Tag 73: Das famose Hostel Cat
Serendipity – Teil 2

Montag, 21. Januar 2013
Las Vegas – Paradise – Las Vegas

Ich teile der Rezeption mit, dass ich noch eine Nacht bleiben werde und bekomme, wie übrigens schon gestern, ein neues Zimmer zugewiesen, weil mein Bett der letzten Nacht bereits an einen neuen Gast vergeben wurde. Ich lande die zweite Nacht in Folge in einem Achtbettzimmer, was mir vollauf entgegenkommt, da es mit zwölf Dollar noch preiswerter ist als das Sechsbettzimmer der ersten Nacht.
Am frühen Nachmittag spaziere ich zum gestern Abend so voll besetzten Thai-Restaurant. Zu dieser Tageszeit ist das Lotus of Siam noch nicht überfüllt. Das Restaurant befindet sich in einem gelben, flachen und nur aus einem Erdgeschoss bestehenden Gebäude, das einen Parkplatz umgibt. Das vollkommen unscheinbare Restaurant ist auch in seinem Inneren nichts Besonderes. Das Einzige, das auf den Hype rund um das Restaurant schließen lässt, sind die vielen Fotos prominenter Persönlichkeiten, die seit 1999 hierin diniert haben. Selbst die Clintons und Bushs waren schon da. Für 18 Dollar gibt’s eine leckere Tom Kha und einen Panang Curry.
Als ich wieder im Hostel ankomme, lerne ich Karmell, eine Afroamerikanerin, und eine namenlose Native American kennen. Ich mag die beiden sofort. Also beschließen wir, in die gegenüber des Hostels gelegene Little White Wedding Chapel zu gehen und zu heiraten. Mal sehen, ob sie in Nevada auch Mehrfachehen schließen. Man kann’s ja mal versuchen, immerhin hat Vegas ja eine Mormonenvergangenheit. Falls es nicht klappen sollte, hoffen wir, dass gerade irgendwer heiratet und wir Zeugen einer echten Vegas wedding werden können. Cari hat dies bereits probiert, musste aber feststellen, dass sogar in Las Vegas Hochzeiten privat sind, als sie und ihre Freunde fast aus der Kapelle geschmissen wurden. Daraufhin baten sie den Bräutigam höflich, sich die Hochzeit mit ansehen zu dürfen. Der australische Mann hatte nichts gegen Publikum und lud sie spontan dazu ein, der Zeremonie beizuwohnen. Cari vermutet, dass es sich um eine Greencard wedding handelte. Ziemlich magisch sei sie dennoch gewesen, obwohl die Braut den »look of terror« in ihrem Gesicht hatte, als sie die Fremden auf den Bänken sitzen sah. Sie dachte wohl, sie sei auf der falschen Hochzeit gelandet.
Kurz bevor wir die Kapelle betreten, erkläre ich meinen Bräuten den Plan: Wir müssen einfach nur vollkommen souverän auftreten, keine Miene verziehen, nicht lachen, sondern furztrocken dem Priester mitteilen, dass wir drei heiraten wollen.
»No problem«, grinsen die beiden. Ich weiß nicht, ob ich ihnen das glauben soll. Andererseits haben sie in den wenigen Minuten, die wir uns nun kennen, schon den einen oder anderen Brüller losgelassen. Es könnte also doch klappen. Wir betreten die niedliche Kapelle. Meine beiden Damen trinken aus Dosen. Karmell trinkt ein Alkoholmixgetränk, die Namenlose offenbar nur Saft. Ein sehr freundlicher Angestellter kommt auf uns zu und fragt, ob er uns helfen kann. Verschwörerisch und natürlich auch verliebt zugleich lasse ich meinen Blick zunächst zu den beiden Mädels wandern, bevor ich mich souverän wieder zum Angestellten drehe und: »Uhm …«, stottere. Der Angestellte sieht mich irritiert an und fokussiert als Nächstes Karmell. Die süße Frau mit der dicken Sonnenbrille und den kurzen Locken öffnet ihren Mund: »Uhm …«
Letztlich wird meine zweite Braut gemustert, die den Karren endgültig an die Wand fährt: »Uhm … Believe it or not: We’re not even drunk!«
Wir wünschen dem Mann, der viel zu nett ist, um unseren perfiden Plan durchzuziehen einen schönen Tag und suchen das Weite. Wir lachen uns ins Wohnzimmer des Hostels zurück, wo ein Mann in den Mittvierzigern vor einem der hauseigenen Computer sitzt, auf Facebook einen Fotovergleich öffnet und mit einem Mal geschockt versteinert. Auf der einen Seite des Vergleichs ist 2Pac zu sehen, der übrigens 1996 nur knappe drei Meilen vom Hostel entfernt, an der Ecke Flamingo und Koval Lane erschossen wurde. Die andere Seite ziert Justin Bieber … der sich wie 2Pac gekleidet hat. Unter den Fotos steht, dass man abstimmen soll, wer cooler ist. Der Mann ist vollkommen paralysiert, starrt nur auf den Monitor. Nach gefühlten Minuten der Stille bricht er endlich das Schweigen und zittert: »This is so … this is so … wrong.«
Das Hostel Cat bittet am Abend zum Barbecue. Für fünf Dollar gibt es ab Viertel vor sieben ein »All You Can Eat«-BBQ mit Beef- und Veggie-Burgern. Ohne einen weiteren Cent zahlen zu müssen, geht’s danach auf Tour. Die Crew des Hostels will uns herumführen, uns kostenlose Shows und die besten, weil preiswertesten und coolsten Kasinos zeigen. Wir sollen unsere Kameras und eigenen Alkohol mitbringen. In Vegas darf man nämlich nicht nur auf der Straße Alkohol trinken, sondern auch selbst mitgebrachten Suff mit in die Kasinos nehmen. Verrückt. Das Hostel hat zudem Deals mit ein paar Clubs, was uns kostenlosen Zugang verspricht. Das alles für fünf Dollar? Ich bin fasziniert. Das Hostel bietet an jedem Abend der Woche Erlebnisse an: Dienstags geht’s in die Bars der Fremont Street, mittwochs auf Kasinotour, donnerstags wieder auf Kneipentour in die Downtown, freitags steht Clubbing an, samstags steht eine Limousine für die Club-Tour bereit und sonntags wird wieder in der Fremont Street gefeiert.
Chandler, der äußerst sympathische Chef des Hostels, erklärt mir am Abend seine Philosophie: Die meisten Menschen denken, man müsse in Vegas viel Geld ausgeben, um eine gute Zeit zu haben. Mit seinem Hostel will er dem entgegenwirken und mit preiswerten Betten in sehr guter Lage Touristen mit schmalem Geldbeutel anlocken und ihnen eine optimale Zeit in der Stadt der Sünden bereiten. Die Idee dazu kam ihm, als er fünf Jahre lang alleine umherreiste und sich in ein Hostel verliebte, das nicht nur Betten anbot, sondern auch seine Gäste dazu animierte, sich kennenzulernen und gemeinsam Dinge zu unternehmen. Das erinnert mich ein wenig an mein bisheriges Lieblingshostel, dem Giant Guest House im thailändischen Chiang Mai. Wenn ich es mir recht überlege, schaffen Chandler und sein Hostel Cat es durchaus, dem Giant große Konkurrenz zu machen. Sein locker gehaltener Vortrag ist zudem absolut überzeugend und beweist, dass er seinen Job liebt und voller Leidenschaft das bunte Hostel betreibt. Als Gast spüre ich das zu jeder Sekunde. Da ist sie schon wieder: Serendipity! Es dürfte äußerst schwer sein, einen Couchsurfer zu finden, der so cool ist wie das Hostel, seine Gäste und die Angestellten. Ein Glück, dass ich hier gelandet bin.
Beim Grillen sind neben Chandler, Karmell und mir unter anderem auch Rachel und der Riese Dan von gestern, drei Finnen, Bianca aus Hannover, der deutsche Sören sowie Ezana anwesend. Ezana gehört auch zur Hostelcrew und teilt mir nicht nur einmal mit, dass er meinen Bart liebt. Ja, der ist klasse, wird länger und länger. Nachdem sich jeder den Bauch mit Burgern vollgestopft hat, geht’s mit dem weißen Van des Hostels zum Parkhaus des Treasure Island.
Unseren nächsten Halt machen wir beim Casino Royale. Vor der Tür stehen Spielautomaten, die ich auf meiner Odyssee bereits bespielt habe. Der Clou bei diesen Automaten ist, dass sie kostenlos sind und man garantiert gewinnt. Richtig gelesen. Man gewinnt immer einen Voucher über 50 Dollar, den man im Inneren des Kasinos nur an ganz bestimmten Automaten verzocken darf. An diesen Automaten heißt es dann: »Jackpot knacken oder ohne einen Cent wieder abzischen!«
Den Jackpot hatte ich – wann auch immer ich hier war – natürlich nicht geknackt. Allerdings habe ich auch nicht das Kleingedruckte gelesen, auf das uns Chandler aufmerksam macht, der wohl zur Wiedererkennung im Getümmel einen roten Schal trägt. Das Kleingedruckte weist darauf hin, dass man sich mit dem Voucher auch zwei Biere für einen Dollar mitnehmen kann. Demnach verspielt keiner den Voucher, sondern tauscht ihn an der Bar gegen die Biere ein. Bepackt mit den Flaschen ziehen wir in die Forum Shops des Caesars ein. Vor den Wendelrolltreppen macht Chandler Fotos von der Gang. Erst sollen wir möglichst sexy gucken und uns danach gegenseitig würgen. Jeder drückt Chandler für das lustige Shooting seine Kamera oder Smartphone in die Hand. Da er nicht alle festhalten kann, legt er einige auch neben sich auf den Boden. Ein paar Betrunkene torkeln an ihm vorbei und treten dabei aus Versehen gegen Sörens Handy. Obwohl nichts passiert, ist Sören fortan angepisst. Er hat zuvor schon bewiesen, dass er eher zu den verkrampften Menschen dieser Welt zu zählen ist. Außerdem erinnert er mich zu sehr an den typisch deutschen Touristen, der stets alles kritisch hinterfragt und an allem etwas Herumzumäkeln hat. Ganz anders ist da Bianca, die locker und lustig eine absolute Bereicherung für die Gruppe ist. Rachel und Karmell sehen das auch so, weswegen wir sie direkt in unsere Mädchengang mit aufnehmen. Olli, einer der drei Finnen, der mir bis knapp über den Bauchnabel geht, findet Bianca wohl auch ganz wunderbar und entfernt sich mehr und mehr vom Dunstkreis seiner finnischen Kollegen zu uns. Auch Ezana, der von meinem Bart nicht genug bekommt und irgendwann sogar anfängt, ihn ständig streicheln zu wollen, gehört zum coolen Kern der Gruppe. Ich glaube übrigens nicht, dass Ezana schwul ist. Da ich ihn vor diesem Abend aber noch überhaupt nicht wahrgenommen habe, er meinen Bart nach eigener Aussage aber schon seit meiner Ankunft bewundert, ist er mir doch noch etwas suspekt. Sympathisch finde ich ihn dennoch.
Chandler führt uns in eine Galerie, in der Gemälde von Vladimir Kush ausgestellt werden. Den Namen kenne ich doch? Natürlich! Cari hält den Maler für den größten Künstler unserer Zeit und traf ihn einst in dieser Galerie persönlich. Heute ist er nicht persönlich anwesend. Dafür gibt es kostenlosen Wein. Auch davon hatte Cari berichtet. Ich schreibe ihr, dass ich mich in der Galerie befinde, woraufhin sie mir schreibt, dass sie möglicherweise erst am Freitag mit ihrem Job anfangen muss und morgen zu mir fliegen könnte. What? Das habe ich nicht mehr zu hoffen gewagt! Sofort texten wir uns eine SMS nach der anderen zu, um ihren Trip zu planen. Meinen bisherigen Plan, morgen mit einem Mietwagen nach Flagstaff zu fahren, muss ich über den Haufen werfen, da sämtliche Flüge von Portland nach Arizona viel zu teuer sind. Cari könnte entweder nach Las Vegas oder nach San Diego in Südkalifornien kommen. San Diego scheint die preiswerteste Variante zu sein. Allerdings kann sie noch nicht buchen, da sie vorher die Bestätigung ihres neuen Chefs braucht, erst wieder am Freitag arbeiten zu müssen. Ich lasse sie wissen, dass ich morgen so früh wie möglich wissen muss, ob es klappt und wohin sie fliegen wird. Damit verabschieden wir uns bis morgen. Jetzt heißt es: »Daumen drücken!«
In Amerika heiĂźt es ĂĽbrigens cross your fingers und nicht press your thumbs, wie ich von der neunmalklugen Cari lerne.
Der sich mittlerweile in guter Partylaune befindliche Tross des Hostel Cat zieht weiter zur Wassershow vor dem Bellagio.

Einige »Ah!« und »Oh!« später finden wir uns in Bill’s Gambling Hall & Saloon wieder. Seltsam. Entweder habe ich vorgestern in einem anderen Laden mein Nickerchen gemacht oder das Kasino hat noch eine separate Kasinobar. Ich erkenne den Laden auf jeden Fall nicht mehr wieder. Oje. Egal. Das Highlight dieses Kasinos ist zweifellos die Beer Pong Area. Sofort werden Unmengen an Bier gekauft und auf den langen, schmalen Tischen aufgestellt. Chandler und einer der Finnen melden sich zudem noch bei der zweiten coolen Einrichtung des Ladens an: Sie werden in wenigen Minuten beim Karaoke ein Duett vorführen. Bis es soweit ist, schmeißen wir uns gegenseitig Tischtennisbälle in die Bierbecher und lassen uns vom Karaoke-Host persönlich begrüßen: »Hostel Cat is in the house!«
Bis auf Sören grölen alle jubelnd zurück. Yeah! Kaum hier, fühlen wir uns bereits wie etablierte Stammgäste! Aus mir selbst unerfindlichen Gründen habe ich einen guten Tag zum Beer Pong spielen erwischt. Ich treffe mit nahezu jedem Wurf, was mir vor allen Dingen den Respekt von Chandler einbringt, der – zu seinem Unglück – zum gegnerischen Duo gehört. Ich lasse es mir nicht nehmen und pose wie ein ganz Großer. Als ich mich gut und gerne drei Meter hinter dem Tisch in Position bringe, um einen weiteren Ball zu versenken, lacht mich Chandler höhnisch aus: »You’ll never make this one, you poser.«
Ich visiere die wenigen verbliebenen Becher von Chandler und seinem Partner an, werfe meiner Partnerin Rachel ein selbstsicheres Lächeln zu … und versenke den Ball. Chandlers Kinnlade fällt bis zu den Knien, während ich mir an die Hoden greife, animalisch: »Uh, uh, uh!«, brülle und dabei äußerst maskulin auf und ab springe. Den in Rheinhessen so populären Eiertanz scheint man in Vegas nicht zu kennen. Was soll’s: I’m the man!
Chandler und der Finne singen ihr Duett und der Rest spielt fleißig weiter mit den Tischtennisbällen oder tanzt zu den gar nicht einmal so schrägen Tönen. Nur Sören scheint wenig bis keinen Spaß zu haben.
Irgendwann will die Gruppe weiterziehen. Der kleine Finne Olli und ich gehen noch einmal schnell aufs Klo. Bianca wartet vor der Toilette auf uns, was bei mir fix geht, bei Olli jedoch eine halbe Ewigkeit dauert. Dadurch verlieren wir dummerweise die Gruppe, vermuten aber, dass sie wieder zurück zum Van stolpert. Schließlich ist es schon spät. Demnach ziehen wir zurück zum Treasure Island, stellen aber fest, dass der Van noch auf dem Parkhausdach geparkt ist und weit und breit keine Hostelbewohner zu sehen sind. Wir setzen uns ins Kasino, stauben noch einen Drink ab und warten auf die Meute. Die kreuzt jedoch nicht auf. Nach einiger Zeit des Wartens beschließen wir, den Rückzug zum Hostel anzutreten.
Als wir nach einem längeren Fußmarsch dort ankommen, stellen wir fest, dass auch der Van mittlerweile angekommen ist. Groß verpasst dürften wir also nichts haben – und müde sind wir mittlerweile auch. Das war ein äußerst unterhaltsamer Abend, der dank Chandlers Masterplan tatsächlich kaum mehr als 15 Dollar gekostet haben dürfte. Was für ein cooles Hostel: Rock und Roll!