Tag 6: Monarch Film Festival: Tag 2 – And the Winner Is ...

Serendipity – Teil 1

2012 11 15 16.38.59 edited Ausschnitt

Donnerstag, 15. November 2012
Pacific Grove

Ich habe mir Kaffee gemacht und sitze tiefenentspannt am Rechner, als es am Morgen an der Türe klopft. Die hochschwangere Putzfrau möchte rein und das darf sie auch, da ich sowieso gerade auf dem Sprung zum Frühstück bin. Mal sehen, ob das Baby schon geschlüpft ist, wenn ich mit meinem Orangensaft und dem Bagel fertig bin. Verrücktes Amerika …
Nach dem Frühstück – ich habe keine weiteren Informationen zum Zustand von Mutter und Kind – schlendere ich in Richtung Namensgeber meiner Straße: zum lighthouse. Um hierhin zu gelangen, überquere ich den Friedhof. Sämtliche Grabsteine sind kleine, im Boden eingelassene Platten. Statuen und pompöse Steine gibt es nicht. Dafür gibt es Rehe. Einige sogar. Die eigentlich eher scheuen Tiere begegnen einem also nicht nur nachts in Pacific Grove.

Der weiße Leuchtturm, Leuchthaus trifft es besser, steht genau zwischen Friedhof und Golfplatz. Ich frage mich, wie viele Golfer wohl schon auf dem Friedhof ihr Tee gesteckt haben. Um ins Häuschen zu kommen, muss man Eintritt zahlen. Es werden – wenn ich mich nicht irre – zwar nur zwei Dollar verlangt, aber auch für einen Dollar interessiert es mich nicht sonderlich. Stattdessen lasse ich mich von über mir kreisenden Pelikanen beeindrucken und setze meinen Spaziergang zur Küste fort. Der Oceanview Boulevard macht wenige Meter später seinem Namen alle Ehre. Es ist malerisch! Man kann bis auf die andere Seite der Bucht gucken, wo Santa Cruz liegt – und das sind gut 36 Kilometer Luftlinie bis dorthin. Ferner hat man einen tollen Blick auf Monterey, doch was sich direkt vor einem am und speziell im Wasser abspielt, toppt noch einmal die Sicht in die Ferne: Hier tummeln sich Seehunde!
Ich genieße den Blick über die Bucht mit seiner vielfältigen Fauna, der spätsommerlichen Sonne und den Kelpwäldern, die man an der Wasseroberfläche sieht. Ach ja: Kelp! An großen Teilen der Westküste gibt es Seetangwälder unter Wasser. Ich kenne die Kelpwälder bislang nur aus Dokumentationen, will sie aber unbedingt live erleben. Mit anderen Worten: Ich muss hier tauchen gehen! Alleine die Vorstellung, dass ich durch einen Algenwald tauche und die an der Oberfläche so behäbig wirkenden Seehunde plötzlich wie Torpedos an mir vorbeidüsen, bringt mir schon ein Kribbeln in die Fingerkuppen. Hoffentlich ist das Wasser nicht zu kalt …

Mein Weg führt mich – vorbei an Dutzenden grasenden Rehen, die sich vorwiegend auf mitten im Ort gelegenen Golfwiesen gütlich tun – wieder in Richtung Lighthouse Avenue beziehungsweise Kino. Das Festival geht heute in seinen zweiten und letzten Tag. Interessanterweise beginnt der Festivaltag mit der Verteilung der Awards. In meiner Kategorie gibt es inklusive »Erinnerungen« gerade einmal sechs Nominierte. Ich bin also gespannt, ob da nicht vielleicht was geht.
Nick Walker, der Mann, der übrigens für George Lucas bei Industrial Light & Magic arbeitet, wartet mit seiner Crew bereits vor dem Kino. Nick hat einen ziemlich schrägen Langfilm über einen fiktiven Robin Hood des Steuerwahnsinns gedreht: »George Biddle, CPA«. Man merkt dem Film an, dass er auf einem Kurzfilm beruht. Zumindest hatte ich gestern beim Sehen des Films des Öfteren das Gefühl, dass man die Story auch in 15 Minuten hätte unterbringen können. Und dann habe ich auch noch das Ende des Films verschlafen! Das ist mir zuletzt 1994 bei »Das Kartell« passiert … ausgelaugt im Schwimmtrainingslager. Ich habe keine Ahnung, was mich gestern so müde gemacht hat. Muss die frische Meeresluft sein. Wie dem auch sei: Festival Director Matthew hofft auf mehr Zuschauer. Naja, die werden jetzt auch nicht mehr kommen, denke ich mir und behalte leider recht. Also läuft die Zeremonie zwar im großen Kinosaal, dennoch aber recht privat ab. Der Preis für den besten Studentenfilm wird an den postapokalyptischen Thriller »Reclamation« vergeben, bevor Matthew mit der Laudatio meiner Kategorie loslegt: »This one worried me a lot when I first got it. It was our first submission from very far away. And it worried me, because we didn’t have the foundations to be able to fly people in, offer them places and do things. And it more worried me, because it was so damn good. So we have to give this guy an award. We have to ship it overseas ’cause he can’t make it. Needless to say: The film – and I will not be able to pronounce that properly, so I’ll just say it in English – is ›Memories‹!«
Rock und Roll! Matthew überreicht mir ein hübsch-hässliches Festival-T-Shirt, eine Glückwunschkarte und eine schicke, gläserne Trophäe, auf der »Erinnerungen (Memories)« eingraviert ist. Zum Glück haben sie es diesmal – im Gegensatz zum Programmheft – richtig geschrieben. Ich freue mich riesig und halte, wie schon in Marbella, eine peinliche Dankesrede, die mehr aus: »well«, und: »uhm«, als aus Worten und Inhalten besteht. Immerhin habe ich mich für meinen Whirlpool bedankt.

Auf der Karte prangt: »Congratulations«, und Cristiana schreibt, dass sie und Matthew »Erinnerungen« lieben und sie stolz sind, dass ich den weiten Weg von Deutschland zu ihnen gefunden habe. Eine goldene Zukunft stehe mir bevor und wir sollten unbedingt sowohl in Kontakt bleiben als auch mal gemeinsam an einem Projekt arbeiten. Na, das ist doch mal eine Karte! Auch wenn die Zuschauerzahlen sehr überschaubar waren, war das Festival sehr gut und mit viel Liebe organisiert. Ich denke, dass Matthew und Cristiana in ein paar Jahren ein richtig schönes und auch von Zuschauern mit Interesse angenommenes Festival auf die Beine stellen werden.
»Erinnerungen« wird aufgrund des Awards später noch einmal vorgeführt. Vorher läuft in »meinem« Kinosaal eine Dokumentation, die ziemlich gut besucht ist. Diese Zuschauer lasse ich mir nicht durch die Lappen gehen! Als die Doku endet und die Leute anfangen den Saal zu verlassen, weise ich an der Tür jeden darauf hin, dass in wenigen Minuten mein Film gezeigt wird und es mich sehr freuen würde, wenn sie den Saal nicht verlassen (und wohl neuen Eintritt zahlen müssten), sondern hier bleiben würden. Funktioniert erstaunlicherweise und schon habe ich ein schönes Screening in einem noch größeren Kinosaal als gestern, bei dem diesmal sogar der Ton fast optimal wiedergegeben wird. Das Screening macht wirklich Spaß. Sehr weit vorne sitzt ein alter Mann mit Weihnachtsmannbart und einem halben Promille zu viel, der sich köstlich amüsiert, als meine Hauptdarstellerin Luana Bellinghausen in einer Szene ihr Oberteil auszieht und den Hauptdarsteller Enrico Guzy neckisch sexuell verarscht. Für gut und gerne eine Minute hört man von vorne sehr langsam und alkoholisch: »Hööö hööö hööö häää. Hööö hööö hööö häää! Häää häää häää hööö!«
Da das komplette Publikum das Werben für meinen Film an der Tür mitbekommen hat, weiß natürlich jeder, dass ich der Regisseur bin. Als der Film endet, drehen sich also gleich ein paar Köpfe zu mir und stellen mir Fragen. Auch der lustige Zottelopi fragt mich etwas, um mir danach noch einen Auftrag mitzugeben: »Your actress is beautiful. Tell her she’s beautiful!«
Wird erledigt.
Unter den Zuschauern befinden sich auch Jesse, seine Frau und seine Tochter. Die Eltern befragen mich am interessiertesten und unsere Unterhaltung geht noch in der Kinolobby weiter. Irgendwie kommen wir aufs Tauchen zu sprechen und ich frage, ob sie mir Tipps geben können, wo ich im Monterey County am preiswertesten Pressluft schnuppern kann.
»You can go diving with Jesse«, schlägt Jesses Frau auf einmal vor. Ja, das wäre am einfachsten und wohl auch am billigsten.
»Sure! When?«
»You’ve time on Saturday, Jesse.«
»Saturday?«
»Saturday.«
Fett! Jesse schwärmt, dass er schöne Küstentauchplätze kenne. Wir müssen uns nur Equipment ausleihen. Besser kann’s ja nicht laufen! Interessant zu wissen, dass ich demnach bis mindestens Samstag im Monterey County bleiben muss. Ich benötige ab morgen also eine neue Unterkunft …
Nach den Screenings geht’s ins Gatherings, einem Haus, schräg gegenüber vom Kino, das private Feiern veranstaltet und Catering anbietet. Das weiße Holzhäuschen ist total putzig. Die Möbel im Wohnzimmer scheinen original aus der Kolonialzeit zu stammen. Ein Piano steht bereit und in der Küche wuseln fleißige Mexikaner umher. Die Getränke und das Essen sind umsonst. Es gibt Baguette und Tacos mit Guacamole, Salsa und einer anderen Soße. Die Küche des Gatherings hat mitbekommen, dass ich mich rein pflanzlich ernähre, weswegen es sogar eine vegane Torte gibt. Man fühlt sich doch sehr willkommen und für seine Arbeit sehr hofiert in Pacific Grove. Ein wirklich schönes Festival.
Ich komme mit Cecily, der Regisseurin von »Champion«, einer Dokumentation über Großmeister Danny Trejo, ins Gespräch. Ich erzähle ihr und ihrem vermutlichen Freund, dass ich ab morgen eine neue Bleibe benötige. Sie will ihren Vater, der ein komplettes Haus alleine bewohnt, fragen. Eines seiner Schlafzimmer sollte er schon abgeben können, meint sie. Cool, wäre das also unter Umständen schon mal erledigt.
Die Party geht noch feuchtfröhlich weiter: Cecilys Gefährte mutiert zum lustigen Barkeeper, Joey nennt mich den »fucking German«, weil er in derselben Kategorie wie »Erinnerungen« nominiert war, aber kläglich an meiner Genialität scheiterte, Andrew Schoneberg, der Regisseur von »Nighthawks« sitzt den halben Abend am Klavier, ohne auch nur eine Taste zu spielen, Nick und Freundin bieten mir an, in San Francisco bei ihnen unterzukommen und Matthews Mama hat meiner Meinung nach ordentlich einen sitzen, als sie mit dem Auto nach Hause fährt. Als Cecily und der Barkeeper mir am Ende der Party anbieten, mich nach Hause zu fahren, lehne ich dankend ab: »It’s just a 15 to 20 minutes walk.«
Kaum fahren die beiden los, frage ich mich, wie blöd ich eigentlich bin …

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