Tag 45: Im Reich der 1000 Jahre alten Giganten

Serendipity – Teil 1

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Montag, 24. Dezember 2012 – Heiligabend
Eureka – Orick – Eureka

Seite 1Seite 2Seite 3Seite 4Seite 5: Cari’s Day at the Redwoods

Connors Haus wird nur vom Kamin im Wohnzimmer beheizt. Als in der Nacht die letzte Glut abkĂŒhlt, wird es dementsprechend kalt. Außerdem haben wir Shelley das Zimmer mit dem Kamin ĂŒberlassen und schlafen stattdessen auf dem Boden im benachbarten zweiten, sowieso schon kalten Wohnzimmer. Isomatten und SchlafsĂ€cke haben wir keine dabei. DafĂŒr hat Cari zwei Bettdecken eingepackt. Am harten Untergrund Ă€ndert das aber nichts. Da wir uns erst gegen drei Uhr schlafen gelegt haben, wachen wir erst um kurz vor zehn auf. Verdammt. Wir wollten natĂŒrlich schon frĂŒher los, damit wir möglichst lange wandern können, bevor die Sonne untergeht. Connor erklĂ€rte uns letzte Nacht nĂ€mlich, dass wir vor Einbruch der Dunkelheit den Wald wieder verlassen sollten.
»Why?«
»Because of the bears.«
BĂ€ren? Ich wollte daraufhin wissen, wie hoch die Chance oder Gefahr ist, BĂ€ren zu begegnen. TagsĂŒber, erklĂ€rte Connor, kommen sie nicht in die NĂ€he von Menschen. Sobald es aber dunkel wird, benutzen sie dieselben Pfade. Einfach, weil es wesentlich stressfreier ist, ĂŒber gemachte Wege anstatt durchs GebĂŒsch zu laufen. Ergibt Sinn.
Am Morgen ist Connor bereits weg. Er trifft sich mit Freunden zum Wildwasserkanufahren. Das wĂ€re mir zu kalt heute â€“ speziell nach dieser Nacht.

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Connor hat uns gestern neben der BĂ€renwarnung auch Wandertipps und eine Karte gegeben. Unser erstes Ziel ist Orick. Hier wollen wir erst einmal frĂŒhstĂŒcken. Der Weg ins 70 Kilometer nördlich gelegene Dörfchen fĂŒhrt an der KĂŒste vorbei. Es ist dieselbe Route, die wir gestern Abend gekommen sind. Bei Tageslicht offenbart die Landschaft nun ihre ganze Schönheit. Zu unserer Linken ist der Ozean, rechts grĂŒne HĂŒgel und WĂ€lder. Noch bevor ich Cari dazu auffordern kann Fotos zu machen, verlangt sie schon die Kamera. Sie knipst wie ein Weltmeister, flucht aber bei jedem zweiten Schnappschuss, weil der Autofokus zu lange braucht, um sich einzustellen. Dementsprechend toll werden viele ihrer Fotos.
Nach annĂ€hernd 60 Kilometern passieren wir ein gelbes Verkehrsschild, auf dem vor Elchen gewarnt wird, die die Straße kreuzen könnten. WundertĂŒte Kalifornien: Hier gibt es neben Schnee und BĂ€ren auch Elche? Wir passieren ein weiteres Schild, das vor den kreuzenden Elchen warnt und zusĂ€tzlich dazu einlĂ€dt, rechts abzubiegen, um die Elche zu sehen: »Turn in at Little Red School House â€“ See world’s largest Roosevelt elk herd.«
Also biegen wir in den Redwood Trails Circle ab und tuckern dem roten kirchenĂ€hnlichen HolzhĂ€uschen entgegen. Links steht eine imposante, ebenso rot gestrichene alte Holzscheune, die mit großen weißen Lettern beschriftet wurde: »Redwood Gift Store«. Daneben parken einige Caravans. Wir befinden uns auf dem Areal des Stone Lagoon Campground, einem RV Park, der sich direkt am Dry Lagoons State Park und am Humboldt Lagoons State Park befindet. Der Schutz der Natur scheint in dieser Gegend groß geschrieben zu werden. Das knallrote kleine Schulhaus mit den weiß gestrichenen Kanten und dem kleinen TĂŒrmchen ist heute ein Souvenirladen und Museum. Ein altes Feuerwehrauto steht direkt daneben auf der Wiese. Rund um das zentral auf einer grĂŒnen Wiese gelegene Little Red School House und das daneben abgestellte Feuerwehrauto liegen und grasen Dutzende Elche â€“ die gar keine Elche sind: Elk ist im amerikanischen Englisch der Rothirsch oder auch der Wapiti. Der Elch heißt moose. Die Roosevelt Elks, die hier grasen und faulenzen, sind Wapiti. Das lustige Wort kommt von den Shawnee und bedeutet »weißes Hinterteil«. Ja, und das haben alle Anwesenden. Die Wapiti geben mit dieser Kulisse ein tolles Bild ab. Die Herde scheint einen hohen Frauenanteil zu haben. Zumindest sehe ich nicht allzu viele Geweihe. Es sind auch viele Jungtiere dabei.
Wir wollen nicht noch mehr Zeit zum Wandern verlieren und fahren nach zehn Minuten wieder weiter.

Die Wellen des Pazifik treffen auf den langen Strand, der sich direkt neben dem KĂŒstenhighway entlangzieht. Wenig spĂ€ter erreichen wir Orick. Der kleine Ort scheint nur aus einer Straße zu bestehen. Der prominenteste Bewohner der Gegend wird vor einem GeschĂ€ft mit einer lebensgroßen Holzstatue geehrt: Es ist Bigfoot oder Sasquatch, wie er auch genannt wird.

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Die wenigen Restaurants und LĂ€den der Stadt scheinen alle geschlossen zu haben. Vor dem sehr alt und hinterwĂ€ldlerisch aussehenden Hagood’s Hardware steht eine rote Holzimbissbude. Der Imbiss erweckt ebenfalls den Anschein, geschlossen zu sein. Hagood’s Hardware ist aber geöffnet â€“ offenbar als einziger Laden des Dorfes. Wir gehen an der Schaufensterfassade vorbei zum Eingang. Dass dieser Laden ĂŒberhaupt noch öffnet, erscheint uns sehr wunderlich. Drinnen sieht es so verstaubt aus, als hĂ€tte der Laden bereits vor einigen Dekaden fĂŒr immer zugemacht. Im Schaufenster steht ein ĂŒberschaubares DVD- und VHS-Regal mit völlig ausgebleichten Covern. Wir öffnen die klapprige TĂŒr des Ladens und treffen auf ein kleines MĂ€dchen.
»Hello«, begrĂŒĂŸe ich die Kleine, als ihr Großvater die LadenflĂ€che betritt. WĂ€hrend wir den alten Mann fragen, ob es irgendwo im Ort die Möglichkeit gibt, etwas Essbares zu bekommen, können wir nicht aufhören, uns im Laden umzusehen. Überall liegen antike und verstaubte ElektrogerĂ€te und Handwerksutensilien â€“ das Sortiment ist nicht nur alt, sondern dĂŒrfte zudem mindestens aus zweiter Hand stammen. Der Alte weist uns darauf hin, dass Orick hinter der BrĂŒcke noch weitergeht. Wir hatten die 300 Meter entfernte ÜberfĂŒhrung tatsĂ€chlich als das Ende des Dorfes eingeschĂ€tzt und sie noch gar nicht ĂŒberquert. Direkt dahinter soll sich ein tolles CafĂ© befinden. Das klingt doch gut.
»Where do you guys come from?«
»I’m originally from Arizona and he’s German.«
»How did you get here?«
»We want to see the redwoods.«
»Fantastic!«, freut er sich mit uns, »you’ve made it to the most beautiful part of California!«
»Really? That’s awesome!«
Der schrullige Mann, seine mittlerweile dazugestoßene und nicht minder schrullige Frau und die Enkeltochter begleiten uns noch nach draußen. Große Worte der Verabschiedung gibt es keine, die Wege trennen sich einfach. Die Beendigung einer Kommunikation lĂ€uft hier offensichtlich etwas anders ab als in den StĂ€dten.
Unmittelbar hinter der BrĂŒcke befindet sich auf der linken Seite das Palm Cafe. Dass man sein von MammutbĂ€umen umzingeltes CafĂ© »Palm« nennt, soll wohl etwas Exotik ins Dörfchen bringen. Als wir das CafĂ© betreten, bleiben wir kurz in der TĂŒr stocken und schauen uns grinsend an. Was ist das denn? Der Laden ist purer Trash! Wo fange ich denn da am besten an? Die StĂŒhle sind orangefarbene PlastikschalenstĂŒhle aus den 70ern. Das ist noch das harmloseste Mobiliar. Rechts zieht sich ein Tresen quer und tatsĂ€chlich leicht schrĂ€g durch den kompletten Raum. Die davor angebrachten dunklen StĂŒhle stehen auf einem soliden Metallbein und sind im Boden verschraubt. Wieder einmal fĂŒhle ich mich wie in einem Film. WĂ€re es nicht ganz so trashig und hinterm Mond, könnte man den Tresen â€“ aber nur den Tresen â€“ mit dem im Diner von Hill Valley vergleichen. Jenem Diner, in dem Michael J. Fox alias Marty McFly nach seiner Zeitreise in die 50er auf Papa George trifft und feststellen muss, dass dieser ein ganz schöner Loser ist: »Lou, give me a milk. â€“ Chocolate.«
Hinter dem Tresen kann man direkt in die offene KĂŒche blicken und die darin werkelnden Menschen, die allesamt ĂŒber 70 sind, bei ihrer Arbeit beobachten. Cari entfleucht beim Anblick ein geschocktes: »Oh, my gosh.«
Ich find’s super hier. Wir setzen uns an einen Tisch am Fenster â€“ alle Tische im schmalen Palm Cafe stehen direkt am Fenster. Zum Ende der Ortsbeschreibung noch das Beste: An der Wand gegenĂŒber des Eingangs haben die Betreiber ihr eigenes kleines »Christmas Wonderland« aufgebaut. Hinter einem kniehohen, weißen ZĂ€unchen stehen gleich drei dramatisch pathetisch geschmĂŒckte WeihnachtsbĂ€ume. Engelchen sitzen auf der Spitze, die obligatorischen Lichterketten und Christbaumkugeln werden von aus Plastik geformtem Kunstschnee umsĂ€umt. Zwischen und vor den BĂ€umen stehen PĂŒppchen mit wallendem Haar und EngelskostĂŒmchen. Ein weißer Plastikengel, an dem sich entweder die Lichter der BĂ€ume reflektieren oder der tatsĂ€chlich mit einer Innenlichterkette versehen wurde, blĂ€st in die Trompete. Ach, es öffnet einem das Herz.
In Amerika gibt es seit den 80ern ĂŒbrigens eine »Weihnachtsbaumkontroverse«: Offiziell, um die Spaltung zwischen Staat und Kirche zu symbolisieren und um darauf aufmerksam zu machen, dass die USA ein Vielvölkerstaat mit den unterschiedlichsten Glaubensgemeinschaften sind, nennen viele Menschen und Gemeinden ihre BĂ€ume nicht Christmas tree, sondern holiday tree. Ich bin dieser Diskussion auch schon begegnet.
Es ist mittlerweile Mittag. Das FrĂŒhstĂŒck haben wir somit verpasst und die einzig vegane Mahlzeit, die angeboten wird, sind Pommes. Cari traut sich nach den gestrigen Erfahrungen in Grants Pass nicht mehr an Fleischexperimente in dĂŒnner besiedelten Gegenden, weshalb sie vorschlĂ€gt, dass wir uns einen großen Teller Fritten teilen.
Ich denke, dass das Ambiente des Palm Cafe eigentlich nicht mehr gesteigert werden könnte. Kann es aber doch. Ein Mann mit Jogginghose und blauem Sweatshirt betritt die BĂŒhne. Der Mittvierziger trĂ€gt außerdem weiße Turnschuhe, eine Brille und einen Dreitagebart. So weit so unspektakulĂ€r. Das Famose trĂ€gt der gute Mann auf seinem Kopf. Es ist eine samtene, rote WeihnachtsmannmĂŒtze mit einem wild baumelnden, weißen Bommel daran. Er trĂ€gt die MĂŒtze mit solch ernster SouverĂ€nitĂ€t, als sei er einem Monty-Python-Film entsprungen. Es reagiert auch kein Mensch auf seine Kopfbedeckung. Als kĂ€me er tĂ€glich so ins CafĂ© wird er kurz und persönlich begrĂŒĂŸt und bekommt die Speisekarte auf den Tresen gelegt. Ach, herrlicher Laden!
Unsere Pommes kommen. Ich bin von der AbsurditĂ€t offensichtlich so eingenommen und angesteckt, dass ich mir wortlos eine Fritte auf die Serviette vor mir lege, sie vornehm mit Ketchup bestreiche, salze und pfeffere. Ein Schuss scharfer Soße dazu â€Š et voilĂ ! Dann nehme ich mir Messer und Gabel und beginne bei aufrechter Sitzhaltung mein Kartoffelsteak in mundgerechte HĂ€ppchen zu zerteilen und elegant zu mir zu nehmen. Cari sitzt mit höchst verstörtem Blick vor mir.
»Bon appétit.«
Sie quiekt auf, schnappt sich ebenfalls Messer, Gabel, Salz, Pfeffer und Ketchup und bereitet sich ihr eigenes kleines, gelbes Steak zu. Sie perfektioniert ihr Mittagessen mit geschmackvoll aufgetragenen KetchuppĂŒnktchen anstelle einer ausdrucksstarken Geraden. Schließlich wollen wir auch satt werden. Langsames, bewusstes Essen unterstĂŒtzt die SĂ€ttigung. Das ist ja allgemein bekannt. Unsere kniggegerechte Essaktion scheint die alte Kellnerin mehr zu beeindrucken als der Herr Weihnachtsmann am Tresen es vermochte. Sie sagt nichts. Man kann ihr die Gedanken aber trotzdem ansehen: »Das mĂŒssen Kanadier sein.«
Also, wir haben Spaß.
Gegen Ende unseres Aufenthalts kommt eine der Damen vom Grill nach vorne an den Tresen und teilt der ungefÀhr 90-jÀhrigen Dame, die dort Platz genommen hat, mit, dass eine andere Köchin ein Weihnachtsgedicht verfasst hat. Sie soll es ihr vorlesen. Die Uroma will nicht und sagt der Oma, dass sie es ihr vorlesen soll.
»I can’t read«, entgegnet diese wiederum, woraufhin unsere 65-jĂ€hrige Kellnerin die Situation regelt und lautstark das Weihnachtsgedicht vortrĂ€gt.
»That’s so nice«, sind sich am Schluss alle einig.

Wir lassen uns noch schnell versichern, dass wir auf dem richtigen Weg zu dem von Connor empfohlenen Newton B. Drury Parkway sind, und hauen ab. Einer der MĂ€nner meinte, die Straße sei zu dieser Jahreszeit sicherlich gesperrt. Das wagen wir aber zu bezweifeln. Schließlich arbeitet Connor im Nationalpark und hĂ€tte uns sicherlich keinen Pfad empfohlen, der nicht zugĂ€nglich ist. Keine acht Kilometer hinter Orick biegen wir vom Redwood Highway ab. Der Newton B. Drury Parkway wird auch ausgeschildert. Die Straße wird links und rechts von einer grĂŒnen Wiese gesĂ€umt, die sich nach einigen Dutzend Metern im Nadelbaumwald verliert. Knapp zwei Kilometer spĂ€ter stehen wir vor einer Schranke. Der weitere Verlauf der Straße ist tatsĂ€chlich gesperrt. Das ist aber kein Problem, denn hier scheint unser Pfad zu beginnen. Wir stellen das Auto auf einem Parkplatz ab. Es gibt ein InformationshĂ€uschen, das allerdings geschlossen ist, Toiletten und eine Telefonzelle â€Š aus Holz.

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Außer uns sind nur wenige andere Autos vor Ort. Allzu ĂŒberlaufen sollte es im Wald also nicht sein. Connor hat uns den Irvine Trail empfohlen. Hier sollen mĂ€chtige BĂ€ume wachsen, die ĂŒber 1000 Jahre alt sind. Der Pfad endet am Meer. Allerdings ist die Strecke so lang, dass es an einem Tag nahezu unmöglich ist, hin- und zurĂŒckzulaufen, ohne in die Dunkelheit zu geraten. Wir sind sowieso schon viel zu spĂ€t dran, weswegen eine Wanderung an die KĂŒste leider gar nicht erst infrage kommen kann.

<center>Redwood National and State Parks</center>
Die Redwoods sind Cineasten auch als »Endor« bekannt: Hier wurden die Waldszenen mit den Ewoks in »Die RĂŒckkehr der Jedi-Ritter« gedreht. Außerdem dienten diese WĂ€lder auch als Kulisse fĂŒr »Vergessene Welt: Jurassic Park« und »Outbreak«. Die Redwood National and State Parks umfassen eine FlĂ€che von 534 kmÂČ, was in etwa einem FĂŒnftel des Saarlands entspricht (2570 kmÂČ). Budapest mit 525 kmÂČ oder Warschau mit 517 kmÂČ haben eine vergleichbare GrĂ¶ĂŸe. Ein State Park definiert sich dadurch, dass er von der Regierung des Bundesstaates und nicht des Bundes geschĂŒtzt wird. Außerdem sind sie in der Regel wesentlich kleiner und weniger touristisch erschlossen als Nationalparks. Etwa die HĂ€lfte des natĂŒrlichen Bestands an KĂŒstenmammutbĂ€umen, den höchsten BĂ€umen der Erde, wĂ€chst in den Gebieten der Redwood National and State Parks. Die BĂ€ume können eine Höhe von ĂŒber 110 Metern und einen Stammdurchmesser von ĂŒber sieben Metern erreichen. Der vermutlich höchste Baum der Erde, der nach dem Titanen der griechischen Mythologie Hyperion benannt wurde, befindet sich an einem nie preisgegebenen Ort im Nationalpark. Der exakte Standpunkt des erst am 8. September 2006 entdeckten 115,55 Meter hohen Giganten wird nicht verraten, um Besucherströme zu vermeiden. Da KĂŒstenmammutbĂ€ume trotz ihrer erstaunlichen Höhe extreme Flachwurzler sind, wĂŒrden Besuchermassen schlicht und ergreifend dem Wurzelwerk, das sich â€“ eben aufgrund der GrĂ¶ĂŸe â€“ weit ausbreitet, Schaden zufĂŒgen. Ja, der Mensch als Feind der Natur: Nachdem die Ureinwohner zunĂ€chst im Einklang mit der Natur die Gegend der heutigen National- und State Parks bewohnten, rĂŒckten mit den europĂ€ischen Einwanderern zunĂ€chst der Goldrausch und spĂ€ter auch die Holzindustrie an. Keine fĂŒnf Kilometer Luftlinie von unserem aktuellen Standpunkt entfernt, beginnt der Pazifik. Dort, am Gold Bluff Beach, wurde in der Mitte des 19. Jahrhunderts das begehrte Edelmetall gefunden und lockte Abenteurer wie die Fliegen an, was zu dramatischen Konflikten mit den Ureinwohnern fĂŒhrte. Die weißen MĂ€nner fuhren von Brandstiftung ĂŒber Vergewaltigung und Mord das komplette Programm an WiderwĂ€rtigkeiten gegen das Naturvolk der Yurok auf. Das wenige Gold der Gegend war schnell ausgebeutet. Viele Siedler verließen die Gegend wieder oder richteten ihr neues Augenmerk auf das »rote Gold«: Die MammutbĂ€ume waren begehrte Nutzhölzer. Das Holz war auch bitter nötig, da der Westen rapide bevölkert wurde. Die Holzindustrie wurde westlich des Mississippi zum ertragreichsten Wirtschaftszweig. Mit dem Holz wurden Erzminen gestĂŒtzt, Schiffe gebaut und Eisenbahnschienen unterlegt. Der grĂ¶ĂŸte Anteil ging aber in den Bau von HĂ€usern. Die Mehrheit der GebĂ€ude an der WestkĂŒste, die seit der viktorianischen Zeit errichtet wurden, wurden aus dem Holz dieser BĂ€ume erbaut. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnte ein gefĂ€llter Baum fĂŒr den Bau von sage und schreibe 22 HĂ€usern genutzt werden. Als das verheerende Erdbeben von 1906 San Francisco in Schutt und Asche legte, stieg der Bedarf noch einmal an. Die hĂŒbschen HĂ€user von Haight-Ashbury entstanden so. Mit der endgĂŒltigen Industrialisierung, also der Verwendung von immer ergiebigeren Maschinen wie der Dampfmaschine und spĂ€ter der KettensĂ€ge und Bulldozern, erfolgte schließlich die Rodung ganzer Regionen. Es gab bereits 1879 erste Versuche, die WĂ€lder zu schĂŒtzen. Die wirtschaftlichen Interessen und der Bauboom ließen den Vorschlag des damaligen US-Innenministers Carl Schurz aber schnell in den Archiven verschwinden. Nachdem San Francisco wieder aufgebaut war, realisierten offensichtlich einige Politiker und Honoratioren, dass man sehr fahrlĂ€ssig mit dieser einzigartigen Natur umging und grĂŒndete 1918 die »Save the Redwoods League«. Durch das Sammeln von reichlich Spenden und der UnterstĂŒtzung des Staates Kalifornien konnte die Liga einiges an Land erwerben und grĂŒndete zwischen 1923 und 1929 drei State Parks. Damit wurde jedoch nur ein Bruchteil der kompletten WaldflĂ€chen geschĂŒtzt â€“ und selbst hier fand weiterhin illegales Abholzen statt. In den 60er Jahren war es schließlich so weit gekommen, dass bereits erschreckende 90 % der ursprĂŒnglichen BestĂ€nde zerstört waren. Dies löste endlich eine breitere Bewegung aus, die sich fĂŒr den Schutz der verbliebenen WĂ€lder einsetzte. Am 2. Oktober 1968 waren die Retter erfolgreich und bekamen schließlich ihren von PrĂ€sident Johnson unterzeichneten und abgesegneten Nationalpark, der im Laufe der folgenden Jahrzehnte noch weiter anwachsen sollte. Seit 1980 ist der Nationalpark zudem ein UNESCO-Weltnaturerbe. Dennoch sind nach wie vor nicht alle BĂ€ume vor der Abholzung sicher. 1997 besetzte deswegen die zuvor nicht als UmweltschĂŒtzerin in Erscheinung getretene, damals 23-jĂ€hrige Julia Hill, fĂŒr sage und schreibe 738 Tage einen Mammutbaum. Sie lebte auf vier Quadratmetern und verließ den Baum erst wieder, als sich die Firma auf den Deal einließ, sĂ€mtliche BĂ€ume im Umkreis von 12.000 mÂČ in Frieden zu lassen. DafĂŒr mussten Hill und ihre UnterstĂŒtzer von Earth First! ihre gesammelten 50.000 Dollar an die Abholzfirma zahlen, die das Geld wiederum an die Humboldt State University weitergab, um in nachhaltige Forstwirtschaft zu forschen.

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Cari fĂ€llt auf, dass sie letzten Sommer, als sie unter anderem mit Melissa einen Road Trip nach Portland unternommen und sich zum Umzug nach Oregon entschieden hatte, schon einmal hier war. Genau hier. Na, super. Da wollte ich ihr doch etwas Neues zeigen und dann kommt diese Offenbarung, meckere ich. Trotzdem oder genau deswegen findet sie es toll, wieder hier zu sein. Wir spazieren in den Wald hinein. Kaum sind wir im Schatten der BĂ€ume verschwunden, fĂ€llt die Temperatur etwas ab und die Luftfeuchtigkeit nimmt zu. Man spĂŒrt sofort, dass man sich nun in einem gemĂ€ĂŸigten Regenwald befindet. Hier regnet es fĂŒnfmal so viel wie in Berlin. Klingt grausam. Sonderlich warm wird es hier auch nie. Die höchsten Temperaturen liegen zwischen 12 und 17, die tiefsten zwischen 4 und 11 Grad. Riesige NadelbĂ€ume mit wahnsinnig dicken StĂ€mmen tĂŒrmen sich vor uns auf. Wow. Es sind mehrere Wege ausgeschildert. Vom Irvine Trail können wir nichts sehen. Wir folgen einem der Pfade. Manche der BaumstĂ€mme sind hohl. Dadurch, dass die BĂ€ume so gigantisch sind, kann man wie in eine Höhle ins Innere der StĂ€mme eindringen. Die Baumkronen sind so hoch und dicht, dass man den Himmel meist nicht zu sehen bekommt. Überhaupt beginnt das Astwerk sehr weit oben, bei »erwachsenen« KĂŒstenmammutbĂ€umen erst circa 30 Meter ĂŒber dem Boden. Vom sonnigen Tag, der heute herrscht, ist im Wald wenig, manchmal nichts mehr zu spĂŒren. Die Luft ist feucht, der Schatten der BĂ€ume schwer.

Nach kurzer Zeit stellen wir fest, dass es sich bei dem eingeschlagenen Pfad lediglich um einen kleinen Rundweg am Waldrand entlang handelt, der uns wieder direkt zum Auto fĂŒhrt. Hm, das war wohl nichts. Der Vorteil unserer unfreiwilligen RĂŒckkehr zum Auto ist, dass wir uns unsere Jacken schnappen können. Es ist wirklich kĂŒhl im Wald. Wir gehen wieder ins Gehölz, folgen erneut den angegebenen Pfaden, passieren einen umgestĂŒrzten Mammutbaum, dessen liegender Stamm beeindruckend riesig ist, und beschließen, als wir feststellen, dass alle Pfade wieder zurĂŒckfĂŒhren, uns einfach durchs Dickicht zu schlagen und unseren eigenen Weg zu gehen.

Allzu weit kommen wir aber nie. Entweder werden die BĂŒsche zu dicht, um hindurchzukommen, oder wir landen doch wieder auf dem Pfad. Anhand der Karte, die wir von Connor bekommen haben, versuchen wir herauszufinden, wo der verdammte Irvine Trail sein muss. Ein kleiner Fluss schlĂ€ngelt sich durch den Wald. Zwei prĂ€gnante Kurven sind eingezeichnet. Wir versuchen die Windungen zu finden. Bei einer dieser Windungen mĂŒsste es eine BrĂŒcke geben, die zum Irvine Trail fĂŒhrt. Als wir den breiten Bachlauf erreichen, sehen wir aber nur einen umgeworfenen, mit feuchtem Moos bewachsenen Stamm, der ĂŒber das GewĂ€sser fĂŒhrt.
»Competition?«, frage ich.

Wir beratschlagen kurz, ob es wirklich sinnvoll ist, so frĂŒh das Risiko einzugehen, bei diesen milden Temperaturen nass zu werden. Vielleicht, so ĂŒberlegen wir auch, ist der Bach ja nicht so tief und wir kommen mit feuchten Unterschenkeln durch. Dann mĂŒssten wir lediglich die FĂŒĂŸe wieder trocknen und könnten auf der anderen Seite weiterwandern. Nein, wir versuchen, noch einmal, den Irvine Trail zu finden. Also geht’s erneut zurĂŒck zum Ausgangspunkt, wo wir auf einmal feststellen, dass wir nun schon zweimal wie die Blinden an einem weiteren Wegweiser vorbeimarschiert sind, der unter anderem den Irvine Trail ausweist. Mittlerweile ist es 14 Uhr. Wir folgen dem Pfad und kommen zur zuvor vergeblich gesuchten BrĂŒcke. Die BĂ€ume in diesem Bereich des Waldes sind noch höher und mĂ€chtiger als auf dem Rundweg. Feuchte Farne und dickes Moos hĂ€ngen von den Ästen. Obwohl es nicht geregnet hat, tropft es von ihnen hinab. Die Natur ist wirklich beeindruckend schön.

Uns begegnen nur ein paar Wanderer, die sich bereits auf den RĂŒckweg machen. In den Wald hinein folgt uns niemand mehr. Nach einigen Minuten sind wir komplett alleine und hören außer unseren Schritten nur noch den Wald und das Wasser des nahen FlĂŒsschens. Ein Redwood scheint einfach abgeknickt zu sein. Wie nach einem Bombeneinschlag teilt sich der Stamm an der Bruchstelle in gewaltige, rote Splitter. Unter der Rinde verbirgt sich also offensichtlich das namengebende Rot der Hölzer. Der Aufschlag des Baumes muss so heftig gewesen sein, dass es sogar das komplette Wurzelwerk an die OberflĂ€che befördert hat. Es ist locker sechs Meter hoch. Was muss das nur fĂŒr einen Schlag gegeben haben?

Zwei andere BĂ€ume sind im Laufe der Jahrhunderte zu einem Baum zusammengewachsen. Die LĂŒcke, die ursprĂŒnglich zwischen ihnen war, ist mit Holz nachgewachsen und verdichtet sich bis weit nach oben.

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Der Weg ist schön angelegt. Es ist ein reines Paradies. Cari und ich werden immer zĂ€rtlicher zueinander. Wir können keine fĂŒnf Meter gehen, ohne einander zu kĂŒssen und zu streicheln. Als wir einen recht breiten und noch lĂ€ngeren Baumstumpf entdecken, der sich wie ein Bett ĂŒber einen Hang legt, schauen wir uns kurz um. Wir sind alleine â€Š
Als die Sonne sich langsam senkt, verlassen wir den Wald.

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ZurĂŒck in Eureka parken wir den Wagen vor dem Co-op, einem Zusammenschluss ortsansĂ€ssiger Bauern und HĂ€ndler, die sich unter einem Dach zu einem Supermarkt zusammengeschlossen haben und primĂ€r lokale und biologische Produkte verkaufen. Hier wollen wir zu Abend essen. Ich hole mir einen vorgerollten Burrito und eine indische Linsensuppe. An der Kasse lasse ich den Kassierer wissen, dass ich passenderweise 75 Cent haben dĂŒrfte. Ich durchforste mein Portemonnaie, werde fĂŒndig und sage: »Yeah.«
Daraufhin fragt er: »Yeah?«, was ich wiederum mit einem lang gezogenen: »Yeeeah«, zu einem Ende bringe. Der Mann, der Mitte 40 sein dĂŒrfte und eigentlich gar nicht den Eindruck eines Hippies macht, verabschiedet uns mit den Worten: »Peace be with you.«
»Ciao«, erwidert Cari mit ihren offensichtlich ausgeprÀgten Italienischkenntnissen.
Auf dem Weg zurĂŒck zu Connors Haus kommen wir an einem kleinen Schlösschen vorbei, das ĂŒber und ĂŒber mit Lichterketten geschmĂŒckt ist. Erst bei meinen Recherchen erfahre ich, dass es sich hierbei um »the most grand Victorian home in America« handelt. Es ist unnötig zu erklĂ€ren, aus welchem Holz das 1886 fertiggestellte Haus erbaut wurde, das zunĂ€chst diversen Holzbaronen ein nobles Obdach bot. Benannt wurde das Anwesen nach seinem Bauherren, der von sich behauptete, der erste Mensch mit kommerziellen Absichten gewesen zu sein, der im Humboldt County einen Baum fĂ€llte. Die Carson Mansion ist das vermutlich meist fotografierte viktorianische Haus der USA und diente unter anderem als Vorlage fĂŒr den Uhrturm des Bahnhofs in Disneyland. Der Club der feinen Herrschaften, die es seit den 50ern in Beschlag haben, sperren die Öffentlichkeit allerdings gĂ€nzlich aus.
Ich stelle den Wagen ab, um kurz ein paar Fotos von der Carson Mansion zu schießen, als auf einmal eine niedliche, kleine alte Dame neben mir steht.
»Isn’t it beautiful?«, fragt sie mich.
»It is.«
»My granddaughter thinks they made it just for Christmas. I think it always looks like this.«
Ich will ihr die Illusion nicht nehmen, bin mir aber auch sicher, dass es reiner Weihnachtsschmuck ist. Ich erwidere daher nichts.
»You’re from Eureka?«, möchte sie wissen.
Ich lĂ€chle: »No, I’m from Germany.«
»Oh, Germany! How did you get here?«
»I wanted to see the redwoods. What about you? You live here?«
»No, I am visiting my granddaughter. Do you live in a hotel?«
Ich berichte ihr, wie ich reise. Sie findet es total aufregend: »Young people can travel like this. My granddaughter also travels like this. She also does this couch thing.«
»Really?«
In diesem Moment kommt die Enkelin, die im Auto auf ihre sĂŒĂŸe Oma wartete und sich wohl mittlerweile wunderte, was sie so lange mit dem bĂ€rtigen Fremden zu besprechen hat.
»Hi«, grĂŒĂŸt sie.
»Hi!«
»He’s a backpacker! And he’s sleeping on couches â€“ like you«, teilt die Großmutter die Info sofort.
»Really?«
Ich nicke.
»I would offer you my couch if I lived here«, lÀchelt mich die alte Dame an. Die Frau ist zu putzig.
»I already have one. Thank you. And I’m not alone.«
Cari winkt uns vom Beifahrersitz aus zu.
»Well, it was nice meeting you. Safe travels!«
»Merry Christmas.«

Connor will mit uns in eine Brauerei und ein paar Bierchen trinken. Shelley sitzt auf dem Beifahrersitz. Die Art und Weise, wie sie mit Connor redet, wirkt sehr vertraut. Fast so, als seien sie ein Paar. Das ist aber einfach nur Shelleys Art, die ziemlich cool und souverĂ€n rĂŒberkommt. Connor steht ihr da in nichts nach. Er ist von der Sorte Mensch, der man ohne BerĂŒhrungsĂ€ngste entgegentreten kann, auf Anhieb entspannte Unterhaltungen fĂŒhrt und den man einfach mögen muss. Die Brauerei ist geschlossen: Christmas Eve. ZurĂŒck bei Connor hacke ich Holz fĂŒr den Kamin, wĂ€hrend Connor den Kopf in ebendiesen steckt und das Feuer durch krĂ€ftiges und rhythmisches Pusten neu entflammt. Der Mann weiß, wie man ein anstĂ€ndiges Feuer macht. Wir sitzen wieder in gemĂŒtlicher Runde beisammen. Ich erzĂ€hle den drei Amis, dass in Deutschland Heiligabend und nicht der erste Weihnachtsfeiertag im Zentrum steht. Das finden sie ziemlich schrĂ€g.
»How do you celebrate Christmas in Germany?«
»Pretty much the same as you do, I guess.«
Ich erzĂ€hle ihnen, dass wir uns ebenfalls einen Tannenbaum ins Wohnzimmer stellen und auch viele ihre HĂ€user schmĂŒcken. Dass wir keine WeihnachtsmĂ€nner im Supermarkt sitzen haben, dafĂŒr aber WeihnachtsmĂ€rkte mit GlĂŒhwein in den InnenstĂ€dten eröffnen. Der christliche Hintergrund der Feiertage spielt bei den meisten Menschen gar keine oder keine sonderlich große Rolle mehr. Der Konsum regiert. Meine Familie ist auch atheistischer oder agnostischer Natur â€“ auch wenn mein Vater jetzt: »Oh! Moment, Moment!«, protestiert, wenn er das liest. Ist doch so, Papa. Wir feiern an Weihnachten eher das Zusammenkommen der Familie. Am frĂŒhen Mittag fahren wir in den Heimatort meiner Mutter. Dort wird seit einigen Jahren auf dem Dorfplatz bei der Kirche GlĂŒhwein gegen Spenden ausgeschenkt und der örtliche Posaunenchor untermalt das Ganze mit weihnachtlicher Musik. Dementsprechend lustig geht’s bei uns dann schon beim Mittagessen zu. Am Abend sind wir dann in der Regel alle sehr entspannt.
»I’ll show you how Germans celebrate Christmas«, grinse ich, packe mein deutsches Handy aus, schalte die Freisprechfunktion ein und rufe bei meinen Eltern an. Ich wollte heute sowieso mal anrufen. Hoch erfreut hebt meine Mutter den Hörer ab: »Dennis! Schatz! Boah, wir sind schon so besoffen. Der Marc hat heute eine ordentliche Mischung ausgeschenkt.«
Es geht um den Undenheimer GlĂŒhwein.
»Es ist ja auch schon â€Š Ă€hm â€Š es ist noch ziemlich frĂŒh, Mama! Übrigens: You have to speak English. America is listening.«
»Oh, hello America!«
Sie lacht laut.
Im Hintergrund ruft mein Vater: »America! Hello Houston! How â€Š Ă€hm â€Š merry â€Š happy!«
Er tut so, als könne er kein Englisch. Alle lachen â€“ diesseits und jenseits des großen Teichs.
»Wie geht’s dir denn? Und wo bist du?«
»Excuse me?«
Meine Mutter stöhnt auf: »How are you? Where are you?«
Ich erzĂ€hle ihr kurz, dass ich auf Endor bei den Ewoks bin, derzeit mit Cari reise und bei Connor ĂŒbernachte.
»Oho! Cari!«, animiert mein Vater den Rest der Familie. Die Witzbolde setzen alle mit ein: »Oooh!«, und brechen in kollektives GelĂ€chter aus, das einmal mehr auch in Eureka fĂŒr große Erheiterung sorgt.
»Mario«, das ist mein Schwager, »hat dich heute vermisst. Weil du nicht da warst, musste er doppelt so viel GlĂŒhwein trinken.«
Wieder schwappt eine Welle grölenden GelĂ€chters durch den Hörer. Meinen Schwager höre ich aus dem Hintergrund kurz mit: Ȁh«, protestieren.
»Wer ist denn das?«, höre ich meine 90-jÀhrige Omi.
»Der Dennis, Omi! Der ruft aus Amerika an!«
»Ach, Gott.«
Obwohl Cari, Shelley und Connor das meiste nicht verstehen, bekommen sie einen ziemlich guten, wenn nicht sogar optimalen Eindruck davon, dass Weihnachten bei Knickels durchaus eine ziemlich lustige Veranstaltung ist.
»Yeah, that’s how we celebrate Christmas in my family«, resĂŒmiere ich, nachdem ich aufgelegt und einen wichtigen Beitrag zur VölkerverstĂ€ndigung geleistet habe. Kommt gut an.
Connor stopft wieder sein Pfeifchen und erzĂ€hlt uns, dass hier das beste Gras wĂ€chst. Ich hole daraufhin mein Gras, das ich aus Washington mitgebracht habe, aus meinem Rucksack und gebe es Connor, damit er damit die nĂ€chste Pfeife stopfen kann: »I actually brought some legally grown weed from Washington.«
»Nice. This is organic Humboldt Weed.«
Connor hebt stolz das Pfeifchen in die Luft und greift dann nach dem TĂŒtchen, das ich ausgepackt habe. Er öffnet es, riecht daran und fĂŒllt es mit dem Biogras aus Eureka auf: ein Geschenk des Gastgebers. Sehr nett.

<center>Marihuana in Kalifornia</center>
In Kalifornien ist der Besitz von Marihuana bis 28,5 Gramm, also einer Unze, fĂŒr Menschen ohne entsprechenden Krankenschein lediglich eine Ordnungswidrigkeit und kann höchstens zu einer Geldstrafe bis 100 Dollar plus GebĂŒhren, nicht aber zu einem polizeilichen Eintrag fĂŒhren. Der Erwerb ist lediglich auf Menschen, die Marihuana zu medizinischen Zwecken nutzen beschrĂ€nkt und das private Anpflanzen sowie der Handel damit verboten. Ein Volksentscheid, der Marihuana in Kalifornien legalisieren sollte, wurde im November 2010 mit 57 % der Stimmen abgelehnt.

Shelley berichtet von ihrer Wanderung, Connor vom Rafting und auch Cari und ich erzĂ€hlen von unserem Tag im Wald. Das alles mit einer Tasse Tee, Kaminfeuer, Connors Pfeife und dem ulkigen kleinen Holiday Tree hinter uns. GemĂŒtlich. Um 22 Uhr muss Connor allerdings zur Arbeit: Heute Nacht werden Lachse markiert und gezĂ€hlt. Er lĂ€dt uns ein mitzukommen. Cari und ich mĂŒssen morgen aber schon sehr frĂŒh aufbrechen. Wir mĂŒssen den Wagen bis morgen Mittag, spĂ€testens 13 Uhr in San Francisco abgeben. Da wir planen, nicht den direktesten Weg, sondern den wohl ziemlich imposanten KĂŒstenhighway 1 entlangzutuckern, kann es gut und gerne sieben Stunden dauern, bis wir in San Francisco ankommen. Connor wird bis in den Morgen hinein an der LachszĂ€hlstelle arbeiten. Daher kĂŒndigen wir an, jetzt schlafen zu gehen und vermutlich heute Nacht, wenn wir aufbrechen wollen, noch einmal einen kurzen Abstecher zu ihm zu unternehmen.
Ich frage Shelley, ob sie auch plant, bald ins Bett zu gehen.
»Yes, but I go with Connor.« Ein kurzer Moment der Stille entsteht. »Uhm, not to bed â€Š to work.«

Als die beiden weg sind, erzĂ€hlt mir Cari, dass ich die beiden vorhin etwas irritiert habe. Wie das? Ich hĂ€tte auf Connors Frage, wie es im Wald war mit: »It was funny«, geantwortet. Okay? Laut Cari wird durch diesen Satz die Erwartung einer amĂŒsanten Geschichte geweckt. Richtig wĂ€re: »It was fun«, gewesen. Aha. Da wir ja nun schonungslos Tacheles reden, weise ich Cari wiederum darauf hin, dass sie immer von: »me and Dennis«, gesprochen hat. Wohlerzogen, wie ich nun einmal bin, erklĂ€re ich ihr: »Only the donkey names himself first.«
Sie schaut mich mit einem fiesen Blick an und wĂ€re nicht Cari, wenn nicht sofort ein Konter kĂ€me: »â€șOkey-dokeyâ€č is not really considered to be cool.«
Ah! Das sitzt: »Well, I sort of know that it’s not really cool, but â€ŠÂ«
Sie lacht mich aus. Ich kann da aber nichts fĂŒr! Als wir »Erinnerungen« gedreht haben, arbeiteten wir mit einem ĂŒbermĂ€ĂŸig gut gelaunten und lustigen Bestatter zusammen, der immerzu: »Okey-dokey«, sagte. »Okey-dokey, MĂ€nners. So wird’s gemacht.«
Das war ansteckend und auf seine Weise durchaus lĂ€ssig, versuche ich Cari von der subtilen Coolness im offensichtlich Uncoolen zu ĂŒberzeugen. Ein Stilmittel, sozusagen. Jetzt lacht sie noch lauter: »In your face!«
Schachmatt. Verdammt.
Da wir nun alleine im Haus sind, können wir es uns vor dem Kamin gemĂŒtlich machen. Wir legen noch etwas Holz nach und breiten Caris Decke vor dem Kamin aus. Romantischer geht’s kaum. Nachdem wir letzte Nacht im zweiten Wohnzimmer ordentlich gefroren haben, beschließen wir heute Nacht im Kaminzimmer zu schlafen. Als das Feuer erlischt, schmiegen wir uns zum Schlafen auf einen Sessel. Es ist wunderschön kuschelig. Ich könnte Cari ewig im Arm halten â€Š

Weiter geht’s auf Seite 5: Cari’s Day at the Redwoods

After stopping to eat a basket of fries â€“ practically the only vegan option on the menu of any strange small-town diner â€“ taking touristy photos of the elk and exploring the local second-hand store, where everything is bleached by the sun, we pulled in to our stop on B. Drury Parkway. The sight of the big clearing, the mossy tree stump and the never-ending forest immediately brought memories flooding back â€“ of the summer, being in the exact same place, exploring with three of my closest friends, picking wild flowers in the sun and braiding them into hair pieces for all of us, laughing as we lost our way and ended up wasting so much time doing everything wrong. This time spent in the redwoods wasn’t so different, actually. Dennis and I also spent a nice chunk of our time enjoying getting lost. We made our first wrong turn â€ŠÂ And made our way off the trail as often as the wilderness called to us. There were trees with openings you could walk inside â€“ every one we saw was another we couldn’t resist. Every redwood was towering, drawing the eye up and up and up â€ŠÂ Any other tree was barren of leaves, but absolutely covered in dripping lichen. The stream running through the woods half-guided us to a fallen tree leading across the water. We dared each other to cross it â€ŠÂ but decided we would cross at a later date, when we didn’t mind not being able to return. After wandering on and off the path we weren’t meant to be on, we finally found our trailhead â€“ which we were forced to realize we had already passed at least twice. This side of the park was very different from the side we had been wandering through for at least an hour. There were man-made wooden bridges; it seemed they were every 50 feet, and most were about that long. The trek was uphill, there weren’t many opportunities to leave this path without falling down or climbing up a steep cliff covered in ferns. The sun and sprinkling rain took their turns on us. Dennis would stop to take a photo and I would watch and take mental photos of him doing so. As he took a video of the ground-to-sky view of a redwood, I got behind him, wrapped my arms around him and did my best to make the camera shake without touching it. We had a sort of loosely-defined destination, but it could have been anywhere we chose â€ŠÂ And we wanted to choose sooner rather than later, because we always did seem to have an inability to keep our hands off each other. And we chose a fallen log that was probably as wide as any bed and had its own blanket of moss. Everything in this temperate rainforest was wet, so we laid our jackets down to avoid a freezing cold walk back to our rental car. We started taking off the rest of our clothes tentatively, nervously looking over our shoulders since our log was in plain sight for so much of the trail in both directions â€ŠÂ But once I had him inside me, I was consumed by the feeling and the view of his incredible eyes looking at me in front of a myriad of trees that disappeared into clouds in my immediate sight. Fortunately we had nothing to worry about â€“ not a person came by in the minutes we spent with each other laying on top of the fallen redwood in the forest.
We picked up our things. I lit a cigarette, feeling completely and utterly filled to the brim with satisfaction with life that day.

Quellen
Informationen zu den KĂŒstenmammutbĂ€umen, Redwood National und State Parks und der Carson Mansion: Wikipedia

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