Tag 23: True Bromance
Serendipity – Teil 1

Sonntag, 2. Dezember 2012
San Francisco – Oakland – Auf dem Weg nach Norden
Interessant … die SMS kommt von Julie.
»I’m in your living room, drunk lady«, schreibe ich zurück. Dann passiert erst einmal nichts mehr. Ist da jemand vor Schock wieder ins Koma gefallen? Ich mache auch noch einmal die Augen zu, spüre aber kurz darauf, wie mich jemand zudeckt und meinen Kopf streichelt. Och, das ist ja lieb. Julie ist also wieder erwacht und halbwegs nüchtern.
»Where are we? I mean, in what part of San Francisco do you live?«, frage ich sie, nachdem auch ich richtig wach bin.
»We’re in the Sunset District, close to Twin Peaks.«
Oh, cool! Da war ich ja noch gar nicht.
Allerdings ist nicht nur Julie nicht so wirklich taufrisch. Ich hatte gestern auch genug und aufgrund der fehlenden Decke und nicht eingeschalteten Heizung war die Nacht auch nicht die komfortabelste. Ich lasse mich daher, ohne groß zu überlegen, ob ich mir Twin Peaks anschauen möchte, von Julie in den nächsten Bus in Richtung Downtown und BART setzen. Passt schon.
Als ich in Oakland ankomme, meldet mir mein Körper, dass ich besser mal etwas essen sollte, bevor ich mir das Gestrige noch einmal »durch den Kopf gehen lasse«. Vietnamesisch ist vermutlich nicht die beste Wahl, wenn man seinen Magen schonen möchte … aber ich bin doch ein GenieĂźer. Also gibt’s Mittagessen oder FrĂĽhstĂĽck oder was auch immer ich gerade konsumieren möchte bei Phở Oakland.

Während ich mir insgeheim und unter Schmerzen wĂĽnsche, dass doch bitte jemand den Fernseher ausschaltet, sinniere ich ĂĽber das vietnamesische Traditionsgericht: Phở wird am ehesten noch »fah« ausgesprochen und steht in der CNN-Go-Liste der 50 besten Gerichte der Welt auf Platz 28. Da wenig ĂĽberraschend der Thai-Curry – stellvertretend der gute alte Massaman Curry – Platz 1 belegt, fällt mir die Entscheidung äuĂźerst leicht … Verdammt, da steht nirgends was von Curry. Okay, ist ja auch ein Vietnamese, denke ich mir und bestelle, fĂĽr den Magen wohl auch bekömmlicher, gebratenen Reis mit Tofu und GemĂĽse fĂĽr sieben Dollar – plus Steuer und Trinkgeld, versteht sich. GemĂĽtlich ist es hier drin nicht, aber das habe ich auch nicht erwartet. Der Laden ĂĽberzeugt mehr mit seinen kleinen Preisen und der Lage: Er ist auf direktem Wege zum Bordello. Von auĂźen sieht das Restaurant auch nicht wirklich nach der ganz groĂźen Gastronomie aus – eher wie eine ehemalige Tankstelle. Vielleicht war es ja sogar wirklich einmal eine Werkstatt oder Tanke, zumindest ist der Parkplatz davor erstaunlich groĂź. Man könnte den Laden auch so betrachten, wie es ein ulkiger Kommentator auf der Empfehlungsplattform Yelp geschrieben hat: »This place looks so ghetto from the outside.«
Hell, yeah! This is the hood! 200 Meter weiter wurde auf Ford und mich geschossen.
Im Bordello erwartet mich Ford bereits mit einem Konterbier. Oje, besser nicht. Sweetheart steht auf dem Balkon und unterhält sich mit Nachbar Ryan, der zwei Balkone weiter die endlich mal wieder scheinende Sonne genießt. Rain verabschiedet derweil ihren Damenbesuch – wieder eine andere.
Ryan erzählt Ford und mir etwas von einem Strand in Oakland. Da er sowieso mit seinem Hund Chester Gassi gehen will, schlägt er Ford und mir vor, uns den Strand zu zeigen. Wir laufen die East 12th Street bis zur Ecke 5th Avenue entlang und biegen links ab. Auf der 5th Avenue findet Ford eine überdimensionale rosa Fastnachtsbrille auf dem Boden, die er natürlich sofort aufsetzen muss. Der Freeway zieht sich eine Etage höher durch Oakland. Die Brücke wird nicht nur von ihren Steinsäulen, sondern auch von erschreckend vielen nachträglich eingesetzten Stahlsäulen gestützt. Diese ganze Gegend ist einfach ein bisschen »ghetto«. Hinter dem Freeway geht’s noch einige Meter auf der 5th weiter, bevor Ryan auf einmal links in eine Art Einfahrt einbiegt. Diese entpuppt sich als kleiner Autofriedhof. Ich frage mich, wo hier ein Strand sein soll. Aufgrund des vielen Regens der letzten Tage haben sich große Pfützen in den Löchern der nicht allzu perfekten Straße gebildet. Zwischen den Autos, die auf loser Erde stehen, die nun reiner Matsch ist, geht’s weiter. Noch durch ein Loch im Zaun – ein »Exit«-Schild markiert die Stelle –, über ein Stück Matschwiese, durch den nächsten Zaun sowie über einen kleinen Deich und auf einmal stehen wir tatsächlich an einem kleinen dreckigen, aber schönen Strand. Sitzmobiliar rostet genauso seit Jahren vor sich hin wie Überreste eines Kleinflugzeugs, wenn ich mich nicht komplett irre. Verrückt. Irgendwer hat einen kleinen Steg gebaut und dafür in künstlerischer Weise die verrottenden Stühle, ein Fahrrad und anderen Krempel verbaut. Sieht cool aus! Teile der Wiese und auch Teile des Sandstrands stehen unter Wasser. Leider liegt hier auch eine Menge Plastik herum.
»It’s not always so dirty. Must’ve been the fucking rain«, erklärt Ryan.
»Yeah, rain sucks.« – Höhö.
Wir schnappen uns drei der umherliegenden Stühle und machen es uns über dem nassen Sand gemütlich. Die Aussicht ist eher industrieller Natur, da wir uns im Inner Harbor Oaklands befinden. Aber auch kleine Segeljachten lassen sich am gegenüberliegenden Ufer ausmachen. Der süße Golden Retriever Chester bekommt von Ryan immer größer werdende Stöckchen ins Wasser geworfen und darf sie wieder an Land bringen. Jedes Mal wenn er zurückkommt, müssen wir aufspringen, weil sich der Köter immer direkt neben uns das Wasser aus dem Fell schütteln muss. Da mein Kater noch immer nicht wirklich besser wird, steige auch ich ins Biertrinken ein. Das Konterbier hilft tatsächlich.
Ein weiterer Strandbesucher taucht auf. Wie man das so in Amerika macht, wird er sofort angelabert und zu einem Bier eingeladen. Er revanchiert sich mit Gras und stellt sich als Javier vor. Begleitet wird er von seinem Hund Mighty, der im krassen Gegensatz zu seinem Namen steht: Mighty ist ein verängstigter kleiner Scheißer, der einen anknurrt, wenn man ihm zu nahe kommt. Ford nimmt die Herausforderung an und versucht die Bestie zu bändigen. Sein Erfolg ist mäßig, aber immerhin schafft er es – nachdem er mindestens einmal geknappt wurde –, den direkten Widerstand Mightys zu zerschlagen. Jetzt kann er ihn knappe zwei Sekunden streicheln, bevor der Kläffer böse wird. Chester, der ab und an von Mighty von hinten dumm angemacht wird, lässt das alles völlig kalt. Er zuckt noch nicht einmal, sondern konzentriert sich auf seine Stöcke. Mighty versucht kurz Chester die fliegenden Stöcke streitig zu machen, scheitert jedoch an Chesters Geschwindigkeit und der Größe der Hölzer.
Javier kommt aus Venezuela und ist ein Anhänger Hugo Chavez’, da dieser sich für die Armen im Lande einsetzt, eine anständige Bildungs- und Sozialreform vorgenommen hat und zudem das Gesundheitssystem verbessern konnte.
Nachdem ich bei schönem Sonnenuntergang einen durchs seichte Wasser watenden Kanadareiher fotografiert habe, machen wir uns auf den Rückweg.
Überraschenderweise kreuzen Justine und Casey, die beiden ominösen Gestalten vom Vorabend, die das Bordello unseres Wissens nach letzte Nacht verlassen hatten, wieder auf. Ford, der sich trotz der Anwesenheit Caseys bereits gestern Chancen bei der Malerin und Autorin ausgerechnet hatte, befindet sich deswegen rein emotional betrachtet irgendwo zwischen Freude und Wut. Er freut sich über das Wiedersehen, ist aber enttäuscht darüber, dass sie seine gestrige Einladung, bei Rain in der Wohnung unterzukommen und nicht mehr nach Hause fahren zu müssen, ausgeschlagen, später aber offensichtlich von George dieselbe Einladung angenommen haben. Die negativen Gefühle verdünnisieren sich bei Ford aber immer erstaunlich schnell und sein Optimismus, die heutige Nacht mit Justine zu verbringen, steigt. Manchmal kann ich seiner Logik nicht wirklich folgen. Als ich aber mitbekomme, dass das Pärchen bei der Swingerparty mitgemacht hat, kann ich verstehen, weshalb Fords Hoffnungen genährt sind. Casey hat sich überdies seinen gefälscht aussehenden Bart rasiert. Oder hat er ihn etwa einfach abgenommen? Ich frage nicht nach …
Wir unterhalten uns gerade, als Crystal aus Rains Zimmer kommt und ins Klo geht. Ford und ich reagieren schon gar nicht mehr, Justine stößt jedoch auf einmal einen kurzen Schrei der Entzückung aus und fragt: »Are you peeing? With open door?«
Später stoßen noch Grace, Theo und Dana zu unserer illustren Runde hinzu. Es ist keine große Kunst zu erkennen, dass Theo auf wesentlich abgedrehteren Drogen als nur Gras ist. Er hat ein äußerst debiles Lächeln auf den Lippen und bekommt von seiner Umwelt, so scheint es mir, nicht mehr wirklich viel mit. Bei Grace sieht es nicht wesentlich besser aus. Sie kann aber immerhin noch kommunizieren. Auch wenn das, was sie erzählt, rein intellektuell betrachtet dann doch eher dem Gesichtsausdruck ihres Freundes entspricht. Ein seltsames Paar auf noch seltsameren Drogen …
Grace erzählt mir, dass sich am 21. Dezember, dem anstehenden Tag der Apokalypse, alles ändern wird. Ich bleibe diesem Thema gegenüber eher skeptisch, werde mich aber laut Grace noch wundern. Ich frage sie daraufhin, was passiert, wenn sich rein gar nichts nach dem 21. ändert: »Everything will change. You just have to let it happen to you.«
Okay, das ist ja schon fast philosophisch. Das lasse ich einfach mal so durchgehen.
»And the aliens will show up, of course!«, haut sie dann aber noch hinterher. Tja, und so schnell kann man vom kleinen Philosophen wieder zum großen Stoner degradiert werden.
Dana hatte ich bereits an meinem ersten Abend im Bordello kennengelernt. Die Frau mit dem Undercut hat viel Ahnung von Kunst und ist eine wirklich angenehme Gesprächspartnerin. Heute wirkt sie allerdings weit weniger entspannt. Ich vermute auch, dass sie mehr als nur Alk und Gras konsumiert hat. Sie erzählt mir sehr schüchtern, fast schon verängstigt und mit leiser Stimme ihre Geschichte: Sie war einige Wochen obdachlos, bevor sie im Bordello gelandet ist. Da sie nach wie vor mittellos war, hat George wohl Sex als Mietersatz akzeptiert. Auf den Swingerpartys mischt Dana auch mit. Wie gerne sie das macht, kann ich nicht herausfinden. Auf der einen Seite glaube ich, dass ihr Sex rein emotional nicht so viel bedeutet, sie ihn aber gerne praktiziert, auf der anderen Seite denke ich, dass sie sich sicherlich nicht von alten Männern und Frauen begrapschen und ficken lassen möchte. Und was sagt all das über George aus? Macht es ihn zu einem schlechten Menschen? Ich habe bisher eigentlich nur Positives von ihm gehört und auch Dana scheint ihn nicht zu verachten. Der Deal scheint auf gegenseitigem Einverständnis zu beruhen. Trotzdem fühlt es sich irgendwie zwiespältig an.
Ich verstehe nicht weshalb, aber Dana möchte mir Fotos von der gestrigen Party zeigen. Also packt sie ihr Smartphone aus und zeigt mir recht dunkle Fotos mit grellrotem Licht aus dem Keller des Hauses. Die Fotos, die ich zu sehen bekomme, sind nicht anstößig. Sobald ein Foto an die Reihe kommt, das nichts für Außenstehende ist, zieht sie das Handy auf die Seite und klickt so lange weiter, bis die Bilder auch wieder für mich geeignet sind. Seltsame fünf Minuten …
Laut eigener Aussage hat Dana keinerlei Freunde – zumindest nicht hier in der Gegend. Justine, die während des Gesprächs hinter uns steht, meint, ich solle mich wie ein großer Bruder ihrer annehmen. Dana benötige Hilfe. Auch Casey mischt sich plötzlich ein und sagt, dass er ein gutes Gefühl habe, was mich als Menschen angeht und ich doch hier und bei Dana bleiben solle.
»I’m heading North in just a few hours. I’m leaving the Bay Area«, teile ich den dreien mit. Mir fällt spontan auch nicht ein, wie ich Dana helfen könnte. Ich würde wirklich liebend gerne helfen – aber wie? Mein Plan ist es, nachdem ich in Portland und Seattle war, wieder zurück in die Bay Area zu kommen. Vielleicht verbringe ich Weihnachten hier. Versprechen kann ich aber auch das nicht. Schließlich hänge ich jetzt schon seit Tagen in Oakland herum, obwohl ich schon seit einer Woche im Norden sein wollte. Trotzdem, und auch weil ich Dana mag und sie mir wirklich leidtut, tauschen wir Nummern aus. Wenn ich zurückkomme, verspreche ich ihr, treffen wir uns und überlegen uns etwas. Als ersten Rat empfehle ich ihr, das Bordello schnellstens zu verlassen. Das scheint ganz offensichtlich nicht der geeignete Ort für sie zu sein. Ich glaube, dass sie gerade einmal 22 ist.
Dana und ich quatschen noch den restlichen Abend weiter und irgendwann fühle ich mich auch tatsächlich ein bisschen wie der große Bruder. Puh, was wird einem hier der Abschied schwer gemacht.
Vom Filmabend bekomme ich nichts mit. Von Ford übrigens auch nicht. Wo ist der denn? Seltsame Klänge tönen aus dem Saloon nach oben. Ich schlage Dana vor, mal nachzusehen, was da los ist. Außerdem muss ich Ford auch finden, um mich langsam von ihm zu verabschieden. Es ist schon spät und ich muss mir noch erklären lassen, wie ich zum Treffpunkt mit meiner Mitfahrgelegenheit komme.
Hollywoods Lichter hängen noch unter der Decke. Der Zutritt zum Saloon ist nach Feierabend aber wieder gestattet. Trotzdem war ich seit meinem ersten Abend in Oakland nicht mehr hier drin. Meine Vermutung, dass Ford etwas mit den Klängen zu tun hat, bewahrheitet sich – natürlich. Das Bild, das sich Dana und mir bietet, ist schwer amüsant. Althippie George sitzt am Klavier, während sich Ford und eine gewisse Alison – keine Ahnung, wo die auf einmal herkommt – einen Gesangsbattle liefern. Es wirkt jedenfalls weniger wie ein Duett, sondern vielmehr wie ein äußerst wilder Schlagabtausch. Definitiv wird dabei improvisiert.
Es tut mir sehr leid, dass die Bildqualität so mies ist.
Dies ist dem Alkohol und dem dämmrigen Saloonlicht geschuldet.
Wir schauen uns das Spektakel einige Minuten lang an. George hat dann aber genug und so wie es aussieht, schafft er es binnen weniger Minuten, Alison davon zu überzeugen, heute Nacht besser mal sein Bettchen mitzuwärmen. Die zwei torkeln Arm in Arm von dannen. Wie macht der alte Mann das?
Ich gehe zurück in Rains Wohnung, hole meinen Rucksack ab und verabschiede mich von allen. Ford ist indessen betrunken und will mich offensichtlich nicht gehen lassen. Er übernimmt Georges Part und klimpert auf den Pianotasten herum. Ich erkläre ihm, dass ich keine Ahnung habe, wie ich zur Fruitvale BART Station komme und er es mir erklären muss.
»No! No! Dennis, you can’t go!«, singt er und quält das kleine, alte Klavier. Das könnte übrigens wie die Theke im Saloon noch original von 1870 sein. Darum geht es jetzt aber nicht: Ich muss weg!
»Ford, please.«
»He wants to leave! Leave us alone! Alooone!«
»Ford!«
»Okay, okay.«
Er beschreibt mir den Weg: Ich muss lediglich einen Block weiter zum International Boulevard, rechts abbiegen und dann immer der Nase nach, bis ich an der BART Station ankomme. Hm, das ist simpel. Später erkenne ich, dass es in Wirklichkeit sogar noch simpler ist: Die Station ist in unserer Straße und ich hätte nur geradeaus laufen müssen.
Ford positioniert seine Finger wieder auf den Tasten und improvisiert einen Abschiedssong. Ich – mittlerweile mit meinem Rucksack auf dem Rücken – lasse ihn wissen, dass ich ihn verabschieden und drücken möchte. Doch Ford schüttelt nur den Kopf. Hä?
»Ford, I’m leaving now.«
Er singt weiter seinen lauten Abschiedssong. Da will wohl einer eine besondere Show, denke ich mir und laufe rückwärts und langsamen Schrittes zur Tür. Ford spielt und singt weiter. Ich verlasse den Saloon und öffne die Haustür. Ford singt weiter. Ich schließe die Haustür von innen, um zu sehen, ob es dann eine Veränderung der Situation im Saloon gibt. Nein: Ford klimpert und singt. Dieser Freak. Ich betrete wieder den Saloon und lasse Ford wissen, dass ich mich gerne mit einer Umarmung verabschieden würde. Nun hört er endlich auf. Er kommt auf mich zu, packt mich an den Schultern und sagt: »It doesn’t make sense to say good bye, because you’re going to come back. Yes, we will meet again. That’s for sure. I know it. We have a bromance!«
Ich überlege kurz und sage: »Okay. – Okay.«
Dann drücke ich ihn aber doch noch mal an mich und bedanke mich für alles: für eine grandiose Zeit mit einem genialen Kerl. Was haben wir nicht alles erlebt und gemacht in den letzten Wochen. It’s a true bromance! Diesen Freak auf der Straße getroffen zu haben, war mein größtes Glück – bis jetzt. Denn die Reise geht weiter! Ab in den Pazifischen Nordwesten!
… falls mein ride Sean auf mich wartet. Ich müsste eigentlich bereits jetzt am Treffpunkt eintrudeln, habe aber noch zweieinhalb Kilometer Fußmarsch vor mir. Direkt nach dem Verlassen des Bordello schreibe ich Sean, dass ich mich böse verspäten werde. Er antwortet, dass er auf mich warten wird, ich mich aber beeilen soll. Gut. Außerdem fragt er, ob ich denn mittlerweile wüsste, ob ich für 60 Dollar in das von Ryan so angepriesene Portland oder für 75 Dollar nach Seattle, der neuen Heimat meines alten Schulfreundes Leo, mitgenommen werden möchte. Nein. Wohin es heute Nacht genau geht, will ich spontan entscheiden. Portland oder Seattle, Oregon oder Washington: Ich komme!
Ich erreiche die BART Station eine halbe Stunde später als verabredet. Der langhaarige Sean, ein großer Hund und ein Mädel mit Dreadlocks warten vor einem weißen Van auf mich. Sean wirkt ganz nett und Hippie Jen schwebt in Sphären, in die ich wohl nie vordringen werde. Es geht sofort los.
»Arrived. We pick up more people«, schreibe ich Ford. »Join the Army! CYA!«
Nachdem wir in San Francisco dem seltsamen Typen im Bus begegnet sind, wurde der letzte Teil der SMS zu einem weiteren Running Gag zwischen Ford und mir. Ich versende die SMS und bemerke zu spät, dass ich sie nicht Ford, sondern Sean zuschicke. Ups. Sean greift nach seinem Handy, liest die Nachricht und reagiert irritiert: »I just got a really strange text message …«
»Uhm, well. Yes. That was me. Wrong number.«
Oje, jetzt denkt mein Fahrer, dass hinter ihm ein langhaariger Militarist sitzt, der seinem Kumpel die Empfehlung ausspricht, Soldat zu werden und sich dann selten dämlich und uncool mit: »CYA!«, verabschiedet. Naja, ich will sowieso eher schlafen als quatschen.
Wir holen noch zwei weitere Mädels und einen Typen ab. Ashley kommt aus Olympia, Washington, und Martina aus Norwegen. Die beiden sind, vermute ich, ein Paar und wollen nach Seattle. Bevor wir aber dorthin aufbrechen können, müssen wir, nachdem wir Oakland bereits verlassen haben, noch einmal zurückkehren: Martina hat ihren Reisepass vergessen.
Der männliche Kollege stellt sich mit: »Gleb«, vor. Gleb dürfte ein ziemlich untypischer Name in Amerika sein und trotzdem höre ich ihn jetzt schon zum zweiten Mal. Gleb … Das ist doch nicht etwa …?
»Did you write me an email, telling me that you want to go to the Redwood National Park and after that to Portland?«
»Shit …«
Die Welt ist klein und Gleb stellt sich wider Erwarten nicht als kompletter Hohlroller, sondern als ganz sympathisch heraus. Seans Hund heiĂźt Bogey und wurde natĂĽrlich nach Humphrey Bogart benannt. Der Van ist randvoll und der groĂźe, schwere Bogey muss sich zwischen Gleb und mich quetschen.
»Ich seh’ dir in die Augen, Kleiner«, bellt der süße Hund mir entgegen und legt seinen Kopf auf meinen Oberschenkel. Ich komme mir nicht nur von Bogey nonstop beobachtet vor, nein, er haart auch ordentlich. Ein Glück habe ich keine Hundehaarallergie.
Es ist bereits nach Mitternacht, bis wir endlich endgültig gen Norden aufbrechen. Als wir eine knappe halbe Stunde unterwegs sind, werde ich müde und schlafe langsam ein. Unserem Fahrer Sean geht es genauso und so tut er es mir gleich. Süße Träume …