Tag 61: Walk of Fame: Die Geschichte des Hollywood Boulevard

Serendipity – Teil 2

Grauman’s Egyptian Theatre

Mittwoch, 9. Januar 2013
Hollywood, Los Angeles

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Die Nacht auf dem Parkplatz ist recht kurz und ungemĂŒtlich. Als ich aufwache, sind Stephan und das MĂ€del natĂŒrlich nicht mehr da. Seltsamerweise sind aber auch Ford und sein komplettes GepĂ€ck verschwunden. HĂ€? Ich laufe irritiert den Parkplatz auf und ab. Von meinem Freund ist nichts zu sehen. Zwei Minuten spĂ€ter taucht er wieder auf. Er hat sich im Hostel, das sich direkt neben dem Parkplatz befindet, schick gemacht und fĂŒr drei Dollar sein GepĂ€ck darin verstaut. Ford meint, er habe ĂŒberhaupt nicht geschlafen. MĂŒde fĂ€hrt er mit dem Bus zur ersten Audition. Ich setze mich zunĂ€chst zu Starbucks, wĂ€rme mich mit Kaffee auf und ĂŒberlege, was ich heute mache. Neben mir sitzt eine gut und gerne 65 Jahre alte Russin, die gerade an ihrem Rechner verzweifelt. Ihr zu helfen, ist hinsichtlich der kyrillischen Schrift jedoch nicht so einfach. Nachdem ich der Russin mehr schlecht als recht geholfen und meinen Kaffee ausgetrunken habe, bekomme ich Hunger. In der unweit gelegenen Wilcox Avenue esse ich im Vegan House und putze mir danach im Restaurantklo die ZĂ€hne.

Ich starte einen Spaziergang ĂŒber die Sterne des Walk of Fame, die seit 1960 in das Pflaster des Hollywood Boulevard eingelassen werden. Man kommt gar nicht umhin, stĂ€ndig die Namen der mit einem Stern Geehrten auf dem Boden zu lesen. Neben Namen und Stern wird mit einem Symbol auch dargestellt, aus welchem Gebiet die honorierte Person kommt: Film, Fernsehen, Radio, Musik inklusive Musikaufnahme und seit 1984 auch Theater beziehungsweise Live-Performance. Außerdem gibt es tatsĂ€chlich noch Sterne fĂŒr fiktive Figuren wie Kermit der Frosch, die Simpsons, Micky Maus und sogar Godzilla. Zu guter Letzt gibt es noch die seltenen special stars. Mindestens vier davon sehe ich auch: Sie wurden den Mondpionieren der Apollo 11 gewidmet â€“ und sind ausnahmsweise einmal Monde und keine Sterne. Die Monde befinden sich an allen vier Ecken der Kreuzung Hollywood und Vine und werden zur Fernsehkategorie gezĂ€hlt.
Nahezu die HÀlfte aller Sterne ging an Menschen aus dem FilmgeschÀft.

<center>Über den Walk of Fame</center>
Charlie Chaplin musste 16 Jahre lang warten, bis die bereits 1956 gefĂ€llte Entscheidung, ihm einen Stern zu widmen, in die Tat umgesetzt wurde. Der Grund dafĂŒr war wohl ein vorgeschobener: Chaplin wurde Anfang der 1940er angeklagt, eine Schauspielerin als bezahlte Geliebte gehalten zu haben. Er wurde freigesprochen. Viel wahrscheinlicher fĂŒr das Aufschieben seiner Ehrung dĂŒrften seine Weigerung, die amerikanische StaatsbĂŒrgerschaft anzunehmen, und seine linkspolitischen Ansichten gewesen sein. Es war die Zeit der berĂŒchtigten McCarthy-Ära, in der eine Reihe Prominenter wegen »unamerikanischer Umtriebe« als kommunistisch und somit verfassungsfeindlich eingestuft wurden. Als Chaplin 1952 nach Europa reiste, um dort seinen neuen Film »Rampenlicht« zu prĂ€sentieren, verweigerte man ihm die Wiedereinreise in die USA. Chaplin zog daraufhin in die Schweiz, wo er letztlich bis zu seinem Tod 1977 lebte.
Die kauzigste Geschichte verbirgt sich hinter Muhammad Alis Stern. ZunÀchst musste ein legitimer Grund gefunden werden, um den Boxer mit einem Stern zu ehren.
»Well, boxing is sort of a live performance«, entschied das Komitee schließlich. Nachdem das also geklĂ€rt war, meldete sich »The Greatest« höchstselbst zu Wort und merkte an, dass ihm der Gedanke missfĂ€llt, dass Leute ĂŒber seinen Namen laufen. Also beratschlagte man erneut und beschloss, Alis Stern als ersten und bislang einzigen Stern an einer Wand anzubringen. Die spezielle Wand befindet sich im Dolby Theatre.
Die Sterne werden ĂŒberdies nicht zufĂ€llig platziert: Personen, die mit dem Academy Award ausgezeichnet wurden, findet man gewöhnlich nahe des Dolby Theatre, Bond-Darsteller Roger Moore hat man vor dem Haus mit der Nummer 7007 verewigt, Ed O’Neill alias Al Bundy vor einem SchuhgeschĂ€ft und Michael Myers beehrte man â€“ in Bezug auf seine Rolle als Austin Powers â€“ mit einer Platzierung vor der International Love Boutique. Oh, behave!

Video


Einen »ersten Stern« im Walk of Fame gibt es ĂŒbrigens nicht. Als die Stadt Los Angeles das Anlegen der Ehrenmeile genehmigte, wĂ€hlten vier Komitees aus Tausenden VorschlĂ€gen 1558 KĂŒnstler aus. Die viermal fĂŒr den Oscar nominierte und 1958 in ihrer Rolle in »Eva mit den drei Gesichtern« einmal siegreiche Joanne Woodward wird oft als die erste KĂŒnstlerin mit einem Stern auf dem Walk of Fame bezeichnet. Das stimmt allerdings nicht. Aus den 1558 angefertigten wurden acht zufĂ€llig ausgewĂ€hlte Sterne temporĂ€r der Öffentlichkeit prĂ€sentiert, damit diese sich einen Eindruck vom geplanten Projekt machen konnte. Joanne Woodward war hierbei lediglich die Erste, die mit ihrem Stern vor Fotografen posierte. Stummfilmaktrice Olive Borden und der 1948 mit dem Academy Award fĂŒr die beste mĂ€nnliche Hauptrolle in »Ein Doppelleben« ausgezeichnete Ronald Colman gehörten genauso zu den acht Ausgelosten, wie die hauptsĂ€chlich in Stummfilmkomödien auftretende Louise Fazenda, Schauspieler Preston Foster und Regisseur, Drehbuchautor, Schauspieler und Produzent Edward Sedgwick. Schauspieler Ernest Torrence und der legendĂ€re Burt Lancaster, der insgesamt viermal fĂŒr den Oscar nominiert war und 1960 den Goldjungen fĂŒr seine Rolle als Elmer Gantry im gleichnamigen Film erhielt, runden die acht GlĂŒckspilze ab. Der tatsĂ€chlich erste permanent angebrachte Stern war am 28. MĂ€rz 1960 der des neunmal fĂŒr den Oscar nominierten, aber nie siegreichen Regisseurs Stanley Kramer, dem wir Filme wie »Das Urteil von NĂŒrnberg«, »Flucht in Ketten«, »Die Caine war ihr Schicksal« und »Zwölf Uhr mittags« verdanken. Die Zahl der gelegten Sterne liegt mittlerweile bei rund 2500. AlljĂ€hrlich werden rund 20 Sterne dem Walk of Fame hinzugefĂŒgt. Die genauen Adressen der einzelnen Sterne kann man notabene auf der deutschen Wikipedia-Seite nachschlagen.
Der Walk of Fame ist von Ost nach West ĂŒber zwei Kilometer lang. Die Sterne ziehen sich von der Kreuzung Hollywood Boulevard und La Brea Avenue im Westen bis zur Ecke Hollywood und North Gower Street, die sich drei Blocks östlich der Vine Street befindet. Und auch in der Vine Street erstreckt sich der Walk of Fame ĂŒber drei Blocks beziehungsweise 700 Meter. Hier kann man Passanten wie mich mit interessiert gesenkten Köpfen von der Ecke Vine und Yucca Street bis zur Ecke Vine und Sunset Boulevard beobachten. Ich finde das Flanieren ĂŒber die Ehrenmeile durchaus amĂŒsant, da ich auf meiner bisherigen Reise meist nach oben schaute, wenn ich auf Entdeckungstour durch eine Innenstadt gelaufen bin.

<center>Aus der Historie Hollywoods</center>
Die Entwicklung Hollywoods ist schon erstaunlich: 1853 stand hier nicht mehr als eine LehmhĂŒtte. Es wurde Landwirtschaft betrieben und um die Jahrhundertwende zĂ€hlte Hollywood ganze 500 Einwohner, ein Postamt, eine Zeitung, ein Hotel und zwei MĂ€rkte. Am 27. Oktober 1911 wurde dann mit der Nestor Motion Picture Company das erste Filmstudio Hollywoods eröffnet. 15 weitere folgten noch im selben Jahr. Der Abzug aus New York liegt darin begrĂŒndet, dass an der OstkĂŒste brancheninterne RevierkĂ€mpfe das Leben der Studios erschwerten und â€“ vielleicht sogar wichtiger â€“ das sonnige Wetter Kaliforniens. In der FrĂŒhzeit des Filmemachens hatte man noch kein adĂ€quates Kunstlicht entwickelt und das Filmmaterial war noch relativ lichtunempfindlich. Bereits 1915 hatte sich Hollywood zum wichtigsten Standort der Filmindustrie innerhalb der USA gemausert. Infolge des Ersten Weltkriegs, fĂŒr den Rohstoffe benötigt wurden, die auch zur Filmherstellung notwendig waren, verlor Frankreich in den 1920er Jahren seine weltweite Vormachtstellung. Sogar ImportbeschrĂ€nkungen gegenĂŒber der amerikanischen Filmflut mussten erlassen werden, um die europĂ€ische Filmwirtschaft vor dem Untergang zu bewahren.
Vom landwirtschaftlichen Hollywood der Jahrhundertwende war nichts mehr ĂŒbrig geblieben. Der Stadtteil der »City of Angels« war fortan die neue Welthauptstadt des Films, dem bald Radio- und Fernsehstationen wie auch die Musikindustrie folgten.

Es ist angenehm warm und mein Rucksack wegen der geschenkten Decke und Fords Pullover voller und schwerer als bisher. Allzu schön ist Hollywood trotz des hĂŒbschen Bordsteinpflasters indes nicht. HĂ€sslich ist der Boulevard, in dem es erstaunlich wenige HochhĂ€user gibt, aber auch nicht. Mit Ausnahme der Kinos und einiger weniger anderer GebĂ€ude mangelt es schlicht an hĂŒbschen Bauten. Der Boulevard wirkt eher wie eine Touristenmeile in einem x-beliebigen Urlaubsort, mit den ĂŒblichen Fast-Food-Restaurants und unhĂŒbschen SouvenirlĂ€den, die billig daherkommen und sich in einstöckigen Flachbauten ohne jedwede KreativitĂ€t befinden. Man könnte sagen, dass sich der Ramschtourismus zwischen die Tempel der amerikanischen Filmhistorie eingenistet hat. Gleich mehrere GeschĂ€fte unterbieten sich mit ihren Preisen fĂŒr T-Shirts: fĂŒnf Shirts fĂŒr zehn Dollar. In den Headshops werden die extravagantesten Wasserpfeifen angeboten und der DĂ©jĂ  Vu Showgirls Stripclub wirbt damit, dass in ihm Tausende wunderschöner und auch drei hĂ€ssliche MĂ€dels tanzen. VerrĂŒckt.


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Eher pervers denn verrĂŒckt finde ich die allseits beworbenen Bustouren, die einen zu den HĂ€usern von ĂŒber 50 Promis fĂŒhren. Immerhin stört man nicht alle 50 Celebrities, da einige von ihnen schon nicht mehr unter uns weilen oder im Falle von Lindsay Lohan derzeit im Entzug sind â€“ glaube ich zumindest. Ford hat sich schon des Öfteren ĂŒber die öffentliche DemĂŒtigung von Lindsay Lohan aufgeregt und der Zurschaustellung und Anprangerung des einstigen Disney-Stars sogar ein neues Verb gewidmet: »I don’t want to get lohaned!«
Im Internet wird der Begriff allerdings anders verwendet. Da bedeutet »getting lohaned«, dass man sich an einem Abend so zudröhnt, dass man Gefahr lĂ€uft, den FĂŒhrerschein, die UnterwĂ€sche und den Inhalt des eigenen Magens zu verlieren.

<center>Die Kreuzung Hollywood und Vine</center>
An der Kreuzung Hollywood und Vine befindet sich das zwölfstöckige Taft Building. Das neoklassizistische GebĂ€ude wurde 1923 fertiggestellt und beherbergte schnell alle relevanten Filmstudios, die Academy of Motion Picture Arts and Sciences, Will Rogers, Charlie Chaplin und Clark Gables Zahnarzt. Es war das erste Hochhaus der Stadt, das als BĂŒrogebĂ€ude genutzt wurde.
Genau gegenĂŒber befindet sich das Equitable Building, in dessen Erdgeschoss Ford und ich in Dillon’s Irish Pub unser Wiedersehen gefeiert haben. Das hĂŒbsche GebĂ€ude mit dem interessanten U-förmigen Grundriss wurde Ende 1930 fertiggestellt und war somit nach dem Taft Building das zweite herausragende BĂŒrogebĂ€ude von Los Angeles. Schauspielagent Myron Selznick zog mit seiner Agentur Joyce-Selznick, Ltd. in das Equitable Building und sorgte somit fĂŒr regelmĂ€ĂŸigen Starauflauf: Zu seinen Klienten gehörten unter anderem Vivien Leigh, Laurence Olivier, Gary Cooper, Henry Fonda, Boris Karloff und Carole Lombard. Der Bruder von Produktionslegende David O. Selznick war mit Los Angeles’ erster Talentschmiede so erfolgreich, dass er Hausverbot bei 20th Century Fox bekam. Die Studiobosse fĂŒrchteten, dass er die SchauspielgehĂ€lter zu sehr in die Höhe treiben könnte.

Equitable Building

Equitable Building

Anmerkungen:
• Dillon’s Irish Pub ist umgezogen und befindet sich nicht mehr an der Ecke Hollywood & Vine, sondern einen Block weiter, kurz vor der Ecke Hollywood und Ivar Avenue.
• Zwei weitere Fotos vom Pantages gibt’s bei Tag 60 zu bewundern â€“ zwischen dem Plakat von »Der Hobbit« und Reese Witherspoons Stern.

Direkt neben dem Equitable Building befindet sich seit 1930 das im Art-dĂ©co-Stil erbaute Pantages Theatre. Amerikas erstes Art-dĂ©co-Kino war zunĂ€chst als zwölfstöckiges GebĂ€ude mit zehn Stockwerken fĂŒr BĂŒros geplant. Aufgrund der Great Depression sparte man sich dann aber die zehn BĂŒroetagen. Ein weiteres Opfer der Wirtschaftskrise wurden die Vaudeville-Darbietungen, die sich ursprĂŒnglich mit den FilmvorfĂŒhrungen abwechselten. Um Geld zu sparen, fanden die varietĂ©artigen Shows nur noch gelegentlich statt.
Ein Jahr nachdem er RKO Pictures ĂŒbernommen hatte, ĂŒbernahm Howard Hughes 1949 auch das Pantages Theatre. Er selbst zog mit seinem BĂŒro in die zweite Etage des Pantages und hieß fĂŒr die folgenden zehn Jahre die Academy zur Oscarverleihung willkommen. Im Januar 1977 schloss das Pantages Theatre seine Pforten als Kino und eröffnete sie einen Monat spĂ€ter wieder als Theater- und MusicalbĂŒhne. Die KonzeptĂ€nderung ging auf: Die fĂŒnf Wochen mit dem höchsten Einspielergebnis eines Theaters in der Geschichte von Los Angeles gehen allesamt aufs Konto des Pantages.

Es sieht so aus, als wĂŒrde der Boulevard östlich des Pantages weniger spektakulĂ€r fortgefĂŒhrt. Ich biege daher links in die Argyle Avenue ab. Zu meiner linken sehe ich an der Ecke Vine und Yucca Street das runde Capitol Records Building.

<center>Capitol Records Building</center>
Angeblich war es purer Zufall, dass der 13-stöckige Bau wie eine Stapelung von Schallplatten aussieht. Keine ZufĂ€lligkeit verbirgt sich indessen hinter dem Rhythmus des blinkenden Lichts, das sich auf dem Turm befindet. Seit seiner Fertigstellung 1956 sendet das Capitol Records Building im Morsecode »Hollywood« ĂŒber die Stadt.

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Ich möchte Hollywood abseits des Boulevards erforschen und biege von der Yucca Street nördlich in den Cahuenga Boulevard ab. Ich unterquere den Highway 101 und stelle fest, dass es nördlich des Hollywood Boulevard nichts zu bestaunen gibt. Selbst die Aussicht wird, trotz des Aufstiegs, nicht besonders. Allerdings sind die omniprĂ€senten Werbetafeln, die einen den riesigen Einfluss und die AllgegenwĂ€rtigkeit der Filmindustrie spĂŒren lassen, dann doch wieder faszinierend. Ich habe mir noch nie in meinem Leben so gerne Werbeplakate angesehen â€Š

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Wieder zurĂŒck auf dem Hollywood Boulevard, passiere ich das 1922 erbaute und weltberĂŒhmte Grauman's Egyptian Theatre.

<center>Grauman & Toberman: Die Macher von Hollywood</center>
Showman Sid Grauman und Immobilienentwickler Charles E. Toberman waren jene VisionĂ€re, die Hollywood durch ihre Komplexe zur Kinometropole schlechthin gedeihen ließen.
Toberman hat halb Hollywood erbaut, darunter das eine oder andere Hotel und den Hollywood Bowl, ein modernes Amphitheater. Er wurde daher auch ehrfĂŒrchtig »Mr. Hollywood«, ja sogar »Father of Hollywood« getauft.
Sid Grauman leitete mehrere Theater in San Francisco und San Jose, bevor er nach Los Angeles kam und fĂŒr 35 Jahre im Ambassador Hotel einzog. Grauman freundete sich mit vielen Filmstars an, die auf ihrem Weg nach oben oftmals als noch unbekannte KĂŒnstler bereits auf seinen BĂŒhnen in San Francisco aufgetreten waren; darunter OscarpreistrĂ€gerin Mary Pickford und Charlie Chaplin. Grauman war außerdem einer der 36 GrĂŒnder der Academy of Motion Picture Arts and Sciences. Die letzten sechs Monate seines Lebens lebte er in einem Krankenhaus. Nicht aber, weil er krank war, sondern weil er es mochte. Er ging zum Essen in Restaurants und kam zum Schlafen zurĂŒck ins Hospital.

<center>Grauman's Egyptian Theatre</center>
Im Egyptian fand am 18. Oktober 1922 die allererste Hollywoodpremiere ĂŒberhaupt statt: »Robin Hood« mit Douglas Fairbanks. Das Egyptian war eigentlich gar nicht als Ă€gyptisch geprĂ€gtes Bauwerk geplant. Die ursprĂŒnglich angedachte Architektur kam aus dem Hispanischen, was man auch noch am schrĂ€gen Dach ĂŒber dem Haupteingang erkennen kann. Vermutlich infolge des Rummels rund um den ArchĂ€ologen Howard Carter, von dem die amerikanische Gesellschaft seinerzeit angefixt war, entschieden sich die Bauherren Grauman und Toberman um und machten aus dem hispanischen Kino kurzerhand ein Ă€gyptisches. Die bereits bezahlten Dachziegeln wurden dennoch verwendet. Zwei Wochen nach der Eröffnung des Egyptian entdeckte Carter schließlich die Grabkammer von Tutanchamun. Hollywoodreif.

Neben das Egyptian reihen sich Scientology, das Guinness Museum â€“ in dem es um Weltrekorde und nicht um Bier geht â€“, McDonald’s und ein GebĂ€ude, aus dem ein comichafter T-Rex mit einer Uhr vor der Brust aus dem Dach herausschaut: Ripley's Believe It or Not! Hierbei handelt es sich um ein sogenanntes »Odditorium«, ein Museum, in dem es primĂ€r um MerkwĂŒrdigkeiten geht.

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Das Highlight des nĂ€chsten Blocks ist das El Capitan Theatre, das heute der Walt Disney Company gehört und dementsprechend Schauplatz fĂŒr viele Premieren von Filmen aus dem Hause Disney ist.

<center>El Capitan Theatre</center>
Auch dieser Kino- und Theaterkomplex stammt aus den 1920er Jahren und wurde von Charles E. Toberman und Sid Grauman in Auftrag gegeben. Wie der Name schon vermuten lĂ€sst, verwirklichten Grauman und Toberman im 1926 eröffneten El Capitan schließlich ihren Plan, ein vom spanischen Kolonialstil geprĂ€gtes GebĂ€ude zu errichten.
Auf den Brettern des El Capitan spielten Legenden wie Clark Gable und Joan Fontaine. Das wohl wichtigste Ereignis dĂŒrfte aber 1941 die WestkĂŒstenpremiere von Orson Welles’ Überfilm »Citizen Kane« gewesen sein. In der Hauptfigur des Films, der von vielen als der beste Film aller Zeiten angesehen wird, erkannte sich â€“ wohl weniger durch Zufall â€“ der Medienmogul William Randolph Hearst wieder. Da Kane weniger eine schmeichelhafte Hommage, denn eine bitterböse Abrechnung mit dem Großkapitalisten ist, gab Hearst alles, um die Veröffentlichung des Films zu verhindern. Er versuchte die Negative von RKO Pictures abzukaufen, bezeichnete Welles in den Medien als Kommunisten, verbot Werbung fĂŒr sĂ€mtliche RKO-Produktionen und sanktionierte nach seiner UrauffĂŒhrung sĂ€mtliche Kinos, die den Film zeigten. Wohl weniger wegen Welles’ Film, sondern vielmehr aufgrund der Großen Depression schloss das El Capitan nach der VorfĂŒhrung fĂŒr ein Jahr seine Pforten. Als das Hollywood Paramount Theatre ging es unter neuer FĂŒhrung weiter und entwickelte sich an der WestkĂŒste zum Flaggschiffkino der Paramount Studios. 1948 mussten die Filmstudios angesichts einer kartellrechtlichen Maßnahme der US-Regierung, die Filmproduktion und FilmvorfĂŒhrung trennte, ihre Kinos wieder abgeben. Das berĂŒhmte Kino hatte daraufhin unterschiedliche Besitzer. Seit den spĂ€ten 1980er Jahren dĂŒrfen Filmstudios wieder ihre eigenen Kinos besitzen, was schließlich dazu fĂŒhrte, dass die Walt Disney Company 1989 das Kino ĂŒbernahm und es 1991 wieder unter seinem ursprĂŒnglichen Namen in Betrieb nahm.

Ich spaziere auf der gegenĂŒberliegenden Straßenseite der Kinos, wo mir nun eine ganze Reihe interessanter Persönlichkeiten begegnen: Ein etwas zu sehr aufgeblasener Captain America im Strampelanzug macht den Anfang. Allerdings hat er irgendwo sein Schild vergessen. DafĂŒr trĂ€gt er eine Sonnenbrille und schicke schwarze Sneakers. Geiler Typ.


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Kurz darauf treffe ich auf Donald und Daisy Duck, die gerade einen Plausch mit Minni Maus halten. Der nĂ€chste Kollege ist mir noch nicht bekannt. Allerdings hat er in meinen Augen das Potenzial, es in Hollywood ganz weit zu bringen. Es handelt sich um einen Gorilla mit Bierbauch, abgerissener rosa Hose und gleichfarbigem Superheldencape. Über seiner Wampe spannt ein schwarzes Shirt, auf dem ebenfalls in rosa Schrift »Hollywood« geschrieben steht. Abgerundet wird die absolute Coolness mit einer silbernen Sonnenbrille mit orangefarbenen GlĂ€sern. Vielleicht sollte ich ihn mir schnappen und zu Marvel oder DC schleppen? Oder gibt es den Beer-Gutted Ape-Man schon?

Auch Supergirl zeigt Bauch und sollte sich nicht zu sehr auf ihren roten Handschuh konzentrieren, sondern besser darauf, dass hinter ihr Ghostface, der kranke Serienkiller aus der »Scream«-Reihe umherschleicht. Na, vielleicht vertraut sie auch darauf, dass Mr. Incredible eingreift, bevor sich der maskierte Drecksack von hinten an ihre Gurgel macht.

Captain Jack Sparrow sieht trotz seiner kleinen Schatzkiste etwas bedröppelt aus. Vielleicht hat die sexy Polizistin, die zehn Meter weiter in Hotpants fĂŒr Recht und Ordnung sorgt seinen Rum beschlagnahmt? Jack gegenĂŒber steht Spider-Man. Ich hĂ€tte ihn mir wesentlich sympathischer vorgestellt. Vielleicht hatte Peter Parker aber auch einen nervigen Schultag. Sein grauer Ranzen steht neben ihm und er selbst posiert, als hielte er sich fĂŒr einen ganz Großen.
»Nolan’s Batman stole your show!«, möchte man dem arroganten Teenie zurufen. GlĂŒcklicherweise verkneife ich mir diesen Ausruf, denn schon trottet gefĂ€hrlich nahe der Joker mit einer Frau mit blonder PerĂŒcke an mir vorbei. Die planen offensichtlich was.

Wesentlich lĂ€ssiger als Spider-Man ist wiederum Kick-Ass, der irritierenderweise nicht mit Hit-Girl, sondern Wonder Woman unterwegs ist. Als er mich sieht, fordert er mich auf, gemeinsam böse Schergen zu besiegen. Ob er mich meines Bartes wegen fĂŒr den noch unbekannten Bear Man hĂ€lt?

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Meine Irritation nimmt zu, als ich einen zweiten Spider-Man und einen zweiten Captain America â€“ diesmal mit Schild â€“ an mir vorbeistolzieren sehe. Was ist denn hier los? Trittbrettfahrer?

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Ich beobachte die Stars und Helden nun kritischer: Marilyn Monroe winkt mir sexy zu, wĂ€hrend ich mich ĂŒber ihren Brustumfang und ihre riesigen Lippen wundere. Mr. T steht am Straßenrand und ist â€“ ungelogen â€“ einen Meter kĂŒrzer, als er eigentlich sein mĂŒsste. Schließlich ĂŒberrasche ich zwei Transformers beim Austausch von vermutlich hochbrisanten Daten-CDs. Als der Dealer mich beim Fotografieren der Situation erwischt, suche ich schnell das Weite.

Ich fliehe eine Treppe hinauf in einen pompösen Hof, der von hohen Mauern und FußgĂ€ngerbrĂŒcken umgeben ist. Es handelt sich um das Hollywood & Highland Center, einer Shopping Mall mit integriertem Entertainmentkomplex.

<center>Hollywood & Highland Center</center>
Der Name rĂŒhrt von seiner Lage: Das Center befindet sich an der Ecke Hollywood Boulevard und Highland Avenue. Die Gestaltung des Hofes wurde von der vierten Episode aus D. W. Griffiths dreieinhalb Stunden langen Stummfilmepos »Intoleranz« von 1916 inspiriert, die vom Untergang Babylons handelt: Eine riesige Pforte schließt den Hof auf der mir gegenĂŒberliegenden Seite ab und auf zwei mĂ€chtigen Sockeln thront je ein Elefant, dessen Vorderbeine und RĂŒssel angriffslustig nach oben gestreckt sind. Die Ausmaße der Elefantensockel entsprechen jenen des Filmsets. Was muss das fĂŒr eine mĂ€chtige Kulisse gewesen sein â€Š 1916. Ein Jahr vor der UrauffĂŒhrung von »Intoleranz« löste Griffith mit seinem dreistĂŒndigen »Geburt einer Nation« einen Skandal aus. Auf der einen Seite handelt es sich um einen filmtechnisch famosen Film, auf der anderen Seite werden der Ku Klux Klan und die Sklaverei darin verherrlicht. »Intoleranz« hingegen hat einen pazifistischen Grundtenor und gilt als Griffith’ Antwort auf die Proteste bezĂŒglich »Geburt einer Nation«.

Der Boden des Platzes ist von einem Pflaster durchzogen, das vermutlich ein Filmband darstellen soll. Alle paar Meter unterbrechen Mosaike mit Zitaten von Filmemachern das ansonsten rote Steinband. Wer die Zitierten sind, wird nicht preisgegeben. Lediglich ihre Funktionen, wie beispielsweise »Director« oder »Script Supervisor«, stehen unter den meist amĂŒsanten SĂ€tzen: »I’d sneak up a hill near my house and watch drive-in movies through binoculars. That’s how I found my goal in life â€“ to make the trashiest motion picture in history.«
Auch schön: »First I worked in the lab, dunking film in colored washes, then I was taught to be a camera operator. Cecil B. DeMille said I invented the soft focus, because everything I shot was blurry.«
Ein begrenzungsfreier Springbrunnen mit WasserfontÀnen rundet den schicken Platz ab.

Ich mache ein PĂ€uschen, da mir mein Rucksack mittlerweile ganz schön aufs Kreuz geht, schaue mich um und spaziere schließlich wieder zurĂŒck zum Boulevard, weiter zum Chinese Theatre â€Š ohne zu bemerken, dass ich am Dolby Theatre vorbeischlendere. Jenem GebĂ€ude, das Muhammad Alis Namen vor Hundekot schĂŒtzt. DarĂŒber hinaus hieß das Bauwerk bis letzten Sommer noch Kodak Theatre und ist seit 2001 der Ort, an dem die Oscars verliehen werden. Ups.
Das Chinese Theatre ist hingegen leicht an seinem beeindruckenden Eingang zu erkennen.

<center>Chinese Theatre</center>
Wie das Egyptian und das El Capitano wurde auch das Chinese Theatre von Grauman und unter erneuter Mitwirkung von Toberman errichtet. Premierenfilm war 1927 Cecil B. DeMilles Bibelepos »König der Könige«. Drei Oscarverleihungen von 1944 bis 1946 und 50 Jahre spĂ€ter feierte auch »Krieg der Sterne« seine Premiere im Chinese Theatre. Im Boden vor dem Kino sind die Fuß- und HandabdrĂŒcke sowie die Unterschriften von nahezu 200 Hollywoodstars verewigt. Von manchen Stars wurden auch andere Körperteile und Utensilien im Beton verewigt, die prĂ€gnanter zu den jeweiligen Stars passen. So kann man auch die ZauberstĂ€be der Protagonisten aus »Harry Potter«, die Faust von John Wayne und lustigerweise auch die Zinken von Bob Hope und Jimmy Durante im Beton wiederfinden. Es gilt als gewiss ĂŒberliefert, dass entweder Schauspielerin Norma Talmadge oder Grauman selbst aus Versehen in noch nicht getrockneten Beton trat. Wer daraufhin jedoch die Idee mit den AbdrĂŒcken als eine fortwĂ€hrende Tradition des Chinese Theatre hatte, ist nie sicher geklĂ€rt worden. Der Brauch mit den AbdrĂŒcken vor dem historischen Kino ist ĂŒbrigens lange vor den Sternen des Walk of Fame realisiert worden und war womöglich eine große Inspirationsquelle fĂŒr das wohl berĂŒhmteste Straßenpflaster der Welt.

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Ich schreite ĂŒber Alfred Hitchcocks zweiten Stern, den er fĂŒr seine TV-Verdienste verliehen bekam, und ĂŒberquere die Sycamore Avenue.

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Im Block zwischen der Sycamore und der La Brea Avenue bewundere ich die stylishen Straßenlaternen, die wie Dedolights, also Leuchten wie sie in Filmproduktionen verwendet werden, aussehen â€“ inklusive FlĂŒgeltor. Ob das auch justierbar ist?

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An der La Brea Avenue erreiche ich das westliche Ende des Walk of Fame. Das Ende der Ehrenstraße symbolisiert ein eiserner Pavillon, der auf einer dreieckigen Verkehrsinsel steht und den Namen »The Four Ladies« trĂ€gt.

<center>»The Four Ladies«</center>
Der Pavillon wurde von Regisseurin Catherine Hardwicke designt, die sich sowohl fĂŒr den netten Indie-Streifen »Dreizehn« als auch fĂŒr den Auftakt von Stephenie Meyers Teeniehorrorschmalzschmonzette »Twilight« verantwortlich zeigt. Die »Four Ladies« zollen den multiethnischen Frauen Hollywoods Tribut und stehen seit 1993 auf der Verkehrsinsel. Wie »Twilight« hat dieses Kunstwerk in meinen Augen jedoch wenig Ansehnliches zu bieten: Vier silberne Damen â€“ die die multikulturellen Aktricen Dorothy Dandridge, Anna May Wong, Dolores del RĂ­o und Mae West reprĂ€sentieren sollen â€“ fassen sich in hautengen Kleidern aufreizend an ihre HĂŒften, wĂ€hrend ihnen ein Stahlgitter aus dem Kopf wĂ€chst, welches in der Mitte kuppelförmig zusammenkommt und in einem hĂ€sslichen Turm endet, auf dessen vier Seiten »Hollywood« geschrieben steht. Auf dem Turm steht, wie die Ballerina einer Spieluhr, Marilyn Monroe und lĂŒftet wie in »Das verflixte 7. Jahr« ihr Kleidchen. Ein eher hĂ€ssliches und zudem auch noch sexistisch anmutendes Werk, das den Frauen Hollywoods Tribut zollen soll? Ich weiß ja nicht.

© Flickr, Floyd B. Bariscale

© Flickr, Floyd B. Bariscale

Weiter geht’s die La Brea Avenue in Richtung SĂŒden. An den Straßenlaternen wird fĂŒr die am 27. Januar anstehende Verleihung der Screen Actors Guild Awards geworben. Ja, es ist awards season! MĂŒssten die Golden Globes nicht auch demnĂ€chst verliehen werden? Ich sollte mich da mal schlaumachen.
Nach drei Blocks stoße ich auf den Sunset Boulevard. Auch hier sind die GebĂ€ude selten mehr als zwei Stockwerke hoch. Ewig lange Palmen sĂ€umen den Straßenrand und im Norden thronen die Villen der Hollywood Hills ĂŒber der Stadt.

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Die Villen sind es nun auch, zu denen ich spazieren möchte. Nach eineinhalb Kilometern verlasse ich den Sunset Boulevard, biege nach rechts in die Fairfax Avenue ab und ĂŒberquere wieder den Hollywood Boulevard. Von nun an geht es steil bergauf. Zu steil fĂŒr meine vom schweren Rucksack und den warmen Temperaturen mittlerweile ganz schön ermĂŒdeten Beine. Ich schleppe mich daher nur ein kurzes StĂŒck nach oben. Die Fairfax Avenue endet und geht rechts weiter bergauf und links nahezu senkrecht in die Hillside Avenue ĂŒber. Nee, lass mal.

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Ich gehe wieder zum Hollywood Boulevard und laufe zurĂŒck in Richtung Osten. Bereits eine Ecke weiter, an der Orange Grove Avenue, stoße ich auf ein extrem cooles buntes Haus: Es ist ein Haus mit Fachwerk. Die Bereiche zwischen den Balken sind in dunklen Rot-, Blau-, GrĂŒn- und Lilatönen gehalten. Das schwarze Dach ist wellenförmig und wird hier und da von bunten Zinnen aufgelockert. Das Vordach ĂŒber der EingangstĂŒr steht auf mit buntem Mosaik verzierten, kegelförmigen SĂ€ulen und nahe an der Fassade angerichtete Pflanzen lassen das Haus endgĂŒltig wie aus einem MĂ€rchenwald entsprungen wirken. Das tolle Haus ist das Hollywood Bed & Breakfast, in dem eine Übernachtung lĂ€ssige 200 Dollar kosten kann. Ein anderes Mal vielleicht.

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Einen Kilometer weiter kreuzt die Camino Palmero Street den Boulevard. Der Name verrĂ€t es bereits: Die Straße ist eine Palmenallee â€“ allerdings mit ziemlich hĂ€sslichen HĂ€usern auf der linken Straßenseite.

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Wenige Meter weiter komme ich am Temple Israel of Hollywood vorbei, einer Synagoge aus dem Jahre 1948, in der so manch prominente Persönlichkeit Mitglied ist beziehungsweise war, eine Rede hielt oder bei der Midnight Show, einer Spendenaktion der Gemeinde, auftrat. Martin Luther King Jr., Harry Belafonte, Frank Sinatra, Judy Garland, Shirley MacLaine, Leonard Nimoy, David O. Selznick, Lea Thompson, Amanda Peet, Tony Curtis, Elizabeth Taylor, Marlon Brando und Bob Dylan dĂŒrften zu den berĂŒhmtesten GĂ€sten des wenig verzierten, grauen Baus mit den massiven HolztĂŒren und dem großen Fenster in Form eines Davidsterns zĂ€hlen.

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Als ich meine Superheldenfreunde vor dem Chinese und Dolby Theatre wieder treffe, kommt ein sympathischer Afroamerikaner auf mich zu und will mir seine CD aufschwatzen. Ich erzĂ€hle ihm, dass ich nicht der allergrĂ¶ĂŸte Hip-Hop-Fan bin und zudem am Backpacken bin und meine Kohlen etwas zusammenhalten muss. Vielleicht liegt es daran, dass ich nicht einfach kopfschĂŒttelnd weitergehe, sondern mit ihm eine nette Unterhaltung anfange. Auf jeden Fall drĂŒckt er mir eine seiner CDs in die Hand und sagt, ich solle sie mit nach Deutschland nehmen. Vielleicht wird er dort ja ein großer Hit. Ich kann’s ja mal versuchen, antworte ich, nachdem ich mich erfolglos gegen das Geschenk wehre, wĂŒnsche ihm weiterhin viel GlĂŒck und verabschiede mich von Mr. Delson aka Haiti Boy from Hollywood.

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Video


Wenig spĂ€ter begegne ich einem Ă€lteren Herrn, der entweder ein leicht ĂŒbergeschnappter Verschwörungstheoretiker ist, einen speziellen Humor hat oder von New Line Cinema und MGM zu einer Ă€ußerst extravaganten Werbeeinlage fĂŒr »Der Hobbit« engagiert wurde. Der â€“ dank meiner Kunst aus Fingernageldreck lesen zu können â€“ von mir als obdachlos lebender Mensch identifizierte Herr, hĂ€lt schweigend und demĂŒtig auf den Boden blickend zwei Kartons in die Luft, auf denen er seine Sicht der Dinge kundtut: »Don’t let it happen again! Obama vs. Romney was fixed like a pro-wrestling match!«
Die Kartons berichten weiterhin, dass der weiße Teil von Obamas Familie seit ĂŒber 100 Jahren Skull and Bones angehört. Die Romneys und natĂŒrlich auch die Bushs gehören auch zum Geheimbund, weswegen es eigentlich egal ist, wen man wĂ€hlt. Soweit ist das alles ja noch vertretbar und könnte sogar der Wahrheit entsprechen. Bei den Bushs trifft es ja bekanntlich tatsĂ€chlich zu. Nun wird’s aber skurril: »The Vatican thinks this international organization is working for Satan. So did Tolkien! But I don’t believe it! This would mean that the US government is right now being controlled by Satan. â€“ I don’t believe that.«
Mein Blick schweift nach links. Der AufklÀrer hat neben sich auf dem Bordstein zwei weitere Schrifttafeln drapiert: »Clear-cut the magic forests of the elves! Let the dwarves dig for minimum wage! Austerity programs? For the hobbits of the Shire!«
Hierbei handelt es sich laut Protestkarton um ein Zitat von Steven P. Margulies. Wer zum Geier ist Steven P. Margulies? Oder zitiert sich der Prophet gar selbst? Bernard Shaw sagte einst: »I often quote myself. It adds spice to my conversation.«
Somit möchte ich ihn dafĂŒr nicht verurteilen. Ich habe schon dĂŒmmere SprĂŒche gelesen. Zum Beispiel auf dem Karton daneben: »Bilbo & Frodo are alive â€“ but so is Sauron! Sauron’s latest evil scam? A new world order â€“ run by corporate orcs!«
Okay, den letzten Teil finde ich wiederum ziemlich gelungen.

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Gegen 16 Uhr setze ich mich wieder zu Starbucks. Die Russin sitzt noch immer an ihrem Tisch â€Š und ist noch immer am Verzweifeln. Aus dem Augenwinkel sehe ich irgendwann den »Blue Screen of Death«. Arme Babuschka.
Regisseur Chris und Produzentin Grace melden sich nach Tagen des Wartens endlich bei mir. In den nĂ€chsten Tagen sollten wir es schaffen zusammenzukommen und mit den Vorbereitungen zum Weltkollektivfilmprojekt anzufangen. Großartig! Ford kommt von den Castings wieder. Das eine lief wohl ganz gut. Wir machen uns auf die Suche nach einem neuen Schlafplatz. Laut Ford sollte man denselben Platz nicht zu oft belegen. Klingt nachvollziehbar.

Wir finden im Afton Place â€“ drei Blocks sĂŒdlich des Sunset Boulevard â€“ eine im Hochparterre gelegene nette Terrasse vor einem Mehrfamilienhaus. BĂŒsche und BĂ€ume bieten Sichtschutz von der zudem noch sehr ruhigen Straße. StĂŒhle und ein Tisch stehen ebenfalls bereit. Wir mĂŒssten uns somit noch nicht einmal auf den kalten Beton legen. Das sieht nach einer optimalen Übernachtungsmöglichkeit aus. Um zu testen, ob die Location wirklich so grandios ist, machen wir es uns bereits ziemlich frĂŒh gemĂŒtlich. Unser GepĂ€ck umzingelt uns und wir köpfen eine Flasche Wein, die wir zuvor bei Trader Joe’s gekauft haben. Ich esse außerdem mein StraßenstandardmenĂŒ â€“ Brot mit Hummus â€“, bei dem Ford aufgrund seiner Glutenintoleranz leider passen muss. Er lernt dafĂŒr Texte, die er fĂŒr weitere Castings einstudieren muss. So sitzen wir entspannt auf der fremden Terrasse eines recht prunkvollen Mehrfamilienhauses mit schönen Laternen, einer majestĂ€tischen Pforte mit Eisentor und einer mit Efeu bewachsenen Fassade, wĂ€hrend nach und nach die Bewohner von der Arbeit nach Hause kommen oder Besuch empfangen. Ein jeder, der uns sieht â€“ und das tut wahrlich jeder, da wir direkt neben dem Tor sitzen â€“ grĂŒĂŸt uns freundlich und wĂŒnscht uns einen schönen Abend. Niemand fragt, wer wir sind und was wir mit all dem GepĂ€ck hier wollen. Keiner will wissen, ob wir planen die Terrasse zu besetzen und von niemandem werden wir verjagt. Alle sind sie freundlich und nett. Ja, diese Terrasse ist heute Nacht eindeutig unser place to be.
Der Wein ist leer, aber wir noch durstig und der Abend noch jung. Also schleppen wir unser GepĂ€ck zu Dillon’s und trinken noch eine Runde Bier fĂŒr drei Dollar. Wieder zurĂŒck auf der Terrasse schnappt sich Ford meine Kamera und macht unscharfe Bilder von der Straße oder Nahaufnahmen von GegenstĂ€nden, die sich fĂŒr Nahaufnahmen nicht eignen. Schon gar nicht bei Dunkelheit. Seine lustige Knipserei kommentiert er, als wĂ€re er im Begriff große Kunst zu schaffen. Es ist amĂŒsant â€“ aber er sollte doch lieber bei der Schauspielerei bleiben â€Š


Anmerkung: Diese Fotos sind ĂŒbrigens nicht das Resultat von Fords großer Kunst. Die sind von mir â€“ bis auf Fords FĂŒĂŸe. Das ist ein »SelbstportrĂ€t«.

Quellen
Informationen zum Begriff »lohanned«: urbandictionary.com
Informationen zu Hollywood, seinen GebÀuden, Stars und Kinos: Wikipedia
Informationen zum Equitable Building: hollywoodheritage.com (Marc Wanamaker)

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