Tag 53: When a Man Loves a Woman – Der Norden

Kaffee, Kiffer, Killerkatzen

Samstag, 2. Oktober 2004
Pahoa – Hilo – Waimea – Pololu Lookout – Honoka’a – Hilo – Pahoa, Hawaii

Manche Tage ähneln irgendwie anderen Tagen … und sind doch ganz anders.
Wir wollen es mal wieder zu den Akaka Falls schaffen. Regen soll uns diesmal nicht aufhalten. Also machen wir uns, trotz dicker Regenwolken über Pahoa, auf in Richtung Wasserfälle. Die Akaka Falls befinden sich etwa 15 Meilen nordwestlich von Hilo. Die ersten Meilen nimmt uns Aaron, Jeremiahs Bruder, mit. Aaron ist übrigens das achte und Jeremiah das siebte von neun Kindern. Aber das nur nebenbei.
Irgendwo zwischen Pahoa und Kea’au müssen wir uns eine neue Mitfahrgelegenheit suchen. Nächster Stopp: Wal Mart.
Boah, in dem Tempo kommen wir ja nie bei den Akaka Falls an.
Unser nächster Ride nimmt uns immerhin bis in den Nordwestende Hilos mit. Naja, vielleicht wird das ja doch noch was. Aber das Wetter …
Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt: Jason, ein Officer aus Waimea hält am Straßenrand: »Where do you wanna go?«
»To the Akaka Falls!?«
»Holy shit! Nice weather for the Falls, haha.«
Hmpf, was soll man machen?
»You know, it’s not that rainy in Waimea.«
Waimea?
Alles, was wir über Waimea wissen, ist, dass es sich hierbei um eine Cowboystadt handelt, die mehr oder weniger komplett der Parker-Family gehört.
James Parker kam irgendwann Ende des 19. Jahrhunderts nach Hawaii, kaufte Unmengen Land für lau und begann mit Kuh- und Pferdezucht. Weidefläche um Weidefläche entstand und der Parker-Clan wurde stinkreich – und ist es noch heute. In Waimea gehört alles Parker, heißt alles Parker, ist alles Parker. Parker School, Parker Shopping Center, Parker Ranch natürlich, Parker Museum und so weiter.
Waimea …!?
Außerdem ist Waimea in unmittelbarer Nähe des Waipio Valleys und des Pololu Valleys. Zudem liegt dort der Kamehameha Rock, ein Felsbrocken, den King Kamehameha I angeblich aus dem Pololu Valley bis fast nach Kapa’au getragen haben soll. Kapa’au ist ein Kuhkaff direkt neben Hawi, was ein anderes Kuhkaff ist. »Kuhkaff« darf man im Norden der Big Island übrigens wörtlich nehmen. Cowboys, ne. In Kapa’au steht außerdem noch die originale Statue von King Kamehameha I. Im Norden ist alles ganz »King K«, da der populäre King Kamehameha I dort geboren wurde. Aus diesem Grunde gibt es im Norden der Big Island auch einige hawaiianische Heiaus (Tempel).
Waimea? Waimea … Waimea.
»Nimmst du uns nach Waimea mit?«
»Klar doch.«
Cool. Und tatsächlich: Je weiter wir nach Norden stoßen, desto besser wird das Wetter. Jason, der unbedingt einmal nach Deutschland aufs Oktoberfest will, ist ein wirklich freundlicher und angenehmer Zeitgenosse. Nachdem er drei Jahre auf O’ahu als Cop tätig war, zog es ihn auf die Big Island, wo er seit nunmehr vier Jahren Bulle in Waimea ist. Als ich ihm erzähle, dass ich in Deutschland auf einem Flohmarkt einen Aufnäher der hawaiianischen Polizei gekauft habe, auf dem zwei Ananasse und zwei Blümchen abgebildet sind, kann er vor Lachen kaum noch Auto fahren. Daraufhin zeigt er uns seine Marke, auf der keine einzige Ananas und auch keine Blümchen abgebildet sind. So was …

Die Fahrt von Hilo nach Waimea dauert knapp 90 Minuten. Zeit genug also, um sich lustige und interessante Dinge zu erzählen. Jason ist ein wirklich korrekter Bulle. Auf Hawaii laufen die Uhren nun mal anders …
Als wir uns Waimea unweigerlich nähern, meint Jason plötzlich, dass er heute nichts mehr zu tun hat und uns von daher eine Tour spendieren möchte. Also: »Where do you wanna go?«
Wie? Was? Wo?
Der freundliche Cop aus der Cowboystadt meint es wirklich ernst: »Where do you wanna go?«
Jetzt müssen Bekki und ich uns schnell eine scharfsinnige und coole Tour zusammenstellen.
»Well, there is this Mountain Road …«
»Kohala Mountain Road?«
»Yes! And this lookout … uhm … Pololu Lookout.«
»Okay.«
Wir entscheiden uns also für die nördlichste Tour, die Bekki und ich uns vorgenommen hatten: Von Waimea soll es über die malerische Kohala Mountain Road, einer kurvenreichen und engen Bergstraße, abseits des gewöhnlichen Highways, mit Kühen, Pferden, Schafen und sogar Lamas nach Hawi und Kapa’au gehen. Dort wollen wir uns die originale Statue von King K ansehen. Von Kapa’au aus soll es dann, vorbei am Kamehameha Rock, weiter zum Pololu Lookout gehen, von wo aus man einen wunderschönen Blick über das gleichnamige Valley haben soll.
Alles in allem wäre das eine Tour, für die Bekki und ich uns einen kompletten Tag, inklusive frühen Aufstehens und Glück beim Trampen ausgerechnet hatten. Sogar eine Übernachtung hatten wir miteinkalkuliert.
Aber nun haben wir ja unseren ganz persönlichen, kostenlosen Tourguide.
Bevor es allerdings losgehr, will Jason noch mal zu sich nach Hause, Surfzeugs einpacken. Als wir in seinem wirklich tollen Haus am Rande von Waimea, mit Blick auf den Mauna Kea inklusive der Observatorien ankommen, erblicken wir zunächst einmal mindestens 40 Paar Frauenschuhe. Im Wohnzimmer, in dem alles neu und aufgeräumt ist und den Charme eines Versandkatalogs versprüht, sehen wir sein Hochzeitsfoto auf dem Kamin stehen und sein Hochzeitsalbum auf dem Couchtisch liegen. Er scheint also eine Frau zu haben. Glücklicherweise erspart Jason es uns, in ein derbes Fettnäppchen zu treten, indem er uns ziemlich schnell erklärt, dass seine Frau abgehauen ist. Oh, fuck.
Aufgrund der bei der Palastführung entdeckten Indizien – beispielsweise hängen noch all ihre Kleider im Kleiderschrank – kann man davon ausgehen, dass sie vor noch nicht all zu langer Zeit das Weite gesucht hat. Ist das also, neben seiner unabstreitbaren Freundlichkeit und Zuvorkommenheit, der Grund dafür, dass Jason zwei wildfremden, deutschen Trampern eine komplette Nordtour realisieren möchte? Zur Ablenkung? Eine Tour, die inklusive der Fahrt von Hilo nach Waimea etwa 110 Meilen lang ist!
Die knapp 20 Meilen lange Kohala Mountain Road ist wirklich schön. Sie haut einen zwar nicht vom Autositz, aber dennoch hat man einen tollen Ausblick über die Kohala Coastline. Lamas sehen wir jedoch leider keine. Dafür sehen wir in Kapa’au natürlich den König: Die Statue ist aus dem Jahre 1879 und wird offensichtlich regelmäßig restauriert. In einem Café gegenüber der Plastik kann man zudem auch Bilder der letzten Restauration begutachten. Anscheinend wird die alte Farbe der bunten Statue abgekratzt und neue darüber gepinselt. So ist des Königs Gewand, auch 125 Jahre nach Errichtung des Monuments, noch immer in gelbgoldenem Glanz zu bewundern.
Als nächstes fahren wir am berühmten Kamehameha Rock vorbei. Jenem Felsbrocken, den Kamehameha – laut Jason vermutlich aus Fitnessgründen – etwa fünf Meilen lang durch die Landschaft getragen haben soll, um ihn dann irgendwo im Nichts neben einer, zum damaligen Zeitpunkt vermutlich noch gar nicht existierenden, Straße abzulegen. Recht groß und schwer ist der Stein allemal, besonderen Glanz versprüht er allerdings keinen. Wir können also getrost an ihm vorbeifahren und bewundern dabei lediglich das Schild »Kamehameha Rock«. Kurz darauf kommen wir am Pololu Lookout an. Von diesem hat man einen wunderschönen Blick über das Pololu Valley und die Küste.
Einige Leute finden die Aussicht am Pololu Lookout offensichtlich so schön, dass sie sogar dort heiraten müssen … und zwar heute. Von der Hochzeit bekommen wir nichts mit, dafür jedoch von den Aufbauarbeiten. Dies nutzen wir eiskalt aus, um uns Zutritt zu einem Private Property zu verschaffen, von dem aus man einen noch schöneren Blick über das Valley hat.
Besonders beeindruckend an der Pololu Küste sind die etwa 150 bis 200 Meter hohen, grünen und senkrecht herabstürzenden Klippen. Direkt vor diesen genialen Klippen liegt eine kleine, komplett grüne Insel im Meer. Zudem gibt es noch einen Black Sand Beach im Tal.
Den Weg nach unten gönnen wir uns allerdings nicht, da wir ja auch irgendwie heute noch nach Pahoa zurückkommen wollen. Zudem werden wir hoffentlich noch das Waipio Valley bewandern, welches mit wilden Pferden, einem Fluss und Wasserfällen mehr zu bieten scheint, als das nördlicher gelegene Pololu Valley.
Der Rückweg nach Waimea geht nicht mehr über die Kohala Mountain Road, sondern über die sogenannte Beach Road. Diese Straße führt an der Westflanke des Nordzipfels entlang und ist mit ihren 32 Meilen fast doppelt so lang, wie die Mountain Road, die sich mitten durch den Nordausläufer schlängelt.
Durch meine enormen – und touristisch betrachtet – unglaublich genialen Hawaiikenntnisse – yeah – kann ich irgendwann auf einmal den Pu’ukohola Heiau am Straßenrand ausfindig machen: ein hawaiianischer Tempel, so unspektakulär wie die meisten anderen auch. Denn, wie bereits in der Kealakekua Bay, eines jeden Schnorchlers Traum bei Captain Cook, sieht man nur ein paar aufeinandergelegte Lavasteine. Zutritt hat man keinen und von außen sieht es schon nicht besonders spannend aus. Wie eine Lavamauer eben.
Ein angesehener Prophet erklärte King Kamehameha I einst, dass er die restlichen hawaiianischen Inseln erobern wird, wenn er einen großen Tempel zu Ehren des Familienkriegsgottes KÅ« errichtet, der wie bereits früher erwähnt einer der vier großen Götter der hawaiianischen Mythologie ist und auch umständlich KÅ«-ka-ili-moku genannt wird. Gesagt, getan, geschehen. Guter Prophet.
In Waimea verabschieden wir uns von Jason, dem vermutlich coolsten Bullen der Welt, und stellen kurz darauf fest, dass wir nicht zum ersten Mal in der Cowboymetropole sind. Hä? Jawohl: Auf unserer Busfahrt von Hilo nach Kailua, zu Beginn unseres Hawaii-Aufenthaltes, machten wir einen 20-minütigen Stopp, bei dem ich mir eine ziemlich köstliche Gazpacho holte. Ja, und das war in Waimea. Lustigerweise geschah dies hinter der Downtown, was man übrigens wörtlich nehmen kann, da die Downtown Waimeas nichts anderes als das Parker Shopping Center ist. Verlässt man dieses durch die Hintertür, steht man plötzlich hinter der Downtown und somit also dort, wo unser Hele-On Bus seine 20-Minuten-Pause einlegte. Cool.
Wie jedes andere Nest hat auch Waimea seinen eigenen Natural Foods Store. Sogar mit Deli. Das heißt: Man kann hier essen.
Wir ergötzen uns an einem Tofu Hot Dog bzw. einem Vegan Veggie Sandwich und bekommen sogar noch zwei richtig große Kaffee mit Sojamilch von der Verkäuferin ausgegeben. Ich habe ihr lediglich erzählt, dass man es in Deutschland als Veganer schwerer hat, als in Amerika. Tja, das muss sie irgendwie beeindruckt haben.
Danach geht es mit »Taxiwechsel« in Honoka’a zurück nach Hilo.
Kaum sind wir angekommen, wird es bereits dunkel und wir beschließen – mal wieder untypisch für uns – mit dem Bus nach Pahoa zurückzufahren. Typischer für uns ist dann wiederum die Fahrt mit dem stockschwulen, unterhaltsamen Mitfahrer, der auf einmal, als im Radio »When a Man Loves a Woman« läuft, genüsslich mitjault.
So endet ein weiterer Tag, der anders verlief, als es geplant war. Langsam wird es etwas unheimlich, dass alles so perfekt läuft. War ja nicht das erste Mal, dass uns jemand ewig weit und lang umhergefahren hat. Alles in allem haben wir heute knapp 210 Meilen zurückgelegt, was in etwa 340 Kilometern entspricht. Dies macht den heutigen Tag zum »Meilentag Nummer 1«. Selbst unsere Südtour war kürzer. Und all das in gerade einmal neun Stunden.
Morgen wollen wir zum Vulkan. Allerdings ist Jeremiah, der mit uns dorthin will, nirgends zu finden. So bleibt also einmal mehr nur zu sagen: Wer weiß schon, was morgen kommt …

Tag 52   Inhaltsverzeichnis   Tag 54

0 0 votes
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

0 Comments
Inline Feedbacks
Lies alle Kommentare
0
Would love your thoughts, please comment.x