Tag 26: Hipstertown

Serendipity – Teil 1

Brian

Mittwoch, 5. Dezember 2012
Portland

Seite 1Seite 2Seite 3

Da die Nacht recht lange war, beginnt der Tag dementsprechend erst gegen Mittag. Ich schlafe auf dem Ledersofa in der Wohnküche. Dass ich mein Zeug rings um das Sofa verteile, fällt im immensen Chaos der Wohnung nicht weiter auf. Ich lerne ganz kurz Brians Mitbewohner Izaiah kennen. Der Mann mit den Dreadlocks ist ebenfalls Buddhist. Seine für einen Amerikaner eher untypische Vorliebe für Fußball erkläre ich mir damit, dass sein Vater aus Afrika stammt. Izaiahs Mimik und seine Art zu reden erinnern mich an meinen Kumpel Anton. Das macht ihn mir schon mal sympathisch.
Im Internet finde ich heraus, dass die Couchsurfing-Party, von der Logan uns gestern erzählte, erst heute steigt. So schnell hat man ein potenzielles Abendprogramm. Ich suche außerdem nach Punk- und Hardcore-Konzerten, kann aber nichts wirklich Interessantes finden.
Als Brian aus seinem Schlafzimmer schlurft, begleite ich ihn zur Morgenzigarette auf den Balkon. Der Außenbereich der Wohnung ist nicht weniger unaufgeräumt wie der beheizte Bereich. Der Ausblick des von der Straße abgewandten Balkons geht in die Gärten der Nachbarschaft. Ich wundere mich über ein seltsames Geräusch, das vom nächstgelegenen Baum zu kommen scheint. Ich erblicke ein Eichhörnchen, das gerade eine Nuss frühstückt. Macht der kleine Nager etwa dieses Geräusch? Auf einmal sehe ich noch ein Eichhörnchen, ebenfalls mit einer Nuss. Und da sitzt noch ein Drittes, auch am Essen. Tatsächlich: Ich höre Eichhörnchen ihre Nüsse knacken. Portland ist eine wirklich nahe an der Natur gebliebene Stadt. Ich lasse Brian wissen, dass ich das ziemlich spektakulär finde, woraufhin er mir erzählt, dass er es einmal geschafft hat, ein Eichhörnchen zu verärgern, weil er die Nüsse vom Balkon gefegt hat. Das Nagetier bewegte daraufhin seinen Schwanz schlangenartig hin und her und bellte ihn an. Brian macht mir den Sound vor, während sich sein Arm wie eine Schlange bewegt: »I’ve never seen a squirrel bark, but … they bark«, grinst er.
Nein, bellende Eichhörnchen habe ich auch noch nicht erlebt.

2012 12 05 13.02.07 Ausschnitt 2

Ich kann mich gut mit meinem neuen Gastgeber unterhalten. Brian ist zudem sehr offen. Ich interessiere mich für seine Geschichte, also weiht er mich ein wenig in sein Leben ein: Brian stammt aus Kalifornien und ist 38 Jahre alt. Sein Vater ist vor weniger als einem Jahr gestorben, was ihn etwas aus der Bahn geworfen hat. Zu seiner Mutter, die von seinem Vater geschieden ist, hat er kaum Kontakt. Wenn es einmal zur Kontaktaufnahme kommt, ist das Verhältnis abgekühlt. Sie mag ihn nicht sonderlich, sagt er. Eine Arbeit hat er derzeit nicht. Gelernt hat er irgendetwas mit Medien. Für einige Zeit war er Regisseur einer Fernsehsendung. Jetzt weiß er nicht so recht, wohin mit sich und überlegt, einfach die nächsten zehn Jahre durch Europa zu backpacken. Seinen beeindruckenden Vollbart hat er sich – nebenbei erwähnt – erst kürzlich gestutzt. Er reichte wohl mal bis kurz vor den Bauchnabel. Wow!
Die Eichhörnchen knacken weiter fleißig Nüsse und die Zigarette wird zu den tausend anderen in den vom Regenwasser überfluteten Riesenaschenbecher, einem Blumenkübel, gedrückt. Brian zieht sich ein stylishes Basecap mit Ohr- und Nackenwärmer auf. »American Breeders Service« steht auf der Kappe und ich bin froh, oftmals jeden Scheiß für diesen Text zu recherchieren, denn der ABS, für den Brian Werbung läuft, verkauft gefrorenes Rindersperma. Ich habe keine Ahnung, ob Brian darüber Bescheid weiß.
Brians Tag wird mit einer Massage beginnen. Eine Freundin führt eine Massagepraxis und bietet Brian Massagen zu reduzierten Preisen an. Das ist nett.

2012 12 05 13.32.51
Brian

Es geht mit dem Auto in die SE Division Street. Da Brian noch etwas Zeit bis zu seinem Termin hat und wir beide hungrig sind, parken wir den Wagen auf einem kleinen Parkplatz neben einem Coffeeshop, dem Stumptown Coffee Roasters (4525 SE Division Street). Hier werden seit 1999 die meisten Kaffees selbst geröstet. Die Räumlichkeiten des Ladens sehen so aus, als wären sie vor Einzug des Cafés als Garage genutzt worden. Im zweiten schlauchförmigen Raum des hippen Coffeeshops lässt sich sogar die komplette Fensterfront wie ein Garagentor öffnen.
Als wir den Coffeeshop gerade verlassen, mache ich Brian darauf aufmerksam, dass ich meinen Kaffee noch gar nicht bezahlt habe.
»I paid«, antwortet er wie selbstverständlich.
Quasi direkt nebenan (4537 SE Division Street) betreten wir einen sehr schönen kleinen Delikatessenladen. Gibt einem der Hazel Room das Gefühl in Wien zu sein, vermag es der kleine Woodsman Market, einen in ein romantisches Dorf in Frankreich zu versetzen – sofern man auf Käse- und Schinkenromantik steht. In der Tante-Emma-Metzgerei bestellt sich Brian ein frisch für ihn zubereitetes selbst gebackenes Schinkenbaguette. Ich freue mich mehr über die Einrichtung. Einmachgläser stehen eng beieinander auf einem überfüllten Regal aus dunklem Holz. Die Wände sind mit Kacheln bestückt, die aus dem vorletzten Jahrhundert entsprungen zu sein scheinen – obwohl sie schlicht weiß sind. Die Salami in der Auslage ist schick in weißes Papier gewickelt und mit einer braunen Banderole verschlossen. Die frisch gebackenen Baguettes strecken ihre Enden wie ein Blumenstrauß aus einem umfunktionierten großen, beigen Keramiktopf. Ausgewählte Schokolade in bunten, klassisch aussehenden Verpackungen liegt auf dem Tresen und auf den schwarzen Täfelchen, die an der Wand hängen, wurde das Tagesangebot mit weißer Kreide notiert. Durch eine Durchreiche hinter dem Tresen kann man in die Küche gucken, in der ein Kerl mit hippem Schnauzbart das Essen zubereitet. Nicht zum ersten Mal bin ich in einem Geschäft in Portland, in dem »local« groß geschrieben wird und das einmal mehr ziemlich trendy ist.
Da ich nichts im Woodsman Market esse, will Brian mich in ein Stück Portlander Kultur einweihen: die Food Courts. Zwei Blocks weiter, an der Ecke Division und 48th, befindet sich ein solcher. Ein Food Court ist ein Zusammenschluss von Imbissbuden, die in umgebauten Wohnwagen, Anhängern oder Bussen operieren. An dieser Ecke hat man die Auswahl zwischen Pizza im einen, asiatisch im anderen, mexikanisch im dritten und noch irgendetwas im vierten Trailer. Gartenmöbel, teils aus Plastik, teils aus Holz und in einer Runde sogar aus Stein, bieten den Gästen Sitzmöglichkeiten. Der D48 International Food Court wirbt sogar mit Kabel-TV und Wi-Fi. Das Ganze ist ziemlich gipsy und rudimentär. Irgendwie läuft das entgegen des Trends des sonst so hip wirkenden Portlands. Gleichzeitig aber wiederum nicht, denn es ist einfach schon wieder verdammt cool.

Weiter geht’s auf Seite 2

Brian muss zur Massage und ich habe – keine Ahnung warum – noch immer nichts gegessen. Ich lasse Brian wissen, dass auf meiner To-do-Liste für heute auch der Kauf eines amerikanischen Mobiltelefons steht. Zudem haben wir beschlossen, auf das Treffen der Couchsurfer zu gehen. Da ich davon ausgehe, dass ich länger durch Downtown spazieren werde, verabreden wir uns für später direkt in der Bar, in der die Party steigen soll. Ich bringe Brian noch zu seiner Masseurin, die in ihrem Privathaus massiert, und schlendere dann in Richtung Innenstadt.
Die Division Street ist nicht die spektakulärste Straße. Allerdings finde ich ein Restaurant, das für mich als Veganer wiederum sehr interessant ist und wo ich zu Mittag frühstücke – oder so. Bei Papa G’s Vegan Deli (2314 SE Division Street) esse ich einen Cheeze Burrito, der gut ist, aber entgegen seines Namens ohne veganen Käse daherzukommen scheint. Das gemütlichste Restaurant ist Papa G’s zudem auch nicht. Dafür ist die Bedienung sehr freundlich und alles, was man in diesem ebenerdigen, roten Holzhäuschen serviert bekommt, wurde biologisch angebaut: »fresh, local, organic, sustainable.«
Hinter dem Ford Building macht die Straße einen Knick nach rechts. Es offenbart sich das Brückenlabyrinth Portlands, das sich über und neben den Willamette River zieht. Wie schon in San Francisco, sind auch hier viele Brücken doppelstöckig. Für mich als Fußgänger ist es etwas verwirrender, einen Fußweg über den Fluss zu finden. Nach kurzem Hin und Her finde ich aber schließlich meinen Weg über die Hawthorne Bridge, auf der Schilder mit Telefonnummern stehen, die Selbstmördern den Anruf bei einem Seelsorger nahelegen.

2012 12 05 16.13.38

Ich laufe gerade über die hübsche grüne Hubbrücke, als mir auf einmal ein Radfahrer entgegenkommt, der mir bekannt vorkommt. Ich stoppe und überlege, als plötzlich ein zweiter Biker auf mich zugeradelt kommt. Das Gesicht kann ich sofort zuordnen: Es ist Gleb! Der Kollege, mit dem ich auf der Interstate 5 fast in eine Mauer gekracht wäre. Er hält an und freut sich, mich wiederzusehen. Sein Kumpel aus dem Reed College, der erste Radfahrer, kommt ebenfalls zurück. Ich bin doch recht verblüfft über das unverhoffte Wiedersehen in der 590.000 Einwohner zählenden Stadt.
»That’s Portland. You always run into people you know«, erklären mir die beiden. Gleb will wissen, ob ich eine Couch gefunden habe. Ich erzähle den beiden die Geschichte von Brian und mir. Gleb findet es cool, sein Kumpel wohl eher gruselig. Der Student findet mich, so scheint’s mir, generell nicht so richtig geil. Ich lade die zwei zum Treffen der Couchsurfer heute Abend ein. Glebs Freund sehe ich das: »Nein«, bereits an, wohingegen Gleb mehr oder weniger direkt zusagt. Na, da bin ich ja mal gespannt. Vor allen Dingen, weil ich die genaue Adresse nicht weiß und ich mir auch mit dem Namen der Bar nicht mehr so sicher bin. Die Jungs schwingen sich wieder auf ihre Drahtesel und ich spaziere über den breiten Fluss in die Downtown. Auf der anderen Seite des Flusses »weiden« riesige Vögel am grünen Ufer. Sind das Gänse? Und wieso sind die so riesig?
Die Sonne geht bereits hinter den grünen Hügeln der Downtown unter, als ich sie schließlich erreiche. Obwohl es viele Hochhäuser gibt, wirkt Portlands Innenstadt gemütlich und klein. Die Straßenzüge sind relativ eng; kaum eine Straße ist breiter als zwei Spuren. Es gibt viel Grün und viele Bäume. Außerdem leisten die vielen weihnachtlichen Lichter ebenfalls ihren Beitrag, eine gewisse Entspanntheit in die Straßen zu tragen. Auf dem Chapman Square steht eine hübsche bronzene Statue einer Pionierfamilie, die mit einem Zitat von Thomas Jefferson an die multikulturelle Herkunft der amerikanischen Bevölkerung erinnern soll und für Toleranz, frei von Rassismus und Brüderlichkeit wirbt:

It is so long since our forefathers came from beyond the great water, that we have lost the memory of it, and seem to have grown out this land, as you have done. We are all now of one family, born in the same land, and bound to live as brothers. The Great Spirit has given you strength, and has given us strength, not that we might hurt one another, but to do each other all the good in our power.<span class="su-quote-cite">Thomas Jefferson</span>

Chapman Square

Ich kreuze die Southwest 5th Avenue – ja, auf dieser Seite des Flusses ist alles »SW« – und sehe das Portland Building, auf dem eine kupferne Statue mächtig thront. Es handelt sich bei der zehneinhalb Meter hohen Dame mit dem Dreizack in der linken Hand, der grüßenden rechten Hand und dem wehenden Haar um die Portlandia. Die Skulptur wurde 1985 errichtet und stammt von Raymond Kaskey, der für sein Werk eine prestigeträchtige Auszeichnung erhielt. Herzlichen Glückwunsch.

Portlandia

Weiter geht’s zum Broadway – ja, die Straßennamen wiederholen sich in jeder Stadt. Ich laufe in Richtung Norden zur West Burnside Street, jener Straße, die die Nord-Süd-Grenze der Stadt bildet. An der Ecke zur NW 10th Avenue stoße ich auf Powell’s Books. Dieser Buchladen wurde mir von Anesa und Ben empfohlen. Auch Brian meinte, dass ich diesen Shop auf keinen Fall missen darf. Von außen wirkt der bookstore nicht sonderlich spektakulär. Wie bei einem alten Kino sind schwarze Lettern auf dünnen Schienen vor einem weißgelben Licht platziert. Eine Lesung von Calvin Trillin wird angekündigt. Über den Ankündigungen kann man in Kapitallettern »Used & New Books« lesen. Die oberste Zeile ist für den Namen des Ladens reserviert.
Die Leitung der Buchladenkette, die 1971 gegründet wurde und die es nur in und um Portland gibt, sagt, dass Powell’s Books der größte unabhängige Buchladen für gebrauchte und neue Bücher in der Welt ist. Was ich von außen nicht sehen kann, aber eindrucksvoll im Inneren feststelle, ist die Tatsache, dass der Laden den kompletten Block einnimmt. Auf einer Fläche von sage und schreibe 6300 m² werden hier Bücher angeboten. Das Geschäft ist in verschiedenfarbige Zonen eingeteilt. Jede Zone entspricht einem Sachgebiet. Es geht Treppen hinauf und Treppen hinab, ewig lange Buchregale ziehen sich durch die großen Räume. Es ist das reinste Labyrinth. Ich finde schließlich auch nicht mehr die Tür, durch die ich den Laden betreten habe und verlasse Powell’s Books durch einen anderen Ausgang.
Auf der gegenüberliegenden Seite des beeindruckenden Buchladens steht ein lustiges Kunstwerk, das auf drei Füßen steht. In der Mitte hängt ein Gestell, das am ehesten noch wie ein auf dem Kopf hängender Schneebesen aussieht. Darunter sitzen drei Jugendliche, die einen Stock gegen das nach einem Punchingball aussehende Ende des Schneebesens drücken. Der Schneebesen kreist daraufhin über den Köpfen der drei. Wie die Portlandia gehört dieses Kunstwerk vermutlich zu Portlands Public Art Program. In Portland stehen auf vielen freien Plätzen oder Parkanlagen größere und kleinere Skulpturen.
Ich passiere mehrere Bars und Cafés, die alle unter dem Namen McMenamins laufen. Da scheint jemand ein Monopol zu besitzen. Generell gilt es anzumerken, dass diese Stadt einige Bars zu bieten hat, was wohl daran liegen mag, dass die Stadt in Oregons Norden eine Bierstadt ist, die sogar ein fünf Blocks umspannendes Brauereiviertel hat – durch das ich übrigens gerade laufe. Das Brauereiviertel im Pearl District zieht sich von der Burnside Street bis zur zwei Blocks weiter nördlich gelegenen NW Davis Street und von der NW 10th Avenue bis zur NW 13th Avenue.
Als ich an der Ecke Burnside und NW 14th bei McMenamins Crystal Ballroom ankomme, höre ich laute Musik aus den oberen Stockwerken hallen. Es klingt stark nach Soundcheck. Auf der bunt beleuchteten Programmtafel lese ich, dass der »December 2 Remember« ausgerufen ist und in diesem Rahmen heute Abend die isländische Indie-Band Of Monsters and Men hier auftreten. Hm, und was läuft in den kommenden Tagen? An der Kasse erfahre ich mehr und bin begeistert: Morgen Abend spielen The Joy Formidable! Außerdem treten am 10. noch The Shins auf. Da werde ich Brian mal sagen, dass wir morgen Abend gemeinsam auf ein Konzert gehen müssen.

2012 12 05 17.21.49 edited Kopie

Weiter geht’s auf Seite 3

Es wird langsam spät und ich will mir endlich ein amerikanisches Handy kaufen. Das zögere ich schon viel zu lange hinaus. Mit einem deutschen Handy ist es einfach viel zu teuer in Amerika und darüber hinaus werde ich regelmäßig und höchst nervig mitten in der Nacht von einer mir unbekannten deutschen Handynummer geweckt. Als ich es einmal geschafft habe, abzuheben, waren nur seltsame Geräusche zu hören.
Im Everyday Music, einem ziemlich großen Plattenladen schräg gegenüber des Crystal Ballroom, frage ich die Verkäuferin, ob sie mir sagen kann, wo ich ein Handy kaufen kann. Sie ist so freundlich und checkt im Internet nach Händlern für mich und nennt mir die nächstgelegene Adresse.
Der Verkäufer versucht erst gar nicht, mir ein Smartphone anzudrehen. Er dürfte er bemerkt haben, dass ich nur zu Besuch in den Staaten bin. Und auch meine Ansage, dass ich gedenke, ihm das billigste Schrotthandy abzukaufen, wird seine Wirkung nicht verfehlt haben. Für 35 Dollar pro Monat plus einmalig zehn Dollar für das Handy und natürlich noch drei Dollar Steuern werde ich Neukunde bei Cricket. Nun kann ich unbegrenzt kostenlos Textnachrichten verschicken und ebenso unbegrenzt kostenfrei sämtliche amerikanischen Nummern anrufen. Das ist ein super Deal, wie ich finde. Obendrein stelle ich nach fünf Minuten fest, dass mein neues Schrottteil mehr Funktionen hat als mein deutsches Handy. Ich rufe Ford an, um ihm mitzuteilen, dass es mir blendend geht. Rain beantwortet den Anruf. Ford ist sonst wo. Sie freut sich aber mit mir und verspricht, Ford auszurichten, was es auszurichten gibt.
Nun wird es Zeit die Couchsurfing-Party aufzusuchen! Ich klingele bei Brian durch und erkundige mich noch einmal nach der Adresse. Die Bar heißt The Standard und ist auf der anderen Seite des Flusses auf der East Burnside Street, Ecke NE 22nd Avenue. Da muss ich ja nur geradeaus.
Ich will den Bus nehmen. An der Haltestelle kommt eine obdachlose Aggro-Oma vorbei, die auf das Glas der Haltestelle einprügelt und dabei lauthals unverständliche Flüche von sich gibt. Jeder hat mal einen schlechten Tag. Der Bus kommt, ich steige ein, zahle meine 2,50 Dollar und beobachte fasziniert, wie ein Radfahrer sein Vehikel auf eine Vorrichtung vorne am Bus festmacht. So etwas habe ich noch nie gesehen: Die Räder werden in Portland nicht mit in den Bus genommen, sondern draußen festgespannt. Hektik kommt weder beim Busfahrer noch bei den Passagieren auf, wenn diese Aktion mal ein wenig länger dauert. Und natürlich bedankt sich wieder jeder Fahrgast beim Verlassen des Busses beim Fahrer. Kein Witz: Das macht an der Westküste tatsächlich so ziemlich jeder. Einmal steigt ein Vater mit seinem Sohn aus. Der Vater ruft: »Thank you«, während der Sohn einfach aussteigt. Das gefällt dem Vater so überhaupt nicht. Er beordert seinen Sohn zurück und fragt ihn, ob er nicht etwas vergessen habe.
»Thank you, mister bus driver!«, ruft der Junge sofort nach vorne und darf nun mit Papa aussteigen. Öfter mal: »Danke«, sagen, finde ich mehr als gut.
Ich fahre erst mal an der Kneipe vorbei, weil ich ständig 24th anstelle von 22nd im Kopf habe. Brian sitzt bereits am Tresen, als ich eintrudele. Von anderen Couchsurfern ist noch nichts zu sehen. Brian macht mich auf das großartige und nahezu unglaubliche Angebot der Kneipe aufmerksam: Ein Pabst Blue Ribbon (PBR) kostet im Standard jeden Mittwoch nur einen einzigen Dollar! Haha! Na, das kann ja heiter werden … PBR ist ein Billigbier, das meiner Meinung nach aber zu den besten Bieren gehört, das ich bisher in den Staaten probiert habe. Diese Ansicht können jedoch die wenigsten Amis nachvollziehen, obwohl das »Arbeiterbier« in den letzten Jahren lustigerweise auch zum Modegetränk verkommen ist. Da Portland ja so hip ist, dürfte es kein großes Problem sein, auch in anderen Bars an PBR zu kommen.
Hinter uns setzt sich eine kleine Gruppe junger Leute an einen Tisch. Ich frage sie, ob sie die Couchsurfer sind. Bingo. Im Laufe des Abends kommen mehr und mehr Surfer. Insgesamt dürften es gut und gerne 25 sein. Gleb taucht tatsächlich auch noch auf und bietet mir an, am Samstag mit ans Meer zu kommen und ein paar psychedelische Pilze zu fressen. Danach will er nach Olympia, Washington, fahren. Er ist voller Tatendrang und gibt mir dafür die Schuld. Die Geschichten, die ich ihm von meiner bisherigen Reise erzählt habe, haben ihn hungrig gemacht und er will nun Abenteuer erleben.
Ich lerne zwei Mädels kennen: Cari und Melissa. Die beiden sind erst vor einer Woche nach Portland gezogen und suchen noch eine Wohnung. Sie kommen aus Arizona. Die beiden sind mir von Anfang an schwer sympathisch und wir hängen die meiste Zeit des Abends zusammen herum. Auch Brendan, ein Kerl mit langen braunen Haaren und Iriden, die so groß sind, dass man das Weiß in den Augen kaum sieht, scheint cool zu sein.
Gleb will plötzlich ein seltsames Lotto spielen. Man kreuzt auf einem Zettel eine bestimmte Anzahl an Zahlen an und hofft darauf, dass sie vom Computer gezogen werden. Die Ergebnisse werden auf einem Fernseher in der Kneipe präsentiert. Der Spaß kostet kaum etwas und Gleb behauptet, schon so manchen Dollar mit diesem Kneipenlotto gewonnen zu haben. Ich kann mich nicht so recht entscheiden, welche Zahlen ich ankreuzen soll und bekomme Unterstützung von Cari. Im Falle des Millionengewinns beschließen wir zu teilen und zu heiraten. Sie will die Kohle, ich die Greencard. Erstaunlicherweise gewinnen wir nichts. Verdammt.
Der Abend ist lustig, was zu einem sehr großen Anteil an Cari liegt, die voll meinen Humor trifft. Wir spielen noch eine Art Hufeisenwurfspiel, nur mit Bällen. Ich verliere. Brian ist mittlerweile verschwunden. Er wollte noch in einen Club in Downtown und erwartet mich danach im 24 Stunden geöffneten Southeast Grind Coffee Shop. Gleb bietet mir an, mich mit dem Fahrrad dorthin zu bringen. Da er ja unbedingt Abenteuer erleben will, willige ich mit meinen geschätzten 1,7 Promille ein, mich auf seinem Gepäckträger durch die Stadt kutschieren zu lassen. Gleb ist nicht wesentlich fitter und will mich davon überzeugen, dass es ein großartiges Erlebnis wäre, über die Eisenbahnschienen dorthin zu fahren. Ich bin dann doch noch sauber genug, um diese Idee als totalen Schwachsinn zu identifizieren. Selbst wenn uns kein Zug erfassen und in einen absolut unsinnigen Tod reißen sollte: Wie zum Geier will er mit einem Fahrrad, auf dem zwei ausgewachsene Jungs sitzen über Schienen fahren? Es gelingt mir, ihn davon zu überzeugen, nicht jeden Quatsch zum Abenteuer zu machen. Es ist so schon lustig genug. Irgendwann hat Gleb dann aber keine Lust mehr und will nach Hause. Wir sehen uns bestimmt in den nächsten Tagen wieder. So ist das doch in Portland. Er düst also davon und ich laufe die restlichen Blocks. Ich werde übrigens nie wieder etwas von Gleb hören.
Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, wo ich abbiegen muss und frage zwei Jungs nach dem Weg. Charles ist Ire und sein Kumpel William ein Navajo. Da ich zwar nach dem Weg gefragt habe, ihnen bei ihren Erklärungen aber ständig widerspreche, bin ich anscheinend lustig genug, um die beiden davon zu überzeugen, sich mit mir gemeinsam auf die Suche nach dem Coffeeshop zu machen. Wenig später finden wir ihn und es stellt sich heraus, dass mein beharrlicher Widerspruch vollkommen berechtigt war. Die zwei Einheimischen hätten mich in die komplett falsche Richtung geschickt. Brian sitzt tatsächlich im Coffeeshop und das auch schon länger, denn der Club war nicht so dolle. Zu viert trinken wir noch einen Kaffee. Die beiden neuen Bekanntschaften sind cool. Also werden Nummern ausgetauscht, bevor sich unsere Wege dann doch für immer trennen.
Ein langer, aber guter Tag mit viel Laufen und Entdecken sowie einer guten Party mit neuen Gesichtern geht zu Ende … Und Cari hat mir ihre Telefonnummer gegeben.

Quellen
Informationen über die Portlandia und Powell’s Books: Wikipedia

Tag 25   Inhaltsverzeichnis   Tag 27

0 0 votes
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest

0 Comments
Inline Feedbacks
Lies alle Kommentare
0
Would love your thoughts, please comment.x