Tag 22: Swinger Party oder DNA Lounge?

Serendipity – Teil 1

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Tag 22: Samstag, 1. Dezember 2012
Oakland – San Francisco

Mitten in der Nacht … naja, okay: Früh am Morgen gibt es einen Riesenkrach neben Ford und mir. Wir schlafen relaxt in unserem rein plantonischen Heteroehebett, als ein Geklopfe, Geschraube und Gebohre direkt neben unseren Köpfen veranstaltet wird. Boah, das ist echt nicht mehr feierlich. Wir quälen uns aus dem Bett – die Nacht war somit kurz – und versuchen durch eines der kleinen Bullaugen, die wir anstelle von Fenstern hier oben unterm Dach haben, herauszufinden, was los ist: »Are they removing the billboard?«
Wir schleppen uns die leiterartige Treppe nach unten, gehen in Rains Küche und öffnen ihre lustige Balkontür. Lustig, weil man nur den unteren Teil der Tür öffnen kann – und der geht nur bis zur Hüfte. Der obere Teil der Tür ist ein normales Fenster. Wir machen also den Buckel krumm. Der Balkon beziehungsweise der Teil des Hauses, dessen Dach die Balkonfront der Apartments auf dieser Seite des Bordello ist, wurde vermutlich erst später angebaut. Das Wetter ist mal wieder beschissen, unser Running Gag: »Rain sucks«, in Rains Gegenwart aber nach wie vor grandios. Im Freien stellen wir fest, dass tatsächlich die große Werbetafel an der Hauswand entfernt wird.
»Damn, I wanted to take pictures of it«, ärgere ich mich. Die Tafel war einfach pures Amerikaklischee. Da wir etwas länger gebraucht haben, um es auf den ach so weit entfernten Balkon zu schaffen – dürften durchaus zehn Meter plus Höhenunterschied von zweieinhalb Metern sein –, ist die Tafel bereits komplett abmontiert und ein Mexikaner streicht die Stelle, an der sie vor wenigen Minuten noch hing. Allerdings streicht er tatsächlich nur dort, wo die Tafel hing. Frisches Gelb umrahmt von Vergilbtem … Ob das am Ende gut aussieht? Ich wage es zu bezweifeln.
Ford macht mir Frühstück! Und hier bekomme ich dann doch noch meine Dosis Amerikaklischee am Morgen. Ford brät Weißbrotscheiben goldbraun in der Pfanne, richtet Himbeermarmelade darüber an und bestreut das Ganze liebevoll mit gerösteten Mandelflocken. Zur Verzierung gibt’s dann noch auf den Teller Marmeladenstreifen. Et voilà: le chef de cuisine est fier. Bon appétit!

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Wir treffen Rains Nachbar Ryan. Als er hört, dass ich morgen Nacht in den Norden, aller Wahrscheinlichkeit nach Portland, reise, erzählt er mir, wie supergeil die Stadt ist und dass ich mir unbedingt die japanischen Gärten ansehen muss. Er selbst war mal zum Gras Trimmen im Norden. Allerdings ist er ein schlechter Marihuanatrimmer, da er zu langsam ist, was wohl wiederum daran liegt, dass er während dieser Arbeit einfach immer viel zu stoned ist. Klingt logisch. Das Bordello hat er vor drei Jahren bezogen. Eigentlich wollte er nur für relativ kurze Zeit als Zwischenmieter in die Wohnung ziehen, in der damals sein Kumpel lebte. Letztlich hat er aber die Wohnung übernommen, weil das Haus und Besitzer George so genial sind.

Ryan auf dem eigenenen und Ford auf Rains Balkon im Bordello:bei gutem Wetter und mit einem der wenigen guten US-Biere (2. Dezember 2012)

Ryan auf dem eigenenen und Ford auf Rains Balkon im Bordello:
bei gutem Wetter und mit einem der wenigen guten US-Biere
(2. Dezember 2012)

Apropos genialer George: Heute Nacht findet wieder die allwöchentliche Swingerparty im »Dungeon« des Hauses statt. Was genau »Dungeon« in diesem Zusammenhang zu bedeuten hat, kann ich nicht klären, da man zu diesen Räumlichkeiten des Hauses nur Zutritt hat, wenn man zur lustigen Bumsparty kommt. Die interessiert mich aber nach wie vor herzlich wenig. Erst recht, nachdem Ryan mir erzählt, dass er mal mit zwei hübschen Mädels vorbeigesehen hat und nur eine Gruppe nackter Rentner beim Pornogucken vorgefunden hat. Die Rentner hingegen waren vom Auftauchen der drei Knackigen sichtlich angetan und hatten auf einmal nur noch Augen für die Mädels, die live vor ihnen standen und nicht mehr für die, die auf der Mattscheibe lautstark am kopulieren waren. Der Rückzug erfolgte unmittelbar …
Ich habe nicht nur kein Interesse an Sex mit diversen Althippies in einem dunklen Keller, sondern auch eine wesentlich besser klingende Einladung für heute Abend: Julie will sich mit Freunden aus ihrer Heimatstadt Sacramento treffen, die wohl eine Kneipentour machen oder in einem Club in San Francisco feiern wollen. Na, Cluberfahrung habe ich in meinem geliebten San Francisco noch keine gemacht. Ford hat blöderweise keine Lust dazu, meint aber, dass ich das unbedingt machen sollte und wünscht mir grinsend viel Erfolg bei Julie, die seiner Meinung nach auf mich steht. Und da meine Mitfahrgelegenheit ja sowieso erst um Mitternacht in Oakland aufbrechen will, haben wir ja noch morgen Abend zum gemeinsamen Feiern. Na dann …
Ich fahre mit dem BART rüber nach San Francisco und sage: »Hi!«, zu all den Delfinen und den Haien. Julie will mich im Butter in der 11th Street treffen. Ich verspäte mich leicht, treffe Julie und ihre beiden Freunde – Julies ehemalige Chefin und deren Freund – aber rauchend vor dem Laden an. Lustigerweise hat das Pärchen – also beide – um Mitternacht Geburtstag. Also: Party on!
Von innen sehe ich das Butter erst gar nicht, da beschlossen wird, in die gegenüberliegende DNA Lounge weiterzuziehen. Wir stehen in der Schlange vor dem Club an, während der Türsteher die Schlange dezimiert, indem er die Raucher herauszieht und darauf aufmerksam macht, dass man in der Schlange stehend nicht rauchen darf. Harte Gesetze. Der Eintritt kostet 15 Dollar und feiern geht erstaunlich gut. Ich muss »erstaunlich gut« sagen, da ich eigentlich überhaupt kein Clubgänger bin. Ich finde elektronische Musik zum größten Teil ziemlich beschissen. Speziell, wenn so Vollatzen wie David Guetta gespielt werden, rollen sich meine Fußnägel hoch und runter. In der DNA Lounge überrascht der DJ jedoch mit einer zwar nicht durchgehend, aber doch größtenteils ziemlich guten bis nahezu grandiosen Setlist. Hier herrschen auch mal Grunge und Indie Rock, Baby! Nirvana und Pearl Jam dröhnen aus den Boxen und als Blur mit ihrem »Song 2« an die Reihe kommen, bebt der Laden. Die Killers dürfen natürlich ebenso wenig fehlen und generell gibt’s fast ausschließlich Gitarrenmusik. Nicht schlecht!
Die DNA Lounge hat einen großen Innenraum mit einer für die Größe des Raumes dann doch etwas übertrieben hohen Bühne. Neben der Bühne und auf der schräg gegenüberliegenden Seite des Dancefloors gehen Treppen in die Galerie des Obergeschosses. Auf beiden Etagen gibt es eine Bar. Oben gibt es zudem noch eine Lounge. Verlässt man den Club durch den Seitenausgang, findet man sich in der DNA Pizza wieder. Gegen den Hunger kann man also ebenfalls gut ankämpfen. Geraucht wird vor der Pizzeria. Ich bin gerade irgendwas am erzählen, als auf einmal ein Typ auf mich zukommt, kurz zuhört und plötzlich meint, dass ich »so adorable« sei. Aber hallo! Als sei das noch nicht genug der männlichen Zuneigung, bekomme ich in derselben Minute eine SMS von Ford: »You safe, honey?«
Bevor ich nach San Francisco aufgebrochen bin, meinte Ford, dass ich ihn schnellstens wissen lassen soll, ob ich in San Francisco bleibe oder plane, nachts wieder nach Oakland zurückzukommen. Ich antworte, dass ich heute Nacht im Westen der Bucht bleiben werde …
Um Mitternacht schmeißen die Geburtstagskinder dann eine Runde shots, also Kurze, die – wie offensichtlich immer in Amerika – nicht so wirklich kurz sind. Würg. Kurz vor zwei Uhr tanze ich gerade mit irgendeinem Cocktail, den mir Julie verabreicht hat, als plötzlich ein Typ von der Security neben mir steht und mir ins Ohr brüllt: »You have to finish your drink!«
Ich drehe mich zu ihm und schaue ihn grinsend fragend an. Will der mich jetzt verarschen?
»Drink it!«
»Why? It’s still half-full!«
»It’s two o’clock.«
»Yes?«
»You’re not allowed to drink alcohol after two a.m.!«
»Huh? Are you kidding? I’m inside the building …«
»No alcohol after two a.m.!«
»Uhm, okay …?«
Also trinke ich ein bisschen, aber nicht wesentlich schneller. Ich will doch wegen so eines bescheuerten Gesetzes nicht, dass mir schlecht wird. Der Sicherheitsmann bleibt unruhig neben mir stehen, die Hüfte will er, glaube ich, nicht schwingen. Als ich fertig bin, entreißt er mir direkt den Plastikbecher und zieht damit von dannen. Drei Dinge habe ich in Amerika zu kritisieren: diese lächerliche Alkoholparanoia, die versteckten Steuern, die überall ohne Vorwarnung draufgerechnet werden und das übertriebene Trinkgeld, das man jedes Mal geben muss. 15 bis 20 % sind Standard und für jeden Drink, den man bestellt, legt man einen Dollar zusätzlich auf den Tresen – immer und überall.
Egal, um drei Uhr macht der Laden dicht und wir machen uns auf die Suche nach dem Auto von Julies Chefin. Julie, die übrigens mittlerweile ziemlich dicht ist, torkelt krass hin und her, kann kaum noch einen geraden Satz formulieren und versucht mit Harakirimethoden ein Taxi anzuhalten, weil wir das Auto nicht finden können. Letztlich finden wir es doch wieder. Ich setze mich auf den Platz hinter dem Beifahrersitz. Julie sitzt vor mir und kackt sofort ab. Nein, nicht sofort: Zunächst öffnet sie noch bis zum Anschlag ihr Fenster.
»Man soll Besoffene nicht wecken«, habe ich bestimmt irgendwo mal von irgendwem gelernt. Auf jeden Fall probiere ich es erst gar nicht, sondern versuche mit großer Akrobatik um drei Uhr sonst was an Julies Fensterkurbel zu gelangen. Es ist hoffnungslos und ich lerne es zu ertragen, den eiskalten Gegenwind der Nacht ins Gesicht geweht zu bekommen. Julies Chefin hat zudem noch einen Bleifuß. Uff.
In Julies WG angekommen, schwankt die Dame des Hauses in ihr Zimmer und ward nicht wiedergesehen. Die Geburtstagskinder und ich machen es uns auf den zwei Sofas und dem Sessel gemütlich. Da der Freund der Chefin freiwillig die Arschkarte zieht und im Sitzen auf dem Sessel schläft, biete ich ihm die Decke an, die auf meinem Sofa liegt und wundere mich, weswegen die beiden sich nicht gemeinsam auf eine Couch kuscheln.
»Uhm, I have a girlfriend«, antwortet er. Na, da habe ich wohl den kompletten Abend über was falsch verstanden. Von Ford kommt dann noch die Knaller-SMS: »I miss you sweetheart. The bed feels so empty without you.«
Und das Sofa ist ohne Decke ganz schön kalt …

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