Tag 76: (20) Days of Cari

Serendipity – Teil 2

San Diego, 24.1.2013

Donnerstag, 24. Januar 2013
San Diego

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Am Morgen bringe ich Cari ein paar deutsche Vokabeln bei.
»What is â€șstopâ€č in German?«
»Stopp.«
Langweilig. Als ich es ein wenig »deutscher« betone, gewinnt das Wort aber doch noch an Reiz und Cari johlt: »Schtopp!«
Weshalb auch immer inspiriert es mich, ihr die deutsche Variante von: »Shut the fuck up!«, beizubringen.
»Halt dein Maul!«
»Holt doin Mowl?«
Ach, zuckersĂŒĂŸ.
»And what is: â€șI want a kissâ€č?«
Das FrĂŒhstĂŒck des Lucky D’s ist fĂŒr einen Veganer eine Ă€ußerst enttĂ€uschende Angelegenheit: Das Brot enthĂ€lt Milch und die Corn Flakes gibt’s natĂŒrlich nur trocken oder mit Kuhmilch.
Nach dem FrĂŒhstĂŒck geht’s auf Stadterkundung. Am Ende unserer Straße, der 8th Avenue, sehen wir den Petco Park, San Diegos Baseballstadion. Baseballstadien sehen schon seltsam aus: Zum einen sind sie trapezförmig und zum anderen öfter mal auf einer Seite offen. Das heißt, dass wir vom Eingang des Hostels aus ins Stadion blicken können. WĂŒrde dort ein Spiel stattfinden, kann man sich also mit einem Stuhl auf die Straße setzen und sich problemlos die Fans der grĂ¶ĂŸten TribĂŒne des knapp 42.000 Zuschauer fassenden Stadions ansehen. VerrĂŒckt. San Diegos Profimannschaften â€“ egal welcher Sportart â€“ sind ĂŒbrigens verflucht. Seit 1963 konnte kein Team aus San Diego einen wichtigen Titel gewinnen.

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8th Avenue, Blick auf den Petco Park

Nur zwei Blocks vom Hostel entfernt beginnt das Gaslamp Quarter, das historische Herz San Diegos, das sich vom Broadway bis zum Harbor Drive und von der 4th zur 6th Avenue, insgesamt ĂŒber 16 Âœ Blocks zieht und auch das Zentrum des Nachtlebens darstellt.

<center>Wie aus einer spanischen Siedlung eine Metropole der USA wurde</center>
1542 wurde die Gegend um das heutige San Diego vom portugiesischen Entdecker Juan Cabrillo zum Eigentum der spanischen Krone erklĂ€rt und rund 200 Jahre spĂ€ter besiedelt. Die Festung und die Mission bildeten 1769 die ersten europĂ€ischen Siedlungen im heutigen Kalifornien, wodurch die heute noch immer schnell wachsende Stadt die Wiege des »Golden State« ist. 1821 wurde San Diego vom nun unabhĂ€ngigen Mexiko annektiert und erst 1850, zwei Jahre nach dem Ende des Mexikanisch-Amerikanischen Kriegs, Teil der USA. Bis Mexiko ist es aber nach wie vor alles andere als weit: Die sĂŒdlichen AuslĂ€ufer San Diegos erreichen sogar die Grenze und vom Zentrum sind es gerade einmal 30 Kilometer bis zur Stadtmitte Tijuanas. Die Architektur San Diegos ist also, wenig verwunderlich, stark mexikanisch geprĂ€gt.
Die Entwicklung zum kulturellen Dreh- und Angelpunkt begann 1867. Damals kam ein Mann namens Alonzo Horton von San Francisco in die seinerzeit noch kleine und eher unbedeutende Stadt. San Diego hatte zu jener Zeit den Ruf, aufgrund seiner Lage eine aufstrebende Gemeinde werden zu können. Horton verkaufte all sein Hab und Gut, um aus San Diego eine prosperierende Stadt zu machen. Zu Hortons Verwunderung beschrĂ€nkten sich sĂ€mtliche BemĂŒhungen, San Diegos Aufstreben voranzutreiben, auf die Gegend rund um die binnenlĂ€ndisch gelegene alte spanische Festung an der MĂŒndung des San Diego River. Entlang der San Diego Bay gab es hingegen keine grĂ¶ĂŸeren Bebauungen, obwohl sĂ€mtliche Schiffe, die die Stadt ansteuerten, dort anlegten. Hortons anfĂ€ngliche Verwunderung wich großer Freude, denn dem Bauherren war schnell klar, dass er hier am Meer das Potenzial hatte, um aus San Diego seine angestrebte Metropole machen zu können.
In den 1880er Jahren entwickelte sich das Gaslamp Quarter schließlich zum VergnĂŒgungsviertel mit Bars, Bordellen und Kasinos, von denen drei dem Revolverhelden Wyatt Earp gehörten.
Mittlerweile ist San Diego mit rund 1,3 Millionen Einwohnern die achtgrĂ¶ĂŸte Stadt der USA und nach Los Angeles die zweitgrĂ¶ĂŸte Kaliforniens.

Mir fĂ€llt auf, dass es in der Downtown, verglichen mit anderen US-amerikanischen StĂ€dten, kaum HochhĂ€user gibt. Die wenigen HochhĂ€user, die an die Downtown angrenzen, sehen zudem anders aus als jene, die ich in den bisher bereisten StĂ€dten zu sehen bekommen habe. Sie sind verspielter und farbenfroher. Generell ist die New Town, wie die Downtown in Anlehnung an die Altstadt rund um das spanische Presidio frĂŒher genannt wurde, bunt und schön. Im Gaslamp Quarter mischt sich die hispanische zudem noch mit sehr ansehnlicher viktorianischer Baukunst. Von den namengebenden Gaslampen scheint es jedoch nur noch vier StĂŒck an der Kreuzung 5th Avenue und Market Street zu geben

An der Ecke Market und 4th kommen wir an einem Hooters vorbei. Hooters, erklĂ€rt mir Cari, ist eine Restaurantkette, die dafĂŒr berĂŒhmt ist, dass ausschließlich vollbusige Schönheiten in engen Blusen und kurzen Höschen servieren â€“ die »Hooters Girls«. Nach kurzer Beratschlagung legen wir uns darauf fest, dass wir beide Hooters als sexistische Kackscheiße empfinden, und ignorieren daher das Restaurant mit der knallorange leuchtenden Markise eiskalt.
»Sexistieshe Kockshoise.«
»Perfect, sunshine. Perfect.«
Am sĂŒdlichen Ende der 5th Avenue, die die zentrale Straße des Viertels darstellt, werden die GĂ€ste mit einem viktorianischen Schild, das wie eine Pforte ĂŒber der kompletten Straße hĂ€ngt, im Gaslamp Quarter willkommen geheißen. Der vielleicht einzige Schönheitsmakel, den wir heute an San Diego ausmachen, ist die Tatsache, dass es zu viele Filialen der ĂŒblichen großen Fast-Food-Ketten gibt.

FĂŒr Cari und mich gibt es natĂŒrlich keinen Burger, sondern ein anstĂ€ndiges Mittagessen im Royal Thai Cuisine Restaurant an der Ecke Island und 5th Avenue. Ich lasse mir von der Kellnerin den ihrer Meinung nach besten Curry ihrer KĂŒche empfehlen.
»Green Curry«, sagt sie ohne Umschweife. Hm, das ist eigentlich der Curry, den ich am wenigsten liebe, antworte ich ihr, woraufhin sie schweigt.
»How is the Panang?«, frage ich.
»Hm, yeah â€Š is okay.«
Das klingt ja nicht sonderlich ĂŒberzeugend. Sie verweist noch einmal auf den leckeren Green Curry und ĂŒberzeugt mich endgĂŒltig, diesen zu probieren. Er ist superlecker! Dazu gibt’s noch Prosecco. Zwei Genießer lassen sich nicht lumpen.
Cari ist bekanntlich ein Handyproll und kommt ohne ihr schlaues Utensil nur schwer zurecht. Das liegt aber dummerweise auf dem Bett im Hostel. Also geht’s nach dem Essen wieder dahin zurĂŒck. Auf einem Schild der Bootlegger Bar, die sich im selben GebĂ€ude befindet, liest Cari voll Begeisterung, dass sie Fireballs anbieten. Nach der Handybeschaffung machen wir daher Gebrauch von unserem Hostelbonus, den man in der Bar hat, und bestellen uns fĂŒr je vier Dollar einen der sĂŒĂŸen Whiskeys. Cari schmeckt’s und ich bekomme die flĂŒssige alkoholische SĂŒĂŸigkeit runtergeschluckt. Brr.
Unser nĂ€chstes Ziel ist der Balboa Park, fĂŒr dessen Entstehung ebenfalls Alonzo Horton verantwortlich war. Auf dem Weg zum 490 Hektar großen Park treffen wir auf zwei sich böse streitende Obdachlose. Das heißt, sie streitet sich mit ihm, brĂŒllt stĂ€ndig herum und beschimpft ihn letztlich als: »White bitch!«, was Cari und ich sehr amĂŒsant finden. Es geht wohl um ein Hemd, das die »white bitch« nicht gewaschen hat. Oder das Hemd hat aufgrund nicht beachteter Pflegehinweise jetzt ein Loch. Was auch immer passiert ist, es hallt auf jeden Fall immer und immer wieder: »White bitch!«, durch die Straße, was zwischendurch aber auch mal von â€“ wenn ich mich nicht komplett verhöre â€“ »Ball dancer!«, abgelöst wird. SpĂ€testens bei dieser Beleidigung kann Cari nicht mehr wirklich an sich halten und schmeißt sich weg vor Lachen. Bevor wir weiterziehen, schauen wir uns das Spektakel noch ein wenig lĂ€nger an. Auf der einen Seite handelt es sich einmal mehr um eine Szene, die ich so nur aus Filmen kenne und auf der anderen Seite befĂŒrchten wir, dass die Alte noch handgreiflicher werden könnte, als sie es sowieso schon ist. Immer wieder tritt sie der »white bitch« in den Bauch, schlĂ€gt nach ihm oder haut ihm den schwarzen Grund des Streits um die Ohren. In dieser Beziehung ist klar, wer die Hosen anhat. Der arme Mann macht sich klein und kleiner und kauert sich an den Zaun eines Parkplatzes, wĂ€hrend er verzweifelt nach ErklĂ€rungen und Entschuldigungen ringt.
Kurz bevor wir die Interstate 5 ĂŒberqueren, sehe ich auf einem Baseballfeld neben der Straße erstmals ein paar Jungs Baseball spielen. Damit ist dieses typisch amerikanische Bild also auch erfolgreich abgedeckt.

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Hinter der BrĂŒcke fĂ€ngt der Park auch schon direkt an.

<center>Balboa Park</center>
Wie ein typischer Park erscheint das nach einem spanischen Konquistador benannte Areal aber nicht. So besteht der Park nicht einfach aus großen GrĂŒnflachen oder WĂ€ldern, sondern beherbergt auch ĂŒber ein Dutzend Museen, mehrere Theater, Restaurants und den Zoo der Stadt. Das erste auffĂ€llige GebĂ€ude auf unserem Weg ist das alte Navy Hospital, das mit seinen beiden TĂŒrmen wieder sehr spanisch wirkt und seit 1917 in Betrieb ist. SchrĂ€g gegenĂŒber stoßen wir auf den runden Bau des World Beat Center, einem bunten Reggae-Kulturzentrum, in dem unter anderem Konzerte stattfinden. Der GĂ€rtner des Zentrums wirkt passenderweise extrem verstrahlt. Mit seinem Gartenschlauch in der Hand und einem Lappen auf der Schulter sitzt er auf dem Rindenmulch und gießt die ihn umgebenden BĂŒsche. Auf das World Beat Center folgt mit dem Centro Cultural de la Raza ein weiterer flacher Rundbau. Darin dreht sich alles um die Kunst und Kultur der Mexikaner, anderer lateinamerikanischer sowie indigener Völker und der Chicanos. Chicanos sind die in den USA lebenden Mexikaner.

Wir machen es uns auf der Wiese hinter dem Centro Cultural de la Raza gemĂŒtlich â€“ in der Hoffnung, dass die Wolken doch noch Platz machen und uns einen schönen letzten gemeinsamen Sonnenuntergang gönnen. Kaum zu glauben, dass Cari morgen in aller FrĂŒhe bereits wieder wegfliegt. Wir versuchen die Traurigkeit aber nicht durchdringen zu lassen, sondern vielmehr die letzten verbleibenden Stunden zu zweit voll zu genießen. Allzu leicht fĂ€llt es mir nicht, nicht daran zu denken, dass wir uns nach morgen frĂŒh wer weiß wie lange, definitiv aber bis zu meiner Abreise, nicht mehr sehen werden. Und auch die Wolken haben kein Erbarmen mit uns â€Š

Nach gut und gerne zwei Stunden des Kuschelns spazieren wir wieder zurĂŒck in Richtung City. Den Spielplatz im Balboa Park, speziell seine Rutschbahn, nehmen wir dabei selbstverstĂ€ndlich noch voll mit.
Ich erzĂ€hle Cari von Los Angeles und davon, dass ich mir die Bank aus »(500) Days of Summer« ansehen wollte, aber leider verpasst habe, obwohl ich bei Ray quasi direkt um die Ecke ĂŒbernachtet habe. Redet man von »(500) Days of Summer«, kommt man irgendwann automatisch auf eine der besten Szenen des Films zu sprechen. In dieser Szene fordert die von Zooey Deschanel gespielte Summer Joseph Gordon-Levitt dazu heraus, abwechselnd das immer selbe Wort zu wiederholen. Mit jeder Wiederholung muss man das Wort lauter von sich geben â€“ bis man es brĂŒllt. Wer als Erstes klein beigibt, hat verloren. Ich weiß nicht, wer von uns auf die grandiose Idee kommt â€“ vermutlich sind wir es beide gleichzeitig â€“, aber wir benötigen unbedingt wieder eine Competition, um festzustellen, wer von uns denn nun die coolere Sau ist. Also fordern wir uns gegenseitig heraus und laufen wenig spĂ€ter breit grinsend sowie immer lauter brĂŒllend durch die Stadt. Obendrein erweitern wir das Spiel auf zwei Wörter: »PENIS!«
»VAGINA!«
Meine Anmerkung, dass eigentlich ich derjenige bin, der: »Vagina«, und sie vielmehr: »Penis«, schreien mĂŒsste, ignoriert Cari mit einem Grinsen und plĂ€rrt mir: »Vagina!«, ins Gesicht. Einen Sieger können wir nicht ermitteln.
In der 5th Avenue essen wir bei New York Pizza zu Abend. Die Pizzeria ist eher ein unscheinbarer Imbiss, von dem wir nur erwarten, dass er unsere MĂ€gen fĂŒllt. Der junge Koch, der zugleich auch kellnert, ist wahnsinnig sympathisch und zuvorkommend. Er checkt, ob die Nudeln aus Ei oder Hartweizengries bestehen, und serviert uns zur BegrĂŒĂŸung kostenloses Knoblauchbrot. Als ich ihn frage, ob es vegan sei, entschuldigt er sich. Wenige Minuten spĂ€ter stellt er mir plötzlich freundlich lĂ€chelnd ein extra fĂŒr mich zubereitetes Brot auf den Tisch â€“ noch immer kostenlos und ohne von mir darum gebeten worden zu sein. Dementsprechend ĂŒberrascht und dankbar bin ich. Er denkt sich wohl auch, dass Cari nicht alleine nach Knoblauch riechen sollte. Das Essen ist zwar Ă€ußerst unspektakulĂ€r, aber unsere niedrigen Erwartungen wurden durch den lieben Kerl alleine schon ĂŒbertroffen.
Die 5th Avenue ist San Diegos ziemlich coole Barmeile. Die Straße ist voll von Partywilligen, was ich an einem Donnerstagabend nicht erwartet habe. Eine junge Frau macht Werbung fĂŒr den »Tattoo Thursday«, was bedeutet, dass man sich heute im Laden hinter ihr fĂŒr 40 Dollar ein Tattoo stechen lassen kann. Cari bekommt von der Werbung erst gar nichts mit. Als sie mich fragt, was das MĂ€del wollte, lĂŒge ich: »They want to tattoo you for free.«
»What?«
Schon machen wir kehrt und Cari steuert zielstrebig die Werbende an. 40 Dollar findet sie immer noch super, weswegen wir Sekunden spĂ€ter mit den Mappen der KĂŒnstler vor uns auf dem Sofa des Studios sitzen. Ich weiß bereits nach zwei Sekunden, dass ich mich von keinem dieser KĂŒnstler tĂ€towieren lassen wĂŒrde. Erst recht nicht, als sie uns zeigen, was sie an ihrem »Tattoo Thursday« anbieten und heute erst entworfen haben. Vom schlecht gemalten Anker bis zum schlecht gemalten Disney-Vögelchen ist so ziemlich jedes klischeehafte Bildchen dabei â€“ und obendrein eben noch hĂ€sslich gezeichnet. Cari hat mir schon des Öfteren von ihrem Traumtattoo erzĂ€hlt, was mich jedes Mal schmunzeln oder laut auflachen lĂ€sst. Ich habe noch nie einen Menschen kennengelernt, der wie Cari so leidenschaftlich bescheuerte Ideen propagieren kann: Sie will Gras um ihre Knöchel tĂ€towiert bekommen, damit es so aussieht, als wĂŒrde sie immer auf einer Wiese stehen. Cari hat diesen Wunsch bereits dem MĂ€del vor dem Laden mitgeteilt, die die Idee total genial findet und so etwas auch noch nie gehört, geschweige denn gesehen hat. Ich finde die Idee ĂŒbrigens auch Ă€ußerst sĂŒĂŸ und lustig. Typisch Cari eben. Der dicke TĂ€towierer mit den fehlenden ZĂ€hnen findet’s auch nicht schlecht und sagt, dass er ihr fĂŒr 40 Dollar pro Knöchel die Wiese auf die Beine zaubert. Innerhalb von zweieinhalb Sekunden â€“ nein, ich ĂŒbertreibe keineswegs â€“ hat er einen ersten Entwurf fertig und zeigt ihn uns in einer Mischung aus Stolz und affektiert kĂŒnstlerischer Konzentrationsmiene. Ich hoffe, dass Cari nicht auf die Idee kommt: »Yes«, zu sagen und ĂŒberlege bereits, wie ich ihr in diesem Falle, ohne die GefĂŒhle der TĂ€towierer zu verletzen, verklickern soll, dass die Jungs es mal so ĂŒberhaupt nicht draufhaben. Sie verhandelt mit dem TĂ€towierer ĂŒber den Preis. Sie will fĂŒr 40 Dollar beide Knöchel bepflanzt bekommen. Cari, das kann doch nicht dein Ernst sein! Ich tippe vorsichtig mit den Fingern auf dem Tisch herum, um ihre Aufmerksamkeit darauf zu ziehen, lasse den gestreckten Daumen nach unten zeigen und â€Š sie bemerkt es nicht. Hilfe! Letztlich entscheidet sie sich von ganz alleine dagegen. Was fĂŒr ein GlĂŒck! Wieder draußen lasse ich sie wissen, dass ich die Leute da drin fĂŒr Ă€ußerst unbegabt halte, worin sie sofort und ohne mit der Wimper zu zucken mit mir ĂŒbereinstimmt. Aber wieso hat sie dann so lange diskutiert? WĂ€hrend ich mir diese Frage stelle, schaue ich ihr ins Gesicht und kenne die Antwort, ohne die Frage gestellt zu haben. So ist sie eben. Das ist Cari.
An einer Kreuzung steht ein Wrestler mit dicker Wampe, Gesichtsmaske und einer Hantel in der Hand. Soll das etwa ein StraßenkĂŒnstler sein? Oder hat er lediglich den Schuss nicht gehört? Wieder kommt jemand mit Flyern auf uns zu. Diesmal bekommen wir »Pay One â€“ Get Two«-Gutscheine fĂŒr eine Bar namens The Tipsy Crow in die Hand gedrĂŒckt: also nichts wie hin da!

Die Bar ist sehr cool. Da es uns im Erdgeschoss zu laut und ĂŒberfĂŒllt ist, suchen wir uns im ersten Stock ein gemĂŒtliches PlĂ€tzchen. Erstaunlicherweise sitzt niemand auf den Sitzkissen vor dem romantischen Kamin. Jackpot! Die Barkeeperin meint spĂ€ter zu mir, dass wir die besten PlĂ€tze des Ladens ergattert haben. Sehen wir genauso und wundern uns noch immer darĂŒber, dass ausgerechnet diese PlĂ€tze in der mehr als gut besuchten Bar noch frei waren. Vielleicht liegt es daran, dass wir keinen Tisch haben und eben auf dem Boden sitzen oder auf die anderen GĂ€ste wirken die Kissen nicht unbedingt wie »offizielle« SitzplĂ€tze.

The Tipsy Crow ist keine gewöhnliche Bar. Sie ist nicht nur sehr stylish mit alten und schweren Möbeln eingerichtet, sondern auch eine Börse: Die GetrĂ€nkepreise variieren. Der aktuelle Kurs eines jeden GetrĂ€nks wird auf einem großen Monitor ĂŒber der Bar angezeigt. Irgendwann kommt es zum »Börsencrash«, was zur Folge hat, dass fĂŒr kurze Zeit alles so preiswert ist, wie es sich die Betreiber erlauben können. Ich trinke zwei Bloody Mary, Cari einen Whiskey Soda und einen sehr leckeren Long Island Iced Tea.
Es ist wunderschön mit Cari vor dem Kamin zu sitzen, sich mit ihr zu unterhalten und zu knutschen. Ich ĂŒberlege schon seit LĂ€ngerem, ob ich Cari wissen lassen soll, was ich fĂŒr sie empfinde. Kennen wir uns dafĂŒr schon lange genug? Ergibt es an unserem letzten Abend ĂŒberhaupt Sinn und wie wird sie reagieren? Ich will Cari auf jeden Fall wiedersehen. Nein, nicht nur das. Ich will viel mehr von ihr. Ich will mit ihr zusammen sein. Auch wenn ich keinen Plan habe, wie das zu bewerkstelligen sein soll, wenn ich erst einmal wieder zurĂŒck in Deutschland bin. Ach, vergiss das rationale Denken. Vielleicht gibt es ja eine Chance? Cari will schließlich 2014 nach Europa kommen. Da ist etwas Besonderes zwischen uns. In einem bis auf die Musik sehr romantischen Moment schaue ich Cari tief in ihre wunderschönen Augen. Das Blau ihrer Iriden wird von einem dunklen Kreis umrahmt. Außerdem trĂ€gt Cari immer einen Glanz in ihren Augen, der einem sofort klar macht, dass diese Frau das Leben liebt.
»I don’t know if it’s too early to say â€ŠÂ«, starte ich vorsichtig.
»It’s not«, lĂ€chelt sie.
»Ich liebe dich.«
Sie schließt ihre Augen und kĂŒsst mich lange und innig â€Š
Durch einen Korridor gelangt man in den hinteren Bereich der Bar, in dem ein Billardtisch steht. Ich fordere eine Revanche fĂŒr meine Niederlage in Portland. Ich nehme es vorweg: Es ist knapp, aber sie gelingt! Allerdings muss die Revanche erst noch auf sich warten lassen, da gerade zwei Typen den Tisch bespielen. Wir kĂŒndigen an, die nĂ€chste Runde spielen zu wollen, was mit einem Nicken bestĂ€tigt wird. Als sie fertig sind, werfe ich einen Dollar in den Tisch, baue auf und staune ĂŒber die unsĂ€gliche Dreistigkeit des einen Vogels. Er nimmt sich den Queue, eröffnet das Spiel und versenkt direkt eine der bunten Kugeln. Was soll das denn? Ich sage ihm, dass er gerne einen weiteren Dollar einwerfen darf, damit wir die Kugel wieder bekommen, was er irritierenderweise auch sofort macht. Ford hatte wohl recht und ich wirke wahrhaftig gefĂ€hrlich genug, staune ich in mich hinein. Erst kurz darauf verstehe ich, dass wir zu einem Duell gegen die zwei Jungs verpflichtet sind. Ups. Ein Spiel gegen die Kerle war von uns nicht geplant und auch nicht gewollt. Aber wenn das die Hausregeln sind, mĂŒssen wir da wohl durch. Die Jungs sind gut, aber auch ordentlich besoffen. Einmal spielt einer der beiden anstelle der weißen Kugel eine seiner gestreiften an. Dennoch verlieren wir, wenn auch knapp. Vielleicht liegt es auch daran, dass Cari zwischendurch noch von einem MĂ€del angegraben wird. Verwirrung von allen Seiten quasi.

Bevor wir ins Bett gehen, mĂŒssen wir das Auto umparken. Wir vermuten, dass die Straßenkehrer am Freitagmorgen zwischen drei und sechs Uhr durch diese Straße wollen, was sich auch tatsĂ€chlich bewahrheitet. Allerdings kommen die Straßenreiniger schon um Mitternacht. Kaum haben wir umgeparkt, kommt die Kehrmaschine angerollt. In San Diego muss man wirklich aufpassen, wie lange man wo parkt, denn am nĂ€chsten Morgen haben sĂ€mtliche Wagen der Straße Knollen an ihren Windschutzscheiben hĂ€ngen.
Und so endet unser letzter von insgesamt 20 gemeinsamen Tagen. Ich halte Cari die gesamte Nacht ĂŒber in meinen Armen. In meinen TrĂ€umen endet diese Nacht nicht. Niemals.

Quellen

Informationen zu San Diego und dem Gaslamp Quarter: Wikipedia

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