Tag 61: Walk of Fame: Die Geschichte des Hollywood Boulevard

Serendipity – Teil 2

Grauman’s Egyptian Theatre

Mittwoch, 9. Januar 2013
Hollywood, Los Angeles

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Die Nacht auf dem Parkplatz ist recht kurz und ungemĂĽtlich. Als ich aufwache, sind Stephan und das Mädel natĂĽrlich nicht mehr da. Seltsamerweise sind aber auch Ford und sein komplettes Gepäck verschwunden. Hä? Ich laufe irritiert den Parkplatz auf und ab. Von meinem Freund ist nichts zu sehen. Zwei Minuten später taucht er wieder auf. Er hat sich im Hostel, das sich direkt neben dem Parkplatz befindet, schick gemacht und fĂĽr drei Dollar sein Gepäck darin verstaut. Ford meint, er habe ĂĽberhaupt nicht geschlafen. MĂĽde fährt er mit dem Bus zur ersten Audition. Ich setze mich zunächst zu Starbucks, wärme mich mit Kaffee auf und ĂĽberlege, was ich heute mache. Neben mir sitzt eine gut und gerne 65 Jahre alte Russin, die gerade an ihrem Rechner verzweifelt. Ihr zu helfen, ist hinsichtlich der kyrillischen Schrift jedoch nicht so einfach. Nachdem ich der Russin mehr schlecht als recht geholfen und meinen Kaffee ausgetrunken habe, bekomme ich Hunger. In der unweit gelegenen Wilcox Avenue esse ich im Vegan House und putze mir danach im Restaurantklo die Zähne.

Ich starte einen Spaziergang ĂĽber die Sterne des Walk of Fame, die seit 1960 in das Pflaster des Hollywood Boulevard eingelassen werden. Man kommt gar nicht umhin, ständig die Namen der mit einem Stern Geehrten auf dem Boden zu lesen. Neben Namen und Stern wird mit einem Symbol auch dargestellt, aus welchem Gebiet die honorierte Person kommt: Film, Fernsehen, Radio, Musik inklusive Musikaufnahme und seit 1984 auch Theater beziehungsweise Live-Performance. AuĂźerdem gibt es tatsächlich noch Sterne fĂĽr fiktive Figuren wie Kermit der Frosch, die Simpsons, Micky Maus und sogar Godzilla. Zu guter Letzt gibt es noch die seltenen special stars. Mindestens vier davon sehe ich auch: Sie wurden den Mondpionieren der Apollo 11 gewidmet â€“ und sind ausnahmsweise einmal Monde und keine Sterne. Die Monde befinden sich an allen vier Ecken der Kreuzung Hollywood und Vine und werden zur Fernsehkategorie gezählt.
Nahezu die Hälfte aller Sterne ging an Menschen aus dem Filmgeschäft.

Ăśber den Walk of Fame
Charlie Chaplin musste 16 Jahre lang warten, bis die bereits 1956 gefällte Entscheidung, ihm einen Stern zu widmen, in die Tat umgesetzt wurde. Der Grund dafĂĽr war wohl ein vorgeschobener: Chaplin wurde Anfang der 1940er angeklagt, eine Schauspielerin als bezahlte Geliebte gehalten zu haben. Er wurde freigesprochen. Viel wahrscheinlicher fĂĽr das Aufschieben seiner Ehrung dĂĽrften seine Weigerung, die amerikanische StaatsbĂĽrgerschaft anzunehmen, und seine linkspolitischen Ansichten gewesen sein. Es war die Zeit der berĂĽchtigten McCarthy-Ă„ra, in der eine Reihe Prominenter wegen »unamerikanischer Umtriebe« als kommunistisch und somit verfassungsfeindlich eingestuft wurden. Als Chaplin 1952 nach Europa reiste, um dort seinen neuen Film »Rampenlicht« zu präsentieren, verweigerte man ihm die Wiedereinreise in die USA. Chaplin zog daraufhin in die Schweiz, wo er letztlich bis zu seinem Tod 1977 lebte.
Die kauzigste Geschichte verbirgt sich hinter Muhammad Alis Stern. Zunächst musste ein legitimer Grund gefunden werden, um den Boxer mit einem Stern zu ehren.
»Well, boxing is sort of a live performance«, entschied das Komitee schließlich. Nachdem das also geklärt war, meldete sich »The Greatest« höchstselbst zu Wort und merkte an, dass ihm der Gedanke missfällt, dass Leute über seinen Namen laufen. Also beratschlagte man erneut und beschloss, Alis Stern als ersten und bislang einzigen Stern an einer Wand anzubringen. Die spezielle Wand befindet sich im Dolby Theatre.
Die Sterne werden ĂĽberdies nicht zufällig platziert: Personen, die mit dem Academy Award ausgezeichnet wurden, findet man gewöhnlich nahe des Dolby Theatre, Bond-Darsteller Roger Moore hat man vor dem Haus mit der Nummer 7007 verewigt, Ed O’Neill alias Al Bundy vor einem Schuhgeschäft und Michael Myers beehrte man â€“ in Bezug auf seine Rolle als Austin Powers â€“ mit einer Platzierung vor der International Love Boutique. Oh, behave!

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Einen »ersten Stern« im Walk of Fame gibt es ĂĽbrigens nicht. Als die Stadt Los Angeles das Anlegen der Ehrenmeile genehmigte, wählten vier Komitees aus Tausenden Vorschlägen 1558 KĂĽnstler aus. Die viermal fĂĽr den Oscar nominierte und 1958 in ihrer Rolle in »Eva mit den drei Gesichtern« einmal siegreiche Joanne Woodward wird oft als die erste KĂĽnstlerin mit einem Stern auf dem Walk of Fame bezeichnet. Das stimmt allerdings nicht. Aus den 1558 angefertigten wurden acht zufällig ausgewählte Sterne temporär der Ă–ffentlichkeit präsentiert, damit diese sich einen Eindruck vom geplanten Projekt machen konnte. Joanne Woodward war hierbei lediglich die Erste, die mit ihrem Stern vor Fotografen posierte. Stummfilmaktrice Olive Borden und der 1948 mit dem Academy Award fĂĽr die beste männliche Hauptrolle in »Ein Doppelleben« ausgezeichnete Ronald Colman gehörten genauso zu den acht Ausgelosten, wie die hauptsächlich in Stummfilmkomödien auftretende Louise Fazenda, Schauspieler Preston Foster und Regisseur, Drehbuchautor, Schauspieler und Produzent Edward Sedgwick. Schauspieler Ernest Torrence und der legendäre Burt Lancaster, der insgesamt viermal fĂĽr den Oscar nominiert war und 1960 den Goldjungen fĂĽr seine Rolle als Elmer Gantry im gleichnamigen Film erhielt, runden die acht GlĂĽckspilze ab. Der tatsächlich erste permanent angebrachte Stern war am 28. März 1960 der des neunmal fĂĽr den Oscar nominierten, aber nie siegreichen Regisseurs Stanley Kramer, dem wir Filme wie »Das Urteil von NĂĽrnberg«, »Flucht in Ketten«, »Die Caine war ihr Schicksal« und »Zwölf Uhr mittags« verdanken. Die Zahl der gelegten Sterne liegt mittlerweile bei rund 2500. Alljährlich werden rund 20 Sterne dem Walk of Fame hinzugefĂĽgt. Die genauen Adressen der einzelnen Sterne kann man notabene auf der deutschen Wikipedia-Seite nachschlagen.
Der Walk of Fame ist von Ost nach West ĂĽber zwei Kilometer lang. Die Sterne ziehen sich von der Kreuzung Hollywood Boulevard und La Brea Avenue im Westen bis zur Ecke Hollywood und North Gower Street, die sich drei Blocks östlich der Vine Street befindet. Und auch in der Vine Street erstreckt sich der Walk of Fame ĂĽber drei Blocks beziehungsweise 700 Meter. Hier kann man Passanten wie mich mit interessiert gesenkten Köpfen von der Ecke Vine und Yucca Street bis zur Ecke Vine und Sunset Boulevard beobachten. Ich finde das Flanieren ĂĽber die Ehrenmeile durchaus amĂĽsant, da ich auf meiner bisherigen Reise meist nach oben schaute, wenn ich auf Entdeckungstour durch eine Innenstadt gelaufen bin.

Aus der Historie Hollywoods
Die Entwicklung Hollywoods ist schon erstaunlich: 1853 stand hier nicht mehr als eine LehmhĂĽtte. Es wurde Landwirtschaft betrieben und um die Jahrhundertwende zählte Hollywood ganze 500 Einwohner, ein Postamt, eine Zeitung, ein Hotel und zwei Märkte. Am 27. Oktober 1911 wurde dann mit der Nestor Motion Picture Company das erste Filmstudio Hollywoods eröffnet. 15 weitere folgten noch im selben Jahr. Der Abzug aus New York liegt darin begrĂĽndet, dass an der OstkĂĽste brancheninterne Revierkämpfe das Leben der Studios erschwerten und â€“ vielleicht sogar wichtiger â€“ das sonnige Wetter Kaliforniens. In der FrĂĽhzeit des Filmemachens hatte man noch kein adäquates Kunstlicht entwickelt und das Filmmaterial war noch relativ lichtunempfindlich. Bereits 1915 hatte sich Hollywood zum wichtigsten Standort der Filmindustrie innerhalb der USA gemausert. Infolge des Ersten Weltkriegs, fĂĽr den Rohstoffe benötigt wurden, die auch zur Filmherstellung notwendig waren, verlor Frankreich in den 1920er Jahren seine weltweite Vormachtstellung. Sogar Importbeschränkungen gegenĂĽber der amerikanischen Filmflut mussten erlassen werden, um die europäische Filmwirtschaft vor dem Untergang zu bewahren.
Vom landwirtschaftlichen Hollywood der Jahrhundertwende war nichts mehr übrig geblieben. Der Stadtteil der »City of Angels« war fortan die neue Welthauptstadt des Films, dem bald Radio- und Fernsehstationen wie auch die Musikindustrie folgten.

Es ist angenehm warm und mein Rucksack wegen der geschenkten Decke und Fords Pullover voller und schwerer als bisher. Allzu schön ist Hollywood trotz des hĂĽbschen Bordsteinpflasters indes nicht. Hässlich ist der Boulevard, in dem es erstaunlich wenige Hochhäuser gibt, aber auch nicht. Mit Ausnahme der Kinos und einiger weniger anderer Gebäude mangelt es schlicht an hĂĽbschen Bauten. Der Boulevard wirkt eher wie eine Touristenmeile in einem x-beliebigen Urlaubsort, mit den ĂĽblichen Fast-Food-Restaurants und unhĂĽbschen Souvenirläden, die billig daherkommen und sich in einstöckigen Flachbauten ohne jedwede Kreativität befinden. Man könnte sagen, dass sich der Ramschtourismus zwischen die Tempel der amerikanischen Filmhistorie eingenistet hat. Gleich mehrere Geschäfte unterbieten sich mit ihren Preisen fĂĽr T-Shirts: fĂĽnf Shirts fĂĽr zehn Dollar. In den Headshops werden die extravagantesten Wasserpfeifen angeboten und der DĂ©jĂ  Vu Showgirls Stripclub wirbt damit, dass in ihm Tausende wunderschöner und auch drei hässliche Mädels tanzen. VerrĂĽckt.


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Eher pervers denn verrĂĽckt finde ich die allseits beworbenen Bustouren, die einen zu den Häusern von ĂĽber 50 Promis fĂĽhren. Immerhin stört man nicht alle 50 Celebrities, da einige von ihnen schon nicht mehr unter uns weilen oder im Falle von Lindsay Lohan derzeit im Entzug sind â€“ glaube ich zumindest. Ford hat sich schon des Ă–fteren ĂĽber die öffentliche DemĂĽtigung von Lindsay Lohan aufgeregt und der Zurschaustellung und Anprangerung des einstigen Disney-Stars sogar ein neues Verb gewidmet: »I don’t want to get lohaned!«
Im Internet wird der Begriff allerdings anders verwendet. Da bedeutet »getting lohaned«, dass man sich an einem Abend so zudröhnt, dass man Gefahr läuft, den Führerschein, die Unterwäsche und den Inhalt des eigenen Magens zu verlieren.

Die Kreuzung Hollywood und Vine
An der Kreuzung Hollywood und Vine befindet sich das zwölfstöckige Taft Building. Das neoklassizistische Gebäude wurde 1923 fertiggestellt und beherbergte schnell alle relevanten Filmstudios, die Academy of Motion Picture Arts and Sciences, Will Rogers, Charlie Chaplin und Clark Gables Zahnarzt. Es war das erste Hochhaus der Stadt, das als Bürogebäude genutzt wurde.
Genau gegenĂĽber befindet sich das Equitable Building, in dessen Erdgeschoss Ford und ich in Dillon’s Irish Pub unser Wiedersehen gefeiert haben. Das hĂĽbsche Gebäude mit dem interessanten U-förmigen Grundriss wurde Ende 1930 fertiggestellt und war somit nach dem Taft Building das zweite herausragende BĂĽrogebäude von Los Angeles. Schauspielagent Myron Selznick zog mit seiner Agentur Joyce-Selznick, Ltd. in das Equitable Building und sorgte somit fĂĽr regelmäßigen Starauflauf: Zu seinen Klienten gehörten unter anderem Vivien Leigh, Laurence Olivier, Gary Cooper, Henry Fonda, Boris Karloff und Carole Lombard. Der Bruder von Produktionslegende David O. Selznick war mit Los Angeles’ erster Talentschmiede so erfolgreich, dass er Hausverbot bei 20th Century Fox bekam. Die Studiobosse fĂĽrchteten, dass er die Schauspielgehälter zu sehr in die Höhe treiben könnte.

Equitable Building

Equitable Building

Anmerkungen:
• Dillon’s Irish Pub ist umgezogen und befindet sich nicht mehr an der Ecke Hollywood & Vine, sondern einen Block weiter, kurz vor der Ecke Hollywood und Ivar Avenue.
• Zwei weitere Fotos vom Pantages gibt’s bei Tag 60 zu bewundern â€“ zwischen dem Plakat von »Der Hobbit« und Reese Witherspoons Stern.

Direkt neben dem Equitable Building befindet sich seit 1930 das im Art-déco-Stil erbaute Pantages Theatre. Amerikas erstes Art-déco-Kino war zunächst als zwölfstöckiges Gebäude mit zehn Stockwerken für Büros geplant. Aufgrund der Great Depression sparte man sich dann aber die zehn Büroetagen. Ein weiteres Opfer der Wirtschaftskrise wurden die Vaudeville-Darbietungen, die sich ursprünglich mit den Filmvorführungen abwechselten. Um Geld zu sparen, fanden die varietéartigen Shows nur noch gelegentlich statt.
Ein Jahr nachdem er RKO Pictures ĂĽbernommen hatte, ĂĽbernahm Howard Hughes 1949 auch das Pantages Theatre. Er selbst zog mit seinem BĂĽro in die zweite Etage des Pantages und hieĂź fĂĽr die folgenden zehn Jahre die Academy zur Oscarverleihung willkommen. Im Januar 1977 schloss das Pantages Theatre seine Pforten als Kino und eröffnete sie einen Monat später wieder als Theater- und MusicalbĂĽhne. Die Konzeptänderung ging auf: Die fĂĽnf Wochen mit dem höchsten Einspielergebnis eines Theaters in der Geschichte von Los Angeles gehen allesamt aufs Konto des Pantages.

Es sieht so aus, als würde der Boulevard östlich des Pantages weniger spektakulär fortgeführt. Ich biege daher links in die Argyle Avenue ab. Zu meiner linken sehe ich an der Ecke Vine und Yucca Street das runde Capitol Records Building.

Capitol Records Building
Angeblich war es purer Zufall, dass der 13-stöckige Bau wie eine Stapelung von Schallplatten aussieht. Keine Zufälligkeit verbirgt sich indessen hinter dem Rhythmus des blinkenden Lichts, das sich auf dem Turm befindet. Seit seiner Fertigstellung 1956 sendet das Capitol Records Building im Morsecode »Hollywood« über die Stadt.

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Ich möchte Hollywood abseits des Boulevards erforschen und biege von der Yucca Street nördlich in den Cahuenga Boulevard ab. Ich unterquere den Highway 101 und stelle fest, dass es nördlich des Hollywood Boulevard nichts zu bestaunen gibt. Selbst die Aussicht wird, trotz des Aufstiegs, nicht besonders. Allerdings sind die omnipräsenten Werbetafeln, die einen den riesigen Einfluss und die Allgegenwärtigkeit der Filmindustrie spĂĽren lassen, dann doch wieder faszinierend. Ich habe mir noch nie in meinem Leben so gerne Werbeplakate angesehen â€¦

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Wieder zurĂĽck auf dem Hollywood Boulevard, passiere ich das 1922 erbaute und weltberĂĽhmte Grauman's Egyptian Theatre.

Grauman & Toberman: Die Macher von Hollywood
Showman Sid Grauman und Immobilienentwickler Charles E. Toberman waren jene Visionäre, die Hollywood durch ihre Komplexe zur Kinometropole schlechthin gedeihen ließen.
Toberman hat halb Hollywood erbaut, darunter das eine oder andere Hotel und den Hollywood Bowl, ein modernes Amphitheater. Er wurde daher auch ehrfĂĽrchtig »Mr. Hollywood«, ja sogar »Father of Hollywood« getauft.
Sid Grauman leitete mehrere Theater in San Francisco und San Jose, bevor er nach Los Angeles kam und fĂĽr 35 Jahre im Ambassador Hotel einzog. Grauman freundete sich mit vielen Filmstars an, die auf ihrem Weg nach oben oftmals als noch unbekannte KĂĽnstler bereits auf seinen BĂĽhnen in San Francisco aufgetreten waren; darunter Oscarpreisträgerin Mary Pickford und Charlie Chaplin. Grauman war auĂźerdem einer der 36 GrĂĽnder der Academy of Motion Picture Arts and Sciences. Die letzten sechs Monate seines Lebens lebte er in einem Krankenhaus. Nicht aber, weil er krank war, sondern weil er es mochte. Er ging zum Essen in Restaurants und kam zum Schlafen zurĂĽck ins Hospital.

Grauman's Egyptian Theatre
Im Egyptian fand am 18. Oktober 1922 die allererste Hollywoodpremiere ĂĽberhaupt statt: »Robin Hood« mit Douglas Fairbanks. Das Egyptian war eigentlich gar nicht als ägyptisch geprägtes Bauwerk geplant. Die ursprĂĽnglich angedachte Architektur kam aus dem Hispanischen, was man auch noch am schrägen Dach ĂĽber dem Haupteingang erkennen kann. Vermutlich infolge des Rummels rund um den Archäologen Howard Carter, von dem die amerikanische Gesellschaft seinerzeit angefixt war, entschieden sich die Bauherren Grauman und Toberman um und machten aus dem hispanischen Kino kurzerhand ein ägyptisches. Die bereits bezahlten Dachziegeln wurden dennoch verwendet. Zwei Wochen nach der Eröffnung des Egyptian entdeckte Carter schlieĂźlich die Grabkammer von Tutanchamun. Hollywoodreif.

Neben das Egyptian reihen sich Scientology, das Guinness Museum â€“ in dem es um Weltrekorde und nicht um Bier geht â€“, McDonald’s und ein Gebäude, aus dem ein comichafter T-Rex mit einer Uhr vor der Brust aus dem Dach herausschaut: Ripley's Believe It or Not! Hierbei handelt es sich um ein sogenanntes »Odditorium«, ein Museum, in dem es primär um MerkwĂĽrdigkeiten geht.

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Das Highlight des nächsten Blocks ist das El Capitan Theatre, das heute der Walt Disney Company gehört und dementsprechend Schauplatz fĂĽr viele Premieren von Filmen aus dem Hause Disney ist.

El Capitan Theatre
Auch dieser Kino- und Theaterkomplex stammt aus den 1920er Jahren und wurde von Charles E. Toberman und Sid Grauman in Auftrag gegeben. Wie der Name schon vermuten lässt, verwirklichten Grauman und Toberman im 1926 eröffneten El Capitan schlieĂźlich ihren Plan, ein vom spanischen Kolonialstil geprägtes Gebäude zu errichten.
Auf den Brettern des El Capitan spielten Legenden wie Clark Gable und Joan Fontaine. Das wohl wichtigste Ereignis dĂĽrfte aber 1941 die WestkĂĽstenpremiere von Orson Welles’ Ăśberfilm »Citizen Kane« gewesen sein. In der Hauptfigur des Films, der von vielen als der beste Film aller Zeiten angesehen wird, erkannte sich â€“ wohl weniger durch Zufall â€“ der Medienmogul William Randolph Hearst wieder. Da Kane weniger eine schmeichelhafte Hommage, denn eine bitterböse Abrechnung mit dem GroĂźkapitalisten ist, gab Hearst alles, um die Veröffentlichung des Films zu verhindern. Er versuchte die Negative von RKO Pictures abzukaufen, bezeichnete Welles in den Medien als Kommunisten, verbot Werbung fĂĽr sämtliche RKO-Produktionen und sanktionierte nach seiner UrauffĂĽhrung sämtliche Kinos, die den Film zeigten. Wohl weniger wegen Welles’ Film, sondern vielmehr aufgrund der GroĂźen Depression schloss das El Capitan nach der VorfĂĽhrung fĂĽr ein Jahr seine Pforten. Als das Hollywood Paramount Theatre ging es unter neuer FĂĽhrung weiter und entwickelte sich an der WestkĂĽste zum Flaggschiffkino der Paramount Studios. 1948 mussten die Filmstudios angesichts einer kartellrechtlichen MaĂźnahme der US-Regierung, die Filmproduktion und FilmvorfĂĽhrung trennte, ihre Kinos wieder abgeben. Das berĂĽhmte Kino hatte daraufhin unterschiedliche Besitzer. Seit den späten 1980er Jahren dĂĽrfen Filmstudios wieder ihre eigenen Kinos besitzen, was schlieĂźlich dazu fĂĽhrte, dass die Walt Disney Company 1989 das Kino ĂĽbernahm und es 1991 wieder unter seinem ursprĂĽnglichen Namen in Betrieb nahm.

Ich spaziere auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Kinos, wo mir nun eine ganze Reihe interessanter Persönlichkeiten begegnen: Ein etwas zu sehr aufgeblasener Captain America im Strampelanzug macht den Anfang. Allerdings hat er irgendwo sein Schild vergessen. Dafür trägt er eine Sonnenbrille und schicke schwarze Sneakers. Geiler Typ.


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Kurz darauf treffe ich auf Donald und Daisy Duck, die gerade einen Plausch mit Minni Maus halten. Der nächste Kollege ist mir noch nicht bekannt. Allerdings hat er in meinen Augen das Potenzial, es in Hollywood ganz weit zu bringen. Es handelt sich um einen Gorilla mit Bierbauch, abgerissener rosa Hose und gleichfarbigem Superheldencape. Über seiner Wampe spannt ein schwarzes Shirt, auf dem ebenfalls in rosa Schrift »Hollywood« geschrieben steht. Abgerundet wird die absolute Coolness mit einer silbernen Sonnenbrille mit orangefarbenen Gläsern. Vielleicht sollte ich ihn mir schnappen und zu Marvel oder DC schleppen? Oder gibt es den Beer-Gutted Ape-Man schon?

Auch Supergirl zeigt Bauch und sollte sich nicht zu sehr auf ihren roten Handschuh konzentrieren, sondern besser darauf, dass hinter ihr Ghostface, der kranke Serienkiller aus der »Scream«-Reihe umherschleicht. Na, vielleicht vertraut sie auch darauf, dass Mr. Incredible eingreift, bevor sich der maskierte Drecksack von hinten an ihre Gurgel macht.

Captain Jack Sparrow sieht trotz seiner kleinen Schatzkiste etwas bedröppelt aus. Vielleicht hat die sexy Polizistin, die zehn Meter weiter in Hotpants für Recht und Ordnung sorgt seinen Rum beschlagnahmt? Jack gegenüber steht Spider-Man. Ich hätte ihn mir wesentlich sympathischer vorgestellt. Vielleicht hatte Peter Parker aber auch einen nervigen Schultag. Sein grauer Ranzen steht neben ihm und er selbst posiert, als hielte er sich für einen ganz Großen.
»Nolan’s Batman stole your show!«, möchte man dem arroganten Teenie zurufen. Glücklicherweise verkneife ich mir diesen Ausruf, denn schon trottet gefährlich nahe der Joker mit einer Frau mit blonder Perücke an mir vorbei. Die planen offensichtlich was.

Wesentlich lässiger als Spider-Man ist wiederum Kick-Ass, der irritierenderweise nicht mit Hit-Girl, sondern Wonder Woman unterwegs ist. Als er mich sieht, fordert er mich auf, gemeinsam böse Schergen zu besiegen. Ob er mich meines Bartes wegen für den noch unbekannten Bear Man hält?

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Meine Irritation nimmt zu, als ich einen zweiten Spider-Man und einen zweiten Captain America â€“ diesmal mit Schild â€“ an mir vorbeistolzieren sehe. Was ist denn hier los? Trittbrettfahrer?

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Ich beobachte die Stars und Helden nun kritischer: Marilyn Monroe winkt mir sexy zu, während ich mich ĂĽber ihren Brustumfang und ihre riesigen Lippen wundere. Mr. T steht am StraĂźenrand und ist â€“ ungelogen â€“ einen Meter kĂĽrzer, als er eigentlich sein mĂĽsste. SchlieĂźlich ĂĽberrasche ich zwei Transformers beim Austausch von vermutlich hochbrisanten Daten-CDs. Als der Dealer mich beim Fotografieren der Situation erwischt, suche ich schnell das Weite.

Ich fliehe eine Treppe hinauf in einen pompösen Hof, der von hohen Mauern und Fußgängerbrücken umgeben ist. Es handelt sich um das Hollywood & Highland Center, einer Shopping Mall mit integriertem Entertainmentkomplex.

Hollywood & Highland Center
Der Name rĂĽhrt von seiner Lage: Das Center befindet sich an der Ecke Hollywood Boulevard und Highland Avenue. Die Gestaltung des Hofes wurde von der vierten Episode aus D. W. Griffiths dreieinhalb Stunden langen Stummfilmepos »Intoleranz« von 1916 inspiriert, die vom Untergang Babylons handelt: Eine riesige Pforte schlieĂźt den Hof auf der mir gegenĂĽberliegenden Seite ab und auf zwei mächtigen Sockeln thront je ein Elefant, dessen Vorderbeine und RĂĽssel angriffslustig nach oben gestreckt sind. Die AusmaĂźe der Elefantensockel entsprechen jenen des Filmsets. Was muss das fĂĽr eine mächtige Kulisse gewesen sein â€¦ 1916. Ein Jahr vor der UrauffĂĽhrung von »Intoleranz« löste Griffith mit seinem dreistĂĽndigen »Geburt einer Nation« einen Skandal aus. Auf der einen Seite handelt es sich um einen filmtechnisch famosen Film, auf der anderen Seite werden der Ku Klux Klan und die Sklaverei darin verherrlicht. »Intoleranz« hingegen hat einen pazifistischen Grundtenor und gilt als Griffith’ Antwort auf die Proteste bezĂĽglich »Geburt einer Nation«.

Der Boden des Platzes ist von einem Pflaster durchzogen, das vermutlich ein Filmband darstellen soll. Alle paar Meter unterbrechen Mosaike mit Zitaten von Filmemachern das ansonsten rote Steinband. Wer die Zitierten sind, wird nicht preisgegeben. Lediglich ihre Funktionen, wie beispielsweise »Director« oder »Script Supervisor«, stehen unter den meist amĂĽsanten Sätzen: »I’d sneak up a hill near my house and watch drive-in movies through binoculars. That’s how I found my goal in life â€“ to make the trashiest motion picture in history.«
Auch schön: »First I worked in the lab, dunking film in colored washes, then I was taught to be a camera operator. Cecil B. DeMille said I invented the soft focus, because everything I shot was blurry.«
Ein begrenzungsfreier Springbrunnen mit Wasserfontänen rundet den schicken Platz ab.

Ich mache ein Päuschen, da mir mein Rucksack mittlerweile ganz schön aufs Kreuz geht, schaue mich um und spaziere schlieĂźlich wieder zurĂĽck zum Boulevard, weiter zum Chinese Theatre â€¦ ohne zu bemerken, dass ich am Dolby Theatre vorbeischlendere. Jenem Gebäude, das Muhammad Alis Namen vor Hundekot schĂĽtzt. DarĂĽber hinaus hieĂź das Bauwerk bis letzten Sommer noch Kodak Theatre und ist seit 2001 der Ort, an dem die Oscars verliehen werden. Ups.
Das Chinese Theatre ist hingegen leicht an seinem beeindruckenden Eingang zu erkennen.

Chinese Theatre
Wie das Egyptian und das El Capitano wurde auch das Chinese Theatre von Grauman und unter erneuter Mitwirkung von Toberman errichtet. Premierenfilm war 1927 Cecil B. DeMilles Bibelepos »König der Könige«. Drei Oscarverleihungen von 1944 bis 1946 und 50 Jahre später feierte auch »Krieg der Sterne« seine Premiere im Chinese Theatre. Im Boden vor dem Kino sind die FuĂź- und HandabdrĂĽcke sowie die Unterschriften von nahezu 200 Hollywoodstars verewigt. Von manchen Stars wurden auch andere Körperteile und Utensilien im Beton verewigt, die prägnanter zu den jeweiligen Stars passen. So kann man auch die Zauberstäbe der Protagonisten aus »Harry Potter«, die Faust von John Wayne und lustigerweise auch die Zinken von Bob Hope und Jimmy Durante im Beton wiederfinden. Es gilt als gewiss ĂĽberliefert, dass entweder Schauspielerin Norma Talmadge oder Grauman selbst aus Versehen in noch nicht getrockneten Beton trat. Wer daraufhin jedoch die Idee mit den AbdrĂĽcken als eine fortwährende Tradition des Chinese Theatre hatte, ist nie sicher geklärt worden. Der Brauch mit den AbdrĂĽcken vor dem historischen Kino ist ĂĽbrigens lange vor den Sternen des Walk of Fame realisiert worden und war womöglich eine groĂźe Inspirationsquelle fĂĽr das wohl berĂĽhmteste StraĂźenpflaster der Welt.

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Ich schreite ĂĽber Alfred Hitchcocks zweiten Stern, den er fĂĽr seine TV-Verdienste verliehen bekam, und ĂĽberquere die Sycamore Avenue.

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Im Block zwischen der Sycamore und der La Brea Avenue bewundere ich die stylishen StraĂźenlaternen, die wie Dedolights, also Leuchten wie sie in Filmproduktionen verwendet werden, aussehen â€“ inklusive FlĂĽgeltor. Ob das auch justierbar ist?

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An der La Brea Avenue erreiche ich das westliche Ende des Walk of Fame. Das Ende der Ehrenstraße symbolisiert ein eiserner Pavillon, der auf einer dreieckigen Verkehrsinsel steht und den Namen »The Four Ladies« trägt.

»The Four Ladies«
Der Pavillon wurde von Regisseurin Catherine Hardwicke designt, die sich sowohl fĂĽr den netten Indie-Streifen »Dreizehn« als auch fĂĽr den Auftakt von Stephenie Meyers Teeniehorrorschmalzschmonzette »Twilight« verantwortlich zeigt. Die »Four Ladies« zollen den multiethnischen Frauen Hollywoods Tribut und stehen seit 1993 auf der Verkehrsinsel. Wie »Twilight« hat dieses Kunstwerk in meinen Augen jedoch wenig Ansehnliches zu bieten: Vier silberne Damen â€“ die die multikulturellen Aktricen Dorothy Dandridge, Anna May Wong, Dolores del RĂ­o und Mae West repräsentieren sollen â€“ fassen sich in hautengen Kleidern aufreizend an ihre HĂĽften, während ihnen ein Stahlgitter aus dem Kopf wächst, welches in der Mitte kuppelförmig zusammenkommt und in einem hässlichen Turm endet, auf dessen vier Seiten »Hollywood« geschrieben steht. Auf dem Turm steht, wie die Ballerina einer Spieluhr, Marilyn Monroe und lĂĽftet wie in »Das verflixte 7. Jahr« ihr Kleidchen. Ein eher hässliches und zudem auch noch sexistisch anmutendes Werk, das den Frauen Hollywoods Tribut zollen soll? Ich weiĂź ja nicht.

© Flickr, Floyd B. Bariscale

© Flickr, Floyd B. Bariscale

Weiter geht’s die La Brea Avenue in Richtung SĂĽden. An den StraĂźenlaternen wird fĂĽr die am 27. Januar anstehende Verleihung der Screen Actors Guild Awards geworben. Ja, es ist awards season! MĂĽssten die Golden Globes nicht auch demnächst verliehen werden? Ich sollte mich da mal schlaumachen.
Nach drei Blocks stoße ich auf den Sunset Boulevard. Auch hier sind die Gebäude selten mehr als zwei Stockwerke hoch. Ewig lange Palmen säumen den Straßenrand und im Norden thronen die Villen der Hollywood Hills über der Stadt.

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Die Villen sind es nun auch, zu denen ich spazieren möchte. Nach eineinhalb Kilometern verlasse ich den Sunset Boulevard, biege nach rechts in die Fairfax Avenue ab und überquere wieder den Hollywood Boulevard. Von nun an geht es steil bergauf. Zu steil für meine vom schweren Rucksack und den warmen Temperaturen mittlerweile ganz schön ermüdeten Beine. Ich schleppe mich daher nur ein kurzes Stück nach oben. Die Fairfax Avenue endet und geht rechts weiter bergauf und links nahezu senkrecht in die Hillside Avenue über. Nee, lass mal.

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Ich gehe wieder zum Hollywood Boulevard und laufe zurĂĽck in Richtung Osten. Bereits eine Ecke weiter, an der Orange Grove Avenue, stoĂźe ich auf ein extrem cooles buntes Haus: Es ist ein Haus mit Fachwerk. Die Bereiche zwischen den Balken sind in dunklen Rot-, Blau-, GrĂĽn- und Lilatönen gehalten. Das schwarze Dach ist wellenförmig und wird hier und da von bunten Zinnen aufgelockert. Das Vordach ĂĽber der EingangstĂĽr steht auf mit buntem Mosaik verzierten, kegelförmigen Säulen und nahe an der Fassade angerichtete Pflanzen lassen das Haus endgĂĽltig wie aus einem Märchenwald entsprungen wirken. Das tolle Haus ist das Hollywood Bed & Breakfast, in dem eine Ăśbernachtung lässige 200 Dollar kosten kann. Ein anderes Mal vielleicht.

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Einen Kilometer weiter kreuzt die Camino Palmero Street den Boulevard. Der Name verrät es bereits: Die StraĂźe ist eine Palmenallee â€“ allerdings mit ziemlich hässlichen Häusern auf der linken StraĂźenseite.

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Wenige Meter weiter komme ich am Temple Israel of Hollywood vorbei, einer Synagoge aus dem Jahre 1948, in der so manch prominente Persönlichkeit Mitglied ist beziehungsweise war, eine Rede hielt oder bei der Midnight Show, einer Spendenaktion der Gemeinde, auftrat. Martin Luther King Jr., Harry Belafonte, Frank Sinatra, Judy Garland, Shirley MacLaine, Leonard Nimoy, David O. Selznick, Lea Thompson, Amanda Peet, Tony Curtis, Elizabeth Taylor, Marlon Brando und Bob Dylan dĂĽrften zu den berĂĽhmtesten Gästen des wenig verzierten, grauen Baus mit den massiven HolztĂĽren und dem groĂźen Fenster in Form eines Davidsterns zählen.

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Als ich meine Superheldenfreunde vor dem Chinese und Dolby Theatre wieder treffe, kommt ein sympathischer Afroamerikaner auf mich zu und will mir seine CD aufschwatzen. Ich erzähle ihm, dass ich nicht der allergrößte Hip-Hop-Fan bin und zudem am Backpacken bin und meine Kohlen etwas zusammenhalten muss. Vielleicht liegt es daran, dass ich nicht einfach kopfschüttelnd weitergehe, sondern mit ihm eine nette Unterhaltung anfange. Auf jeden Fall drückt er mir eine seiner CDs in die Hand und sagt, ich solle sie mit nach Deutschland nehmen. Vielleicht wird er dort ja ein großer Hit. Ich kann’s ja mal versuchen, antworte ich, nachdem ich mich erfolglos gegen das Geschenk wehre, wünsche ihm weiterhin viel Glück und verabschiede mich von Mr. Delson aka Haiti Boy from Hollywood.

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Wenig später begegne ich einem älteren Herrn, der entweder ein leicht ĂĽbergeschnappter Verschwörungstheoretiker ist, einen speziellen Humor hat oder von New Line Cinema und MGM zu einer äuĂźerst extravaganten Werbeeinlage fĂĽr »Der Hobbit« engagiert wurde. Der â€“ dank meiner Kunst aus Fingernageldreck lesen zu können â€“ von mir als obdachlos lebender Mensch identifizierte Herr, hält schweigend und demĂĽtig auf den Boden blickend zwei Kartons in die Luft, auf denen er seine Sicht der Dinge kundtut: »Don’t let it happen again! Obama vs. Romney was fixed like a pro-wrestling match!«
Die Kartons berichten weiterhin, dass der weiĂźe Teil von Obamas Familie seit ĂĽber 100 Jahren Skull and Bones angehört. Die Romneys und natĂĽrlich auch die Bushs gehören auch zum Geheimbund, weswegen es eigentlich egal ist, wen man wählt. Soweit ist das alles ja noch vertretbar und könnte sogar der Wahrheit entsprechen. Bei den Bushs trifft es ja bekanntlich tatsächlich zu. Nun wird’s aber skurril: »The Vatican thinks this international organization is working for Satan. So did Tolkien! But I don’t believe it! This would mean that the US government is right now being controlled by Satan. â€“ I don’t believe that.«
Mein Blick schweift nach links. Der Aufklärer hat neben sich auf dem Bordstein zwei weitere Schrifttafeln drapiert: »Clear-cut the magic forests of the elves! Let the dwarves dig for minimum wage! Austerity programs? For the hobbits of the Shire!«
Hierbei handelt es sich laut Protestkarton um ein Zitat von Steven P. Margulies. Wer zum Geier ist Steven P. Margulies? Oder zitiert sich der Prophet gar selbst? Bernard Shaw sagte einst: »I often quote myself. It adds spice to my conversation.«
Somit möchte ich ihn dafĂĽr nicht verurteilen. Ich habe schon dĂĽmmere SprĂĽche gelesen. Zum Beispiel auf dem Karton daneben: »Bilbo & Frodo are alive â€“ but so is Sauron! Sauron’s latest evil scam? A new world order â€“ run by corporate orcs!«
Okay, den letzten Teil finde ich wiederum ziemlich gelungen.

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Gegen 16 Uhr setze ich mich wieder zu Starbucks. Die Russin sitzt noch immer an ihrem Tisch â€¦ und ist noch immer am Verzweifeln. Aus dem Augenwinkel sehe ich irgendwann den »Blue Screen of Death«. Arme Babuschka.
Regisseur Chris und Produzentin Grace melden sich nach Tagen des Wartens endlich bei mir. In den nächsten Tagen sollten wir es schaffen zusammenzukommen und mit den Vorbereitungen zum Weltkollektivfilmprojekt anzufangen. Großartig! Ford kommt von den Castings wieder. Das eine lief wohl ganz gut. Wir machen uns auf die Suche nach einem neuen Schlafplatz. Laut Ford sollte man denselben Platz nicht zu oft belegen. Klingt nachvollziehbar.

Wir finden im Afton Place â€“ drei Blocks sĂĽdlich des Sunset Boulevard â€“ eine im Hochparterre gelegene nette Terrasse vor einem Mehrfamilienhaus. BĂĽsche und Bäume bieten Sichtschutz von der zudem noch sehr ruhigen StraĂźe. StĂĽhle und ein Tisch stehen ebenfalls bereit. Wir mĂĽssten uns somit noch nicht einmal auf den kalten Beton legen. Das sieht nach einer optimalen Ăśbernachtungsmöglichkeit aus. Um zu testen, ob die Location wirklich so grandios ist, machen wir es uns bereits ziemlich frĂĽh gemĂĽtlich. Unser Gepäck umzingelt uns und wir köpfen eine Flasche Wein, die wir zuvor bei Trader Joe’s gekauft haben. Ich esse auĂźerdem mein StraĂźenstandardmenĂĽ â€“ Brot mit Hummus â€“, bei dem Ford aufgrund seiner Glutenintoleranz leider passen muss. Er lernt dafĂĽr Texte, die er fĂĽr weitere Castings einstudieren muss. So sitzen wir entspannt auf der fremden Terrasse eines recht prunkvollen Mehrfamilienhauses mit schönen Laternen, einer majestätischen Pforte mit Eisentor und einer mit Efeu bewachsenen Fassade, während nach und nach die Bewohner von der Arbeit nach Hause kommen oder Besuch empfangen. Ein jeder, der uns sieht â€“ und das tut wahrlich jeder, da wir direkt neben dem Tor sitzen â€“ grĂĽĂźt uns freundlich und wĂĽnscht uns einen schönen Abend. Niemand fragt, wer wir sind und was wir mit all dem Gepäck hier wollen. Keiner will wissen, ob wir planen die Terrasse zu besetzen und von niemandem werden wir verjagt. Alle sind sie freundlich und nett. Ja, diese Terrasse ist heute Nacht eindeutig unser place to be.
Der Wein ist leer, aber wir noch durstig und der Abend noch jung. Also schleppen wir unser Gepäck zu Dillon’s und trinken noch eine Runde Bier fĂĽr drei Dollar. Wieder zurĂĽck auf der Terrasse schnappt sich Ford meine Kamera und macht unscharfe Bilder von der StraĂźe oder Nahaufnahmen von Gegenständen, die sich fĂĽr Nahaufnahmen nicht eignen. Schon gar nicht bei Dunkelheit. Seine lustige Knipserei kommentiert er, als wäre er im Begriff groĂźe Kunst zu schaffen. Es ist amĂĽsant â€“ aber er sollte doch lieber bei der Schauspielerei bleiben â€¦


Anmerkung: Diese Fotos sind ĂĽbrigens nicht das Resultat von Fords groĂźer Kunst. Die sind von mir â€“ bis auf Fords FĂĽĂźe. Das ist ein »Selbstporträt«.

Quellen
Informationen zum Begriff »lohanned«: urbandictionary.com
Informationen zu Hollywood, seinen Gebäuden, Stars und Kinos: Wikipedia
Informationen zum Equitable Building: hollywoodheritage.com (Marc Wanamaker)

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