Tag 62: Die Rote Armee, al-Qaida, der Bush-Wähler und ein tierischer Zöllner

Kaffee, Kiffer, Killerkatzen

Montag, 11. Oktober 2004
Hilo, Hawaii

Das Wetter stimmt wieder, also geht es auf in Richtung Waipio Valley. Zunächst nimmt uns eine Frau aus Yap mit. Yap ist eine zu Mikronesien gehörende, kleine Insel südwestlich von Guam. Unsere Gratistaxifahrerin hält ihre eigene Kultur für ziemlich unfreundlich, was daran liegt, dass es weder Begrüßungsworte noch Verabschiedungsworte in ihrer Sprache gibt. Höhö. Wenn man jemanden trifft, mit dem man sich unterhalten möchte, spricht man ihn – wörtlich übersetzt – folgendermaßen an: »Erzähl mir was!«
Haha! Großartig. Das werde ich für Deutschland übernehmen.
Unser nächser Gönner ist ein Russe namens Pavel Zagumennyy. Pavel ist vor 14 Jahren als 20-Jähriger in die USA gegangen. Dass er bereits 34 ist, sieht man ihm – nach eigener Aussage – absolut nicht an. Wenn er es uns nicht gesagt hätte – so meint er –, hätten wir ihn vermutlich für einen Kollegen unserer Altersgruppe gehalten. Hierbei sollte erwähnt werden, dass wir ihm zuvor sagten, dass wir zarte 20 und 21 Jahre jung sind.
Eine schulische Ausbildung hat er nicht wirklich, dafür war er bei der Roten Armee und wäre dreimal fast gestorben. Eines Tages offenbarte ihm seine Mama, dass er besser zu Gott beten solle, wenn er älter werden möchte.
»Oh nein, nicht noch so einer«, denken wir uns. Tja, und dann wird uns schnell klar, dass er noch so einer ist. Mit der Hilfe seiner Freunde – und vermutlich auch Glaubensgenossen –, konnte er genug Geld zusammenkratzen, um aus dem extrem von al-Qaida gefährdeten Portland in Oregon ins sichere Hawaii zu fliehen, wo er nur 100 Dollar jährlich an Grundstückssteuer zu blechen hat. »I really like America. It’s perfect. I can fish without a license. I can fish as much as I want to fish! I really like America. – Shall I bring you to Waipio?«
Äh … ja! Genial!
Die einzige Bedingung für den Trip ist, dass wir uns zuvor sein Grundstück anschauen müssen. »There is nothing yet. Nothing but grass.«
Ja, recht hat er. Nachdem wir uns ohne Machete durch seinen Dschungel geschlagen haben, dürfen wir aber feststellen, dass er – wenn er erst einmal sein Häuschen hier platziert hat – wirklich einen top Platz zum leben gefunden hat.
Und los geht es in Richtung Waipio!
»You are not married?«
»No.«
»Well, but you should!«
»No.«
Von diesem Moment an dürfen wir uns anhören, wie schön es ist, morgens aufzuwachen, eine Frau – ’tschuldige: seine Frau – neben sich liegen zu haben, wie schön es ist, wenn man dann sein Frühstück ans Bett gebracht bekommt, wie schön es ist, irgendwann am Tag dann mal massiert zu werden und – last but not least – wie schön es ist, zu wissen, dass man seine eigene Frau hat und nicht immer eine andere suchen muss. Pavel wird immer sympathischer.
»You know, sometimes, my wife is not very nice to me.«
Ähä …
»Then, I pray to God and the next day, she is nice again!«
Hähä … äh!?
»Just because I asked him to help me! So, ask him for help and he will help you. But it has to be something good!«
Okaaay …
»If you need help, I will help you.«
Danke.
»In Germany, man can marry man, right!?«
Ja.
»If you come with your boyfriend, Dennis, I won’t help you!«
Aha …?
»You should really marry.«
Warum denn?
»Well, it is fun to change your woman every night …«
Äh, wir sind seit …
»… but one day, Dennis, one day you want to have only one woman.«
Ja, hab ich doch …
»Then, you will realize how beautiful it is to wake up in the morning«, bla, »to get your breakfast«, bla, »to get a massage«, weiter im Text, »and to know that there is a wife at home.«
Aaah!
»You should really marry.«
Irgendwann endet dann auch diese Reise. 16 Meilen südöstlich von Waimea geht es durch das schöne Honoka’a noch weitere neun Meilen in Richtung Waipio.
Am Lookout des Waipio Valleys verlässt uns Pavel, der uns in knapp 75 Minuten ausführlichst predigte, dass er im Leben alles richtig gemacht hat. Das scheint übrigens ein Hobby vieler Amerikaner zu sein: anderen Leuten die eigene Lebensweise schildern und versuchen, sie davon überzeugen, es ihnen gleich zu tun. Das kann durchaus anstrengend sein … dafür ist es aber eigentlich auch immer schwer amüsant.
Das Waipio Valley!
Haben wir es also doch noch geschafft unser letztes Ziel auf der Big Island zu erreichen. Von mehreren Leuten haben wir bereits gehört, dass das Waipio Valley einer der schönsten Plätze, wenn nicht sogar der schönste auf der Insel sein soll. Steht man dann auf der Aussichtsplattform des Tales und sieht die 600 Meter hohen, grünen Steilwände des Valleys vor sich, wird einem sofort klar, dass dies tatsächlich ein absolut paradiesischer Ort ist und man nicht zu viel versprochen bekam. Wahnsinn!
Das Waipio Valley liegt direkt am Meer. Über die komplette Küste hin zieht sich ein wunderschöner Gray Sand Beach. Durch das Regenwaldparadies erstrecken sich mehrere Frischwasserströme und an den Klippen stürzen Wasserfälle ins Tal. Im Waipio Valley, welches für Hunderte von Jahren der Sitz der hawaiianischen Monarchie war, leben wilde Pferde und einige Einheimische, die – laut einiger Amerikaner – gefährlich sind und die Yankees nicht mögen. Auf der Heckscheibe eines Autos haben wir vor wenigen Tagen »Hawaiians are not American Indians« gelesen. Leider hat es, bei aller Liebe zu dem Hawaii, das wir kennenlernen durften, dennoch den Anschein:
• Wir haben lediglich ein einziges Mal hawaiianisch gegessen – und das war auf einem Festival. Trotz ernsthafter Bemühungen ein hawaiianisches Restaurant zu finden: Es scheint keine zu geben.
• Die Mehrheit der Menschen hier ist weiß. Und viele der Weißen haben Angst vor den gebürtigen Einheimischen.
• Alle Hawaiianer, die wir getroffen haben, regen sich über die Amerikanisierung Hawaiis extrem auf.
• Die Festlandamis tolerieren die hawaiianische Kultur lediglich zu touristischen Vorführzwecken. Ein komplett respektvoller Umgang mit der polynesischen Kultur stellen wir uns anders vor.
Zurück zur Schönheit und nichts wie runter ins Valley!
Sowohl nach unten, als auch nach oben kommt man nur mit einem – wie könnte es anders sein – mit Allrad angetriebenen Auto. Aber wozu braucht man einen Allradantrieb, wenn man zwei Füße hat? Die »Straße« nach unten geht allerdings wirklich auf die Knie. Es geht teilweise schon extrem steil nach unten. Unterwegs treffen wir einen »Retter« des FC St. Pauli. Ich zolle dem Bewahrer großartiger Fußballkunst im Vorbeigehen kurz den gebührenden Respekt, was seine offenbar nicht all zu fußballverrückte Freundin in Verzückung versetzt: »Boah, ich habe doch gewusst, dass du mit dem T-Shirt angesprochen wirst!«
Bekki und ich wundern uns indes, dass man deutschsprachige Leute nur an so entlegenen Orten wie dem Green Sand Beach, auf dem Gipfel des Mauna Kea und im Waipio Valley antrifft. Hm?
Nach 15 bis 20 Minuten erreichen wir das Tal. Wir entscheiden uns dafür, tiefer ins Tal hinein zu gehen und nicht in Richtung Strand zu wandern. Von Karten wissen wir, dass sich das Valley extrem weit ins Landesinnere erstreckt. Und genau da wollen wir hin: ganz tief rein.
Nach einiger Zeit des Wanderns begegnen wir einem elenden Schnorrer auf vier Beinen: Das Pferd kreuzt nicht nur unseren Weg, nein, es versperrt ihn uns sogar. Das Kräftemessen in Form des klassischen Vorwärts-rückwärst-links-antäuschen-rechts-vorbei-Spielchen müssen wir nach einigen, für uns erbärmlichen Minuten als verloren ansehen. Jetzt ist also der Wegzoll fällig, den der Klepper entweder von Beginn an gerochen oder wenigstens erahnt hat. Der Gaul hat offensichtlich Erfahrung in seinem Job und nun auch den Großteil unseres Toastbrots. Zum Dank erhoffen wir uns, dass Little John uns auf seinem Rücken trocken über den Süßwasserstrom hilft, zu dem die Straße hinter ihm mutiert. Daran denkt der Drecksack allerdings ganz offensichtlich keine Sekunde. Glücklicherweise kommt ein 4×4-Truck angecruist, der uns freundlicherweise trockenen Fußes auf die andere Seite befördert.
Zwei Kurven weiter stehen wir vor dem nächsten Problem … dem gleichen wie fünf Minuten zuvor. Diesmal kommt jedoch kein Auto um die Ecke und ein bestechliches Wildpferd ist auch nirgends zu sehen. Wir wollen auch nicht extra auf einen Wagen oder ein Pferd warten. Waten ist also angesagt. Schuhe und Socken aus, über Steine durch die Wasserstraße tänzeln und auf der anderen Seite wieder Schuhe anziehen. Eine Kurve weiter … jaja. Spontan entschließen wir uns für ein Picknick und warten auf den nächsten Truck. Der kommt dann auch und nimmt uns über fünf weitere Wasserstrecken mit. Und plötzlich stehen wir in einer Sackgasse. Überall um uns herum zieren Schriftzüge den Wald: »No Trespassing«, »Keep Out« und »Private Property«. Na klasse. Folglich stolpern Bekki und ich durch alle Wasserstraßen zurück. Ächz. Da wir auch keinen anderen Weg ins Tal hinein finden, entschließen wir uns, leicht enttäuscht, zum Lookout zurückzukehren.
»Ei verbibbsch! Wie weit düd ’n des dö rein gähn?«
Ah! Noch mehr Deutsche! Wir erklären der lustigen Familie aus der Nähe von Dresden, dass dieser Weg zum Wandern ungeeignet ist und ziehen weiter unseres Weges. Am Fuße der 600 Meter hohen Klippe nimmt uns gleich das erste 4-Wheel-Drive-Auto bis nach Waimea mit.
Wunderbar, um gerade einmal 15 Uhr kommen wir in Waimea an. Zuletzt haben wir in Waimea gute Erfahrungen mit dem Natural Foods Store & Deli gemacht, sodass wir uns dazu entschließen hier lecker zu Mittag zu essen: Tofu Hot Dog und Vegan Veggie Sandwich. Diamond, die symapthische Verkäuferin, ist hocherfreut uns wieder zu sehen. Genauso erfreut sind wir und wie sich nach kurzem: »Na, wie geht’s!«, herausstellt, ist Diamond sogar so erfreut über unser Wiedersehen, dass wir zusätzlich zu unserem Essen noch eine große Tasse Indian Curry with Brown Rice, der eigentlich für fünf Dollar verkauft wird, geschenkt bekommen. Dieser Natural Foods Store & Deli ist wirklich allererste Sahne!
Von Diamond erfahren wir zudem noch, dass es einen leicht versteckten Info-Laden zum Waipio Valley gibt, bei dem es Karten mit eingezeichneten Wanderwegen gibt. Wanderwege, die ganz tief ins Valley hineinführen. Na super …
Unser erstes Gratis-in-Richtung-Hilo-Taxi bringt uns bis nach Honoka’a zurück, wo am heutigen Tage ein Naturgesetz widerlegt, die These aller Thesen umgestoßen, die Weltordnung verdreht wird: Ein Jeep mit dem widerlichsten Aufkleber der gesamten Big Island nimmt uns auf seiner Ladefläche mit … »Bush & Cheney ’04«!
In Hilo schüttet es. Der politisch Unkorrekte macht einen auf freundlich und fragt uns, wo genau wir denn hin müssen.
»Just up the road, behind the harbor.«
Diese ausschweifende Erklärung ist ihm aber offenbar zu anstrengend und umständlich, weswegen er uns einfach bei Ken’s House of Pancakes rauslässt. Sackgesicht. In Sombat’s köstlicher Thai Cuisine warten wir, bis der Regen aufhört und wärmen uns bis dahin mit Māmaki Tee und Essen auf. »Thai Hot« ist hier übrigens wirklich hot.
Unser letzter kultureller, sportlicher und abenteuerlicher Tag auf der Big Island neigt sich dem Ende entgegen. Mittlerweile gießt es auch wieder in Strömen. In 15 Metern Entfernung gibt eine Japanerin gerade sämtliche Lieder von Kuschelrock acht bis 14 zum Besten und wir verabschieden uns: Our heart will go on …

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