Tag 69: Mama, ich heirate! Oder: Vom Mandalay Bay bis zum Aria
Serendipity â Teil 2
Donnerstag, 17. Januar 2013
??? â Las Vegas â Paradise
Ken sagt, ich solle beim Tropicana anfangen, den Strip zu erkunden. Also steige ich am BTC in den Deuce um und lasse mich am sĂŒdlichen Ende des Strip rausschmeiĂen. Das Tropicana ist schon seit 1957 in Betrieb und befindet sich an der Kreuzung mit den meisten Hotelbetten weltweit.
Ich betrete zunĂ€chst den OstflĂŒgel des Tropicana, der im August 2012 vom Bagatelle Beach & Nightclub ĂŒbernommen und zum Bagatelle Hotel wurde. So irre sind das Bagatelle und das Tropicana, verglichen mit den Hotels und Kasinos, die ich gestern gesehen habe, aber bei Weitem nicht. Schon von auĂen kann der weiĂe Klotz wenig faszinieren. Es gefĂ€llt mir bislang eindeutig am wenigsten.
Nach den bösen Mafiosi komme ich am Bacio Restaurant vorbei. Das italienische Restaurant ist voll mit Fotos von KĂŒssenden. Es ist zwar ganz niedlich, aber auch nicht sonderlich mitreiĂend.
Ich blicke nicht ganz durch, wo das Tropicana aufhört und das Bagatelle anfĂ€ngt oder ob es sich dabei ĂŒberhaupt um zwei autonome Hotels handelt. Es gibt auf jeden Fall nur ein Kasino, das mit seinen 4600 mÂČ NutzflĂ€che vergleichsweise klein ist. Die Laugh Factory, ein Comedy Club, gehört auf jeden Fall zum Tropicana und wirbt stolz fĂŒr Roseanne Barrs Show. Die Laugh Factory kann man mit dem deutschen Quatsch Comedy Club vergleichen. 1979 von einem 16-JĂ€hrigen gegrĂŒndet, der erkannte, dass es reiner Comedy-BĂŒhnen bedarf, gibt es mittlerweile vier solcher Clubs in den Staaten. Laut USA Today ist die Laugh Factory der beste Comedy-Club der USA. Nachdem 2009, kurz vor dem 50. Jahrestag, die Folies BergĂ©re Show gestrichen wurde, gibt es im Tropicana keine groĂe Show mehr.
Ich ĂŒberquere die FuĂgĂ€ngerbrĂŒcke, die zum Excalibur fĂŒhrt, und mache mich an einem Stand, der Infomaterial ausliegen hat, ĂŒber die Shows dieser Stadt schlau. Hm, was ist denn das? Ich blĂ€ttere gerade durch einen kleinen Katalog, als mich auf einer Seite ein blutĂŒberströmter Mann angrinst, der anstelle seiner rechten Hand eine KettensĂ€ge hat. Den kenne ich doch? Es ist zwar nicht Bruce Campbell, aber eindeutig Ash, der Held aus Sam Raimis Trilogie »The Evil Dead«. Wie? Das kann doch nicht sein? Das ist doch ⊠Die Anzeige wirbt fĂŒr eine Show, die ich â so viel ist sofort klar â unbedingt sehen muss: »Evil Dead: The Musical«. Heureka!
Ich bin ein groĂer Fan der Trilogie und frage mit zittriger Stimme den Mann hinterm Stand, was dies zu bedeuten hat.
»Itâs a pretty bloody musical. Iâve heard itâs fun«, antwortet er mir mit wenig Temperament in der Stimme. Ein blutiges Musical! Das muss ich sofort Cari mitteilen: »They shed blood â probably over the audience!«
»So as a punk, naturally youâre excited ⊠But what about as a vegan?«
HĂ€? Sie nennt das Splatter-Musical ein Blutfest und scheint auch sonst nicht zu kapieren, was der Hintergrund dieser famosen Idee ist.
»The âșblood festâč is a musical based on several horror movies. Most of all obviously on âșThe Evil Deadâč by Sam Raimi. Itâs art!«
»Also, obviously? Are you trying to make me feel dumb? Because itâs working âŠÂ«
»I just donât know if youâre into horror movies, my little dumbass. And you talked about it as if it were a show for dumbasses! You think me dumb?«
»All you told me was the title and the fact that they spill blood. Was I supposed to assume it was for intelligent people?«
Immer eine Spitze in der Hinterhand. Also, fĂŒr all die Ungebildeten, die wie Cari »The Evil Dead« nicht kennen, eine kurze ErklĂ€rung: Regisseur Sam Raimi, der spĂ€testens seit »Spider-Man« jedem bekannt sein sollte, begann wie einst Peter Jackson seine Karriere mit Horrorfilmchen. Der erste Film, »The Evil Dead« â oder auf Deutsch: »Tanz der Teufel« â, ist ein böser, dreckiger Streifen aus dem Jahre 1981, den Raimi höchstselbst sechs Jahre spĂ€ter parodierte. Das muss sich ein Regisseur erst einmal trauen. »Tanz der Teufel II« ist zum Schreien komisch und war bei den Fans ein so groĂer Erfolg, dass 1992 mit »Armee der Finsternis« ein dritter Teil hinzukam, der die Geschichte Ashs fortfĂŒhrt, der aus Versehen dĂ€monische KrĂ€fte erweckte und flugs all seiner Freunde entledigt wurde. Ash wird in allen drei Filmen auf geniale Weise von Bruce Campbell verkörpert, der es mit der Splattertrilogie zur absoluten Kultfigur geschafft hat. Und in Vegas gibtâs das Musical zur Serie! Sieht so aus, als hĂ€tte ich meinen ersten Pflichttermin.
Dass das Excalibur Ă€uĂerst bescheuert aussieht, habe ich ja bereits erwĂ€hnt. TĂŒrme mit roten, goldenen und blauen DĂ€chern erheben sich und selbst das HauptgebĂ€ude hat Zinnen. Der Burggraben ist natĂŒrlich mit Wasser gefĂŒllt und beherbergt ein HexenhĂ€uschen. Ob es im Burggraben wohl eine mit den »Sirens of TI« vergleichbare Show gibt, bei der allabendlich eine Hexe verbrannt wird? Das Hotel sieht aus, als sei es aus Lego-Bausteinen zusammengesetzt oder dem »Shrek«-Universum entsprungen â nur weniger hĂŒbsch. Nein, prachtvoll oder mĂ€chtig ist es nicht. Ulkig trifft es wesentlich besser und beim Betrachten lĂ€uft man Gefahr, sich ein chronisches KopfschĂŒtteln zuzulegen. Kinder dĂŒrften es lieben.
Im Inneren wird der ulkige Stil des Excalibur nur kurz beibehalten. Ziehen sich im Eingangsbereich noch TĂŒrmchen und Zinnen durch die RĂ€ume, endet auch im Excalibur das Thema des Hauses im 9300 mÂČ groĂen Kasino und verkommt zu einer normalen Spielhölle. Das Kasino kommt mir jedoch dunkler vor als die bisher gesehenen, was ja dann doch wieder zum finsteren Mittelalter passt. Das Excalibur kommt gleich mit zwei Shows daher: »Thunder from Down Under« ist eine reine MĂ€nnerstripshow und beim mittelalterlichen »Tournament of Kings« treten Ritter mit ihren Pferden in einem Amphitheater vor ĂŒber 900 Zuschauern gegeneinander an. Die Show beinhaltet auch ein Bankett, bei dem von Leibeigenen und Weibsbildern Essen serviert wird, welches ohne Besteck zu speisen ist. ĂlĂ©gance, Ă©lĂ©gance, Ă©lĂ©gance.
Auf der Spitze der Pyramide befindet sich der Luxor Sky Beam, der der stĂ€rkste Lichtstrahl der Welt ist und allabendlich senkrecht in den Himmel leuchtet. Total bekloppt, aber vielleicht lockt es ja irgendwann die Aliens wieder zu einer Pyramide â diesmal dann eben in den Staaten. Angeblich hat der Sky Beam tatsĂ€chlich bereits dafĂŒr gesorgt, dass sich ein neues Ăkosystem aus Motten, FledermĂ€usen und Eulen am world's largest bug attractor angesiedelt hat. Seit 2008 strahlt der Sky Beam nur noch mit halber Kraft, um Kosten und Energie zu sparen. WĂŒrde man bei sternenklarer Nacht in Reiseflughöhe ĂŒber Los Angeles fliegen, könnte man den Sky Beam sehen, heiĂt es. Das sind 360 Kilometer Luftlinie. Insgesamt soll er in genannter Höhe knapp 440 Kilometer weit zu sehen sein. Laut GeschĂ€ftsfĂŒhrung wurde der Sky Beam wegen des alten Ă€gyptischen Glaubens installiert, dass die Seelen der Verstorbenen in einem Strahl aus Licht zum Himmel fahren.
Ich stehe in der Pyramide und blicke nach oben. Das Atrium misst ganze 820.000 mÂł. Erstaunt stelle ich fest, dass sich an der Innenseite der PyramidenwĂ€nde die nach innen offenen Hotelflure befinden, die sich bis unter die Pyramidenspitze ziehen. Von den GĂ€ngen dort oben muss man eine interessante Aussicht ĂŒber das Innere des Hotels haben. Es soll auch tatsĂ€chlich AufzĂŒge geben, die im 39°-Winkel die WĂ€nde hinauffahren. Das ist mal krass. Allerdings kann ich besagte AufzĂŒge nicht finden. Wahrscheinlich benötigt man eine Keycard, um sie nutzen zu können.
Innerhalb der Pyramide befinden sich ein Obelisk, eine Replik eines Tempels und weitere GebÀude mit Àgyptischem Charme, die zum Konsumieren einladen.
DarĂŒber hinaus beherbergt die Pyramide noch ein 11.000 mÂČ groĂes Kasino, zwei Ausstellungen â »Titanic: The Artifact Exhibition« sowie »Bodies ⊠The Exhibition« von Körperwelten-Anatom Gunther von Hagens â und die Show »Criss Angel Believe«, die eine Kollaboration zwischen dem Magier und dem Cirque du Soleil ist und mit ziemlich miesen Kritiken zu kĂ€mpfen hat. Meine volle Aufmerksamkeit bekommt aber die erste wedding chapel, die ich in Vegas sehe, und die ich sogleich einmal genauer unter die Lupe nehme.
Als ich die Kapelle betrete, stehe ich vor der Anmeldung und frage die dahinter sitzende Angestellte, ob ich mir die kleine Kirche ansehen darf. Sie nickt freundlich und lĂ€sst mich gewĂ€hren. Die Kapelle bricht mit dem Ă€gyptischen Thema und legt vielmehr Wert auf schicken Kitsch. Neben diversen ZeremonienrĂ€umen unterschiedlicher GröĂe gibt es auch wie Wohnzimmer eingerichtete WarterĂ€ume, die mit Sofas, Kaminen, Lampen und Blumen versehen wurden. Die Wedding Chapel ist erstaunlich groĂ. Ich spaziere von einem Gang in den nĂ€chsten und finde immer mehr RĂ€ume mit Kronleuchtern, weichem Teppichboden und Fenstern, die nirgendwo hinfĂŒhren, durch die aber trotzdem relativ authentisches Sonnenlicht fĂ€llt.
Oh, die Romantik ĂŒberkommt mich. Spontan beschlieĂe ich, dass Cari heute bei wenigstens einem ihrer beiden VorstellungsgesprĂ€che Erfolg haben wird und danach nach Vegas fliegt ⊠um mich zu heiraten. Also erkundige ich mich nach den Preisen fĂŒr so eine Hochzeit. Das preiswerteste Paket kostet 295 Dollar. Ich lasse Cari wissen, dass die Kapelle nicht schlecht ist, frage nach der geschĂ€tzten Anzahl unserer GĂ€ste und ob ich zur Sicherheit schon mal buchen soll. Irritierenderweise lacht sie nur und empfiehlt mir, in die M&Mâs World und den Coca-Cola Store zu gehen. What the fuck?
»Iâll check some more chapels. Tell your parents that they shall prepare their trip to Vegas ⊠Hmkay?«
»I doubt they would come«, lacht sie schon wieder.
Nimmt sie die Sache etwa nicht ernst? Ich bohre nach: »I would want to see my daughterâs husband. Strange parents you have âŠÂ«
»Well, they would probably assume it wouldnât last long âŠÂ«
Skandal!
»Wanna go to Bali for eleven days?«, versucht Cari die Wogen zu glÀtten. »2200 dollars for two people, including flights, departure taxes, hotels, transportation from airport, yoga, tai chi and dance classes, mountain biking, art and nature tour, breakfast and afternoon tea!«
»Yeah! Sure! Who pays?«
»Well, I think the brideâs parents traditionally pay for the wedding, and the groomâs parents pay for the honeymoon. Right?«
»Prepare your parents for the biggest and most fancy wedding, baby! We fly to Bali! We have cool parents, donât we?«
»I donât think my parents are that cool. Iâll put our 300 dollars wedding at the Luxor on my credit card. Beyond that, I am powerless«
»Just come and marry me.«
»I just have to find a dress ⊠and maybe a job.«
»Dress first!«
WĂ€re das also schon mal geregelt und ich um einen Pflichttermin reicher. MĂŒssen nur noch die Eltern informiert und angeschnorrt werden. Na, die werden sich freuen. Vielleicht sollte ich sie ĂŒberraschen und mit der VermĂ€hlung erst rausrĂŒcken, wenn ich darĂŒber schreibe? Ein teuflischer Plan.
Ich verlasse das Luxor. Schwarze Statuen bewachen den Eingang und auch Anubis macht davor Sitz. Das Bauwerk ist wahrlich beeindruckend. Zwischen den dunklen Scheiben der Pyramide hat sich Sand abgelagert, was durchaus zu einer gewissen AuthentizitĂ€t in der WĂŒste Nevadas beitrĂ€gt. Palmen sĂ€umen das GebĂ€ude und ein Weg aus gelbem Stein fĂŒhrt zu einem 43 Meter hohen Obelisken. Der Obelisk steht hinter den Schienen der Mandalay Bay Tram, einem kabelbetriebenen Zug, der kostenlos auf den etwas mehr als 800 Metern zwischen dem Excalibur, dem Luxor und dem Mandalay Bay pendelt. Dass diese drei Hotelkasinos zwischen elf und 22:30 Uhr mit einer Hochbahn miteinander verbunden sind, liegt daran, dass sie allesamt zur MGM Resorts International gehören. Die Gleise befinden sich hinter GlastĂŒren. Als ich die TĂŒren erreiche und mich zur Pyramide umdrehe, sehe ich, dass ich gerade aus einer 34 Meter hohen Nachbildung der GroĂen Sphinx von Gizeh komme. Der Hoteleingang befindet sich zwischen ihren Vorderbeinen. Ich spaziere auf die RĂŒckseite des Luxor. Hier befindet sich die Poollandschaft, die derzeit umgebaut wird. Auf einem Schild ist zu lesen, dass Kinder unter 18 Jahren am Pool doch bitte von einem Erwachsenen begleitet werden sollen â herrlich: die Amis und die VolljĂ€hrigkeit.
FĂŒr das sĂŒdlichste Resort des Strip musste mal wieder das VorgĂ€ngerhotel implodieren. Dieses Schicksal ereilte 1996 das Hacienda, das 40 Jahre lang an der Stelle stand, an der nun also die ĂŒber eine Milliarde Dollar teuren goldenen TĂŒrme des Mandalay Bay Resorts die aus SĂŒdwesten einreisenden Neuankömmlinge in Vegas begrĂŒĂt.
Ab Mai wird im Mandalay Bay die Show »Michael Jackson: One« fester Bestandteil des Hotels, wofĂŒr »The Lion King« Platz machen musste.
Ich schlendere durch das 12.500 mÂČ groĂe Kasino und komme am Ă€uĂerst cool aussehenden House of Blues vorbei. Davor stehen BĂ€nke, die aus Autonummernschildern, VorhĂ€ngeschlössern und Kronkorken gezimmert wurden. Eine Frau hĂ€ngt in alter Kinomanier mit einem Stab Buchstaben an die Programmwand: Carlos Santana wird ĂŒbermorgen im House of Blues aufspielen.
Ich erreiche die Einkaufspassage des Resorts, Mandalay Place. Da ich hungrig bin, gehe ich in die Burger Bar und bestelle mir Pommes aus SĂŒĂkartoffeln. WĂ€hrend ich am Schlemmen bin, beobachte ich, wie die Kellnerinnen rĂ€tseln, was der Satz auf den Warsteiner-Bierdeckeln wohl heiĂen könnte. Eine der Ladys kommt an mir vorbei: »Do you need a German translation?«, biete ich mich an. Sie ist sehr begeistert und zeigt mir den Deckel.
»A queen amongst the beers«, töne ich ihr dramatisch entgegen. Sie ist fasziniert. SpÀter kommt sie noch einmal zu mir, schaut mich todernst an und spricht nicht weniger theatralisch in meiner Muttersprache zu mir: »Ich bin die Königin!«
Nicht schlecht. Als ich den Laden verlasse, schwenke ich noch einmal zu ihr rĂŒber. Sie steht mit einigen Kolleginnen beisammen. Als sie mich erblickt, verbeuge ich mich ehrfĂŒrchtig und verabschiede mich mit den Worten: »Your majesty âŠÂ«
Sie lacht, wÀhrend die anderen es nicht wirklich zu verstehen scheinen und uns verwirrte Blicke entgegenwerfen.
Ich verlasse das Resort bei seinem Beach. Die Poollandschaft des Resorts scheint recht beachtlich zu sein; immerhin gewann sie sieben Jahre in Folge den Award fĂŒr den »Best Pool of Las Vegas«. So gibt es unter anderem ein Wellenbad und einen Bereich, in dem Frauen oben ohne baden dĂŒrfen. Um Zutritt zu diesem Bereich zu bekommen, muss man mindestens 21 Jahre alt sein. Ich findâs lustig.
Auf der StraĂe bekomme ich Pornobildchen in die Hand gedrĂŒckt, auf denen die Telefonnummern diverser Damen zu lesen sind. Oha. Nett. Die Verteiler der Fotos animieren die Passanten dazu, sie anzugucken, indem sie mit den Flyern seltsame GerĂ€usche machen. Es klickt und klatscht nur so um einen herum, was es schwer macht, die Herrschaften zu ignorieren. Schaut man sie â wie ich soeben â tatsĂ€chlich an, kommen sie schnellen Schrittes auf einen zu. Nimmt man dann auch noch einen Flyer entgegen, kommen alle anderen Verteiler wie die Aasgeier auf einen zugeschossen. Wie aus dem Nichts kommen noch weitere Pornogeier in die Szenerie gesprungen und stĂŒrzen sich ebenfalls auf mich. In einer Mischung aus sexueller EntzĂŒckung und Angst, erdrĂŒckt zu werden, schreie ich ein ersticktes: »Ah!«, in die Runde. Einen Effekt hat der Ruf nicht. Nachdem sie mich mit Fotos von BrĂŒsten zutapeziert und meine Taschen damit aufgefĂŒllt haben, lassen mich die Werber der kĂ€uflichen Telefonliebe erschöpft und an die Wand gedrĂŒckt zurĂŒck. Hm, das Ziel der Damen und Herren scheint es zu sein, den Kram schnellstens loszuwerden. Ich fĂŒhle mich missbraucht.
Das Kasino ist mir sofort das bislang sympathischste, da darin die Thematik des GebĂ€udes beibehalten wird. Das Kasino soll an Greenwich Village orientiert sein. Da ich noch nie in New York war, kann ich nicht objektiv ĂŒber den Erfolg der Designer urteilen. Da ich es aber schon als nahezu gemĂŒtlich hier drinnen empfinde, recke ich mal meinen Daumen in die Höhe und freue mich ĂŒber die niedlichen HĂ€userfassaden, die die InnenwĂ€nde des Kasinos schmĂŒcken.
Es ist bereits 13:30 Uhr und ich bin noch nicht betrunken. So kann das nicht weitergehen. Ich beschlieĂe, nun Caris Rat zu befolgen und mich an einen Automaten zu setzen. Skeptisch lasse ich meinen Blick durch den Raum wandern. Es dauert ein wenig, bis ich endlich mal eine Serviererin ausmachen kann. TrĂ€gt sie wirklich kostenlose Drinks zu Spielenden? Ich beschwere mich bei Cari, dass ich noch nĂŒchtern bin.
»You obviously havenât followed my advice: Go sit at the slots. You get free drinks while youâre gambling! The higher the price of the slot, the more waitresses will be around.«
»Well I just got some masturbation pictures with telephone numbers on it for free. Thatâs a first step. Yes, Iâll pretend to gamble soon. Weâll see âŠÂ«
Ich sehe aber niemanden mit Drinks und traue der Sache nicht. An die teuren Automaten setze ich mich indes sicherlich nicht. Ich setze mich an den Ă€uĂersten Automaten einer Reihe von 1-Cent-Maschinen, denke mir aber, dass das etwas komisch aussieht â als hĂ€tte ich mich hier nur hingesetzt, um ein kostenloses Bier abzustauben. Eine seltsame, aber in diesem Moment meine Denkweise. Also rĂŒcke ich eins rĂŒber, schaue mir den Automaten genauer an und spĂŒre sofort: »Nein, an dem gewinne ich nichts.«
Daher stehe ich wieder auf und mache mich tatsĂ€chlich auf Automatensuche. Oh, oh. Es steckt an. Es steckt an âŠ
Ich setze mich an eine 1-Cent-Maschine, die »Golden Reef« heiĂt. Ein niedlicher Delfin und andere Freunde des Meeres sind darauf abgebildet. Klar, das ist genau mein Ding, mein GerĂ€t zu unermesslichem Reichtum. Ich schiebe den ersten Dollar meines Lebens in einen Spielautomaten und lasse die Gelenke meiner Finger knacken. Final beschwöre ich noch den Automaten mit einem hypnotischen Blick. Ob er meine NervositĂ€t spĂŒrt? Ich drĂŒcke auf den Knopf, auf dem »Spin« steht ⊠und bin sofort um 80 Cent Ă€rmer. Was soll denn die ScheiĂe? 1-Cent-Maschine? Da hat einer von uns beiden wohl was falsch verstanden, mache ich die Maschine dumm von der Seite an, wĂ€hrend ich versuche, Herr der Situation zu bleiben und nicht auszurasten. Innerlich koche ich. Ich atme tief durch und resĂŒmiere: Das war dann wohl mal fĂŒrân Arsch. Das Schlimmste ist jedoch, dass ich ob des immensen Verlusts, Caris Tipp mit dem Free Drink nicht ausprobieren konnte. Ich dachte, ich dĂŒrfte hier hundertmal auf den Knopf drĂŒcken.
»Po brecito. Youâll get âem next time!«, bekomme ich Trost aus Portland geschickt.
»Po brecito?«
Soll das Spanisch sein, SchĂ€tzchen? Der Zyniker flackert in mir auf. Das verbliebene Geld kommt in Form eines ausgedruckten Zettels mit Barcode, dem Voucher, aus dem Automaten. Die 20 Cent spare ich mir fĂŒr spĂ€ter ⊠falls ich damit noch irgendetwas spielen kann.
»I pretend to gamble, curse out loud and throw my hat and gloves around me to get the waitressâ attention ⊠and nobody is filling me up!«, mache ich mir bei Cari Luft. Gut gebrĂŒllt, Löwe. Ich finde einen anderen Automaten, schiebe den 20-Cent-Voucher ein und warte auf die nĂ€chstbeste Kellnerin. Als sie mich sieht, fragt sie, ob ich einen Drink haben möchte.
»Yes«, erwidere ich â noch immer skeptisch. Tja, was soll ich sagen: Kurze Zeit spĂ€ter bekomme ich mein Bier auf den Automaten gestellt und muss wahrhaftig nichts, niente, nada dafĂŒr bezahlen. Yeah! Ich lĂ€chle zufrieden, finde heraus, wie ich weniger Geld setze, drĂŒcke auf den Knopf ⊠und gewinne!
»IâM WINNING! LAS VEGAS, I MAKE YOU NAKED!«
Nach einiger Zeit meldet sich Cari wieder. Ihr erstes VorstellungsgesprĂ€ch lief wohl nicht so toll: »But youâre still winning, yeah?«
»No, our children will have to pay long for it âŠÂ«
Ja, das mag leicht ĂŒbertrieben sein. Fakt ist jedoch, dass ich der Gier erlegen bin und das bisschen Reichtum, das ich angehĂ€uft habe, beim Automaten der Ghostbusters wieder losgeworden bin. Sie lacht und erklĂ€rt, dass »po brecito« so viel wie »poor baby« heiĂt.
»I know«, klugscheiĂe ich zurĂŒck. Ich habe in ihrem Rechtschreibfehler und meiner Anwandlung von Zynismus lediglich direkt eine AngriffsflĂ€che fĂŒr ein weiteres Battle zwischen uns gefunden: »But why do you make two words out of it, dumbass?«
Ich lache teuflisch vor mich hin, entschĂ€rfe aber sofort ein wenig: »Sorry, I have to stop that. But I try to imagine how you get mad and thatâs just funny.«
»I thought it was two words! Youâre mean.«
»Po is by the way German and means butt.«
»Well then I said it because youâre a butthead.«
Sie hatâs einfach drauf.
Ich stelle mich an einen Tisch, an dem die Stimmung ziemlich ausgelassen ist. Die Leute am Tisch rasten regelrecht aus, was daran liegt, dass ein Spieler eine ziemlich geile GlĂŒcksstrĂ€hne hat: Er gewinnt momentan fĂŒr alle, die mitspielen. Ich kenne das Spiel nicht und komme deswegen mit einem anderen Schaulustigen, einem ehemaligen Polizisten aus New York, ins GesprĂ€ch, der mir kurz die Regeln erklĂ€rt. Ich glaube, das Spiel heiĂt Craps. Nach einiger Zeit beendet der GlĂŒckspilz sein Spiel, was auf der einen Seite bei allen EnttĂ€uschung auslöst, auf der anderen Seite aber auch Grund genug ist, um ihm anerkennend auf die Schulter zu klopfen. Und dann zieht ein frisch gebackener Held von dannen. Auch ich mache den Abgang, schlendere durch die engen, von Restaurants und Shops gesĂ€umten GĂ€sschen des Greenwich Village und bin erstaunt darĂŒber, dass mir das Kasino nach wie vor so gut gefĂ€llt. Es ist wirklich schön.
Ich will mich nach den Preisen fĂŒr die Achterbahnfahrt erkundigen. Cari meint, dass ich â obwohl die Achterbahn im New York-New York nicht so toll sei â unbedingt eine Fahrt machen solle: »The cool part is when you get to see the strip from 100 feet up at 60 miles an hour. If itâs less than 20 dollars, Iâd do it!«
»Less than how much? Fuck! Thatâs so expensive?«
Eine einfach Fahrt kostet tatsĂ€chlich 14 Dollar. FĂŒr 25 Dollar gibt es bereits ein Tagesticket. Cari liegt ĂŒbrigens mit ihren SchĂ€tzwerten bezĂŒglich der Höhe und Geschwindigkeit der Bahn leicht daneben. »The Roller Coaster«, wie die Achterbahn spektakulĂ€r unspektakulĂ€r offiziell heiĂt, schraubt sich ganze 203 FuĂ, also 62 Meter, in die Höhe und erreicht bis zu 108 km/h (67 mph). AuĂerdem gibt es zwei Loopings. Ich kaufe mir ein Ticket und besteige den Zug, dessen vorderster Wagen an ein altes Taxi erinnert. Der Zug selbst startet tatsĂ€chlich im Inneren des GebĂ€udes. Die Haltestelle soll an eine New Yorker U-Bahn-Station erinnern. Machen wirâs kurz: Die Fahrt ist okay, aber viel zu kurz. Cari erinnert mich daraufhin noch einmal daran, die Achterbahn auf dem Stratosphere Tower zu fahren: »Seriously the only roller coaster that scared me.«
Schauân wir mal.
Ich verlasse das New York-New York durch eine andere TĂŒr, als die, durch die ich es betreten habe, und stehe mit einem Mal vor der Brooklyn Bridge. Die BrĂŒcke ist eine Alternative zum Gehweg und hat, wie im Kasino, kleinere, niedliche HĂ€user als Hintergrund. Auf der Fassade eines BacksteingebĂ€udes ist beispielsweise eine Pepsi-Werbung mit alten Comic-Figuren zu sehen, die den angestrebten Stil, ein New York der 40er wiederzugeben, sehr gut symbolisiert. Die TĂŒr, durch die ich komme, gehört wiederum zu einer Miniaturnachahmung des Whitney Museum of American Art, auf dem fĂŒr die im New York-New York beheimatete Cirque-du-Soleil-Show »Zumanity« geworben wird.
Auf der anderen StraĂenseite sehe ich die LĂ€den von M&M und Coca-Cola, die laut Cari ja ganz toll sein sollen. Bei M&M gibt es alle erdenklichen Sorten der SĂŒĂware. Vegan ist leider keine Einzige. Nach fĂŒnf Minuten bin ich wieder drauĂen und teile Cari meine Erlebnisse mit: »The M&Mâs World ⊠An experience Iâll never forget.«
»I havenât seen it since I was like 13.«
Das erklÀrt einiges.
Bei Coca-Cola ist es nicht weniger langweilig. Eine Kletterwand, von der mir Cari berichtet hat, gibt es nicht. Zudem kann sich keiner der Angestellten erinnern, dass es jemals eine gab. Eine interessante Sache gibt es dann aber doch noch zu bewundern: An einer Bar kann man sich alle weltweit erhĂ€ltlichen GetrĂ€nke der Coca-Cola Company in ProbierglĂ€schen kaufen. Erstaunt stelle ich dabei fest, dass Mezzo Mix als das deutsche GetrĂ€nk angepriesen wird und nur im deutschsprachigen Raum und in Finnland erhĂ€ltlich ist. Stimmt, Cari kannte Mezzo Mix auch nicht. Ich musste sie bereits bemitleiden, da sie noch nie in ihrem Leben Erdbeersaft getrunken hat. Ich muss in Deutschland ein CARE-Paket schnĂŒren, das neben Erdbeersaft auch Mezzo Mix beinhalten wird. SchlieĂlich kann ich sie nicht dumm sterben lassen!
Im Hard Rock Cafe steigt gleich ein Metalcore-Konzert: Of Mice & Men sind Headliner. Ja, warum eigentlich nicht mal am frĂŒhen Abend ein bisschen Pogo tanzen gehen? Das Hard Rock Cafe befindet sich direkt neben dem Coca-Cola Store. Knapp 100 Leute mit insgesamt 25 Schamhaaren stehen vor der noch verschlossenen TĂŒr. Auch darĂŒber wird Cari informiert.
»Does that mean the concert was for 13 year olds or what?«
»Itâs obviously not only for bearded punk rockers âŠÂ«
Verdammt, ist Hardcore mittlerweile so krass im Mainstream angekommen?
Die TĂŒr des Hard Rock Cafe öffnet sich und die Kinder werden von einer Frau geregelt die Stufen zum Konzertsaal hinaufgefĂŒhrt. Das ist absurd. Das Konzert hat sich also erledigt. Bevor ich mit meinem Handy-Akku in die Bredouille komme, benötige ich noch einmal Caris Rat. Da sie zu allem eine Meinung hat und ich ihre Tipps â abgesehen von der M&Mâs World und dem Coca-Cola Store â immer zu schĂ€tzen weiĂ, bin ich mir sicher, dass sie mir weiterhelfen kann: »What way too expensive show should I see?«
Der Cirque du Soleil hat zwei Shows, die mich interessieren wĂŒrden: »Love«, eine Beatles-Show, die leider ohne Livemusik auskommt, und »Zumanity«, was laut meiner Mutter schlĂŒpfrig und verdammt witzig sein soll.
»Or David Copperfield? Celine Dion is of course already booked âŠÂ«, scherze ich. Höchst amĂŒsant.
Cari analysiert die Auswahl und berichtet, dass Melissa von »Love« schwer begeistert war. Doch auch »Zumanity« wird der Wahnsinn sein, denn: »Itâs Vegas! Thatâs why theyâre there and can charge so much money.«
Sie selbst wĂŒrde vermutlich lieber zu den Beatles gehen, meint aber, dass ich â falls ich noch nie eine Show des Cirque du Soleil gesehen haben sollte â vielleicht bei »Zumanity« besser aufgehoben wĂ€re: »Do that over David Copperfield for sure.«
Ich sage doch, dass sie immer eine Antwort hat: »The fact that you always have an answer and an own opinion makes you so incredibly sexy! Thank you!«
»I donât understand why, but thanks. Iâm glad you like it, âcause it doesnât go away«, lacht sie.
Auf dem Strip gibt es einige LĂ€den, bei denen man Tickets fĂŒr alle möglichen Veranstaltungen bis zu 50 % billiger bekommen kann. Als ich wieder hinkomme, ist der Shop allerdings bereits geschlossen. Heute werde ich also in keine Show mehr gehen. AuĂerdem habe ich mich noch nicht wirklich entschieden, was ich mir nun ansehen möchte. Preislich und nach den bisher eingeholten Tipps und Kritiken fĂŒhrt mittlerweile aber »Zumanity«.
Ich steuere als NĂ€chstes das MGM Grand an, dem, nach Anzahl seiner Zimmer und unter BerĂŒcksichtigung seiner NebengebĂ€ude, zweitgröĂten Hotel der Welt.
FĂŒr das 2,4 Milliarden teure MGM Grand musste das Marina Hotel weichen, welches aber ausnahmsweise mal nicht gesprengt, sondern als WestflĂŒgel in das neue Hotel integriert wurde. Nicht nur der WestflĂŒgel, sondern auch der Name des Hotels ist nicht neu. Das knapp eineinhalb Kilometer nördlich auf dem Strip gelegene und heute als Ballyâs bekannte Hotelkasino trug bis zu seinem Besitzerwechsel 1985 den Namen MGM Grand. Dass MGM fĂŒr die Metro-Goldwyn-Mayer Studios steht, dĂŒrfte auch Menschen bekannt sein, die sich nicht als Filmfreak bezeichnen. Dementsprechend war das MGM nach seiner Eröffnung auch stark auf das Thema Film fokussiert. Wieder einmal entfernte man sich im Laufe der Zeit aber auch im MGM Grand von der thematischen Vorgabe, sodass bis auf den Namen und Löwen, die man ĂŒberall sehen kann, herzlich wenig davon ĂŒbrig geblieben ist. Bis Anfang 2012 gab es sogar noch die perverse Attraktion, bei der echte Löwen in einem GlaskĂ€fig im Kasino gehalten wurden.
Ich betrete den Komplex an der Ecke Tropicana Avenue und Las Vegas Boulevard. Der Eingang am Strip war einst eine cartoonhafte Version von Leo the Lion, dem MGM-Löwen, durch dessen Maul man ins Innere gelangte. Da aber viele Chinesen deswegen das Kasino mieden oder nur durch den Hintereingang die Spielhölle betraten, entfernte man Leo wieder. Das Betreten des Maules eines Löwen bringt nĂ€mlich Pech. Wenn man nicht gerade ein Dompteur ist, kann man das durchaus nachvollziehen. Heute thront eine mĂ€chtige Statue von Leo an der Kreuzung. Die gröĂte Bronzestatue der USA steht auf einem siebeneinhalb Meter hohen Podest, ist 14 Meter hoch, wiegt 50 Tonnen und vertreibt keine Chinesen.
Im Inneren stoĂe ich zunĂ€chst auf einige kleinere Aquarien, die von Ranken von PlastikbĂ€umen umgeben sind. Es ist das Rainforest Cafe, in dem es auch WasserfĂ€lle gibt, und das sich primĂ€r an Familien richten dĂŒrfte. Kurz darauf stehe ich in einer kreisrunden Halle, in der sich das Centrifuge, ein ebenso rundes Restaurant befindet. Das MGM Grand mit seinen unzĂ€hligen Löwen und MĂ€nnerstatuen, die Schalen auf ihren Schultern tragen, sieht soweit ganz nett aus, vom Hocker reiĂt es mich jedoch nicht.
Im Kasino wird es dafĂŒr umso amĂŒsanter: Ich höre immer wieder und von allen Seiten Spieler ihre Siege mit: »Yeah!«, und: »Wooh!«, feiern. Vielleicht liegt es daran, dass es mittlerweile Abend ist und die Stimmung generell ausgelassener wird. Ich entdecke eine Maschine, die sehr retro aussieht und einen Ă€uĂerst gewitzten Trashfaktor hat. Es ist ein mechanisches Pferderennen, bei dem man mit Quarters auf zwei Pferde setzt und dann hofft, dass die Wette auf Platz und Sieg von der Maschine in die Tat umgesetzt wird. Ein Geldwechselautomat, der MĂŒnzen ausspuckt, steht in unmittelbarer NĂ€he. Ich setze mich an einen der freien StĂŒhle der ulkigen Maschine und beobachte die Spieler. Das Rennen beginnt. Die Maschine gibt GerĂ€usche von sich, die zum Aussehen der Maschine passen. Es klingt total bescheuert, wodurch es umso unterhaltsamer ist. Bei einem PĂ€rchen lĂ€uft es ziemlich gut, worĂŒber sie sich auch lauthals und mit regelmĂ€Ăigem High five freuen. Ich sitze eine ganze Zeit lang an der Maschine und lasse mir Biere und Bloody Marys bringen, obwohl ich gar nicht spiele. Als ich weiterziehe, komme ich bei den Sportwetten vorbei. Ein Mann sitzt auf einem der Sofas und scheint einen Joint zu rollen. Dem ist aber nicht so. Als ich gegen 21 Uhr, keine Stunde spĂ€ter, wieder bei ihm vorbeikomme, liegt er dennoch schlafend auf dem Sofa. Auch das PĂ€rchen von der Pferderennbahn sitzt noch immer an der alten Retrokiste. Mittlerweile sehen sie jedoch nicht mehr allzu glĂŒcklich aus und verspielen ihre letzten MĂŒnzen. So schnell kannâs gehen âŠ
Ich habe wieder Durst und setze mich an eine Maschine, deren Regeln ich nicht verstehe. Als ein Kasinoangestellter an mir vorbeikommt, frage ich ihn kurz, ob er mir die Regeln erklĂ€ren kann. Kann er nicht, erklĂ€rt er mir, ruft aber per Walkie-Talkie direkt Hilfe. Oh, das finde ich jetzt etwas ĂŒbertrieben. SchlieĂlich wollte ich sowieso nur einen Dollar reinschieben und auf die Kellnerin warten. Die Hilfe kommt in Form einer Dame, die wenig amĂŒsiert aussieht, als sie mich und meinen Automaten sieht. Sie erklĂ€rt mir in Rekordtempo die Kiste und zischt wieder ab. Als sie geht, kommt die Kellnerin und kurz darauf mein nĂ€chstes alkoholisches KaltgetrĂ€nk. Prost.
Es mĂŒsste die Hotellobby sein, in der ich irgendwann, an einer weiteren prĂ€chtigen Löwenstatue vorbei, wieder ins Freie torkele.
v.l.n.r.: Tropicana (nur Kante), Mandalay Bay, Excalibur und der Luxor Sky Beam
vorne links: New York-New York
dahinter v.l.n.r.: CityCenter, Cosmopolitan, Trump, Paris, Planet Hollywood
Von einem Schreckensbild komme ich zum nĂ€chsten: An der Ecke Las Vegas Boulevard und Harmon Avenue befindet sich »Eli Rothâs Goretorium«, ein Haus des Horrors vom »Hostel«-Regisseur. FĂŒr 30 Dollar bekommt man Zutritt zum Delmont Hotel, in dem ĂŒber 1000 Morde verĂŒbt wurden.
Ich spare mir die 30 Dollar und schaue mich lediglich in der bereits sehr blutigen und mit abgetrennten Körperteilen ĂŒbersĂ€ten Lobby um. In der Babydoll Lounge, einer Open-Air-Bar mit blutverschmierten Tischen und StĂŒhlen sowie Babyköpfen an den WĂ€nden, hat man einen tollen Blick ĂŒber den Strip: Aus der Stirnseite des Harley Davidson Cafe ragt ein ĂŒbergroĂes Motorrad ĂŒber den BĂŒrgersteig. Im Hintergrund sieht man das Monte Carlo, das New York-New York und das Mandalay Bay. Am beeindruckendsten ist der Blick auf The Crystals, eine Edel-Mall, in der Louis Vuitton, Prada, Gucci und Co. ihre LĂ€den haben.
Ich schaue mir The Crystals von innen an und stelle fest, dass auch das Innere des GebĂ€udes beeindrucken kann. Nicht nur die auĂergewöhnliche Architektur wird fortgefĂŒhrt, auch die Accessoires wissen zu gefallen. So stehen hier beispielsweise BĂ€ume, deren StĂ€mme aus rostigem Metall bestehen. Am meisten sticht jedoch Mastroâs Ocean Club, ein Restaurant, heraus. Die Tische des Restaurants befinden sich in einer Art Luxusbaumhaus, das 25 Meter hoch in der Lobby des Shoppingcenters steht. Sehr stylish!
Ich verlasse The Crystals an dessen SĂŒdseite und passiere die beiden 150 Meter hohen, rot und blau beleuchteten sowie schief konstruierten Veer Towers, die Luxuseigentumswohnungen beherbergen und von Helmut Jahn, dem Architekten des Berliner Sony Center, geschaffen wurden. Ich bewege mich auf das hĂŒbsche Aria zu.
Ich unterquere die Schienen des Aria Express, der auf seiner 640 Meter kurzen Strecke, abermals kostenfrei, das Hotel mit dem Monte Carlo im SĂŒden und dem Bellagio im Norden verbindet. Vor dem Haupteingang des Aria lasse ich mich kurz von der Installation »Lumia« faszinieren, die WasserfontĂ€nen passend zur den Platz erfĂŒllenden Musik abfeuert.
Innen ist das Aria bis zum Abwinken durchgestylt. Es sieht toll aus! Keine Wand gleicht der anderen und keine steht einfach nur gerade da. Wie etwa die WĂ€nde der Cocktail-Bar Carta Privada, die aus mehreren Schichten transparenter, orangefarbener Glasfliesen bestehen. In der Bar selbst ist es sehr dunkel. Licht scheint nur durch die orangen WĂ€nde einzudringen und von der gelb erleuchteten Bar zu kommen, hinter der sich eine runde, orange leuchtende Wand befindet.
Im Kasino stoĂe ich nach kurzer Erkundungstour auf einen Mann, der wie ein Berserker vor einer Reihe Spielautomaten auf und ab zieht und dabei wahllos auf die Knöpfe drĂŒckt. Ich frage mich gerade, was der Typ da nur macht, als ich einen Kollegen meines Alters sehe, der sich mit einer Hand die Stirn hĂ€lt und den Berserker mit einem vollkommen unglĂ€ubigen Blick belegt.
»Whatâs going on here?«, frage ich den UnglĂ€ubigen und setze mich auf den Stuhl neben ihm.
»This guy is insane«, beginnt er in einer Stimmlage, die seinem Gesichtsausdruck entspricht und sogar ein gewisses Tremolo enthĂ€lt. »Heâs doing that for half an hour already.«
Jetzt bin ich gleich doppelt erstaunt: Mein Sitznachbar gibt sich das Spektakel bereits eine geschlagene halbe Stunde?
»Is he winning?«, möchte ich wissen.
»I actually donât think he cares. This freak threw 10.000 dollars in each machine and ⊠I mean ⊠look at this!«
mit einer nachtrĂ€glichen Sounduntermalung fĂŒr echte Berserker
mit dem Originalton aus dem Kasino
40.000 Dollar?! Ich weiĂ nicht, wo ich meinen nun vollkommen unglĂ€ubigen Blick hinwerfen soll. Auf den Berserker oder auf den Kollegen auf dem Sitz neben mir. Ich entschlieĂe mich spontan dazu, einfach noch unglĂ€ubiger zu wirken, indem ich meinen Blick zackig zwischen beiden MĂ€nnern hin- und herwandern lasse. Dann mĂŒssen wir beide lachen und bestellen uns zwei kostenlose Drinks bei der vorbeikommenden Kellnerin, wĂ€hrend ich mich auch auf einen lĂ€ngeren Aufenthalt auf meinem Stuhl einrichte. Der Berserker setzt derweil unbeirrt seinen Kurs fort und lĂ€uft im stĂ€ndigen Richtungswechsel vor den Automaten umher, drĂŒckt hier ein Knöpfchen, drĂŒckt da ein Knöpfchen und zieht ab und an an einem Hebel. Dabei wirkt er sagenhaft gelangweilt, was ihn obercool wirken lĂ€sst. Dessen ist er sich offensichtlich auch bewusst, denn ab und an drĂŒckt er die Knöpfe auch wie ein Basketballer, der den lĂ€ssigsten Korbleger aller Zeiten aus dem Handgelenk zaubert. Zwischendurch findet er auch mal Zeit fĂŒr einen netten Plausch mit einer nicht minder beeindruckten Kellnerin und ĂŒberlĂ€sst kurz darauf seine Automaten mal eine Zeit lang zwei Ladys, um vermutlich mal fĂŒr kleine Berserker aufs Töpfchen zu entschwinden. Eine halbe Stunde spĂ€ter weiĂ ich noch immer nicht, ob er sich gerade böse verzockt oder als MillionĂ€r ins Bett geht.
DafĂŒr weiĂ ich, dass Couchsurfer Ken ganz offensichtlich einen gehörigen Dachschaden hat. Um den Akku meines Handys zu schonen, habe ich mein Handy zwischenzeitlich ausgeschaltet. Als ich es gegen ein Uhr wieder einschalte, bekomme ich eine SMS: »Okay. I could not sleep worrying. I will go back to sleep. Have a good night. Maybe a better host can have you tomorrow after you get your things. Night!«
HĂ€? Vor drei Stunden hat er mir noch viel SpaĂ gewĂŒnscht und wollte selbst feiern gehen. Jetzt sorgt er sich um seinen 29-jĂ€hrigen Gast und schmeiĂt ihn raus. Na, das hat immerhin den Vorteil, dass ich keine Ausrede mehr finden muss, um Ken zu verlassen. Aber wie bekloppt ist der Kerl eigentlich? Mir sollâs egal sein. Ich spaziere lieber zum Aria Express und fahre rĂŒber ins Bellagio.