Epilog

Serendipity – Teil 2

2012 11 10 2013 02 05
EpilogDanke

Hier endet meine Reise. Meine Reise, die mich durch fünf Staaten der USA führte und auf der ich hoch erfreut feststellen durfte, dass so ziemlich jedes böse Vorurteil, das man in Europa gegenüber der amerikanischen Bevölkerung hat – zumindest an der Westküste –, für’n Arsch ist. Die Menschen der Westküste sind freundlich, hilfsbereit, kommunikativ, gut gelaunt, positiv eingestellt und optimistisch. Das sind Tugenden, die mir in Deutschland teilweise fehlen. Daher hatte ich mir bei meiner Rückkehr vorgenommen, das eine oder andere davon hinüberzuretten, beizubehalten und anderen Menschen mitzugeben. Mit 16 oder 17 lernte ich einen Holländer kennen, der Mitglied in einer buddhistischen Gemeinschaft oder Sekte war. Wir sind uns nur dreimal über den Weg gelaufen. Das letzte Mal, als ich mit meiner Schulklasse mit dem Zug fahren wollte, aber mein Geld zuhause vergessen hatte. Mein Religionslehrer wollte mir kein Geld für das Ticket vorstrecken und mich vom Ausflug ausschließen. Die Logik habe ich bis heute nicht verstanden, denn das Geld hätte er im Notfall auch von meinen Eltern zurückverlangen können. Jeroen bekam die Diskussion mit, kam auf den ehemaligen Pfarrer und mich zu, zückte seinen Geldbeutel und sagte, dass er das Ticket für mich bezahlen möchte. Der Lehrer schaute nur irritiert, während ich versuchte Jeroen davon zu überzeugen, dass dies nicht nötig sei. Schließlich war er wieder auf dem Weg zurück nach Holland und die Wahrscheinlichkeit, ihm jemals das Geld zurückzahlen zu können, sehr gering. Jeroen gab mir damals etwas mit, woran ich heute noch gerne denke und was zu einer kleinen Lebensphilosophie wurde: »Du musst mir das Geld nicht zurückgeben. Aber wenn du einmal siehst, dass jemand Hilfe benötigt, dann hilf ihm. Das ist gut für dein Karma und die Welt wäre ein besserer Ort, wenn jeder Mensch so handeln würde.«
An der Westküste hatte ich das Gefühl, dass dort sehr viele Menschen diese oder eine ähnliche Philosophie bewusst oder unbewusst verinnerlicht haben. Mittlerweile habe ich selbst einige Couchsurfer bei mir aufgenommen. Ich habe mich in Berlin eine Zeit lang bei den Busfahrern bedankt, rufe aber mittlerweile meine Danksagungen nicht mehr quer durch den Bus. Das wahllose Grüßen von Passanten habe ich mir ebenso wieder abgewöhnt. Dafür habe ich mich an meinem 30. Geburtstag mal für eine Stunde zu einer Gruppe Obdachloser am Alexanderplatz gesetzt und mit ihnen ein Bier getrunken. Außerdem stand ich eines Abends vor dem Magnet Club und hielt einen Zettel in der Hand, auf dem stand, dass ich der Person, die mir eine gute Geschichte erzählt, mein zweites Ticket schenke. Tragisch war hingegen, dass niemand auf diesen perfekten Handel eingehen wollte, weswegen ich mir schließlich einen sympathisch aussehenden Mexikaner schnappte, der gerade Flyer verteilte und ihn dazu zwang, mir seine Story zu erzählen. Die Geschichte war total blöd, seine Freude über das Ticket, den frühen Feierabend und die Entsorgung der restlichen Flyer hingegen super.
Diese Reise begleitet mich nun schon so lange, wie noch nie eine Reise zuvor. Ich habe lange an diesem Buch gearbeitet, was sehr anstrengend, aber auch wunderschön war, da ich den Trip in meinem Kopf noch einmal Tag für Tag erleben durfte. Meine Reise, bei der ich Menschen wie dem Seahorse Captain, Fantastic Mr. Fox, Keegan und Joshua, Rain, Casey und Alex, Rachel und Lucas, Ezana, Lauren und wie sie alle heißen, begegnen durfte. Ich freue mich wahnsinnig darüber, meinen alten Freund Leo nach unendlich langer Zeit wiedergesehen zu haben. Allen voran möchte ich aber jene vier Personen nennen, die meine Erlebnisse am meisten prägten und die demnach auch Hauptfiguren in einem Großteil meiner Geschichten sind: Ford, Brian, Scott und Cari … vier der tollsten Menschen, die ich jemals kennenlernen durfte.
Ich habe noch mit vielen meiner Gefährten Kontakt. Es macht mich sehr glücklich, zu wissen, was meine amerikanischen Freunde machen und wie es ihnen geht: Leo schrieb mir wenige Wochen nach meiner Rückkehr, dass er sein Leben komplett umkrempeln möchte. Er hat endlich seinen Job gekündigt und wenig später direkt einen neuen, viel besseren bekommen. Nun sitzt er nicht mehr in einer Großraumbürowabe, sondern hat sein eigenes Domizil mit Wänden und Ruhe.
Ford verbrachte noch einige Monate obdachlos in Los Angeles. Mittlerweile lebt er wieder in Illinois und hat ein Dach über seinem Kopf. Er hat sich einen grässlichen Bart und seine Haare wachsen lassen. Von der Schauspielerei hat er nicht abgeschworen und plant nach wie vor, für die neuen Star-Wars-Filme gecastet zu werden.
Rain ist plötzlich zu einem gefragten Model für Damen- und aufgrund ihrer Statur interessanterweise auch für Herrenmode avanciert und postet nahezu täglich auf Facebook neue Fotos von Modenschauen und Shootings.
Scott und Lauren sind zwar kein Paar mehr, aber nach wie vor gute Freunde. Scott hat im Sommer wieder Waldbrände bekämpft und wird vermutlich tatsächlich ab nächster Saison mit dem Fallschirm ins Feuer springen, um es mittendrin zu bekämpfen. Derzeit bereist er mit seinem besseren Wagen, den er offensichtlich doch nicht verkauft hat, die Westküste.
Brian schien sich bis Januar 2014 komplett von der Sesshaftigkeit verabschiedet zu haben und suchte vermutlich hartnäckig nach einer neuen Heimat. Seine Mails zu dechiffrieren ist nahezu unmöglich, jedoch schwer amüsant. Eine Nachricht bestand aus Abenteuern mit Elchen und Bären in irgendwelchen verschneiten Bergen. Er habe Avalon in der Nähe von Oregon und Nevada entdeckt und sah eine Rakete in den Himmel fliegen. Okay? Er hat zwischendurch einen Monstertruck besessen, mit dem er dennoch im Schnee stecken geblieben ist und plant, mich eines Tages in Berlin zu besuchen. Da ich weiß, wie viele seiner Pläne er in die Tat umsetzt, mache ich mir allerdings wenig Hoffnung, ihn irgendwann bei mir zu Hause begrüßen zu dürfen. Aber es sieht so aus, als habe er Spaß, was mich sehr freut. Jetzt ist er wieder in Portland, hat eine Freundin und angeblich keinen Bart mehr.
Und Cari? Mit Cari habe ich den regelmäßigsten Kontakt. Sie hat sich inzwischen ihr Gras-Tattoo auf den Knöchel stechen lassen und lebt nun in einer WG mit fünf anderen Mädels. Zwei von ihnen haben mich in Berlin besucht. Ansonsten veranstaltet das »Boathouse«, wie sie ihr neues Domizil getauft haben, regelmäßig Open Mic Nights, zu denen Dutzende Besucher in den Keller der Mädels-WG strömen, um ihre Künste vorzuführen.
Laut Cari scheint Joshua alias »Landlord Freedom« wieder auf freiem Fuß zu sein. Zumindest hat sie ihn auf der Straße gesehen. Er trug kurze Haare und sah ihrer Meinung nach obdachlos aus. Sie schwang sich auf ihr Fahrrad und fuhr – ihn böse anfluchend – davon. Ihr Geld, um das er sie betrogen hatte, hat sie nie wiedergesehen.
Lustigerweise hat Cari mittlerweile sogar meine Eltern kennengelernt, die ein halbes Jahr nach mir einen Trip entlang der Westküste starteten und dabei für einige Tage Portland besuchten. Entgegen meiner ausdrücklichen Order haben sie Cari leider nicht nach Deutschland entführt.
Ich bin so dankbar. Dankbar für all die Erlebnisse mit diesen tollen Menschen in diesem wunderschönen Teil unserer Erde. Und ich hoffe, dass die Erinnerungen niemals vollends verblassen mögen und ich vielen oder wenigstens einigen von ihnen irgendwann wieder begegnen werde.
Dies waren drei Monate, die ich nie vergessen werde. Vielleicht waren es sogar die besten Monate meines Lebens. Meines bisherigen Lebens! Denn zum Abschluss meines Berichts erlaube ich mir, den Schattenkönig aus Walter Moers »Die Stadt der Träumenden Bücher« frei zu zitieren: »Hier fängt meine Geschichte erst an …«

Es lebe das Leben!

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10. November 2012 bis 5. Februar 2013

Neben den im Epilog bereits erwähnten Menschen bedanke ich mich auch bei Kenny, Connor, Demian, Heather, Melissa aus Santa Cruz, Julie, Melissa aus Portland, Shaveela, Joe und Kiki, »El Lobo Rojo«, George, Valery und Tyrone, Joey, Rey, Mark, Izaiah, Brendan, Lola und Steven, Jesus Freak Justin, Scotts Bruder Patrick, Scotts WG, bei den Streetkids aus Santa Barbara, Maydel, Brandon, David, Brenda und den anderen Bewohnern des Globetrotters Inn, Cristiana, Matthew und den Filmemachern des Monarch Film Festival 2012, den Bewohnern des Bordello und allen anderen Menschen, denen ich begegnet bin.

Ich bin sogar dankbar, die Wege von Joshua/Jeshua, dem »Anti-Backpacker« Cedric oder Jim Carrys bösem Zwilling Ken gekreuzt zu haben. Denn auch merkwürdige Menschen können einem Trip wahrlich eine gewisse Würze verleihen. Letztlich muss ich sogar Chris danken, denn schließlich war er die Triebfeder meiner Reise.

Ganz besonders bedanken, möchte ich mich bei meinen unermüdlichen Lektoren: Indra Henning, Henry Mann sowie Inge und Wolfgang Knickel.
Großer Dank gebührt auch dem Gestalter des Buchdeckels Yannick Rohsmann sowie Tim Stieffenhofer, dem Fotografen des Titelfotos, und Maryl Vogel, die sich der Farbbearbeitung angenommen hat.
Auch Alexander Häusser möchte ich: »Danke!«, sagen. Er war es, der mich zu meiner allerersten Lesung überhaupt einlud, mir danach ausdrücklich und wiederholt Talent unterstellte und das erste Manuskript meines Lebens an seinen Agenten weiterleitete: Vielen Dank für diesen Motivationsschub!

Tag 88   Inhaltsverzeichnis

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