Tag 30: Eine Runde Giant Jenga im Triple Nickel

Serendipity – Teil 1

Joshua

Sonntag, 9. Dezember 2012
Portland

WĂ€hrend er sich sein FrĂŒhstĂŒck zubereitet, textet mich Izaiah, Brians Mitbewohner, mit Fußball zu. Er selbst spielt voller Begeisterung Fußball und glaubt, dass soccer sich ĂŒber kurz oder lang in Amerika durchsetzen wird. An der West Coast ist Fußball ohnehin schon recht populĂ€r. Als dieses Thema abgehakt ist, folgt der Buddhismus. Er zeigt mir eine Trompete, die im Original aus dem menschlichen Oberschenkelknochen gefertigt wird. NatĂŒrlich ist das verboten. Trotzdem besaß er selbst auch einmal eine aus Menschenknochen. Diese wurde ihm jedoch geklaut, was er aber aufgrund der Tatsache, dass die Pfeife nun mal aus Menschenknochen besteht, nicht zur Anzeige bringen konnte: »This guy must have real bad karma now!«
Mit der Trompete werden Geister beschworen. Deswegen will er mir auch keine Klangprobe prĂ€sentieren, weil ich â€“ wie er meint â€“ jetzt sicherlich keine Geister hier haben möchte. Es klingt vielleicht so, als wĂ€re Izaiah ein wenig abgedreht â€“ was wohl in Bezug auf das eine oder andere auch stimmen mag. Fakt ist aber, dass er ein sehr liebenswerter Mensch ist, der allerdings entweder ein eher unkonzentrierter Zeitgenosse ist oder einfach schlechte Ohren hat. Jedes Mal, wenn ich etwas sage, hört er auf sein Essen zuzubereiten, schaut auf und bittet: »Say it again.«
So viel kann und muss ich allerdings gar nicht reden, da Izaiah umso mehr preisgibt: Er hat Stress auf der Arbeit, weil seine Chefin ihn nicht mag, obwohl er der fleißigste Mitarbeiter ist. Er vermutet, dass sie Rassistin ist. Falls sie ihn heute wieder dumm von der Seite anmacht, folgen Konsequenzen, droht er. Dann will er ihr mal die Meinung geigen und am Ende vielleicht sogar kĂŒndigen. Er befĂŒrchtet jedoch, dass er zu emotional und persönlich werden könnte. Schon beim Gedanken, ihr heute zu begegnen, könnte er ausrasten. Deswegen ĂŒberlegt er, ob er sich nicht besser mal krankmelden und in die Sporthalle zum Fußballspielen gehen sollte. Außerdem findet spĂ€ter noch ein Treffen seiner Buddhisten statt. Irgendein wichtiger Guru ist in Portland, den er auf keinen Fall verpassen möchte. In Brians und Izaiahs Wohnzimmer steht ĂŒbrigens ein BĂŒcherregal, in dem ausschließlich buddhistische Schriften, ein Foto des Dalai Lama und ein weiteres gerahmtes Bild eines Buddhisten, den ich nicht kenne, zu finden sind. Der unbekannte Buddhist ist ein Mensch, den Izaiah sehr verehrt. Er war sein Lehrer. WĂ€hrend er mir ein wenig von ihm erzĂ€hlt, sieht er sich, mit einem fast schon verliebten Blick, das Foto des Mannes mit der orangefarbenen Soutane an.
Unerwartet ruft mich Ford an. Und noch viel weniger hĂ€tte ich erwartet, was er mir zu berichten hat: Er ist tatsĂ€chlich aus seinem geliebten Hostel ausgezogen. Gut, da gab es die Probleme mit dem Mitbewohner, der ihm ins Zimmer gezwungen wurde. Vielleicht konnte er auch die Miete nicht auftreiben. Sein neues Zuhause ist ein Ort, den ich kenne: das Bordello. Als ich noch in Oakland war, hat er bereits mit dem Gedanken gespielt, hierherzuziehen. Dass es aber so schnell geht, hĂ€tte ich nicht erwartet. Rains direkter Nachbar zog wĂ€hrend unseres Besuchs aus dem Bordello aus. Ford hatte sofort die Möglichkeit ergriffen, sich mit mir dessen Wohnung anzusehen. Das Apartment war Ă€ußerst cool, komplett anders geschnitten als Rains Bleibe. Gleichwohl konnte sich Ford die Miete nicht leisten. Ich frage also nach, wo genau er nun im Bordello wohnt. Bei Rain, antwortet er. Damit ist er wohl in das Zimmer unterm Dach gezogen, in dem wir schon zusammen ĂŒbernachtet hatten. Das Zimmer, in dem man nicht aufrecht stehen und wegen der engen Holztreppe nichts GrĂ¶ĂŸeres hinaufschleppen kann. Der Raum, der außerdem keine TĂŒr, sondern nur ein Loch im Boden und anstelle von Fenstern nur kleine Bullaugen hat, durch die aber so gut wie kein Licht kommt. Na, wenn ihm das zum Leben genĂŒgt â€Š Oder musste er am Ende schnell etwas Neues finden, weil er im Globetrotters Inn nicht mehr bleiben durfte? Ihm geht es wunderbar, sagt er. Dann will ich ihm das mal glauben und freue mich mit ihm, dass er nun mit seiner geliebten Rain zusammenwohnt. Die beiden planen kreative filmische HöhenflĂŒge. Ich bin gespannt!
Eigentlich wollte Brian mir heute besonders schöne WasserfĂ€lle zeigen. Er schlĂ€ft aber zu lange, sodass wir die FĂ€lle nicht mehr bei Tageslicht erleben wĂŒrden und deshalb zu Hause bleiben. Schade.
Brian hat ein neues Projekt. Deswegen kam er gestern auch nicht ins Crafty Wonderland. Er will einen Computerchip entwickeln, der irgendwas Tolles machen kann. â€“ Ich kann ein Ă€ußerst schlechter Zuhörer sein. Ich nehme die Sache auch nicht ganz so ernst, denke, es könnte eine Spinnerei sein, die er nach wenigen Tagen wieder ad acta legt. WĂ€hrend ich auf dem Sofa meine Reiseberichte schreibe, sitzt er mir gegenĂŒber und kritzelt auf ein StĂŒck Papier. Als ich einen kurzen Blick darauf werfe, sehe ich Schaltkreise und Ziffern. Oha. Er lacht verlegen und erklĂ€rt, dass er sich mit Physik und Chemie verdammt gut auskennt. Eine Atombombe wĂ€re keine große Herausforderung. In dem Satz steckt wohl auch ein wenig seines Humors drin. Ich wundere mich trotz seines Wissens, das er vermutlich wirklich hat, wie er ein solches Projekt finanzieren und umsetzen möchte. Schließlich ist er seit geraumer Zeit arbeitslos, geht mit seinem Geld aber auch nicht wahnsinnig sparsam um.
Plötzlich bekommt Brian Besuch von einer Frau. Sie arbeitet mit Metallen, erklĂ€rt mir Brian, und soll wohl Teile der Hardware fĂŒr seine Idee zurechtbiegen, oder so. VerrĂŒckt. Er arbeitet anscheinend wirklich mit Hochdruck und einem gewissen Ehrgeiz an der Sache. Nach einigen Minuten wird mir allerdings klar, dass die Dame weniger wegen der Physik als vielmehr wegen der Chemie gekommen ist, höhö. Mit anderen Worten: Brian hat eine Verehrerin â€“ oder einfach nur jemanden, der mal wieder Sex haben möchte. Als sie wieder verschwindet, teile ich Brian meine Beobachtung mit.
»Yes, I know«, antwortet er lakonisch mit zuckenden Schultern, zu einem LĂ€cheln zusammengepressten Lippen und hochgezogenen Augenbrauen. Mich bringt er damit mal wieder zum Lachen. Der Typ kann so furztrocken und komisch sein. Und ich weiß nie, ob es seine Absicht ist oder ob er einfach irgendwie freaky, nerdy oder was auch immer ist.

2012 12 11 21.03.50
Brian

Brian und ich wollen beim Chinesen um die Ecke zu Abend essen. Der ist gut und gĂŒnstig, meint Brian. Auf dem Weg dorthin begegnen wir Izaiah, der sich heute tatsĂ€chlich krankgemeldet hat und stattdessen Fußball spielen war. Er klagt Brian sein Leid, der sich auf einmal fĂŒnf Meter weiter weg bewegt und Izaiah von dort zuhört. Ich bin einmal mehr amĂŒsiert und frage mich, was das fĂŒr eine Aktion war. Dann fĂ€llt mir aber auf, dass ich, seitdem wir hier stehen von einer Straßenlaterne, die mir voll in die Augen leuchtet, genervt bin. Brian, der direkt neben mir stand, wurde sicherlich ebenfalls geblendet und handelt einfach â€Š praktisch. Izaiah, der Brians SkurrilitĂ€ten als sein Mitbewohner sicherlich gewohnt ist, ist auch in keiner Weise irritiert, als Brian sich in Bewegung setzt, um den Lichtkegel zu verlassen. Als Izaiah mit seinem Vortrag fertig ist, bin ich ĂŒberrascht, mit wie viel WĂ€rme und SouverĂ€nitĂ€t Brian seinem Mitbewohner antwortet. Was er sagt, hat Hand und Fuß und klingt tatsĂ€chlich nach einem guten Plan. Izaiah ist auch sichtlich interessiert an Brians Meinung und dankt ihm fĂŒr seine Ideen. Brian geht daraufhin auf Izaiah zu, greift vĂ€terlich seine Schulter und massiert diese fĂŒr ein paar Sekunden, wĂ€hrend er noch einen abschließenden Kommentar formuliert. Wow, Brian ist wahrlich ein guter Mensch und Freund.
Das vietnamesisch-chinesische Vien Huong Restaurant ist auf dem GelĂ€nde einer Tankstelle auf der SE 82nd Avenue. Auf dem Gehsteig neben dem ebenerdigen HĂ€uschen steht eine Werbetafel. ParkplĂ€tze sind vor dem Restaurant eingezeichnet und die EingangstĂŒr ist rosa. Nach einem Gourmetrestaurant sieht es von außen wirklich nicht aus. Innen ist es nicht besser. Ganz im Gegenteil: Der Raum ist recht dunkel, obwohl ĂŒberall bunte Lichtchen hĂ€ngen. Der Clou ist allerdings, dass es mehr Spielautomaten als Tische gibt. Neben einarmigen Banditen gibt es auch Darts und die mir aus dem The Standard bekannte seltsame Videolotterie. Wir setzen uns an die Theke. Die Asiatin dahinter ist freundlich und das Essen voll in Ordnung. WĂ€hrend der Verdauungszigarette kommt ein Auto recht zĂŒgig vorgefahren und parkt vor dem Restaurant. Ich wundere mich ĂŒber die Hektik und Eile, mit der die fast schon aggressiv wirkenden Leute aus dem Auto ins Restaurant stĂŒrzen. Als wir wieder reinkommen, sehe ich, warum sie so in Eile waren: Sie konnten es offensichtlich kaum erwarten, ihr vermutlich nicht in Massen vorhandenes Geld in die Spielautomaten zu werfen. In einer Reihe sitzend, belegen die vier Herrschaften sĂ€mtliche Automaten des kleinen Vien Huong. Skurril.
Nach dem Essen wirkt Brian wieder traurig. Ich hoffe, dass er nicht plötzlich wieder mental abbaut und der Abend fĂŒr ihn gelaufen ist. Wir wollen uns spĂ€ter nĂ€mlich noch mit Cari und Melissa treffen. Die beiden sind heute in ihr neues Haus, die Hawthorne Rose, gezogen und wollen es uns zeigen.
Mein bÀrtiger Kumpel und ich passieren den Zaun von Brians Nachbarhaus. Unerwarteterweise stoppt Brian abrupt.
»Whoa! What is this?«, ruft er ĂŒberrascht.
Am Zaun hĂ€ngt eine selbst gebaute, hölzerne Box, auf der »Free Library« geschrieben steht. Er öffnet die Box. Vor uns steht eine Reihe BĂŒcher, die man umsonst mitnehmen darf. Allerdings wĂ€re es nett, wenn man selbst ein Buch aus dem eigenen Regal dafĂŒr hierin platziert.
»Wow! I like it! I like it very much!«
Nun strahlt er wieder. Gut so.
Gegen halb elf fahren wir zum Hawthorne Boulevard. Wir werden von Cari empfangen. Melissa sitzt oben in ihrem Zimmer und grĂŒbelt. Ich frage, ob alles in Ordnung ist. Frisch eingezogen beginnen die zwei bereits zu ĂŒberlegen, ob es denn wirklich die beste Entscheidung war, sich fĂŒr dieses Haus zu entscheiden. Die steckdosen- und fensterscheibenlose Melissa scheint dabei die Nachdenklichere zu sein. Bei Cari sind da schon eher Fortschritte auszumachen: Ihr Zimmer im Erdgeschoss hat bereits eine TĂŒr eingesetzt bekommen und sieht schon erstaunlich eingerichtet aus. Der Bettkasten und das eine oder andere MöbelstĂŒck fehlen zwar noch, doch die bereits aufgehĂ€ngten Bilder und eine Lichterkette sorgen fĂŒr GemĂŒtlichkeit. Sie malt auch, wie ich feststellen kann. Ziemlich psychedelisch, ziemlich romantisch â€Š ziemlich cool.

Hausbesitzer Joshua Black scheint auch ziemlich aufgeregt zu sein. Sein Hausprojekt nimmt Formen an und seine Mitbewohner ziehen nun nach und nach ein. Bereits seit einigen Tagen wohnt eine weitere junge Frau hier. Casey ist bisexuell, derzeit aber nur an Frauen interessiert. Ihr Exfreund muss wohl ein ziemliches Arschloch gewesen sein.
Joshua ist in GesprĂ€chslaune und erzĂ€hlt mir, was ich in Portland alles machen kann. Da gĂ€be es zum einen den Record Room. Ein Plattenladen und Pub in einem, eine Vinyl Lounge. Man kann dort also ein Bier schlĂŒrfen, wĂ€hrend man sich diverse Schallplatten anhört. Klingt gut. Des Weiteren gibt es ein Fitnesscenter, bei dem man sich seine SĂ€fte selbst presst, indem man in die Pedale der Hometrainer tritt, die mit den Saftpressen verbunden sind. Klingt lustig. Außerdem kann man sich in Portland einen Eimer Wasser in den Gefrierschrank stellen und â€“ sobald das Wasser gefroren ist â€“ Griffe am Eisblock befestigen. Als NĂ€chstes steigt man auf den Mount Tabor hinauf und brettert wie auf einem Schlitten den Berg wieder hinunter. Das klingt großartig!
»Let’s do this!«, schlage ich vor. Doch Joshua ist noch nicht fertig mit seinen Tipps: Im Triple Nickel Pub gibt es Darts, Pool, Karaoke und ein Giant Jenga. Ein was? Nach kurzer ErklĂ€rung verstehe ich es: Das Spiel ist in Deutschland ebenfalls als Jenga oder als Wackelturm bekannt. ZunĂ€chst baut man einen Turm aus kleinen Holzklötzen. Drei HolzstĂŒcke werden in eine Reihe gelegt. Die nĂ€chsten drei kommen in entgegengesetzter Richtung oben drauf. Dann wieder drei in erneut entgegengesetzter Richtung und so weiter und so fort. Sobald der Turm errichtet ist, zieht der erste Spieler ein Scheit heraus und legt diesen wieder auf die Spitze des Turms. Dabei darf nur eine Hand benutzt werden. Der nĂ€chste Spieler tut es ihm gleich, bis das Bauwerk immer wackliger wird und letztlich von einem der Spieler umgeworfen wird. Im Triple Nickel Pub sind die Klötzchen aber keine Klötzchen, sondern massive Holzscheite. Auch das klingt lustig.
Joshua kommt mit so viel weiteren Tipps daher, die ich mir aber beim besten Willen nicht alle merken kann. Es liegt aber auch daran, dass das genuschelte Englisch des bulligen Mannes aus Alaska nur schwer verstĂ€ndlich ist und er vermutlich zudem auch noch breit ist â€“ was er verneint, als Brian ihn unverhohlen fragt: »Are you stoned?«
Joshua will mir alles Vorgetragene und noch mehr zeigen.
»Well, just do it«, fordere ich ihn auf.
Er lÀchelt breit: »Shake on it.«
Also gibt’s von mir die Hand drauf und wir legen sofort los: Ziel des Abends ist der Giant-Jenga-Karaoke-Triple-Nickel-Pub in der SE Belmont Street. Rock und Roll!

2012 12 11 22.29.00
Joshua

Brian, Cari, Joshua und ich ziehen gemeinsam los. Melissa und Casey wollen nicht mitkommen. Wir sollen aber Ausschau nach hĂŒbschen lesbischen Frauen fĂŒr Letztgenannte halten.
»Only beauties!«, bittet sie noch einmal und die bisexuelle Cari antwortet lĂ€ssig: »No one I wouldn’t fuck myself!«
Halleluja!
Als Brian und Joshua das erste Mal nebeneinanderstanden, meinte Cari zu mir, dass sie glaubt, dass die beiden sich gut verstehen werden. Sie scheint mit ihrer Vermutung recht zu haben. Joshua erzĂ€hlt uns, dass er noch gar nicht so lange in Portland lebt, erst seit wenigen Monaten. Er hatte auch nie geplant, hierher zu ziehen. Seine Mutter lebte aber hier und ist im Juli in Portland verstorben. Als er sich um sie und nach ihrem Ableben um die Beerdigung kĂŒmmerte, verfiel er aber dem Charme der Stadt und beschloss, hier zu bleiben. SpĂ€testens als Brian erfĂ€hrt, dass Joshua somit quasi dasselbe Schicksal wie er selbst zu verkraften hat, weicht er ihm nicht mehr von der Seite. Auf dem Weg in den Pub laufen die beiden stĂ€ndig nebeneinander und reden, reden, reden. Als wir im Pub ankommen, verschwinden die beiden auf einmal. Cari und ich schauen uns um und entdecken sie in einer Ecke wieder. Es hat fast schon den Anschein einer gegenseitigen Therapiestunde. Es kann manchmal einfach unglaublich befreiend sein, mit jemandem zu reden, der eins zu eins nachempfinden kann, was man fĂŒhlt. Es freut mich fĂŒr die beiden.
Da die Herren also miteinander beschÀftigt sind, bestreiten Cari und ich nach Billard und dem Versprechen, irgendwann unsere SchÀrfetoleranz zu testen, eine weitere Competition: The Giant Jenga!
Um es kurz zu machen: Ich verliere schon wieder und Cari tanzt einen mich verspottenden Freudentanz. Zieh’ dich warm an, SchĂ€tzchen: Ich werde meine Revanche in irgendeinem folgenden Wettbewerb schon noch bekommen â€Š
Cari ist SĂ€ngerin und die ziemlich typisch amerikanisch wirkende lichtarme Bar, in der alles aus Holz zu sein scheint und die mit einem langen Tresen und einer lĂ€cherlich großen Auswahl von ĂŒber 20 Fassbieren daherkommt, ist mittwochs und sonntags eine Karaokebar. Eins plus eins ergibt meistens zwei, also trĂ€gt Cari sich auf der Liste der Mutigen ein. Die Karaokeshow wird von KJ Chris Green moderiert, die Songtexte auf einer großen Leinwand gezeigt. Gegen Viertel vor eins ist es dann so weit und Cari singt Melissa Etheridges Bluesrockhymne »I’m the Only One«. Das bisher eher unaufmerksame Publikum hat sie schnell auf ihrer Seite und ein Tisch hinter mir grölt beim Refrain fleißig mit.

Go on and hold her till the screaming is gone
Go on believe her when she tells you
Nothing’s wrong
But I’m the only one
Who’ll walk across the fire for you
I’m the only one
Who’ll drown in my desire for you
It’s only fear that makes you run
The demons that you’re hiding from
When all your promises are gone
I’m the only one
Video


Ich bin wirklich begeistert und filme ihren kompletten Auftritt. Als Cari zu mir kommt, ich sie beglĂŒckwĂŒnsche, sie an mich drĂŒcke und kĂŒsse, kommt auf einmal eine Frau auf uns zu und fragt, ob wir wirklich »in love« sind, weil wir so »cute« zusammen aussehen.
Brian hat mir bereits gestern seine Idee offenbart, einen veganen Food-Court-Imbiss zu eröffnen. Der alte Buddhist ist zwar Fleischfresser, aber er glaubt, dass man in Portland damit Geld verdienen kann. Außerdem findet er meine Ansichten nachvollziehbar und möchte daher die Bewegung unterstĂŒtzen. Ach, Brian ist einfach herzensgut und sympathisch tolerant. Es ist nĂ€mlich durchaus erstaunlich, wie oft man, selbst als nicht missionierender Veganer, dem Spott oder gar Anfeindungen von karnivor lebenden Menschen ausgesetzt ist. Eine Einstellung, die ich beim besten Willen nicht nachvollziehen kann.
Als wir vor der Bar sitzen, kommen wir mit einem Typen ins GesprÀch, der in einem Food Court arbeitet. Sein Chef will den Trailer verkaufen, wodurch Brian sofort hellhörig wird. Er will den Chef treffen.
»No problem«, sagt der Mann mit den schulterlangen schwarzen Haaren und dem weißen Fischerhut, »the guy is here.«
Brian wedelt forsch mit den HÀnden, was wohl so viel bedeuten soll wie: »Dann schlepp ihn an, Alter!«
Eine Minute spĂ€ter steht der Bulgare vor uns und beschreibt mit osteuropĂ€ischem Akzent seinen Trailer. Er ist fahrbar, hat eine voll funktionsfĂ€hige KĂŒche an Bord und ist auf einem guten Food Court platziert.
»How much?«, fragt Brian in seiner typischen, kurz angebundenen und wenn er Antworten will, fast schon hektischen Art.
»15 grants.«
»What?!« Brian kann es nicht fassen: 15.000 Dollar fĂŒr einen Imbisstrailer? »You gotta be kiddin’!«
Der Bulgare findet das weder abwegig noch amĂŒsant und erklĂ€rt in ruhiger Manier, weswegen 15.000 Dollar ein vollkommen legitimer Preis ist. Plötzlich fĂ€ngt auch Joshua an, Interesse zu bekunden. Ähm, wird da die frische Freundschaft der beiden schon gleich auf die Probe gestellt oder enden die zwei am Ende sogar als Partner in einem Imbisswagen? Das wĂ€re zudem ein urkomisches Bild und ließe sich sicherlich auch gut vermarkten: »Beardy Burger«, »The Beardy and the Beardy«, »Find the Hair in the Oatmeal â€“ A Breakfast Diner«, »Weird and Weirder« oder »BROshua’s«. Als Werbetext könnte man dann so etwas schreiben: »Not Mexican, but we also sell burritos with a funny accent!«
Dass Joshua fĂŒr mich als Alaskaner anders klingt, habe ich ja bereits erwĂ€hnt. Weit interessanter ist allerdings, dass neben mir mittlerweile auch Brian gefragt wird, aus welchem Land er kommt.
»California«, antwortet er dann irritiert.
Cari meinte auch bereits, dass Brian in den letzten Tagen einen seltsamen Akzent angenommen hat, der irgendwie deutsch klingt. Als sie dies Brian mitteilt, folgt wieder seine fĂŒr solche Situationen typische Bewegung â€“ Schultern hoch, Augenbrauen anziehen und Lippen aufeinanderpressen â€“ und eine urkomische Reaktion: »Yes, I also realized that. Dennis is inspiring or influencing me.« Dann versucht er es noch mit seiner Herkunft zu rechtfertigen: »I am German. My last name is Pauch. That’s German, isn’t it Dennis?«
Er spricht es ĂŒbrigens »Pohtsch« aus.
»Uhm, well â€Š yes. You can pronounce it German.«
»How?« â€“ Brian mal wieder kurz und direkt.
»Pauch.« â€“ Mit der Betonung auf dem »ch« wie in Schach.
Große Augen schauen mich an. Wenn ich jetzt noch: »Dschihad!«, brĂŒlle, ist die Irritation perfekt.
Der Bulgare verschwindet wieder und Joshua fragt sich selbst, wieso er da eben mitdiskutiert hat. Es wird wohl keine »Beardy Burger« geben.
Auf dem RĂŒckweg zur Hawthorne Rose beziehungsweise Brians Auto fordert mich Cari am Sunnyside School Park zum Wettschaukeln heraus. Bei dieser Competition geht es darum, wer höher schwingen kann. Ich verliere schon wieder. Verdammt.
An der Kreuzung SE 37th Avenue und Taylor Street passieren wir ein buntes Fahrradkunstwerk, das direkt an der Straße in einem Garten steht. Aus bunten Mosaiken wurde die Lehne fĂŒr eine Sitzgelegenheit innerhalb des MĂ€uerchens kreiert. Dahinter ist einem GlĂŒcksrad gleich ein buntes Rad angebracht, das sich zudem auch noch drehen lĂ€sst. Mehrere Einzelteile diverser FahrrĂ€der sind â€“ einem Zaun Ă€hnelnd â€“ im Rasen versenkt und an der Ecke des Gartens ist eine einem Steinofen Ă€hnliche SĂ€ule gemauert worden. Es ist das Denkmal fĂŒr totgefahrene Radfahrer, erklĂ€rt uns Joshua. Sachen gibt’s.
Joshua fragt mich, was meine PlĂ€ne fĂŒr morgen sind. Ich will auf den Mount Tabor steigen und mir Portland von oben ansehen, lasse ich ihn wissen. Die Idee gefĂ€llt ihm. Allerdings schlĂ€gt er nicht vor, gemeinsam mit mir auf Eisblöcken den Vulkan wieder herunterzureiten. Dazu hat er vermutlich auch gar keine Zeit: Es gibt viel zu tun im neuen Zuhause, in dem auch ich heute ĂŒbernachte. Es ist Caris erste Nacht in der Hawthorne Rose. Und die ist wunderschön â€Š

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