Tag 68: Shake the Glitter Off Your Clothes ⊠Itâs Vegas, Baby! Oder: Vom Venetian bis zur Fremont Street
Serendipity â Teil 2
Mittwoch, 16. Januar 2013
Las Vegas â Sunrise Manor â Paradise â Las Vegas â ???
Knapp 50 Jahre spĂ€ter, im Jahre 1905, ĂŒbernahm die Los Angeles and Salt Lake Railroad das Valley und grĂŒndete Las Vegas als Eisenbahnsiedlung. Als durch die starke Zunahme an Bahnverbindungen Las Vegas wieder in der Versenkung zu verschwinden drohte, sorgte der 48 Kilometer entfernt errichtete Hoover Dam 1935 wieder fĂŒr Aufschwung. Den bis heute spĂŒrbarsten Effekt auf die Erfolgsgeschichte der WĂŒstenstadt brachten aber zweifellos die Legalisierung des GlĂŒckspiels 1931, als auch das Ende der Prohibition 1933. Ebenfalls 1931 wurde das Scheidungsverfahren vereinfacht. War eine Scheidung damals im Rest der Staaten noch eine komplizierte Angelegenheit, musste man in Nevada auf einmal nur noch sechs Wochen irgendwo im Bundesstaat verbracht haben und neun mehr oder weniger nachzuweisende RechtsgrĂŒnde aufzĂ€hlen, um sich scheiden lassen zu dĂŒrfen. Am hĂ€ufigsten wurde ĂŒbrigens die »seelische Grausamkeit« als Scheidungsgrund verwendet. Final kamen noch durchschnittlich sechs Minuten vor dem Richter auf die Liste und schon war man im liberalen Nevada geschieden. Bis diese neuen Fakten ins öffentliche Bewusstsein rĂŒckten, sollte es allerdings noch bis zur Scheidung von Clark Gable und dessen zweiter Frau Ria im Jahre 1939 dauern. Ria feierte sechs Wochen lang ihre »finest and shortest vacation I ever had in my life«, und Ex-Gatte Clark heiratete bereits drei Wochen nach der Scheidung Carole Lombard in Kingman, Arizona. Erst jetzt wurde vielen Scheidungswilligen so richtig bewusst, dass man sich in Nevada rein theoretisch morgens scheiden lassen und abends schon wieder heiraten kann. In Kalifornien musste man beispielsweise drei Tage lang warten und zudem noch einen Bluttest machen, um wieder heiraten zu dĂŒrfen. Dies sollte spontane Hochzeiten im Alkoholrausch verhindern. Wenige Monate nach der Aufmerksamkeit erregenden Scheidung der Gables eröffnete mit der Boulderado Ranch das erste Etablissement, das neben herrlichen UnterkĂŒnften und ReitausflĂŒgen auch Scheidungen anbot. Der Beginn eines wahren Booms, dessen Potenzial man in Reno allerdings schon frĂŒher erkannt hatte. Es sollte noch bis in die 50er Jahre dauern, bis Vegas Reno in Sachen Scheidungen eingeholt hatte. In den 60ern gingen dann die HĂ€lfte aller Trennungen in der neuen »Divorce Capital of the World« vonstatten. Heutzutage kommen jĂ€hrlich circa 39 Millionen Touristen in die Stadt der SĂŒnden ⊠darunter auch viele, die sich nicht scheiden lassen oder (spontan) heiraten.
Gegen halb sechs erreicht der Megabus das RTC South Strip Transfer Terminal in Las Vegas. Das Terminal liegt direkt neben dem Flughafen. Lediglich eine StraĂe und ein Baseballfeld liegen dazwischen. Wegen des kleinen Stadions stehen Warnschilder an den nordseitigen Haltestellen des Terminals: »Beware of danger of flying balls from sports park next door.«
Ob wohl schon viele Reisende von der Ambulanz anstelle des Busses vom Terminal weggekarrt wurden?
Da ich Ford mein »Kleingeld« geschenkt habe, habe ich nur noch einen Hunderter einstecken. Der Ticketautomat nimmt aber keine so groĂen BetrĂ€ge an und das KreditkartenlesegerĂ€t ist defekt. In einer Stadt wie Las Vegas hĂ€tte ich solch technisches Versagen nicht erwartet. Dementsprechend verpasse ich den ersten Bus in die City und muss warten, bis die Wartehalle öffnet, in dem sich der zweite Automat des Terminals befindet. Im Bus selbst kann man sich kein Ticket kaufen, da die Fahrer stets bargeldlos operieren. Das schĂŒtzt vor ĂberfĂ€llen, vermute ich mal. Die Wartehalle öffnet um sechs. Ich schlappe zum Fahrkartenautomaten und stelle fest, dass auch dieser defekt ist. Am Serviceschalter gibt man mir zudem auch kein Wechselgeld, weswegen ich gezwungen bin, neue Asche aus dem Geldautomaten zu ziehen. Meine Fresse âŠ
Der Ticketautomat bietet ein Tagesticket fĂŒr acht Dollar, den 3-Tages-Pass fĂŒr 20 Scheine und fĂŒr 34 Lappen ganze 15 Tage uneingeschrĂ€nkten Nahverkehr an. Ich gebe der Maschine Essen fĂŒr drei Tage und steige kurz darauf in den Deuce Bus. Der Deuce hĂ€lt an jedem einzelnen Hotel, wodurch er gewiss nicht zu den schnellen Bussen der Stadt zu zĂ€hlen ist. Da ich aber alles andere als Eile habe, gönne ich mir im gemĂ€chlichen Tempo eine erste Sightseeingtour in der vordersten Reihe des Obergeschosses des Doppeldeckerbusses. Yeah. Das verschafft einen ersten Ăberblick ĂŒber das, was mich in den nĂ€chsten ⊠na, mindestens drei Tagen erwartet.
Das Erste, was ich vom Las Vegas Boulevard, dem berĂŒhmt berĂŒchtigten Strip, zu Gesicht bekomme, ist das stylishe Schild »Welcome to Fabulous Las Vegas«, das als eine der wenigen Konstanten der schnelllebigen Stadt bereits seit 1959 im unverwechselbaren Googie-Design die aus dem Westen kommenden Besucher in der Stadt begrĂŒĂt. Das Schild befindet sich einen Kilometer vor dem ersten beeindruckenden Hotel-, Konferenz- und Kasinokomplex des Boulevards: dem Mandalay Bay, einem selbst in der Dunkelheit bereits golden strahlenden, dreiflĂŒgligen Hochhaus mit 44 Stockwerken. Wie muss die Fassade erst reflektieren, wenn die Sonne darauf scheint?
Apropos Sonne: Die scheint mir hier verdammt schnell aufzugehen. Innerhalb von zehn Minuten ist aus der dunklen Nacht helllichter Morgen geworden. Liegt das daran, dass sich Las Vegas inmitten der Mojave-WĂŒste befindet, das Land flach ist und es weit und breit keine andere Stadt gibt?
Nun, in Las Vegas strahlt es mittlerweile auch. GlĂŒcklicherweise ist es nur die Sonne, die mir heftigst auf der Carsons Avenue ins Gesicht scheint. Sie ist riesig und taucht die komplette StraĂe in ein gleiĂend goldenes Licht. Wow! Ich habe fraglos schon schlechtere SonnenaufgĂ€nge erlebt.
In der Zwischenzeit haben wir den Strip hinter uns gelassen und ich verarbeite noch meine ersten EindrĂŒcke. Die waren so intensiv, dass ich nicht wie geplant beim Bonneville Transit Center (BTC) aussteige, sondern bis zur kurz darauffolgenden Endstation an der Ecke 4th und Fremont Street fahre. Ja, was habe ich auf der 16 Kilometer langen und knapp einstĂŒndigen Fahrt vom RTC South Strip Transfer Terminal bis zur Fremont Street Experience alles gesehen? Da wĂ€ren beispielsweise die gigantische schwarze Pyramide des Luxor oder das vollkommen bescheuerte Excalibur, das wie eine hĂ€ssliche Burg aus einem Comic aussieht. Direkt daneben ist die Skyline des Big Apple in nur einem einzigen GebĂ€ude verewigt. ZusĂ€tzlich verlĂ€uft eine Achterbahn darum. Es ist das New York-New York. Auf den Big Apple folgt das antike Rom: Caesars Palace. So hoch haben die damals allerdings noch nicht gebaut. Mit dem Mirage folgt edler Glanz. Auf diese Weise geht es weiter und weiter, vorbei an den verrĂŒcktesten GebĂ€uden und vielen Googie-Kunstwerken. Ich gehe stark davon aus, dass meine nĂ€chsten Tage primĂ€r darin bestehen werden, ein jedes dieser Hotels und Kasinos genauer unter die Lupe zu nehmen. Demnach sei nun einfach nur verkĂŒrzt gesagt: Diese Stadt ist beim ersten Durchqueren wahnsinnig beeindruckend und vollkommen bekloppt zugleich. Las Vegas muss total gaga sein. Ich freue mich drauf!
»Ask about our liposuction lottery!«, steht neben den beiden HĂŒbschen geschrieben. Was zum Geier âŠ? Kann man in dem Laden etwa eine Fettabsaugung gewinnen? Wahrscheinlich auch noch wĂ€hrend man sich den einen Kilogramm schweren »Quadruple Bypass Burger« reinpfeift? Besucher des Heart Attack Grill werden ĂŒberdies als Patienten bezeichnet und die Kellnerinnen rennen tatsĂ€chlich als Krankenschwestern verkleidet umher. Bestellungen werden nicht aufgenommen, sondern Rezepte ausgestellt. Hat man sich seine Medikation selbst verschrieben, bekommt man ein ArmbĂ€ndchen angelegt, das dem nun antanzenden Doktor zeigt, wie krank man ist. Eine Stethoskopuntersuchung spĂ€ter kommt der Burger auf den Tisch. Jon Basso, das »Mastermind« hinter dem Heart Attack Grill, hat seinen Vorsatz in die Tat umsetzen können. Dies belegen mehrere â ich scherze nicht â TodesfĂ€lle, die sich seit der Eröffnung der ursprĂŒnglich einmal drei Restaurants ereignet haben. Die Ableger in Texas und Arizona schlossen daraufhin ihre Pforten, sodass man sich jetzt nur noch in Las Vegas die ultimative Kalorien- und Cholesterinvergiftung geben kann. Ein Indiz dafĂŒr, dass in Nevada die Uhren anders ticken?
Der Bus setzt sich wieder in Bewegung. Ich möchte zum BTC, da ich davon ausgehe, dass ich von hier aus problemlos vom Strip wegkomme und mit einem anderen Bus in eine der Wohngegenden der »Sin City« vorstoĂen kann. Ich habe nĂ€mlich ein bestimmtes Ziel vor Augen: Ich muss unbedingt meine WĂ€sche waschen. Ich erkundige mich am Infoschalter und frage nach einem Waschsalon, der bestenfalls auch noch Wi-Fi anbietet. Zu meiner Ăberraschung bekomme ich anstelle eines: »HĂ€?«, wahrhaftig eine Antwort. Die Damen und Herren hinter der Glasscheibe beraten sich schnell untereinander und raten mir daraufhin, mit der Linie 206 East bis zur Ecke Charleston und Palm zu fahren. Fett.
Der Charleston Boulevard ist schnurgerade. Ich kann die sich mehr als elf Kilometer lang in Richtung Osten ziehende StraĂe quasi bis zu ihrem Ende sehen. Dahinter hört die Metropole auf und steinige, rote WĂŒstenhĂŒgel erheben sich. Wow, das ist eine ziemlich eindrucksvolle Kulisse. Erstmals wird mir richtig bewusst, dass ich letzte Nacht mit dem Bus quer durch eine WĂŒste gefahren bin und mich nun in einer riesigen, menschgemachten Oase befinde.
Wenig spĂ€ter, mittlerweile ist es neun Uhr, verlasse ich den Bus und habe â ohne es zu wissen oder zu bemerken â Las Vegas verlassen. Fortan befinde ich mich in Nevadas fĂŒnftgröĂter Stadt, Sunrise Manor. Den Waschsalon mit dem kreativen Namen »Super Wash« finde ich schnell ⊠Seife dafĂŒr nicht. Der Automat, aus dem eigentlich Waschpulver kommen sollte, ist leer und auĂer mir ist kein Mensch anwesend, den ich freundlich anschnorren könnte. Deswegen rufe ich die »Notfalltelefonnummer« an. Der Typ am anderen Ende der Leitung entschuldigt sich und teilt mir mit, dass ich in den Supermarkt auf der anderen StraĂenseite gehen und dort Waschpulver kaufen soll.
Im Supermarkt frage ich die Angestellte Barbara, ob sie auch Waschmittelrationen fĂŒr Menschen wie mich im Sortiment haben â also keine ganze Gallone und fĂŒr den kleinen Geldbeutel bitteschön.
»No«, beantwortet sie den ersten Teil der Frage. DafĂŒr zeigt sie mir eine Reihe von Flaschen, die nur einen Dollar kosten. Den Rest soll ich einfach im Waschsalon stehen lassen. Irgendwer wird sich sicherlich darĂŒber freuen. Ja, das passt. Die schĂ€tzungsweise 50-jĂ€hrige Barbara ist inzwischen neugierig und will wissen, woher ich komme und was ich in Vegas so treibe. Wie ein erfolgreicher Spieler sehe ich wohl nicht aus. Ich gebe ihr einen kurzen Abriss von meinem bisherigen Trip. Das findet sie super und spricht mir prompt die Einladung aus, bei ihr und ihrem Mann zu Hause auf der Luftmatratze zu schlafen. Cool! Ich lasse mir ihre Nummer geben und verspreche ihr, darauf zurĂŒckzukommen, falls ich keine partywilligen Couchsurfer finde. Serendipity is back, I guess. Die Zeiten der Obdachlosigkeit sind endgĂŒltig vorbei. Das fĂŒhlt sich gut an. Meine FingernĂ€gel sind von den drei NĂ€chten auf der StraĂe ĂŒbrigens immer noch dreckig. Ich fĂŒhle mich gebrandmarkt.
Wieder im Waschsalon mache ich mich so nackig wie möglich und stopfe alles, was ich an Textilien bei mir habe, plus 1,75 Dollar in die Maschine. Ich bin noch immer der Einzige im Laden, weshalb ich auch problemlos meine Unterhose wechseln kann. Oh, yeah. WĂ€re es nicht so kalt, wĂŒrde ich noch mehr blankziehen. Stattdessen behalte ich aber sogar meinen Mantel an, anstatt ihn zu waschen und stehe nun mit dem hĂŒbsch hĂ€sslichen T-Shirt vom Monarch Film Festival, dem gestreiften Longsleeve aus Istanbul, meinen heiĂ geliebten roten Fishermanâs Pants aus Thailand und spanischen Flip Flops nebst Socken, die politisch unkorrekt aus Bangladesch stammen dĂŒrften, vor meiner Maschine. In meiner so noch nie zur Schau gestellten Kombination fĂŒhle ich mich wahrlich speziell gekleidet â und durchaus sexy. Zu schade, dass es kein Publikum gibt.
In der Sonne ist es derweil recht warm. Lediglich im Schatten und im Waschsalon ist es noch ziemlich kĂŒhl. Daher gehe ich raus in die Sonne und prĂ€sentiere dem Charleston Boulevard die neueste Mode aus Europa und tanke WĂ€rme. Doch auch im Freien ist niemand unterwegs. Ich gehe wieder rein und stelle fest, dass ich es mit dem Dosieren etwas zu gut gemeint habe. Mögen meine Klamotten vor der Waschung einen Hauch von Leben in ihrem Odeur getragen haben, fĂŒrchte ich nun, dass ich beim nĂ€chsten Regen Schaum schlage. Tja, zu spĂ€t. Vielleicht schmeiĂe ich danach einfach noch eine Maschine ohne Waschmittel an.
Ich bekomme Besuch! ZunĂ€chst gesellt sich ein Schwarzer mit einer Ă€uĂerst wirr zerzausten Afrofrise im besten Homeless-Style zu mir. Ihm folgt kurz darauf eine nette Ă€ltere Dame aus Brasilien, die französische, spanische und portugiesische Wurzeln hat. Wir unterhalten uns kurz auf Spanisch und Französisch. Ich glaube, sie mag mich. Ich mag sie auch, weshalb sie mein restliches Waschmittel geschenkt bekommt. Findet sie gut.
Auf eine zweite Maschine verzichte ich schlieĂlich doch. DafĂŒr muss ich gleich drei- oder viermal den Trockner anschmeiĂen, bis endlich alles trocken ist. Der riesige 30-Pfund-Trockner kostet pro Runde einen Dollar. Meine Schuhe finden die ganze Aktion nicht so geil und lösen sich leicht in ihre Bestandteile auf. Da war eine Metallschiene drin? Sachen gibtâs. Die Treter sind aber noch tragbar ⊠obwohl sich beim rechten Schuh eine Naht gelöst hat und mein kleiner Zeh durch ein Loch ab sofort in die groĂe weite Welt hinausschaut.
Cari meldet sich und heiĂt mich in ihrer unverwechselbaren Art im SĂŒndenpfuhl Las Vegas willkommen: »Shut up and shake the glitter off your clothes now, thatâs what you get for waking up in Vegas!«
Woher weiĂ sie nur, dass ich gerade meine WĂ€sche wasche?
»Have fun out there and make sure you keep it classy.«
Aber, klar doch. Wo denkst Du denn hin?
Sie empfiehlt mir, zu checken, ob im Cosmopolitan eine kostenlose Show angeboten wird. Sie habe dort einmal Jamie Lidell gesehen â wer auch immer das ist.
»Only like 15 other people were watching and it was bad ass! Also, if you still want to do the theme park thing: Circus Circus has an underground roller coaster, New York-New York has one that goes in and out of the hotel mid-level, but Stratosphere is the most epic, the tallest sky scraper in Vegas with freaky rides at the very tippy top.«
Circus Circus, New York-New York, tippy top ⊠Wie soll ich mir all das nur merken? Cari ist ein Fan von Vegas und vergisst nicht, mir regelmĂ€Ăig mitzuteilen, dass sie mich beneidet. Dann komm endlich nach!
»Iâm not positive that Stratosphere still has the needle ride that drops you down, but if they do you gotta do it â scariest ride ever! The Luxor has the best arcade though, and is still my favorite hotel just because it is so cool; kind of like the Shanghai Tunnels in Portland. There are tunnels underneath Vegas, too. People live down there, so if you ever find yourself without a place to sleep, maybe try looking for an entrance to the underground city.«
Aha.
»The Bellagio is a good place to take pictures. They have glass artwork in the ceiling. Caesars Palace has an amazing mall â the best part is the art galleries. We happened to be wandering through Caesars Palace going into random galleries, and we ended up getting to meet my favorite artist of all time: Vladimir Kush!«
Wer?
»He just happened to be showcasing his work at this gallery ⊠Also, we saw Jennifer Lopez.«
Yeah.
»But Vladimir Kush was fucking incredible!«
Gut.
»Too bad his paintings sell for hundreds of thousands of dollars. No matter what though, you can get drunk going to the galleries, they will all shower you with wine.«
Okay.
»Donât forget, you never have to pay for drinks in Vegas.«
Das hat sie mir schon des Ăfteren erzĂ€hlt.
»Sit at quarter slots, look like youâre playing when waitresses come by, and you get free drinks.«
So wirdâs gemacht.
»And itâs legal to drink on the street!«
Echt? EuropÀische ZustÀnde? Viva Las Vegas!
»How long are you staying in Vegas?«
Na, mindestens mal drei Tage.
»I should just come. Haha!«
Ja. Ja!
Ich erzĂ€hle Cari von Barbara und meinen Schuhen. Ich soll unbedingt in der NĂ€he des Strip bleiben und mir neue Schuhe kaufen, empfiehlt sie mir und wundert sich, ob Barbara und ihr Mann Swinger sind. Ăhm, toll. Ich schlage Cari vor, mit mir das Vegan Casino zu eröffnen, um damit die Milliarden zu scheffeln.
»Right, we just need billions in startup money. Also, I think youâre forgetting that the proportions of vegans of Vegas are almost nonexistent compared to Portland âŠÂ«
»Congratulations Miss B., you just reached a new level in our brain research program! Your new status from now on is ⊠smartass!«
»I am definitely a smartass, if nothing else.«
Ich bitte Cari, mir im Internet herauszusuchen, wie lange die öffentlichen Verkehrsmittel in Vegas operieren. So wieâs aussieht, gibtâs auf dem Strip einen durchgehenden Service. Abseits davon gibtâs wohl aber nur die ĂŒblichen Fahrzeiten von fĂŒnf Uhr morgens bis ein Uhr nachts.
»But you should be partying from one to five anyway. So seems like perfect timing to me! It sucks that youâre alone, most people go in groups and take cabs.«
Dann muss ich mir wohl neue Freunde anlachen. War bisher ja noch das geringste Problem auf meiner Reise.
Die Mall selbst zĂ€hlt zu einem der gröĂten Konsumtempel der Welt. Ăberrascht in einer Stadt wie Las Vegas nicht unbedingt.
Ich schreibe Rachel und Lucas, dem PĂ€rchen aus Flagstaff, das ich im Yosemite National Park kennengelernt habe. Ich teile ihnen mit, dass ich mich mittlerweile in Vegas aufhalte und als NĂ€chstes Flagstaff ansteuern möchte. Sie antworten mir, dass sie mich eigentlich nur noch bis Freitag beherbergen können. Verdammt. So schnell kann und will ich da eigentlich nicht hin. Das heiĂt somit wohl, dass ich mir fĂŒr Flagstaff eine neue Couch organisieren muss und die beiden nicht treffen werde. Ărgerlich, sehr Ă€rgerlich.
Ein anderer Couchsurfer, der auf eine meiner Couchanfragen in Los Angeles geantwortet hatte, und sich mit Ford und mir treffen wollte, es aber nie gebacken bekommen hat, schreibt mir. Er ist in L.A. als Filmemacher â als was auch sonst â tĂ€tig und teilt mir mit, dass er am Sonntag ein Filmfestival in Long Beach hosten wird. Er lĂ€dt Ford und mich dazu ein, woraufhin ich ihn frage, ob er nicht auch noch meinen Film ins Programm aufnehmen kann: »If it has anything to do with porn or bicycles âŠÂ«
Ăhm ⊠nö.
Ein Norweger, der höchstens mein Alter hat, fragt vornehm, ob er sich zu mir an den Tisch setzen darf. Klar doch. Wir kommen ins GesprÀch. Er erzÀhlt mir, dass er ein professioneller Pokerspieler ist und bei einem Turnier mitmacht. Der Junge ist mir nicht wirklich sympathisch. Er wirkt wie ein hochnÀsiger Spross einer britischen Adelsfamilie. Ich erklÀre ihm daher im Gegenzug, dass ich professioneller Backpacker bin und noch keinen Plan habe, wo ich heute Nacht pennen soll. Daraufhin schlÀft die Unterhaltung etwas ein ⊠Er hat den Braten gerochen und will mir offensichtlich die Fragen nach dem Kasino, in dem das Turnier stattfindet und dem Hotel, in dem er seinen feinen Hintern bettet, nicht beantworten. Schnösel.
Mein viel zu langes Suchen nach einer Couch wird von Erfolg gekrönt: Ken meldet sich per SMS und will mich bei sich aufnehmen. Ich ĂŒberlege: Soll ich zur Supermarkt-Barbie oder zu Couchsurfing-Ken? Ich entscheide mich fĂŒr Ken, weil das, was ich auf seiner Profilseite ĂŒber ihn herausfinden kann, verheiĂungsvoll klingt: Er zeigt seinen GĂ€sten offenbar auch gerne mal die Natur rund um Las Vegas und weiĂ, wie man kostenlos an Showtickets kommt. Er will mich spĂ€ter am Abend abholen und schreibt lustige und lockere Textnachrichten. Ich glaube, mit Ken werde ich gut klarkommen. Bis zum Abend sindâs noch ein paar Stunden. Dementsprechend beginne ich mit einer ersten Tour ĂŒber den Strip. Das erste Kasino, das ich mir gebe, ist das direkt neben der Mall befindliche Treasure Island. Ăber eine Rolltreppe im Freien komme ich auf eine FuĂgĂ€ngerbrĂŒcke, die ĂŒber die Spring Mountain Road zum Kasino fĂŒhrt. Rolltreppen, die im Freien auf FuĂgĂ€ngerĂŒberwege fĂŒhren ⊠sagenhaft.
Ich betrete das Kasino. Es ist riesig und mit unzĂ€hligen Spielautomaten ausgestattet. Interessanterweise darf man in den Kasinos dieser Stadt rauchen. Auf den insgesamt 8800 mÂČ gibt es einen riesigen Bereich fĂŒr Sportwetten, der mit Sofas und natĂŒrlich massenhaften und ĂŒberdimensionalen Monitoren ausgestattet ist. Ăberall hört man MĂŒnzen klingeln, nervige Melodien aus den Automaten ertönen und Leute jubeln, lachen und fluchen. Die meisten Menschen sitzen jedoch ruhig, geradezu gebannt vor den Automaten. Roulette, Blackjack, Poker: Es gibt nichts, was es nicht gibt, um sein Geld aufs Spiel zu setzen.
Es ist recht dĂŒster im Kasino. Fenster, durch die Sonnenlicht in die Spielhölle eindringen könnte, gibt es nicht. SĂ€mtliches Licht ist Kunstlicht, sodass man als Spieler sicherlich sehr einfach den Sinn fĂŒr die Tageszeit verliert.
Die Spielbank versprĂŒht weniger bis ĂŒberhaupt nicht den Charme einer karibischen Schatzinsel. Bis auf einen Bereich, in dem man eine nicht zugĂ€ngliche, zweite Etage als Piratennestkulisse inklusive Galionsfigur errichtet hat, enttĂ€uscht die lieblose und nicht themengebundene Aufmache. Das hatte ich mir auĂergewöhnlicher, bescheuerter vorgestellt. Das 450-Millionen-Dollar-Hotel war wohl auch mal abgedrehter. Allerdings entschied man sich 2003 dazu, seriöser zu wirken und verabschiedete sich gröĂtenteils von der Piratenromantik.
Dieses Schicksal erleiden viele ausrangierte Hotels, weswegen Vegas nicht nur als »Entertainment Capital«, sondern von manch einem auch als »Implosion Capital of the World« bezeichnet wird.
»Ich will ĂŒberhaupt nicht schön oder kreativ sein«, grinst mich der Kasten fies an, »sondern mit meiner 24-karĂ€tigen Goldfassade einzig und alleine Macht, GröĂenwahn und dicke Eier demonstrieren.«
Ich mag ihn nicht.
Als Trump mit dem Bau des 64 Stockwerke zĂ€hlenden Turms begann, machten GerĂŒchte die Runde, dass er tatsĂ€chlich einen auf dicke Hose machen möchte, indem er sein Hotel drei Meter höher sprieĂen lĂ€sst als das bis dahin höchste, bereits bewohnbare GebĂ€ude der Stadt: das Wynn, welches sich nur wenige Meter entfernt, genau gegenĂŒber der Fashion Mall befindet. Als man Trump jedoch darauf ansprach, dass der Stratosphere Tower mit seinen 350 Metern noch immer nahezu doppelt so hoch sei, entgegnete er: »Thatâs not a building.«
Auf besagten restlichen 15 Hektar des ehemaligen New Frontier ist bis heute noch nichts entstanden. Eigentlich wollten die neuen Besitzer an dieser Stelle fĂŒr â Achtung, es wird mal wieder abartig â fĂŒnf bis acht Milliarden Dollar das Las Vegas Plaza hinzaubern, das ein Replikat des Plaza Hotels in New York werden sollte. Wegen der Finanz- und Immobilienkrise, die ab 2007 die USA heimsuchte, musste man das Vorhaben 2011 jedoch endgĂŒltig stoppen. Das Land liegt seither brach.
Der Teil des riesigen Komplexes, den ich betrete, ist weder Hotel noch Kasino, sondern ein edler Shoppingpalast. Die Decke ist reich mit GemĂ€lden und zumeist aufgemaltem Stuck verziert. Die Sixtinische Kapelle lĂ€sst grĂŒĂen. PrĂ€chtige Kronleuchter, ein Boden aus Marmor und Brunnen mit Statuen darin und Löwen als Wasserspeiern lassen das Venetian ganz schön edel wirken.
So richtig ins Staunen komme ich, als ich auf einmal vor einem knietiefen Kanal stehe, in dem eine Gondel mit Gondoliere an mir vorbei schippert. Das kann doch nicht euer Ernst sein? Na, immerhin singt er nicht »âO sole mio«. Die KanĂ€le, engen Gassen und BrĂŒcken ziehen sich wie ein Labyrinth durch den Komplex. Wie groĂ ist das denn bitteschön? Die Raumhöhe betrĂ€gt locker zehn Meter und die Decke ist himmelblau gestrichen â inklusive weiĂer Wölkchen. Das ist so herrlich bekloppt! Die LĂ€den der Shoppingmeile, die von Swarovski bis Bulgari alles abstecken, was ich mir nicht leisten kann, sind in kleinen venezianischen »HĂ€usern« untergebracht, die lediglich aus ihrer Frontfassade samt Balkonen als solche existieren. Die Obergeschosse dieser falschen HĂ€user sind fĂŒr den Kunden nicht zugĂ€nglich. In jedem Fenster brennt jedoch ein Licht, was den Eindruck erweckt, sich in einer belebten italienischen Stadt zu befinden. StraĂenlaternen gibt es auch. Mamma mia.
Das Venetian geht unmerklich in das Schwesterhotel The Palazzo ĂŒber. Die Grenze dĂŒrfte die Piazza sein, wo aus den kleinen zusammenlaufenden Gassen ein groĂer Raum mit Restaurants und natĂŒrlich weiteren Luxusshops wird. Auf einem Balkon sehe ich Luciano Pavarotti stehen. Er sieht aus, als wolle er jeden Moment lossingen, ist aber genauso echt wie das Venedig, durch das ich gerade laufe.
Das einen Tag vor Silvester 2007 eröffnete Palazzo ist mit 196 Metern das derzeit höchste fertiggestellte GebĂ€ude der Stadt â abgesehen vom Stratosphere Tower ⊠aber das ist ja kein GebĂ€ude. Das Kasino hat eine FlĂ€che von 9800 mÂČ. The Palazzo ist mit 645.581 mÂČ das Bauwerk mit der gröĂten NutzflĂ€che in den Vereinigten Staaten und verdrĂ€ngte das Pentagon vom Spitzenplatz. Weltweit belegt es in dieser Statistik derzeit den 11. Platz. In der westlichen HemisphĂ€re hat nur ein GebĂ€ude eine höhere NutzflĂ€che: das Blumenauktionshaus im hollĂ€ndischen Aalsmeer. Ich werdâ verrĂŒckt. Addiert man die knapp 3000 Zimmer des 1,8 Milliarden teuren Palazzo zum Venetian, ergibt sich daraus zudem noch mit ĂŒber 7100 Zimmern der gröĂte Hotelkomplex der Welt. Impresssionante. Ăberhaupt befinden sich derzeit 14 der weltweit 20 Hotels mit den meisten Zimmern in Las Vegas.
Im Palazzo sind die RĂ€ume hoch, sehr hoch sogar. Ich spaziere eine Galerie entlang und blicke hinab in die beeindruckende Halle. Ich bin leicht ĂŒberfordert, als ich mich selbst frage, ob ich im Obergeschoss bleiben oder den Anblick von unten bestaunen möchte. Mein Weg fĂŒhrt mich von einer gut und gerne 20 bis 30 Meter hohen Halle in die nĂ€chste. Hier steht ein Kunstwerk, das einen Baum in der ewigen Mandel- oder KirschblĂŒte zeigt und dort ein Brunnen, der von einem Arkadenring umgeben ist und eine rot beleuchtete, zehn Meter hohe Installation in der Mitte trĂ€gt. Die Kronleuchter sind nicht wie im Venetian klassisch, sondern höchst modern mit herabhĂ€ngenden Glitter- und Diamantstreifen, zwischen denen kleine LEDs versteckt sind. Solch eine Lichtinstallation zieht sich dann auch mal die komplette Rolltreppe entlang. Sieht schon stark aus âŠ
Ich verlasse das Edeleinkaufszentrum des weltgröĂten Hotelkomplexes an dessen Nordseite. Es ist kurz vor sechs. Die Sonne ist untergegangen und mit ihr die Temperatur stark gefallen. Das ist wohl das WĂŒstenklima.
Anmerkung: Die Show wurde im November 2013 abgesetzt!
Weiter gehtâs vorbei an einem kleinen Wasserfall in den flachen Vorbau des Wynn.
Das Wynn misst 187 Meter, ist dynamisch sichelförmig geschwungen und hat eine beeindruckende Glasfassade mit FarbĂŒbergang: GlĂ€nzen die unteren Stockwerke in Goldtönen, geht die Farbe dezent zu einem lilaschimmernden Purpurrot in den oberen Regionen ĂŒber. Der Pomp des Palazzo wird im Wynn fortgefĂŒhrt, wenn nicht sogar noch ĂŒbertroffen. Dieses Einkaufszentrum kann man sich wie die nobelste Indoor-FuĂgĂ€ngerzone der Welt vorstellen. Hohe GĂ€nge mit KuppeldĂ€chern, VorhĂ€ngen, Perserteppichen und MarmorfuĂboden.
Selbst die Toiletten sind aus Marmor und die WasserhĂ€hne golden. Einzelne Waschbecken gibt es nicht, dafĂŒr eine stylishe marmorne Piss- ⊠Àh, Waschrinne. Beim Anblick dieses Prunks und dem erstmaligen Erlebnis, vor Staunen mit offenem Mund gepinkelt zu haben, frage ich mich, ob ich mich tatsĂ€chlich legal in diesem Tempel bewegen darf. Ich komme mir leicht fehl am Platz vor. Gleich werden sie kommen und mich rausschmeiĂen âŠ
In Los Angeles fragte mich vor einigen Tagen jemand, was ich an den USA »weird« finde. Da mir spontan nichts wirklich Seltsames einfiel, erzĂ€hlte mir mein GesprĂ€chspartner, dass er es wĂ€hrend seines Aufenthalts in Deutschland als Ă€uĂerst merkwĂŒrdig empfand, dass man fĂŒr die Nutzung öffentlicher Toiletten zahlen muss. Stimmt: In Amerika kann man ĂŒberall aufs Klo gehen und bekommt ĂŒberdies stets Einwegtoilettensitzabdeckungen angeboten. Somit fĂŒhle ich mich wieder sicher, wenn nicht sogar ⊠willkommen.
Ich komme an einer chinesisch anmutenden Bar mit wunderschönen Stofflampen vorbei. Eine halbrunde Rolltreppe fĂŒhrt zur Bar hinab.
Ich bleibe im oberen Bereich, verlasse durch eine der TĂŒren das GebĂ€ude und finde mich vor einer 12.000 mÂČ groĂen Lagune samt zwölf Meter hohem Wasserfall wieder, dem »Lake of Dreams«.
Wieder zurĂŒck im GebĂ€ude, spaziere ich durch einen mit Blumen geschmĂŒckten chinesischen Wald, durch den ein roter Drache fliegt.
Ich verlasse den Luxusbau durch den Haupteingang. Die Auffahrt fĂŒr die schweren Limousinen ist ĂŒberdacht. Die Decke ist kunstvoll mit Blumen und Ranken bemalt. Ein riesiger, eher rustikal gehaltener Leuchter hĂ€ngt darunter. Die StraĂe ist mit schwarzem und braunem Stein gefliest und ich wette, dass auch das Marmor ist.
2005 war das Hochhaus â nach diesen EindrĂŒcken wenig ĂŒberraschend â das teuerste Hotel der Welt, das sich der Erbauer und Namensgeber lockere 2,7 Milliarden Dollar kosten lieĂ. Allerdings wurde es kurz darauf bereits vom ĂŒber drei Milliarden teuren Empire Palace Hotel in Abu Dhabi ĂŒbertrumpft. Peanuts.
UrsprĂŒnglich wollte Wynn sein Hotel nach Picassos »La RĂÂȘve« benennen, das sich in seinem Privatbesitz befindet. Schlussendlich fand er seinen eigenen Namen und seine Unterschrift als Logo wohl aber doch cooler. DafĂŒr heiĂt die Show, die seit der Hoteleröffnung konstant im Wynn lĂ€uft »La RĂÂȘve«. Der Regisseur dieser und drei weiterer Shows in Vegas ist Franco Dragone, der durch den Cirque du Soleil Weltruhm erlangte und letzten Endes seine eigene Produktionsfirma, Dragone, grĂŒndete. Die Shows, die er vor »La RĂÂȘve« leitete waren »O«, »MystĂšre« und »A New Day âŠÂ« mit Celine Dion.
Ich setze mich auf den obersten Balkon der Fashion Mall und lasse meinen noch immer unglĂ€ubigen Blick ĂŒber den Strip streifen.
Ich passiere das Riviera, das mit seiner runden und mit blinkenden Lichtern ĂŒberzogenen Fassade in meinen Augen ein anderes, lĂ€ngst nicht mehr modernes Las Vegas symbolisiert. Schön finde ich es trotzdem.
Ungeachtet dieser blutigen Geschichte tanze ich derweil unter dem hell erleuchteten Vordach zu Cyndi Laupers »Girls Just Want to Have Fun«.
Ja, ich habe SpaĂ und will eigentlich auch noch gar nicht weg vom Strip. Allerdings bin ich mit Couchsurfer Ken verabredet und muss zusehen, dass ich mit dem Deuce zum BTC komme, um den letzten Bus zu erwischen, der mich zum vereinbarten Treffpunkt, der Westcliff Station, bringt. Da der blöde Deuce aber einfach nicht aufkreuzt, was eigentlich alle 15 bis 20 Minuten geschehen soll, werde ich â das weiĂ ich jetzt schon â den Bus verpassen. Verdammt. Was nun? Ich informiere Ken, der erfreulich entspannt reagiert, und auch der Deuce hat mich mittlerweile doch noch aufgegabelt. Wegen der Texterei mit Ken verpasse ich mein eigentliches Ziel, das BTC. Da der Bus aber eh weg ist, juckt das nun wenig. Also springe ich bei der ĂŒberdachten Fremont Street Experience ab, die ich erstmals im Dunkeln zu Gesicht bekomme und nun ein wenig erkunden kann, bis ich weiĂ, was Kens Plan ist.
Die Kollegen, die einst die erste Ampel auf der frisch befestigten StraĂe anknipsten, dĂŒrften angesichts dessen, was hier heute los ist, leicht ĂŒberfordert sein.
Als ich das östliche Ende der FSE erreiche, möchte Ken wissen, wo ich nun bin. An der Ecke Fremont und Las Vegas, antworte ich.
»Oh shit.«
Hm? Er schreibt, dass ich in ein Kasino gehen soll und er dort zu mir stoĂen wird. Nun bin ich etwas irritiert: Da Ken morgen arbeiten muss, will er eigentlich gegen 21 Uhr in die Heia. Jetzt ist es acht. Ist er plötzlich doch noch partywĂŒtig? Die SMS klingt auf jeden Fall mal sehr feierlaunig. Cool!
Die Fremont Street scheint entweder nicht so sein Ding zu sein oder man findet in dieser Gegend schlicht keinen anstĂ€ndigen Parkplatz. Daher bestaune ich nur kurz die markanten Leuchtreklamefiguren am Beginn des Fremont East District, der östlich des Las Vegas Boulevard beginnt, und marschiere alsbald und schnellen Schrittes den Boulevard in Richtung SĂŒden, um rasch ein Kasino fĂŒr unsere Kennenlernparty klarzumachen.
Zwischen der Fremont Street und dem Strip finde ich wider Erwarten eine groĂe WĂŒste vor. Nichts los hier! Es ist sogar regelrecht dunkel. ParkplĂ€tze und tatsĂ€chlich noch unerschlossenes oder wieder platt gewalztes Bauland umgeben mich. Wie weit muss ich denn auf einmal laufen, um endlich das zu finden, wovon ich den kompletten Tag ĂŒber regelrecht erschlagen wurde? Ken schreibt wieder und fragt, in welchem Kasino ich nun bin. Hm, noch immer auf der StraĂe.
»Where?«
Bei der 7-Eleven-Tanke an der Ecke Charleston und Las Vegas Boulevard.
Ken biegt hier ab, Ken biegt da ab und plötzlich gehtâs auf den Freeway. Hm, das sieht weniger nach Party als vielmehr nach Heimweg aus. Leider soll ich recht behalten. Der Treffpunkt Kasino wurde nicht zum Feiern ausgemacht, sondern um mich abzuholen. Schade.
Ken hat eine seltsame Art zu reden. Er wirkt ĂŒbertrieben bedacht, wenn er redet und ich werde das GefĂŒhl nicht los, dass er versucht, besonders sexy zu wirken. Ich habe wenig Zweifel daran, dass er schwul ist. Auf jeden Fall ist er, selbst nachdem wir auf den Freeway kommen, schwer konzentriert. So dolle ist der Verkehr doch gar nicht. Ein Auto fĂ€hrt auf der Spur links neben uns. Grund genug fĂŒr Ken, um seltsam auszufreaken. Warum, verstehe ich nicht so recht. Er scheint zu befĂŒrchten, dass sich der Wagen vor ihm einordnen könnte: »No, you canât. You canât«, beschwört er unsinnigerweise in nach wie vor bedacht langsamer Sprache und unglaubwĂŒrdig erotischer Stimmlage den anderen Fahrer. Warum auch immer. Der Wagen neben uns macht zudem ĂŒberhaupt keine Anstalten, die Spur zu wechseln. Ken bleibt unentspannt: »Iâm a better driver when Iâm drunk.«
»Haha!«, lache ich und frage mich dabei, ob ich langsam auch weniger entspannt sein sollte. Zweimal bin ich bislang nur haarscharf einem Autounfall entkommen. Zum GlĂŒck bin ich nicht aberglĂ€ubisch.
»Iâm living in Las Vegas for seven years now â and crashed six cars. Iâm a horrible driver.«
»Ha ⊠ha.«
Der Aberglaube feixt mir ins Gesicht.
»I saw an accident on my way downtown. Right here.«
Er deutet mit dem Finger auf die uns entgegenkommenden Autos.
»A truck fell on a car. The guy in the car died.«
»Hm, shit.«
Letzteres denke ich mir auch jede weitere Meile, die wir uns vom Strip entfernen. Wo wohnt mein Gastgeber denn? Wir fahren und fahren âŠ
Ken ist seit einem knappen halben Jahr Couchsurfer und liebt es. Er hat schon ĂŒber 40 Leute beherbergt. In einem halben Jahr? Nicht schlecht. Schon wieder so ein Hardcore-Couchsurfer ⊠Ken war mir wegen seiner SMS anfangs sehr sympathisch. Er schien lustig zu sein. Nach sehr kurzer Zeit ist er mir aber ehrlich gesagt ziemlich unsympathisch und dazu sogar noch ein wenig unheimlich. Die Unterhaltung lĂ€uft â nicht zuletzt wegen seiner ĂŒbertriebenen Konzentration wĂ€hrend der Fahrt â schleppend. Zudem erzĂ€hlt er lieber von sich selbst, als eine echte Konversation zu suchen. Er berichtet, dass seine Familie ihn nicht sonderlich mag und sich alle denken, dass er gestört sei, weil er nach Vegas gezogen ist. Er hingegen freut sich, der Erste zu sein, der es aus dem Heimatkaff in eine anstĂ€ndige Stadt geschafft hat. Ich gehe derweil den Gedanken der Eltern durch und frage mich auch, ob Ken ein wenig gestört ist. Weiter gehtâs im Monolog: Diesmal gehtâs um Ărsche, Titten und willige Weiber. Seinen dumpfbackenen Machismo kaufe ich ihm ebenso wenig ab wie seine HeterosexualitĂ€t. Anscheinend will er mir aber irgendwas beweisen, was mir vollkommen egal ist. Was kĂŒmmertâs mich, auf welches Geschlecht er steht? Homophobie ist was fĂŒr Idioten.
Irgendwann ist es endlich geschafft und wir erreichen sein Haus â wo auch immer das nun ist. Die einzige Orientierung, die ich mir wĂ€hrend der Fahrt einprĂ€gen kann, ist das Suncoast Hotel and Casino, das in einiger Entfernung aus der Landschaft ragt. Das liegt aber auch bereits Meilen zurĂŒck. Ich glaube, dass wir in einem Randbezirk von Summerlin sind. Summerlin ist eine Planstadt, die westlich von Las Vegas von der Howard Hughes Corporation aus dem Boden gestampft und nach Hughesâ GroĂmutter benannt wurde. Quasi direkt hinter Kens Haus erheben sich karge FelshĂŒgel. Dahinter dĂŒrfte nur noch WĂŒste sein.
In Kens Haus erwartet uns ein ziemlich hĂ€sslicher Hund: Dilbert. Aha, interessanter Name. Noch interessanter ist jedoch, wie Ken mit seinem HĂŒndchen kommuniziert. Das wirkt schon ⊠seltsam. Ich wĂŒrde es irgendwo zwischen grenzdebil und pervers einordnen. Er knuddelt den Vierbeiner ununterbrochen und fordert nach KĂŒssen: »Give me a kiss, Dilbert. Kiss, Kiss!«
Oje.
»Now kiss Dennis. Come on, Dilbert. Kiss Dennis!«
Oje!
Als er aufhört, mir Dilbert ins Gesicht zu drĂŒcken, erzĂ€hlt mir Ken stolz, wie er den niemals bellenden Hund bekommen hat. Dilberts Schweigen kann ich in Kens Gegenwart indes uneingeschrĂ€nkt nachvollziehen. Kens und Dilberts Geschichte ist aber â ausnahmsweise â wirklich mal eine sympathische. Ken ist vor zwei Jahren in ein Tierheim gefahren und hat nach den Hunden gefragt, die eingeschlĂ€fert werden sollen, weil sich kein neues Herrchen finden lieĂ. Die Angestellten waren verwundert, zeigten ihm aber die armen Geschöpfe. Ken macht mir vor, wie er ĂŒber die »Green Mile« stolzierte, Dilbert erblickte und sich sofort fĂŒr ihn entschied. Die kurze Theatereinlage des »Strange Man Walking« ist ebenfalls leicht wunderlich. Als er fertig ist, schnappt er sich wieder den kleinen Dilbert und knuddelt ihn: »I saved your life, Dilbert. They wanted to kill you, but I rescued you. Youâre alive because of me âŠÂ«
Oje. Vielleicht ist die Geschichte doch nicht vollkommen liebreizend. Ich werde das GefĂŒhl nicht los, dass Ken von seiner Umwelt auf ekelhafte Art und Weise Gefolgschaft und Verehrung verlangt. Mit Dilbert scheintâs zu klappen.
Wir setzen uns auf seine Couch im ersten Stock. Ken bewohnt ein komplettes Haus. Deswegen konnte er auch bereits zehn Couchsurfer auf einmal beherbergen. Zehn GĂ€ste zur selben Zeit? Oje. Das war aber auch fĂŒr ihn zu viel, ergĂ€nzt er. Der sich selbst als Alkoholiker bezeichnende und als Lehrer arbeitende Ken mixt sich eine Whiskey-Cola. Warum sind so viele Lehrer â offensichtlich weltweit â so trinkfreudig beziehungsweise gleich alkoholkrank? Ich habe noch eine Obdachlosenweinflasche aus Los Angeles, im Wert von drei Dollar, in meinem Rucksack und biete sie ihm quasi als Willkommensgeschenk an. Daraufhin erzĂ€hlt er mir die Geschichte eines Couchsurfers, der ihm Chips und irgendeinen crappy booze geschenkt hat.
»I told him: âșThank you for the chips.âč And he said: âșI also brought you alcohol.âč I repeated: âșThank you for the chips.âč He was irritated and showed me the alcohol again. So I let him know that I donât drink such a shit. â Not enough alcohol. I drink whiskey.«
Nett.
Nachdem er mit dem Mixen seines Drinks fertig ist, fragt er mich, was ich trinken möchte. Ich deute höflich auf seine Whiskeyflasche. Er reagiert nicht.
»Do you want the shit the other couchsurfer brought me?«
»Uhm âŠÂ«
»Or we open your wine!«
»Okay?«
Also bekomme ich meinen ungekĂŒhlten WeiĂwein eingeschenkt. Keine Chance auf Whiskey-Cola. Was sollâs. Ich will mir sowieso nicht die Kante geben. DafĂŒr fĂŒhle ich mich bereits jetzt zu unwohl in Kens Haus.
»What kind of music do you listen to? Do you like Whitney Houston?«
Ăhem ⊠»Iâm more into punk and hardcore«, antworte ich wahrheitsgemĂ€Ă.
»I love Whitney«, entgegnet er unbeeindruckt. Wahrscheinlich hat er gar nicht erst zugehört. »Oh, and I miss her! When Michael Jackson died, five shows about his life popped up. But not a single one about Whitney. Isnât that weird?«
»Hm.«
Ken erzĂ€hlt mir, dass Whitney ermordet wurde und nicht etwa â wie die Medien einen glauben machen wollen â an einer versehentlichen Ăberdosis gestorben ist. Ken hatte mir bereits per SMS angekĂŒndigt, dass er SĂ€nger ist und mir etwas vorsingen wird, damit ich ihn fĂŒr meinen nĂ€chsten Film engagiere. Tja, mit dem Casting möchte er offensichtlich nicht zu lange warten und legt eine Karaoke-DVD ein. Die ersten Töne erklingen und ich denke mir wenig ĂŒberrascht, aber dennoch in Schock erstarrend: »Fuck. Whitney Houston.«
Neben mir sitzt ein MittdreiĂiger, der wie Ace Ventura aussieht und mir zehn Minuten nach unserer Ankunft »I Will Always Love You« vorsingt. Das ist alles ein bisschen strange âŠ
Nach fĂŒnf Minuten ist die Show endlich vorbei. Auf den Bildschirm musste er sich nicht allzu sehr konzentrieren, denn den Text kennt der Musiklehrer auswendig: »Iâm working on a show. Itâs gonna be a huge show about Whitney.«
»Wow.«
Als Vorortmusiklehrer hat er sicherlich Kontakte in die edelsten Kreise, denke ich mir und freue mich ĂŒber seinen kĂŒnftigen Erfolg.
»I hosted a guy from Korea in December. We watched Whitneyâs last movie. I sat here â so in love â and this guy always wanted to talk!«
»I also donât like it when people talk during âŠÂ«, mein Versuch aus dem Monolog einen Dialog zu machen scheitert, denn Ken plaudert einfach weiter: Jedes Mal wenn der Koreaner seinen Mund aufmachte, drĂŒckte Ken auf den Pausenknopf und steigerte sich exponentiell in Genervtheit, bis er ihm schlieĂlich das Reden verbot. Alles klar, die Message ist angekommen. Allerdings werde ich mich einfach nicht neben ihn setzen, wenn er sich einen Film angucken will. Ich bin doch nicht nach Vegas gekommen, um mir Whitney-Houston-Filme anzugucken!
»I saved your life, Dilbert. Now, give me a kiss âŠÂ«
Ich habe mein eigenes Bett in meinem eigenen Zimmer. Sogar ein eigenes Badezimmer bekomme ich. Das ist cool und fĂŒhlt sich auch sicherer an. Ken holt BettwĂ€sche. Ich lasse ihn wissen, dass ich mein Bett alleine beziehen kann und er sich keinen Stress machen soll.
»We can make it together.«
»Yeah. Great.«
»Iâm looking forward to the weekend. I have to work tomorrow, but we can make party throughout the whole weekend.«
Ach, das wird sicherlich super ⊠Bin ich jetzt ein Arsch, weil die Dankbarkeit fĂŒrs Beherbergen bereits in pure Ablehnung umgeschlagen ist? Ich lasse es Ken nicht spĂŒren â hoffe und glaube ich. WĂ€re ich doch besser mal zu Barbara gegangen. Die wohnt auch nicht am WĂŒstenrand, sondern nach eigener Aussage nur unweit des Charleston Boulevard. Ach, Barbara âŠ
Ich schlieĂe die TĂŒr und trĂ€ume von hĂ€sslichen Hunden, die gezwungen werden, mich sexuell zu belĂ€stigen, wĂ€hrend Jim Carrey sich vor meiner Tierheimtodeszelle Whiskey-Cola hinter die Binde kippt und mir mit verliebtem Blick »I Will Always Love You« vorsingt. Als ich aufwache, liege ich zerstĂŒckelt in einer Grube inmitten der WĂŒste. Jim singt noch immer und neben mir liegen Whitney Houston und Kevin Costner. Na super. Vom Mitfahren bei Fremden wird in Nevada ĂŒbrigens dringend abgeraten. Ein GlĂŒck, dass Serendipity fĂŒr gewöhnlich auf meiner Seite ist, sonst wĂŒrde ich kein Auge zubekommen. SĂŒĂe TrĂ€ume âŠ
Kens Name wurde von mir geÀndert.