Tag 76: (20) Days of Cari

Serendipity – Teil 2

San Diego, 24.1.2013

Donnerstag, 24. Januar 2013
San Diego

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Am Morgen bringe ich Cari ein paar deutsche Vokabeln bei.
»What is ›stop‹ in German?«
»Stopp.«
Langweilig. Als ich es ein wenig »deutscher« betone, gewinnt das Wort aber doch noch an Reiz und Cari johlt: »Schtopp!«
Weshalb auch immer inspiriert es mich, ihr die deutsche Variante von: »Shut the fuck up!«, beizubringen.
»Halt dein Maul!«
»Holt doin Mowl?«
Ach, zuckersĂĽĂź.
»And what is: ›I want a kiss‹?«
Das FrĂĽhstĂĽck des Lucky D’s ist fĂĽr einen Veganer eine äuĂźerst enttäuschende Angelegenheit: Das Brot enthält Milch und die Corn Flakes gibt’s natĂĽrlich nur trocken oder mit Kuhmilch.
Nach dem FrĂĽhstĂĽck geht’s auf Stadterkundung. Am Ende unserer StraĂźe, der 8th Avenue, sehen wir den Petco Park, San Diegos Baseballstadion. Baseballstadien sehen schon seltsam aus: Zum einen sind sie trapezförmig und zum anderen öfter mal auf einer Seite offen. Das heiĂźt, dass wir vom Eingang des Hostels aus ins Stadion blicken können. WĂĽrde dort ein Spiel stattfinden, kann man sich also mit einem Stuhl auf die StraĂźe setzen und sich problemlos die Fans der größten TribĂĽne des knapp 42.000 Zuschauer fassenden Stadions ansehen. VerrĂĽckt. San Diegos Profimannschaften â€“ egal welcher Sportart â€“ sind ĂĽbrigens verflucht. Seit 1963 konnte kein Team aus San Diego einen wichtigen Titel gewinnen.

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8th Avenue, Blick auf den Petco Park

Nur zwei Blocks vom Hostel entfernt beginnt das Gaslamp Quarter, das historische Herz San Diegos, das sich vom Broadway bis zum Harbor Drive und von der 4th zur 6th Avenue, insgesamt ĂĽber 16 Â˝ Blocks zieht und auch das Zentrum des Nachtlebens darstellt.

Wie aus einer spanischen Siedlung eine Metropole der USA wurde
1542 wurde die Gegend um das heutige San Diego vom portugiesischen Entdecker Juan Cabrillo zum Eigentum der spanischen Krone erklärt und rund 200 Jahre später besiedelt. Die Festung und die Mission bildeten 1769 die ersten europäischen Siedlungen im heutigen Kalifornien, wodurch die heute noch immer schnell wachsende Stadt die Wiege des »Golden State« ist. 1821 wurde San Diego vom nun unabhängigen Mexiko annektiert und erst 1850, zwei Jahre nach dem Ende des Mexikanisch-Amerikanischen Kriegs, Teil der USA. Bis Mexiko ist es aber nach wie vor alles andere als weit: Die sĂĽdlichen Ausläufer San Diegos erreichen sogar die Grenze und vom Zentrum sind es gerade einmal 30 Kilometer bis zur Stadtmitte Tijuanas. Die Architektur San Diegos ist also, wenig verwunderlich, stark mexikanisch geprägt.
Die Entwicklung zum kulturellen Dreh- und Angelpunkt begann 1867. Damals kam ein Mann namens Alonzo Horton von San Francisco in die seinerzeit noch kleine und eher unbedeutende Stadt. San Diego hatte zu jener Zeit den Ruf, aufgrund seiner Lage eine aufstrebende Gemeinde werden zu können. Horton verkaufte all sein Hab und Gut, um aus San Diego eine prosperierende Stadt zu machen. Zu Hortons Verwunderung beschränkten sich sämtliche Bemühungen, San Diegos Aufstreben voranzutreiben, auf die Gegend rund um die binnenländisch gelegene alte spanische Festung an der Mündung des San Diego River. Entlang der San Diego Bay gab es hingegen keine größeren Bebauungen, obwohl sämtliche Schiffe, die die Stadt ansteuerten, dort anlegten. Hortons anfängliche Verwunderung wich großer Freude, denn dem Bauherren war schnell klar, dass er hier am Meer das Potenzial hatte, um aus San Diego seine angestrebte Metropole machen zu können.
In den 1880er Jahren entwickelte sich das Gaslamp Quarter schlieĂźlich zum VergnĂĽgungsviertel mit Bars, Bordellen und Kasinos, von denen drei dem Revolverhelden Wyatt Earp gehörten.
Mittlerweile ist San Diego mit rund 1,3 Millionen Einwohnern die achtgrößte Stadt der USA und nach Los Angeles die zweitgrößte Kaliforniens.

Mir fällt auf, dass es in der Downtown, verglichen mit anderen US-amerikanischen Städten, kaum Hochhäuser gibt. Die wenigen Hochhäuser, die an die Downtown angrenzen, sehen zudem anders aus als jene, die ich in den bisher bereisten Städten zu sehen bekommen habe. Sie sind verspielter und farbenfroher. Generell ist die New Town, wie die Downtown in Anlehnung an die Altstadt rund um das spanische Presidio frĂĽher genannt wurde, bunt und schön. Im Gaslamp Quarter mischt sich die hispanische zudem noch mit sehr ansehnlicher viktorianischer Baukunst. Von den namengebenden Gaslampen scheint es jedoch nur noch vier StĂĽck an der Kreuzung 5th Avenue und Market Street zu geben

An der Ecke Market und 4th kommen wir an einem Hooters vorbei. Hooters, erklärt mir Cari, ist eine Restaurantkette, die dafĂĽr berĂĽhmt ist, dass ausschlieĂźlich vollbusige Schönheiten in engen Blusen und kurzen Höschen servieren â€“ die »Hooters Girls«. Nach kurzer Beratschlagung legen wir uns darauf fest, dass wir beide Hooters als sexistische KackscheiĂźe empfinden, und ignorieren daher das Restaurant mit der knallorange leuchtenden Markise eiskalt.
»Sexistieshe Kockshoise.«
»Perfect, sunshine. Perfect.«
Am sĂĽdlichen Ende der 5th Avenue, die die zentrale StraĂźe des Viertels darstellt, werden die Gäste mit einem viktorianischen Schild, das wie eine Pforte ĂĽber der kompletten StraĂźe hängt, im Gaslamp Quarter willkommen geheiĂźen. Der vielleicht einzige Schönheitsmakel, den wir heute an San Diego ausmachen, ist die Tatsache, dass es zu viele Filialen der ĂĽblichen groĂźen Fast-Food-Ketten gibt.

FĂĽr Cari und mich gibt es natĂĽrlich keinen Burger, sondern ein anständiges Mittagessen im Royal Thai Cuisine Restaurant an der Ecke Island und 5th Avenue. Ich lasse mir von der Kellnerin den ihrer Meinung nach besten Curry ihrer KĂĽche empfehlen.
»Green Curry«, sagt sie ohne Umschweife. Hm, das ist eigentlich der Curry, den ich am wenigsten liebe, antworte ich ihr, woraufhin sie schweigt.
»How is the Panang?«, frage ich.
»Hm, yeah â€¦ is okay.«
Das klingt ja nicht sonderlich überzeugend. Sie verweist noch einmal auf den leckeren Green Curry und überzeugt mich endgültig, diesen zu probieren. Er ist superlecker! Dazu gibt’s noch Prosecco. Zwei Genießer lassen sich nicht lumpen.
Cari ist bekanntlich ein Handyproll und kommt ohne ihr schlaues Utensil nur schwer zurecht. Das liegt aber dummerweise auf dem Bett im Hostel. Also geht’s nach dem Essen wieder dahin zurück. Auf einem Schild der Bootlegger Bar, die sich im selben Gebäude befindet, liest Cari voll Begeisterung, dass sie Fireballs anbieten. Nach der Handybeschaffung machen wir daher Gebrauch von unserem Hostelbonus, den man in der Bar hat, und bestellen uns für je vier Dollar einen der süßen Whiskeys. Cari schmeckt’s und ich bekomme die flüssige alkoholische Süßigkeit runtergeschluckt. Brr.
Unser nächstes Ziel ist der Balboa Park, fĂĽr dessen Entstehung ebenfalls Alonzo Horton verantwortlich war. Auf dem Weg zum 490 Hektar groĂźen Park treffen wir auf zwei sich böse streitende Obdachlose. Das heiĂźt, sie streitet sich mit ihm, brĂĽllt ständig herum und beschimpft ihn letztlich als: »White bitch!«, was Cari und ich sehr amĂĽsant finden. Es geht wohl um ein Hemd, das die »white bitch« nicht gewaschen hat. Oder das Hemd hat aufgrund nicht beachteter Pflegehinweise jetzt ein Loch. Was auch immer passiert ist, es hallt auf jeden Fall immer und immer wieder: »White bitch!«, durch die StraĂźe, was zwischendurch aber auch mal von â€“ wenn ich mich nicht komplett verhöre â€“ »Ball dancer!«, abgelöst wird. Spätestens bei dieser Beleidigung kann Cari nicht mehr wirklich an sich halten und schmeiĂźt sich weg vor Lachen. Bevor wir weiterziehen, schauen wir uns das Spektakel noch ein wenig länger an. Auf der einen Seite handelt es sich einmal mehr um eine Szene, die ich so nur aus Filmen kenne und auf der anderen Seite befĂĽrchten wir, dass die Alte noch handgreiflicher werden könnte, als sie es sowieso schon ist. Immer wieder tritt sie der »white bitch« in den Bauch, schlägt nach ihm oder haut ihm den schwarzen Grund des Streits um die Ohren. In dieser Beziehung ist klar, wer die Hosen anhat. Der arme Mann macht sich klein und kleiner und kauert sich an den Zaun eines Parkplatzes, während er verzweifelt nach Erklärungen und Entschuldigungen ringt.
Kurz bevor wir die Interstate 5 ĂĽberqueren, sehe ich auf einem Baseballfeld neben der StraĂźe erstmals ein paar Jungs Baseball spielen. Damit ist dieses typisch amerikanische Bild also auch erfolgreich abgedeckt.

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Hinter der Brücke fängt der Park auch schon direkt an.

Balboa Park
Wie ein typischer Park erscheint das nach einem spanischen Konquistador benannte Areal aber nicht. So besteht der Park nicht einfach aus großen Grünflachen oder Wäldern, sondern beherbergt auch über ein Dutzend Museen, mehrere Theater, Restaurants und den Zoo der Stadt. Das erste auffällige Gebäude auf unserem Weg ist das alte Navy Hospital, das mit seinen beiden Türmen wieder sehr spanisch wirkt und seit 1917 in Betrieb ist. Schräg gegenüber stoßen wir auf den runden Bau des World Beat Center, einem bunten Reggae-Kulturzentrum, in dem unter anderem Konzerte stattfinden. Der Gärtner des Zentrums wirkt passenderweise extrem verstrahlt. Mit seinem Gartenschlauch in der Hand und einem Lappen auf der Schulter sitzt er auf dem Rindenmulch und gießt die ihn umgebenden Büsche. Auf das World Beat Center folgt mit dem Centro Cultural de la Raza ein weiterer flacher Rundbau. Darin dreht sich alles um die Kunst und Kultur der Mexikaner, anderer lateinamerikanischer sowie indigener Völker und der Chicanos. Chicanos sind die in den USA lebenden Mexikaner.

Wir machen es uns auf der Wiese hinter dem Centro Cultural de la Raza gemĂĽtlich â€“ in der Hoffnung, dass die Wolken doch noch Platz machen und uns einen schönen letzten gemeinsamen Sonnenuntergang gönnen. Kaum zu glauben, dass Cari morgen in aller FrĂĽhe bereits wieder wegfliegt. Wir versuchen die Traurigkeit aber nicht durchdringen zu lassen, sondern vielmehr die letzten verbleibenden Stunden zu zweit voll zu genieĂźen. Allzu leicht fällt es mir nicht, nicht daran zu denken, dass wir uns nach morgen frĂĽh wer weiĂź wie lange, definitiv aber bis zu meiner Abreise, nicht mehr sehen werden. Und auch die Wolken haben kein Erbarmen mit uns â€¦

Nach gut und gerne zwei Stunden des Kuschelns spazieren wir wieder zurück in Richtung City. Den Spielplatz im Balboa Park, speziell seine Rutschbahn, nehmen wir dabei selbstverständlich noch voll mit.
Ich erzähle Cari von Los Angeles und davon, dass ich mir die Bank aus »(500) Days of Summer« ansehen wollte, aber leider verpasst habe, obwohl ich bei Ray quasi direkt um die Ecke ĂĽbernachtet habe. Redet man von »(500) Days of Summer«, kommt man irgendwann automatisch auf eine der besten Szenen des Films zu sprechen. In dieser Szene fordert die von Zooey Deschanel gespielte Summer Joseph Gordon-Levitt dazu heraus, abwechselnd das immer selbe Wort zu wiederholen. Mit jeder Wiederholung muss man das Wort lauter von sich geben â€“ bis man es brĂĽllt. Wer als Erstes klein beigibt, hat verloren. Ich weiĂź nicht, wer von uns auf die grandiose Idee kommt â€“ vermutlich sind wir es beide gleichzeitig â€“, aber wir benötigen unbedingt wieder eine Competition, um festzustellen, wer von uns denn nun die coolere Sau ist. Also fordern wir uns gegenseitig heraus und laufen wenig später breit grinsend sowie immer lauter brĂĽllend durch die Stadt. Obendrein erweitern wir das Spiel auf zwei Wörter: »PENIS!«
»VAGINA!«
Meine Anmerkung, dass eigentlich ich derjenige bin, der: »Vagina«, und sie vielmehr: »Penis«, schreien müsste, ignoriert Cari mit einem Grinsen und plärrt mir: »Vagina!«, ins Gesicht. Einen Sieger können wir nicht ermitteln.
In der 5th Avenue essen wir bei New York Pizza zu Abend. Die Pizzeria ist eher ein unscheinbarer Imbiss, von dem wir nur erwarten, dass er unsere Mägen fĂĽllt. Der junge Koch, der zugleich auch kellnert, ist wahnsinnig sympathisch und zuvorkommend. Er checkt, ob die Nudeln aus Ei oder Hartweizengries bestehen, und serviert uns zur BegrĂĽĂźung kostenloses Knoblauchbrot. Als ich ihn frage, ob es vegan sei, entschuldigt er sich. Wenige Minuten später stellt er mir plötzlich freundlich lächelnd ein extra fĂĽr mich zubereitetes Brot auf den Tisch â€“ noch immer kostenlos und ohne von mir darum gebeten worden zu sein. Dementsprechend ĂĽberrascht und dankbar bin ich. Er denkt sich wohl auch, dass Cari nicht alleine nach Knoblauch riechen sollte. Das Essen ist zwar äuĂźerst unspektakulär, aber unsere niedrigen Erwartungen wurden durch den lieben Kerl alleine schon ĂĽbertroffen.
Die 5th Avenue ist San Diegos ziemlich coole Barmeile. Die StraĂźe ist voll von Partywilligen, was ich an einem Donnerstagabend nicht erwartet habe. Eine junge Frau macht Werbung fĂĽr den »Tattoo Thursday«, was bedeutet, dass man sich heute im Laden hinter ihr fĂĽr 40 Dollar ein Tattoo stechen lassen kann. Cari bekommt von der Werbung erst gar nichts mit. Als sie mich fragt, was das Mädel wollte, lĂĽge ich: »They want to tattoo you for free.«
»What?«
Schon machen wir kehrt und Cari steuert zielstrebig die Werbende an. 40 Dollar findet sie immer noch super, weswegen wir Sekunden später mit den Mappen der KĂĽnstler vor uns auf dem Sofa des Studios sitzen. Ich weiĂź bereits nach zwei Sekunden, dass ich mich von keinem dieser KĂĽnstler tätowieren lassen wĂĽrde. Erst recht nicht, als sie uns zeigen, was sie an ihrem »Tattoo Thursday« anbieten und heute erst entworfen haben. Vom schlecht gemalten Anker bis zum schlecht gemalten Disney-Vögelchen ist so ziemlich jedes klischeehafte Bildchen dabei â€“ und obendrein eben noch hässlich gezeichnet. Cari hat mir schon des Ă–fteren von ihrem Traumtattoo erzählt, was mich jedes Mal schmunzeln oder laut auflachen lässt. Ich habe noch nie einen Menschen kennengelernt, der wie Cari so leidenschaftlich bescheuerte Ideen propagieren kann: Sie will Gras um ihre Knöchel tätowiert bekommen, damit es so aussieht, als wĂĽrde sie immer auf einer Wiese stehen. Cari hat diesen Wunsch bereits dem Mädel vor dem Laden mitgeteilt, die die Idee total genial findet und so etwas auch noch nie gehört, geschweige denn gesehen hat. Ich finde die Idee ĂĽbrigens auch äuĂźerst sĂĽĂź und lustig. Typisch Cari eben. Der dicke Tätowierer mit den fehlenden Zähnen findet’s auch nicht schlecht und sagt, dass er ihr fĂĽr 40 Dollar pro Knöchel die Wiese auf die Beine zaubert. Innerhalb von zweieinhalb Sekunden â€“ nein, ich ĂĽbertreibe keineswegs â€“ hat er einen ersten Entwurf fertig und zeigt ihn uns in einer Mischung aus Stolz und affektiert kĂĽnstlerischer Konzentrationsmiene. Ich hoffe, dass Cari nicht auf die Idee kommt: »Yes«, zu sagen und ĂĽberlege bereits, wie ich ihr in diesem Falle, ohne die GefĂĽhle der Tätowierer zu verletzen, verklickern soll, dass die Jungs es mal so ĂĽberhaupt nicht draufhaben. Sie verhandelt mit dem Tätowierer ĂĽber den Preis. Sie will fĂĽr 40 Dollar beide Knöchel bepflanzt bekommen. Cari, das kann doch nicht dein Ernst sein! Ich tippe vorsichtig mit den Fingern auf dem Tisch herum, um ihre Aufmerksamkeit darauf zu ziehen, lasse den gestreckten Daumen nach unten zeigen und â€¦ sie bemerkt es nicht. Hilfe! Letztlich entscheidet sie sich von ganz alleine dagegen. Was fĂĽr ein GlĂĽck! Wieder drauĂźen lasse ich sie wissen, dass ich die Leute da drin fĂĽr äuĂźerst unbegabt halte, worin sie sofort und ohne mit der Wimper zu zucken mit mir ĂĽbereinstimmt. Aber wieso hat sie dann so lange diskutiert? Während ich mir diese Frage stelle, schaue ich ihr ins Gesicht und kenne die Antwort, ohne die Frage gestellt zu haben. So ist sie eben. Das ist Cari.
An einer Kreuzung steht ein Wrestler mit dicker Wampe, Gesichtsmaske und einer Hantel in der Hand. Soll das etwa ein StraĂźenkĂĽnstler sein? Oder hat er lediglich den Schuss nicht gehört? Wieder kommt jemand mit Flyern auf uns zu. Diesmal bekommen wir »Pay One â€“ Get Two«-Gutscheine fĂĽr eine Bar namens The Tipsy Crow in die Hand gedrĂĽckt: also nichts wie hin da!

Die Bar ist sehr cool. Da es uns im Erdgeschoss zu laut und überfüllt ist, suchen wir uns im ersten Stock ein gemütliches Plätzchen. Erstaunlicherweise sitzt niemand auf den Sitzkissen vor dem romantischen Kamin. Jackpot! Die Barkeeperin meint später zu mir, dass wir die besten Plätze des Ladens ergattert haben. Sehen wir genauso und wundern uns noch immer darüber, dass ausgerechnet diese Plätze in der mehr als gut besuchten Bar noch frei waren. Vielleicht liegt es daran, dass wir keinen Tisch haben und eben auf dem Boden sitzen oder auf die anderen Gäste wirken die Kissen nicht unbedingt wie »offizielle« Sitzplätze.

The Tipsy Crow ist keine gewöhnliche Bar. Sie ist nicht nur sehr stylish mit alten und schweren Möbeln eingerichtet, sondern auch eine Börse: Die Getränkepreise variieren. Der aktuelle Kurs eines jeden Getränks wird auf einem großen Monitor über der Bar angezeigt. Irgendwann kommt es zum »Börsencrash«, was zur Folge hat, dass für kurze Zeit alles so preiswert ist, wie es sich die Betreiber erlauben können. Ich trinke zwei Bloody Mary, Cari einen Whiskey Soda und einen sehr leckeren Long Island Iced Tea.
Es ist wunderschön mit Cari vor dem Kamin zu sitzen, sich mit ihr zu unterhalten und zu knutschen. Ich überlege schon seit Längerem, ob ich Cari wissen lassen soll, was ich für sie empfinde. Kennen wir uns dafür schon lange genug? Ergibt es an unserem letzten Abend überhaupt Sinn und wie wird sie reagieren? Ich will Cari auf jeden Fall wiedersehen. Nein, nicht nur das. Ich will viel mehr von ihr. Ich will mit ihr zusammen sein. Auch wenn ich keinen Plan habe, wie das zu bewerkstelligen sein soll, wenn ich erst einmal wieder zurück in Deutschland bin. Ach, vergiss das rationale Denken. Vielleicht gibt es ja eine Chance? Cari will schließlich 2014 nach Europa kommen. Da ist etwas Besonderes zwischen uns. In einem bis auf die Musik sehr romantischen Moment schaue ich Cari tief in ihre wunderschönen Augen. Das Blau ihrer Iriden wird von einem dunklen Kreis umrahmt. Außerdem trägt Cari immer einen Glanz in ihren Augen, der einem sofort klar macht, dass diese Frau das Leben liebt.
»I don’t know if it’s too early to say â€¦Â«, starte ich vorsichtig.
»It’s not«, lächelt sie.
»Ich liebe dich.«
Sie schlieĂźt ihre Augen und kĂĽsst mich lange und innig â€¦
Durch einen Korridor gelangt man in den hinteren Bereich der Bar, in dem ein Billardtisch steht. Ich fordere eine Revanche für meine Niederlage in Portland. Ich nehme es vorweg: Es ist knapp, aber sie gelingt! Allerdings muss die Revanche erst noch auf sich warten lassen, da gerade zwei Typen den Tisch bespielen. Wir kündigen an, die nächste Runde spielen zu wollen, was mit einem Nicken bestätigt wird. Als sie fertig sind, werfe ich einen Dollar in den Tisch, baue auf und staune über die unsägliche Dreistigkeit des einen Vogels. Er nimmt sich den Queue, eröffnet das Spiel und versenkt direkt eine der bunten Kugeln. Was soll das denn? Ich sage ihm, dass er gerne einen weiteren Dollar einwerfen darf, damit wir die Kugel wieder bekommen, was er irritierenderweise auch sofort macht. Ford hatte wohl recht und ich wirke wahrhaftig gefährlich genug, staune ich in mich hinein. Erst kurz darauf verstehe ich, dass wir zu einem Duell gegen die zwei Jungs verpflichtet sind. Ups. Ein Spiel gegen die Kerle war von uns nicht geplant und auch nicht gewollt. Aber wenn das die Hausregeln sind, müssen wir da wohl durch. Die Jungs sind gut, aber auch ordentlich besoffen. Einmal spielt einer der beiden anstelle der weißen Kugel eine seiner gestreiften an. Dennoch verlieren wir, wenn auch knapp. Vielleicht liegt es auch daran, dass Cari zwischendurch noch von einem Mädel angegraben wird. Verwirrung von allen Seiten quasi.

Bevor wir ins Bett gehen, müssen wir das Auto umparken. Wir vermuten, dass die Straßenkehrer am Freitagmorgen zwischen drei und sechs Uhr durch diese Straße wollen, was sich auch tatsächlich bewahrheitet. Allerdings kommen die Straßenreiniger schon um Mitternacht. Kaum haben wir umgeparkt, kommt die Kehrmaschine angerollt. In San Diego muss man wirklich aufpassen, wie lange man wo parkt, denn am nächsten Morgen haben sämtliche Wagen der Straße Knollen an ihren Windschutzscheiben hängen.
Und so endet unser letzter von insgesamt 20 gemeinsamen Tagen. Ich halte Cari die gesamte Nacht ĂĽber in meinen Armen. In meinen Träumen endet diese Nacht nicht. Niemals.

Quellen

Informationen zu San Diego und dem Gaslamp Quarter: Wikipedia

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