Tag 12: Full House in Haight Street

Serendipity – Teil 1

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Mittwoch, 21. November 2012
San Francisco

Ford brät sich am Morgen eine Pfanne voll Bacon. Ich sitze alleine in der Küche und arbeite am Rechner als Augie, der Wachhund, die Szenerie betritt. Natürlich grüßt er nicht. Er stellt sich neben die Pfanne, schaut sie an und fragt mich nach einigen Minuten, wer sich hier Bacon brät.
»Ford«, antworte ich.
»Where is he?«
»Don’t know. He’ll come back in some …«
In diesem Moment kommt Ford zurück und der liebenswerte Augie, der die letzten Minuten damit verbrachte, sich Fords Frühstück anzuschauen, empfängt ihn mit den Worten: »Your food is burning.«
Ford schaut Augie genervt an, zieht die Pfanne von der Flamme und entgegnet: »This might help.«
Ich mag diesen Augie einfach nicht …
Wir schieben tagsüber die ruhige Kugel, wobei die Abende hier früh beginnen und die Nächte erstaunlich kurz sind: In Berlin feiert man üblicherweise von Mitternacht bis zum frühen Vormittag, wohingegen in San Francisco Partyabende bereits mit dem Sonnenuntergang anzufangen scheinen und meist mit dem vergleichsweise sehr frühen Schließen der Bars enden. Unser Abendprogramm fängt daher auch nicht allzu spät an. Novula, eine Freundin Fords, lädt uns bei sich zu Hause zum »Day before Thanksgiving«-Abendessen ein.
Novula lebt in der Haight Street.
»Hate Street?«, frage ich entgeistert. Krasser Name.
»No, H – A – I – G – H – T. I have no idea what that means …«
Die Haight Street, erklärt Ford, erlangte in den 1960ern Berühmtheit, weil Künstler wie Janis Joplin dort lebten. Auch Grateful Dead und Jefferson Airplane eroberten die Welt von San Franciscos Hippie-Stadtteil Haight-Ashbury aus.
Wir laufen gegen 16 Uhr die Market Street in Richtung Südwesten. Ford sagt, dass er diese Straße liebt, weil auf ihr immer etwas los ist. Die große Market Street scheint primär von Afroamerikanern besiedelt zu sein. Es ist schon etwas strange, dass in San Francisco die einzelnen Ethnien so getrennt voneinander nebeneinander leben: Chinatown, Japantown, die schwarze Market Street. Fords Gegend wird seit Neuestem Little Saigon genannt, wovon Ford allerdings bislang nichts wusste. Ich habe dies bei Google Maps gelesen und Brandi bestätigt die 2004 erfolgte neue Namensgebung des Distrikts zwischen Eddy und O’Farrell Street. Hier wohnen 2000 der insgesamt 13.000 in San Francisco lebenden Vietnamesen.
An der Ecke Market und Fulton Street befindet sich die UN Plaza, über die sich ein Wochenmarkt erstreckt. Im Hintergrund thront pompös San Franciscos neoklassizistische City Hall.

<center>San Francisco City Hall</center>
Das Rathaus ist – wie auch beispielsweise das Bode-Museum in Berlin – ein Vertreter der Beaux-Arts-Architektur. Das Gebäude wurde 1915 eröffnet, nachdem es nach dem Erdbeben von 1906 erst einmal wieder neu aufgebaut werden musste. 1954 heirateten Joe DiMaggio und Marilyn Monroe im Prachtbau mit der fünftgrößten Kuppel der Welt, die einen Durchmesser von 20 Metern hat und sich 94 Meter in die Höhe streckt. Und wie das in Amerika so ist, wurde das Gebäude natürlich auch in Filmen verewigt. Nennenswert sind der erste Indiana-Jones-Film »Raiders of the Lost Ark«, mal wieder »The Rock« und »Dirty Harry« sowie »Invasion of the Body Snatchers« mit Donald Sutherland und der 14. Bond »A View to a Kill« mit Roger Moore als 007. Schräg hinter der City Hall steht die 1911 erbaute Louise M. Davies Symphony Hall.

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Der nächste Stopp auf Fords abermals unangekündigter Sightseeingtour ist der 1856 angelegte Alamo Square. Wir laufen die Treppen des kleinen Parks empor, als Ford sich umdreht und auf eine Reihe süßer viktorianischer Häuser zeigt: »Do you know these houses?«, grinst er mich diebisch an.
»Uhm …«, überlege ich zweifelnd.
»This is the Postcard Row. They are also called the Painted Ladies. Because of the colors …«
Das dachte ich mir bereits.
»You don’t know the houses?«
Meine Güte! Sollte ich etwa wirklich so doof sein, dass ich etwas Weltbewegendes nicht erkenne? Eine Häuserreihe, bei der jeder Mensch sofort sagt: »Na, klar! Hier wurde was auch immer bla. Oh, mein Gott!«
»I don’t know. What’s so special about them?«, gebe ich schließlich auf.
»›Full House‹?«
»?«
»›Full House‹!«
»The sitcom?«
Er nickt und grinst. Ich gucke und verstehe noch immer nicht wirklich, was los ist.
»The opening credits!«
»Aha.«
»You know ›Full House‹, don’t ya?«
»Well …«
»The Olsen twins …«
Als ich das letzte Mal »Full House« gesehen habe, war ich wahrscheinlich sieben. Ford scheint aber tatsächlich leicht fassungslos zu sein, dass ich a) die Häuserreihe aus der Eröffnungssequenz einer blöden Serie nicht erkenne und b) mir die Serie am Allerwertesten vorbei geht. Ich mache meine Fotos von den pittoresk putzigen Häuschen und dann gehen auch wir vorbei.

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Kurz darauf passieren wir einen äußerst stylishen alten Ford. Der wesentlich jüngere Ford neben mir ist sofort Feuer und Flamme und posiert neben dem roten Oldtimer mit dem amtlichen Kennzeichen »Flat Old«.

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Die Haight Street ist wesentlich unspektakulärer als erwartet. Weder rennen Touristenmassen durch die Straße noch überzeugt die Haight Street mit einem Überangebot an Shops und Bars. Die Straße wirkt größtenteils eher verschlafen. Es gibt eine Upper und eine Lower Haight Street, erklärt Ford. Wir spazieren gerade den oberen westlichen und äußerst steilen Teil der Straße entlang. Als wir keuchend den Gipfel an der Buena Vista Avenue erreichen, dreht sich Ford irritiert um und sagt: »Fuck, wrong direction.«
Also geht’s wieder bergab …
Nun wird die Haight Street aber auch interessanter und wenige Minuten später stehen wir vor einem typischen amerikanischen Großstadtholzhäuschen. Novula ist noch nicht zu Hause, kommt aber fünf Minuten später an. Fords Freundin ist eine sympathische kleine Afroamerikanerin, die uns kurz nach dem Betreten ihrer Wohnung mit der Neuigkeit schockt, dass ihr Freund am Sonntag eingeknastet wurde. Er war besoffen und hat sie tätlich attackiert. Tja, dann muss man auch kein Mitleid mit ihm haben.
Novulas Haus ist auch ein kleines Bed & Breakfast. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob sie ihre Zimmer nur länger verweilenden Studenten anbietet oder auch an kürzer reisende Touristen vermietet. Die Küche des Hauses ist typisch amerikanisch. Das bedeutet nicht nur, dass sie den klassisch klischeehaften Riesenkühlschrank und einen Truthahngrill hat, sondern auch dass es gemütlich ist.
Außer uns dreien kommen noch Peter und Rick, zwei Australier und eine unterhaltsame schwarze Transsexuelle mit einem nicht zu merkenden Namen zum Essen. Ach, nennen wir sie von nun an einfach Lataesha. Rick und Lataesha haben was am Laufen und knutschen den halben Abend wie die Wilden. Als alle betrunken genug sind, wollen sie, dass ich ein paar seltsame Fotos von ihnen schieße. Aber: Nein, niemand macht sich nackig und Sex zum Zugucken gibt es zum Glück auch nicht. Leicht pornös ist es aufgrund der Posen dennoch. Ford und ich wollen lieber lustige Fotos machen und zwingen Peter dazu, im Korridor zu tanzen, während ich den Auslöser dutzendfach klicke. Peter tanzt aber nicht halb so gut wie Ford und ich gestern vor dem Palace of Fine Arts. Dafür ist Peter so cool und schenkt mir seinen noch einen Tag gültigen Muni Passport. Muni ist die Kurzform für San Francisco Municipal Railway und somit das Nahverkehrssystem in San Francisco. Das bedeutet, dass ich am morgigen Thanksgiving kostenlos mit sämtlichen Bussen und Bahnen, inklusive der Cable Cars fahren kann. Rock und Roll! Der Muni Passport ist eigentlich sieben Tage lang gültig und sieht wie ein Rubbellos aus. Für 27 Dollar bekommt man den lilafarbenen Schein, bei dem man zunächst den Monat und dann sieben Tage freirubbeln muss. Ein Tickethäuschen befindet sich zum Beispiel beim cable car turntable an der Ecke Powell und Market. 10 % Rabatt bei Ghirardelli Chocolate gibt’s noch obendrauf. Ein tolles Ticket und ein schöner Abend …

Quellen
Für so manche Info zu Haight-Ahsbury und zum UN Plaza: Wikipedia

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