einem Youth Hostel mit Campingplatz, ab. Ein junges Mädel mit ledernem Hundehalsband – sorgt bei uns übrigens für keine Vorurteil: ich bin schließlich ein alter Punker! – begrüßt uns.
»Hi! I’m Gwenette. Pete’s a friend of mine.«
»Dad?«, ruft das Mädchen mit den Smokey Eyes in Richtung Hostel.
Ein Mann mit langen Haaren kommt auf uns zu: »Can I help you?«
»Hi Pete. I’m Gwenette.«
»Do I know you?«
»Well, we met once or twice in town.«
Rock und Roll! Erlösung! So schnell wie möglich laden Bekki und ich unser Gepäck vom Truck und verschwinden auf der Zeltwiese hinter dem Haus … ohne ein Wort des Abschieds, da wir weder: »Danke für ungewollt auf uns zukommende Kosten für einen Campingplatz und Essen«, noch: »Es war ja so schön bei dir«, sagen wollen und können. Dies ist – hoffentlich! – das letzte Mal, das wir Gwüüürrrghnette sehen.
Jetzt leben wir auf einem Zeltplatz hinter einem Youth Hostel und haben für sieben Dollar pro Tag und pro Person Zugang zu Telefon, Elektrizität, fließend Wasser, Essen und Zivilisation. Die Leute hier sind alle absolut okay und Jeremiah, der junge Hausmeister ist ein Künstler, der uns wahrscheinlich die Koffer bemalen oder besprühen wird. Fett!
Der einzige Haken momentan ist, dass man normalerweise nicht länger als eine Woche bei Pete wohnen darf. Falls wir uns aber als cool und nett erweisen, sind die geplanten drei, vier Wochen kein Problem. Na, dann sind wir von nun an eben einfach cool und nett. Kein Ding.
Nachdem wir unser Zelt mit Sagrotantüchern hoffentlich ausreichend desinfiziert und uns dreimal abgeduscht haben, fallen wir in einen langen und erholsamen Schlaf: Ende gut, alles gut.
… Und Spenden bitte auf folgendes Konto überweisen. V-Zweck: Dumm ist nur, wer Dummes tut.


 

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