Tag 75: Seelöwen in der Dunkelheit
Serendipity â Teil 2
Mittwoch, 23. Januar 2013
San Diego
Wir stellen den Wagen ab und flanieren die schöne Strandpromenade, den Ocean Boulevard, entlang. Der Strand und die Promenade ziehen sich ĂŒber mehr als fĂŒnf Kilometer. Wir erkunden den nördlichen Teil zwischen dem Pacific Beach Drive und der Grand Avenue. Hoch erfreut stellt Cari fest, dass dies exakt der Strandabschnitt ist, an dem sie schon einmal im Banana Bungalow Hostel wohnte. Das muss sie mir natĂŒrlich direkt mal zeigen. Also klingeln wir und schauen uns das hippiemĂ€Ăige Hostel, das direkt am Strand liegt, von innen an. Da wir â speziell Cari â mit dem R.K. Hostel nicht sonderlich glĂŒcklich sind und uns nach einem preiswerteren Hostel umsehen wollen, ergibt dieser Besuch gleich doppelt Sinn. Blöderweise ist das Banana Bungalow Hostel â ein Hostel fĂŒr Backpacker â noch teurer als das R.K. und bietet zudem nur noch Betten in SchlafsĂ€len an, weshalb es bei der kurzen Besichtigung und Caris Schwelgen in der Vergangenheit bleibt.
Nur einen Block weiter treffen wir am Ende der Thomas Avenue auf einen SandkĂŒnstler. Wir wundern uns ĂŒber ein Schild, das er neben sich und seinen beeindruckenden Figuren aufgestellt hat. Auf der weiĂen Tafel sind seine Arbeitsstunden vermerkt. Arbeitet der Freak schon seit zwölf Stunden hier? Jetzt ist es 13 Uhr. Wir sprechen den jungen Mann an. Er heiĂt JT Estrela und erklĂ€rt uns, dass er nicht bereits seit Mitternacht auf der Promenade sitzt. Nein, seine Figuren halten erstaunlicherweise mehrere Tage. Die Figur ganz rechts, die, wenn ich das richtig sehe, eine Chemietoilette darstellt, deren Abfluss in ein Fass Coors Beer mĂŒndet, ist bereits drei Tage alt. Demnach kann man auch die eine oder andere Spur des Verfalls ausmachen. FĂŒr drei Tage sieht das Gebilde dennoch sagenhaft intakt aus und dĂŒrfte wohl noch einige Tage lĂ€nger ĂŒberstehen. Sechs Stunden hat er an der ĂŒber einen Meter hohen Bierkritik gefeilt. Daneben stehen ein alter Stiefel, der um tips bittet, und ein stylisher Roboter. Momentan arbeitet er an einem Diamantring. Cari und ich beobachten ihn einige Minuten dabei. Es muss verdammt schwierig sein, eine Sandfigur mit einem Loch darin zu bauen. Der Gedanke ist kaum fertig gedacht, da fĂ€llt der Ring auch schon in sich zusammen. Ein Raunen geht ĂŒber die Promenade. JT nimmt es mit Fassung und lĂ€chelt in die Runde.
Gegen fĂŒnf machen wir es uns auf der Dachterrasse des Pacific Beach Ale House gemĂŒtlich. Das Ale House ist eine Mikrobrauerei mit einer nicht sonderlich schönen Aussicht auf das Viertel und StahlfĂ€ssern im Erdgeschoss. Es wird also vor Ort gebraut. Wir beginnen mit weniger guten, aber dafĂŒr ordentlich reinhauenden Cocktails, bevor der happy hour mug angeboten wird: ein Bierkrug, der locker mal zwischen 0,6 und 0,75 Liter Bier fasst. Nicht schlecht.
Vom Sonnenuntergang bekommen wir aufgrund des schlechten Wetters leider nichts mit. Die Surfer macht der relativ hohe Wellengang indes umso glĂŒcklicher. Die Gischt zieht weit ĂŒber den Strand und lĂ€sst die sĂŒdlich von uns ins Meer ragende Landzunge fast schon wie eine schwebende Insel wirken.
Cari und ich sind die Einzigen, die gerade am sehr kleinen Strand ankommen. Die wenigen anderen Besucher befinden sich auf dem RĂŒckweg zu ihren Autos. Auch im grĂŒnen und ebenfalls eher kleinen Scripps Park, der sich oberhalb des Strandes befindet, lĂ€uft kaum noch ein Mensch umher. Wir haben also den Strand ganz fĂŒr uns alleine â von den Seelöwen einmal abgesehen. Unten am Strand peitschen die Wellen hoch in den Sand hinein. Zweimal mĂŒssen wir vor ihnen fliehen. Beim zweiten Mal kann ich gerade noch so auf ein TreppengelĂ€nder springen, ohne bis zu den Knien durchnĂ€sst zu werden. Wir suchen uns einen sicheren Felsen, der von einer Höhle vor den Wellen geschĂŒtzt ist, und genieĂen die Aussicht auf die Lichter La Jollas, das BrĂŒllen der Seelöwen und das Rauschen des Meeres âŠ
Nach einiger Zeit steigen wir wieder die Treppen empor in den Park. Auf der Westseite des GrĂŒns fallen die Felsen gut 20 Meter steil ins Meer hinab. Durch die Parklaternen ist das Meer leicht beleuchtet, was einen schönen Blick auf die Wellen zulĂ€sst. Nachdem wir nach den akustischen nun auch unsere optischen Reize befriedigen konnten, machen wir uns auf den Weg zu unserem neuen Hostel, das wir am Nachmittag mithilfe von Caris Smartphone entdeckt und gebucht haben.
Das Lucky Dâs Hostel liegt in der 8th Street und somit im East Village, das direkt an das Gaslamp Quarter angrenzt, dem wahren Zentrum San Diegos. Dementsprechend kompliziert ist somit unsere Suche nach einem Parkplatz. Freie PlĂ€tze sind Mangelware und dann sorgt auch noch die Stadtreinigung dafĂŒr, dass man in manchen StraĂen unmöglich ĂŒber Nacht parken kann. Erst nach langer Suche finden wir auf der Island Avenue zwischen der 14th und der 15th Street einen Abschnitt, auf dem sowohl noch Platz vorhanden ist als auch keine Kehrmaschine morgen frĂŒh um sechs Uhr anrĂŒcken wird.
Das vierstöckige und auf internationale Backpacker ausgelegte Hostel gefĂ€llt uns auf Anhieb. Im Eingangsbereich hĂ€ngen viele Bilder, eine Ampel leuchtet in all ihren Farben vor sich hin und Masken hĂ€ngen an den WĂ€nden. Dies ist lediglich das Treppenhaus. Die Rezeption befindet sich im ersten Stock, wo sich der Style des Erdgeschosses nahtlos fortsetzt. Rockmusik hallt bis 22 Uhr durch die Flure und zu den Bildern an den WĂ€nden gesellen sich noch einige Spiegel. Die Rezeption ist zudem noch mit Geldscheinen aus aller Welt zutapeziert. Wie das Hostel Cat bietet auch das Lucky Dâs Exkursionen wie den pub crawl an. Wir beziehen im obersten Stockwerk unser Zimmer, das mit einem sehr merkwĂŒrdigen Hochbett ausgestattet ist, und begeben uns wieder einmal sehr spĂ€t auf Abendessenssuche.
Auf der Market Street, direkt um die Ecke des Hostels, ist Valentineâs Mexican Food, eines der wenigen Lokale, das kurz vor 23 Uhr noch warme Speisen zubereitet. Valentineâs ist eine seltsame Mischung aus einem typisch hĂ€sslichen Fast-Food-Restaurant und einer durchaus ansehnlichen, mexikanischen Kantine mit dunkler Holzdecke. AuĂerdem wirbt die GaststĂ€tte damit, vollkommen authentisch zu sein, was mir meine »Arizona Desert Rose« auch direkt als glaubwĂŒrdig versichert. Wir freuen uns also auf echte mexikanische KĂŒche.
Doch wenige Minuten spĂ€ter kippt die Stimmung: War ich im R.K. Hostel noch der Entspanntere von uns beiden, Ă€ndert sich dies leider in diesem Saftladen. Was regt mich der Typ am Tresen auf! Ich bestelle mir eine Horchata, ein ErfrischungsgetrĂ€nk, dessen Name sich vom valencianischen »Orxata de Xufes« ableitet, was ins Deutsche ĂŒbersetzt »Erdmandelmilch« bedeutet. Dazu ordere ich mir einen Potato Wrap und fĂŒr Cari und mich gemeinsam Guacamole Tacos. WĂ€hrenddessen kommt es bestimmt zehnmal zur Sprache, dass ich Veganer bin. Das ist nicht ĂŒbertrieben. Ich kenne mich ja aus und weiĂ, dass das bei nur einmaligem ErwĂ€hnen gerne einmal ĂŒberhört wird. Als wir unsere Bestellung wenige Minuten spĂ€ter abholen, drĂŒckt er mir die Horchata in die Hand und sagt: »With milk.«
»With milk? Cow milk?«, frage ich.
»SĂ.«
»I donât drink cow milk.«
Keine Reaktion. ZurĂŒcknehmen möchte er das GetrĂ€nk auch nicht. Was soll das denn? So etwas habe ich noch nie erlebt. ZurĂŒck am Tisch rege ich mich bei Cari ĂŒber den Deppen auf, als sie darauf hinweist, dass ich laut Rechnung noch AvocadostĂŒcke als Zusatzzutat zu meinem Wrap berechnet bekommen habe. Die habe ich aber nie bestellt. AuĂerdem fehlen die Guacamole Tacos. Meine Fresse. Ich marschiere also wieder zurĂŒck zum Tresen und frage, wo unsere Tacos sind und weshalb ich AvocadostĂŒcke bezahlen muss. Tacos hĂ€tte ich nicht bestellt, teilt er mir trocken mit, wĂ€hrend er sich zur KĂŒche umdreht und die Köchin fragt, ob sie mir AvocadostĂŒcke mit in den Wrap gewickelt habe. Hat sie. Also muss ich sie auch bezahlen.
»I never ordered avocado pieces, but tacos.«
»Do you want to order tacos now?«
Nein, Arschloch. Eine Entschuldigung gibt es natĂŒrlich nicht. Stattdessen schlĂ€gt mir der hasserfĂŒllte Blick der Köchin entgegen, weil ich der Meckerdepp bin. Cari versucht derweil neben ihrem GetrĂ€nk auch die bescheuerte Horchata zu meistern, was irgendwann eine temporĂ€re Ăbelkeit durch Völle auslöst. Immerhin ist der scheiĂ Laden aber sensationell preiswert.
Neben Cari kann man glĂŒcklicherweise nicht lange schlecht gelaunt bleiben. AuĂerdem haben wir auch gar nicht genug Zeit zusammen, um uns unnötig ĂŒber Kleinigkeiten aufzuregen. Kurz nach Verlassen des Restaurants ist alles wieder in Ordnung und die Nacht im Lucky Dâs schön und gemĂŒtlich âŠ