Tag 46: The 11th annual KWXX Ho’olaule’a

Kaffee, Kiffer, Killerkatzen

Samstag, 25. September 2004
Pahoa & Hilo, Hawaii

»Meine Mutter hörte mit 18 Jahren Elvis im Radio und dachte, ich gehe besser nach Amerika!«
So lautet die Lebensgeschichte unserer halbdeutschen Gratis-Taxi-Fahrerin, die uns in die Nähe der Uni fährt.
Nachdem wir uns via Internet über alles Wichtige informiert haben – St. Pauli gewinnt wieder, Mainz 05 wird Meister, in Deutschland ist es 15 °C kalt und der Dollar ist nur noch knapp 80 Euro-Cent wert … muahahaha! –, machen wir uns auf in Richtung Hilo Downtown, wo die größte Party auf der Big Island steigen soll.
Auf dem 11. KWXX Ho’olaule’a-Straßenfest, das jährlich vom Radiosender KWXX organisiert wird, werden bis zu 10.000 Leute erwartet. Neben drei Bühnen mit Livemusik gibt es natürlich noch Fressbuden und alle möglichen anderen Stände. Um 16:30 Uhr fängt das Fest an und um 22 Uhr soll es wieder enden. Das Fest ist so weit auch ganz nett, wenn auch nicht der Hammer. Immerhin kommen Bekki und ich – nach knapp sechseinhalb Wochen – nun erstmals in den Genuss original hawaiianischen Essens! Juchhe!?
Naja. Zunächst einmal ist die Auswahl äußerst beschränkt: Es werden Poi und Poi Balls angeboten. Poi ist eine Art Kartoffelbrei, der nicht aus klassischen Kartoffeln, sondern aus Taro, den »hawaiianischen Kartoffeln« gemacht wird. Zuerst wundern wir uns darüber, dass der Poi kalt und nicht warm ist, und dann wundern wir uns darüber, wie eine ganze Inselnation sich über Jahrhunderte hinweg davon ernähren konnte. Wenn du wirklich einmal eingeschlafene Füße schmecken möchtest, ist Poi genau das richtige Mittel dafür.
Auf der einen Seite ist unser erstes Hawaiian Food also eine ziemliche Enttäuschung. Auf der anderen Seite amüsieren wir uns jedoch so sehr über den Nichtgeschmack dieses dicken, kalten, lilagrauen (!) Breis, dass die lächerliche 1,50-Dollar-Investition für eine verhältnismäßig große Schüssel Poi doch wieder perfekt angelegt ist.
Als die Stimmung etwas abflacht und wir zugleich sehr mutig werden, kaufen wir uns Poi Balls. Poi Balls sind weniger lustig als purer Poi, da sie schmecken! Poi Balls sind nichts anderes, als purer Poi frittiert.
Apropos frittiert: Andagi sind japanische Donuts, die man sogar in Deutschland machen kann! Also, liebe Gourmets, ausprobieren:

Andagi
Zutaten: Reismehl, Zucker, Wasser
Man mischt oben stehende Zutaten, sodass ein Teig entsteht. Nun rollt man Bälle, die etwas kleiner als Tennisbälle sind, und fritiert diese. Ta-daa! Fertig ist der äußerst leckere und auch äußerst süße Andagi!

Bekki und ich entdecken ein altes Kino: Nach genauerer Erforschung des Gebäudes finden wir heraus, dass sich heute im Erdgeschoss eine Eisdiele und eine Grundschule befinden, während im ersten Stock nach wie vor ein Kino heimisch ist. Solch eine Mischung kann es wohl auch nur in Amerika geben.
Dass die Kinder dieser Schule auch leichte psychische Probleme zu haben scheinen, können wir an ihren ausgestellten Bildern erkennen. Das Thema der Ausstellung lautet »The Story of My Life«. Zu sehen sind Bilder mit Inhalten wie Friedhof, Krieg, toter Papa, ein nach einem Autounfall im Baum hängendes Kind, »Ein Körper – Zwei Leben«, was wohl auf die Scheidung der Eltern anspielt, »Hamburger meets Vegetarian«, ein Flugzeugabsturz, Pearl Harbor und das Verlieren des ersten Zahnes. Die üblichen Lebensgeschichten von Dritt- bis Fünftklässern eben …
Schon jetzt bekomme ich Angst vor den Amis im Jahre 2020: Werden das alles Gestörte sein?
Den fettesten Jungen aller Zeiten – in der Altersklasse zehn bis zwölf – sehen wir im Übrigen auf der Treppe zwischen Kino und Schule. Ob wohl alle Kinder dieser Schule so aussehen?: In der kleinen Pause gibt’s ein Eis, in der große Pause Hot Dog und Popcorn?
Die Musik auf dem KWXX Ho’olaule’a-Straßenfest ist weiterhin nicht der Rede wert. Das heißt, eigentlich schon, da sie hawaiianisch ist, aber – wie wir finden – nicht wirklich schön. Ab und an kommen ein paar Reggae-Riddims durch, ansonsten aber seeehr laaangsaaamer Huuula. Für Europäer ist das nicht tanzbar, für Hawaiianer schon. Dazu später mehr …
Der Abend endet schließlich mit dem ziemlich langen Suchen nach zwei Dingen: Zunächst suchen wir nach Essen, das nicht süß, sondern vielmehr deftig und vegan ist. Diese Suche soll jedoch erfolglos enden. Ferner versuchen wir Jeremiah zu finden, der sich auch irgendwo auf dem KWXX Ho’olaule’a aufhält und zu unserem Taxi werden muss, da der Hele-On Bus aufgrund des Straßenfestes nicht nach Pahoa fährt – amerikanische Logik. »Hele-on« ist nebenbei hawaiianisch und kann mit »with it« oder »groovy« übersetzt werden. Yeah, der Groovy-Bus.
Glücklicherweise finden wir Jeremiah noch.
Um 22 Uhr wollten wir uns vor dem Palace, einem Independent-Kino, treffen. Um kurz vor zehn werden Bekki und ich dann vor dem Palace Zeugen rüder amerikanischer Staatsgewalt. Natürlich läuft das ganze Spektakel absolut filmreif ab: Genau vor uns will ein Cop seinem nur noch auf Strümpfen gehenden Gefangenen eine der zwei Handschellen lockern, als plötzlich die Verwandtschaft oder Bekanntschaft des Verhafteten auftaucht und die Bullen mit einem spitzenmäßigen Argument zur Freilassung des Mannes bewegen will:
»Er hat eine schwangere Frau zu Hause!«
In einem Film müsste jetzt noch: »Er ist Amerikaner!«, kommen. Leider bleibt der Spruch aber aus. Nachdem der Übeltäter dann abgeführt worden ist, packen sämtliche Freunde, Tanten, Neffen und wer da noch so alles herumsteht, ihre Handys aus und rufen alle möglichen Leute an – oder jeder versucht der Erste zu sein, der der schwangeren Frau die freudige Neuigkeit mitteilen darf: »Das Kind musst du alleine aufziehen, Baby.«

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