Tag 80 – Teil 2: Der Hoover Dam und die traurige Ballade des jungen Ezana

Serendipity – Teil 2

2013 01 28 19.01.36

Montag, 28. Januar 2013
Hoover Dam – Las Vegas

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95 Kilometer spĂ€ter erreiche ich den Hoover Dam. Gut, zunĂ€chst komme ich an eine flughafenĂ€hnliche Sicherheitsinspektion, die nach den AnschlĂ€gen vom 11. September eingerichtet wurde. Ich werde gefragt, was der Grund meines Besuchs ist und ob ich diese oder jene verbotene Ladung im Auto habe.
»Nope.«
Ein officer schaut noch schnell mit einem Spiegel unter den Wagen und das war’s. Leider werde ich noch darĂŒber informiert, dass ich zu spĂ€t komme. Nicht nur, dass die Sonne bereits untergegangen ist, nein, im Dunkeln ist die Staumauer auch nicht begehbar. Lediglich auf den ParkplĂ€tzen hinter dem Wall dĂŒrfen Fotos gemacht werden. Na, immerhin darf ich ĂŒber die Talsperre zurĂŒck nach Arizona fahren. Ach ja, der Hoover Dam ist gleichzeitig auch die Staatsgrenze zwischen Nevada und Arizona. Wenige Kilometer zuvor habe ich Nevada bereits auf der parallel zur Mauer verlaufenden Interstate betreten. Übrigens gilt in Nevada wieder die Pacific Time, was bedeutet, dass es eine Stunde frĂŒher ist als in Arizona. Dies Ă€ndert leider nichts am Stand der Sonne, höhö.
Eine kurvige Straße fĂŒhrt hinab in den Black Canyon, durch den sich die Talsperre zieht. Der Hoover Dam ist 221 Meter hoch und 379 Meter breit. Ich muss ehrlich gestehen, dass er mir wesentlich kleiner vorkommt, als ich ihn erwartet habe. Dies mag daran liegen, dass der Canyon recht schmal ist und ich auf meinem Weg hinab nicht die erhoffte Panoramaaussicht auf ihn offenbart bekomme. Vielmehr versuche ich so langsam wie möglich zu fahren und mich gleichzeitig so weit wie möglich aus meinem Sitz zu drĂŒcken, um ĂŒber die Mauer möglichst tief in den Canyon hineinblicken zu können. ZunĂ€chst will es mir nicht wirklich gelingen und dann taucht hinter mir tatsĂ€chlich auch noch ein Wagen auf, dem mein Tempo zu lahm zu sein scheint. Als ich auf Höhe des Bauwerks ankomme, flankieren Schilder die Straße, die einem mitteilen, dass man gefĂ€lligst weiterfahren und nicht anhalten und aussteigen soll. Über solche Hinweise könnte man ja mal hinwegsehen â€Š wenn an der Strecke nicht mehr als genĂŒgend Polizeiwagen positioniert wĂ€ren. Also fahre ich weiter und ĂŒbe mich nach wie vor im aus dem Sitz DrĂŒcken. Ein, zwei Mal funktioniert diese Taktik schließlich doch noch ganz gut und ich kann die komplette Mauer hinabsehen. Aber ich weiß nicht â€Š irgendwie haut er mich noch immer nicht von den Socken. Vielleicht liegt es daran, dass ich gestern noch eine Meile in einen Canyon hinabsehen konnte oder sich das Bauwerk wegen Filmen wie »Auf der Flucht« mit Harrison Ford oder »Beavis und Butt-Head machen’s in Amerika« in meiner Vorstellung grĂ¶ĂŸer manifestiert hat. Oje, ich bin versaut. Was fĂŒr ein absurder Gedanke! Ich fahre ĂŒber eine Mauer, die fast 20 Meter höher ist als die Aussichtsplattform des Berliner Fernsehturms. Und ĂŒber den staune ich heute noch! Außerdem haben die verrĂŒckten Amis die Mauer in den Lauf des Colorado River bereits in den 1930er gebaut: von 1931 bis 1935, um genau zu sein. Dahinter staut sich der Colorado River zum Lake Mead, Amerikas grĂ¶ĂŸtem Stausee, der Tiefen von mehr als 150 Meter erreichen kann und mit seinen 640 kmÂČ sogar noch einmal gut 100 kmÂČ grĂ¶ĂŸer als der Bodensee ist. Alleine welchem Druck muss die grĂ¶ĂŸte Staumauer ihrer Zeit demnach ausgesetzt sein?

<center>Lake Mead</center>
Lake Mead wurde 1936 fertiggestellt und ist neben dem grĂ¶ĂŸten auch der wichtigste Stausee der USA: Er ist Wasserkraftwerk, Habitat fĂŒr bedrohte Tierarten und Speicher fĂŒr die Trinkwasserversorgung sowie den BewĂ€sserungsfeldbau Arizonas, Nevadas und sogar SĂŒdkaliforniens â€“ was San Diego und Los Angeles miteinbezieht. Der heute Leben spendende und die WĂŒste blĂŒhen lassende Bau hat aber auch seine tragische Geschichte, die den Tod von mehr als 110 Menschen bedeutet. Eine exakte Anzahl der Todesopfer gibt es nicht wirklich.

<center>Die Toten des Hoover Dam</center>
Der erste Tote, der mit der Talsperre in Verbindung gebracht wird, war ein Landvermesser, der neun Jahre vor Baubeginn, auf der Suche nach dem perfekten Entstehungsort, ertrank. Es mutet absurd an, dass ausgerechnet sein Sohn auf den Tag genau 13 Jahre spĂ€ter als letztes Todesopfer den tragischen Teil der Geschichte des Baus abschließt. FĂŒr die traurige Statistik nicht berĂŒcksichtigt wurden indes sage und schreibe 42 MĂ€nner, die an den Folgen einer LungenentzĂŒndung starben. Es liegt die Vermutung nahe, dass diese als LungenentzĂŒndung deklarierten TodesfĂ€lle vielmehr die Folge von Kohlenmonoxidvergiftungen waren und somit allemal mit dem Bau in Verbindung zu bringen sind. Ein wichtiges Indiz fĂŒr diese Theorie dĂŒrfte die Tatsache sein, dass wĂ€hrend des Baus der Talsperre kein einziger Mensch im angrenzenden Boulder City an einer LungenentzĂŒndung starb, der nicht am Bau beteiligt war.

Beim Überqueren der Talsperre ist es mir leider unmöglich, aus dem Auto heraus einen anstĂ€ndigen Blick ĂŒber die BrĂŒstung zu werfen. Die Krone der Stauanlage ist 14 Meter breit. 220 Meter unter mir betrĂ€gt die Dicke der geschwungenen Mauer unfassbare 200 Meter. Ich folge der Straße, bis ich 500 Meter spĂ€ter den ersten kleinen Parkplatz erreiche. Außer mir ist nur noch eine Gruppe Spanisch sprechender Touristen anwesend. Ich mache Fotos und nĂ€here mich dabei langsam wieder dem Wall. Somit lenke ich die Aufmerksamkeit der Polizei auf mich, die gerade Patrouille fĂ€hrt und mich unter spontanem Einsatz ihres Blaulichts und mit recht rĂŒdem Ton dazu auffordert, mich nicht weiter der Anlage zu nĂ€hern, sondern wieder zurĂŒck zur Barriere zu gehen. Ich frage mich, wo hier eine Barriere sein soll, zeige mich aber devot kooperativ. ZusĂ€tzlich markiere ich noch den doofen AuslĂ€nder und frage mit aufgesetzt schlechtem Englisch, ob es nicht möglich wĂ€re, kurz auf den â€Š
»Back to the parking lot!«, bellt mich der Cop an. Schon gut, schon gut. Hab’s verstanden. Das Blaulicht hĂ€tten sich die Herren im Übrigen sparen können, da sie direkt neben mir halten. Was fĂŒr eine Show. Die Legitimation liegt darin begrĂŒndet, dass der Hoover Dam seit dem 11. September zu den gefĂ€hrdetsten Objekten der USA gezĂ€hlt wird. Denn neben seiner Funktion als Lebensquell ist der Wall ebenso Symbol amerikanischer Macht und GrĂ¶ĂŸe. Auch aus diesem Grunde wurde die Interstate als Umgehungsstraße errichtet. Die Straße, die ĂŒber den Wall fĂŒhrt, ist heute eine Sackgasse. Der einzige Zugang zur Talsperre befindet sich in Nevada.
In den folgenden Minuten kommt es mir so vor, als hĂ€tten mich sĂ€mtliche Cops der Hoover Dam Police genau im Visier. Ich fotografiere und fotografiere, Ă€rgere mich ein wenig, dass mir die spektakulĂ€rere Seite vorenthalten bleibt, und erfahre erst im Nachhinein, dass Besucher der Talsperre auch auf die InterstatebrĂŒcke gehen können. Dass diese fĂŒr FußgĂ€nger passierbar ist, wusste ich aber genauso wenig, wie sich mir erschloss, wie ich ĂŒberhaupt auf den Parkplatz hĂ€tte kommen können, von welchem aus man als FußgĂ€nger auf die BrĂŒcke gelangt. Sich die Mauer von dort aus anzugucken, dĂŒrfte, nach dem direkten Blick in die Tiefe von der Krone selbst aus, aber sicherlich das beste Bild abgeben.
Vom See sehe ich ebenfalls nicht viel. Das liegt weniger daran, dass er enorm an Tiefe verloren hat, was die von Mineralienablagerungen weiß gefĂ€rbten Felsen verdeutlichen, sondern daran, dass dieser erst hinter einer Kurve den Canyon verlĂ€sst, um sich in all seiner GrĂ¶ĂŸe aufzutun. Schön ist der Anblick der Staumauer von der Seeseite aus dennoch: Aus dem Wasser ragen vier TĂŒrme, die mal wieder des Amerikaners Vorliebe fĂŒr Art dĂ©co unter Beweis stellen. Die Lichter der weißgrauen Staumauer lassen die schroffen Felsen des Canyons aufleuchten. Durch die Farbgebung des Walls und die Kurvatur wirkt der Hoover Dam in dieser Umgebung fast schon als zĂ€rtliches GegenstĂŒck in die raue Landschaft gezeichnet. Die schöne BrĂŒcke der Interstate im Hintergrund und der famose Sternenhimmel tun ihr Übriges, um mich auch mit dem Ergebnis dieses Ausflugs zufriedenzustellen.

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Mir geht schon wieder der Sprit aus und das wird langsam gruselig. In Kingman wollte ich nicht zu viel tanken, da ich dem blöden Mietwagenunternehmen, nachdem sie mich so böse abgezockt haben, keinen Sprit schenken möchte. Der freundliche Cop am Sicherheitsstopp lĂ€sst mich wissen, dass es keine fĂŒnf Kilometer hinter der Talsperre eine Tankstelle gibt. Dort angekommen frage ich den Ă€lteren Tankwart, wie viel Sprit ich seiner professionellen Meinung nach ungefĂ€hr brĂ€uchte, um gerade so die letzten 45 Kilometer nach Vegas zu schaffen. Der Mann schaut mich irritiert an und fragt mich, wieso ich nur »gerade so« nach Vegas kommen möchte. Also erzĂ€hle ich ihm die Geschichte der abzockenden rental company. Als ich fertig bin, versteht er mich noch immer nicht. Schließlich sei es doch das Wichtigste, anzukommen. Wenn es kalt ist, philosophiert er los, schaut man ja gleichermaßen zu, dass man genĂŒgend Decken hat. In diesem Land schaut man zu, dass man genug zu Trinken hat. Und wenn man irgendwo ankommen möchte, schaut man wiederum zu, dass man genĂŒgend Sprit im Tank hat. Äh, ja. Klar, aber â€Š Ich versuche es noch einmal. Er hört mir jedoch noch weniger zu, als er es zu Beginn meiner Geschichte schon getan hat, sondern wĂŒrgt mich mit einem unerwarteten Vergleich ab: »You’re like my wife. She’s sometimes strange, too.«
Da fehlen mir erst einmal die Worte. War das nun, Ă€hm â€Š liebevoll? Seine nĂ€chste Frage ist die nach meiner Herkunft.
»Germany, but they are not all like me«, versuche ich die Ehre meiner Landsleute zu retten. Ich habe mich nÀmlich offensichtlich nicht allzu beliebt gemacht.
»Oh yes, they are.«
Na super. Sorry. Es folgt natĂŒrlich eine Geschichte ĂŒber seltsame Deutsche: Einmal seien 40 deutsche Biker bei ihm angedonnert, von denen ein jeder fĂŒr lediglich einen, maximal zwei Dollar getankt haben soll. Mein Verhalten sei demnach typisch deutsch.
»We, the Americans«, fĂŒhrt er weiter aus, »made Germany again what it is today. We built it up again!«
Oje, worauf lĂ€uft das denn jetzt hinaus? Er erklĂ€rt mir, dass er â€“ wĂ€re er ein Land â€“ Amerika den Krieg erklĂ€ren, sich von den Staaten zerbomben und danach schön wieder aufbauen lassen wĂŒrde. So liefe es doch stĂ€ndig! Mir wird es langsam zu blöd. Hat er es am Anfang noch geschafft, mich selbst wie einen nörgelnden Doofdeutschen fĂŒhlen zu lassen, hat er es mit seinem verqueren Kriegs- und GeschichtsverstĂ€ndnis wieder eingerissen â€“ oder besser: zerbombt. Was fĂŒr ein Gelaber â€Š und was fĂŒr eine weitere coole Situation. Haha! Yeah!
Kaum hat man den Hoover Dam hinter sich gelassen, begegnet man in Nevada ĂŒbrigens was? Genau: einem Kasino. Das Kasino irgendwo im Nirgendwo bietet kostenlose Zimmer fĂŒr Truckfahrer und zwei Abendessen zum Preis von einem, wenn man Soldat ist. So sind sie, die Amis. Was die Amis tatsĂ€chlich ebenfalls machen, ist Musik im Radio zu zensieren. Jedes Mal wenn das schöne Wörtchen »fuck« erklingen mĂŒsste, wird durchaus geschickt, also nicht etwa mit einem dominanten Piepton, das böse, böse Wort ausgemerzt.
Wenige Minuten nach der Tankstelle durchfahre ich das StĂ€dtchen Boulder City. Boulder City wurde 1931 speziell fĂŒr den Bau des Hoover Dam aus dem Boden gestampft. Da im StĂ€dtchen damals neben einer Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft auch GlĂŒcksspiel und Alkohol verboten waren, trug der Bau der Talsperre mit dazu bei, dass Las Vegas zu der Metropole wurde, die sie heute ist. Und bis heute ist Boulder City eines von nur zwei StĂ€dten in Nevada, in dem GlĂŒcksspiele verboten sind.
Hinter dem Ort geht es bergauf. Als ich die Kuppe ĂŒberschreite, tun sich mit einem Male die Lichter von Las Vegas vor mir auf und nehmen den kompletten Horizont ein. Was fĂŒr ein Anblick!

Aber Moment mal: Sollen das, laut einem Schild, an dem ich gerade vorbeigefahren bin, nicht noch 19 Meilen, sprich 30 Kilometer sein? Ich sehe deutlich den Stratosphere Tower und erkenne den kompletten Strip. Das können doch nie im Leben noch 30 Kilometer sein! 25 Kilometer spĂ€ter hat es Amerika wieder einmal geschafft, dass ich verwundert mit dem Kopf schĂŒttle, denn ich fahre noch immer auf die Kulisse zu, ohne sie erreicht zu haben. Unglaublich. Außerdem fasziniert es mich ungemein, dass außer den GebĂ€uden des Strip Las Vegas wirklich komplett flach ist. Da ragt kein anderes Haus, kein Block oder Viertel weiter als vier Stockwerke nach oben â€“ wenn es kein Kasino ist. Der Strip aber sticht heraus â€“ und das ist ein sagenhaftes Bild.
Ich stelle das Auto am Flughafen in einer Reihe mit anderen Mietwagen ab. Sofort kommt ein Dollar-Angestellter und fragt nach dem Mietvertrag und den SchlĂŒsseln. NatĂŒrlich schaut er sich das Auto flugs auf offensichtliche SchĂ€den an und liest den Meilenstand ab. Ich bin in den letzten sieben Tagen â€“ man möge sich festhalten â€“ 1674 Meilen oder â€“ metrisch â€“ 2694 Kilometer gefahren. Wow! Ich halte mich nicht allzu lange mit der imposanten Zahl auf, da ich einen Plan verfolge: Ich frage den Mann, wo ich hingehen muss, um mich wegen der Abzocke bei der Abholung des Wagens zu beschweren. Er weist mir den Weg zum BĂŒro, wo gleich die Hölle losbrechen wird. Ich will mein Geld zurĂŒck! Mal gucken, wie gut das funktioniert â€Š
Ich befĂŒrchte einen heißen, teils unfreundlichen Schlagabtausch. Schließlich geht es um eine der blödesten Erfindung der Menschheitsgeschichte: Geld. Um den Dollar-Leuten gleich zu Beginn den Wind aus den Segeln zu nehmen, beschließe ich, einfach höflich und erschreckend cool, also möglichst stressfrei aufzutreten. Gleichzeitig demonstriere ich Selbstbewusstsein, was den Pennern Angst und Schrecken einjagen und mir folglich das zu viel abgeknöpfte Geld wiederbringen wird. Vielleicht gebe ich mich sogar als Autor von Lonely Planet aus und drohe mit Verriss. Ha, die haben keine Chance! Der Mann vom Parkdeck schickt mich genau an den Tresen, an dem ich letzte Woche den Wagen angemietet habe. Der Kollege, der meinen Mietpreis mal eben um ĂŒber 100 % angehoben hatte, ist nicht anwesend. Stattdessen komme ich zu einem großen, muskulösen, schwarzen TeddybĂ€r. Mal im Ernst: Was soll denn jetzt die Scheiße? Hat der Mann vom Parkdeck etwa angerufen und gesagt: »Langhaariger EuropĂ€er mit Vollbart zwecks Beschwerde im Anmarsch. Stellt den Wellenbrecher auf!«
Ich will damit sagen, dass vor mir ein Mensch steht, bei dem die einen dahinschmelzen wĂŒrden und die anderen eigentlich nur alles falsch machen können. Mit ihm anlegen? Vergiss es. Der Mann hat Unterarme wie andere Oberschenkel. Laut werden? DafĂŒr hat er ein viel zu liebes Gesicht. Als er mich zur BegrĂŒĂŸung anlĂ€chelt, schmelze auch ich ein wenig dahin. Wie Schokolade in der WĂŒste â€Š Womit wir automatisch beim nĂ€chsten No-Go wĂ€ren. Ich frage ihn also, ob ich ihm nicht mal meine Schwestern vorstellen soll, kneife ihm in die Wange, lobe ihn fĂŒr sein Work-out und haue irgendwie glĂŒcklich wieder ab. Denkste. Aber: pah, nicht mit mir! Ich widerstehe der fiesen Taktik und lĂ€chle mit Teddy um die Wette. Deine ZĂ€hne mögen weißer sein, dafĂŒr habe ich keine einzige Plombe. Ich schildere Adonis freundlich, aber bestimmt und mit einer Prise Genervtheit mein Problem und offenbare direkt mein Anliegen. Er lĂ€chelt weiter, zwinkert verstĂ€ndnisvoll mit einem Auge und lĂ€sst mich mit tiefer zarter Stimme wissen: »You better talk to the manager.«
Ich schaue ihn mit durchdringendem Blick an. Was kommt jetzt? Was hat das zu bedeuten? Wieso muss ich nicht nach und nach lauter und genervter werden und letztlich mit wutschnaubendem Blick und Faust auf den Tresen schlagend selbst nach dem Manager verlangen? Ich erklĂ€re nur kurz, was los ist und zack: Der Manager nimmt sich Zeit fĂŒr mich? Mit einem Male verdunkelt sich die Halle, der Tresen verwandelt sich in flĂŒssige Lava und mit einem gellenden Schrei springt der Manager mit Hörnern auf dem Kopf vor mich. In seiner linken Brust klafft ein tiefes leeres Loch aus dem Blut in alle Richtungen spritzt.
»Linda?«, fragt plötzlich der schöne SchokobĂ€r â€“ seit »Scrubs« dĂŒrfen Weißbrote das sagen. Das Licht der Halle leuchtet wieder normal und der satanische Manager verschwindet. DafĂŒr öffnet sich eine neue TĂŒr und eine sympathisch aussehende Frau Ende 40 kommt auf mich zu.
»Hi, I’m Linda«, begrĂŒĂŸt mich die Managerin freundlich. Linda ist extrem zuvorkommend, scherzt, lĂ€chelt und versucht erst gar nicht mit mir zu verhandeln oder sich herauszureden. Ich muss ihr lediglich erzĂ€hlen, was passiert ist, dies danach schriftlich zu Protokoll geben und unterzeichnen. Sie gibt mir in allen Punkten, die ich angebe, recht: Es ist nicht preiswerter, sich den Tank von ihnen auffĂŒllen zu lassen. Dass der Mann mir die Frage dreimal mit: »Yes, it is cheaper«, beantwortete, war schlichtweg falsch. Als ich ihn fragte, ob es irgendeine Möglichkeit gĂ€be, den Preis zu senken, antwortete er: »No chance«, was ebenso wenig stimmt, da man beispielsweise keine der Versicherungen abschließen muss, die er mir aufgebrummt hat. Wobei ich hier â€Š nun ja â€Š heute ein bisschen flunkere.
»You don’t need an extra insurance if you already have an international insurance«, erklĂ€rt mir Linda. »Do you have an insurance that covers car damages and accidents in other countries than Germany?«
»Uhm, yes. Of course I do.«
NatĂŒrlich habe ich keine solche Versicherung. Ich unterschreibe mein selbst verfasstes kleines Protokoll, gebe es Linda und zittere. Was, wenn sie nun meine Versicherung sehen will und ich nichts anderes als: »Well, uhm â€Š hehe«, entgegnen kann. GlĂŒcklicherweise muss ich nichts vorzeigen. Weder jetzt noch irgendwann spĂ€ter. Da dem Wagen nichts zugestoßen ist, juckt es bestimmt noch weniger. Linda packt ihren Taschenrechner raus, tippt ein wenig und erklĂ€rt mir, dass sie mir leider nicht alles Geld rĂŒckerstatten kann. Was sie machen kann, ist, mir 228 Dollar zurĂŒckzugeben. Aus den 172 Dollar aus dem Internet wurden bei Abholung des Wagens 422 und nach meinem GesprĂ€ch mit Linda letzten Endes 194 Dollar. Damit kann ich leben. Sehr, sehr gut sogar.
»Wow, you made my day!«, bedanke ich mich ĂŒberschwĂ€nglich und zudem Ă€ußerst ĂŒbertrieben, da der komplette Tag auch vor Linda schon total super war. Linda und Teddy vom Kundenservice sind ĂŒberdies einfach nur superfreundlich, was mein Bild von der Dollar Thrifty Automotive Group wieder gerade rĂŒckt. Man kann also doch bei dollar.com preiswert Autos mieten. Man muss nur ein wenig auf die HintertĂŒrchen und Tricks der Verleiher achten. Zur absoluten Krönung kommt es, als ich eine Woche spĂ€ter feststelle, dass mir das Unternehmen aus unerfindlichen GrĂŒnden weitere 87 Dollar ĂŒberwiesen hat, wodurch sich die einwöchige Miete des Wagens fĂŒr gerade einmal 107 Dollar doch wirklich mehr als gelohnt hat. Don’t mess with Mr. Serendipity!
Mit dem Shuttlebus geht’s vom McCarran Rent-A-Car Center zum Airport. Ich bin der einzige Passagier im Bus, was den Fahrer dazu animiert, sich mit mir zu unterhalten. Er stammt aus Äthiopien und möchte wissen, aus welchem Land ich komme.
»Ah, Germany!«, antwortet er begeistert. Gerade heute hat er in seinem Psychologiekurs etwas ĂŒber deutsche Kultur gelernt. Mein Ă€thiopischer Busfahrer besucht Psychologiekurse, in denen man die deutsche Kultur analysiert? Wie cool ist der denn?
»So, what did you learn?«, möchte ich wissen.
»The differences between German and American culture.«
»What differences are there?«
Er erklĂ€rt mir, dass Amerikaner auf der Straße zu wildfremden Menschen: »Hi«, sagen, wohingegen man in Deutschland nur Leute grĂŒĂŸt, die man auch kennt. Ich stimme ihm zu und werde abermals wehmĂŒtig: Ich mag das. Aber in einer Woche grĂŒĂŸt mich keiner mehr auf der Straße. Der Busfahrer studiert die amerikanische Kultur seit acht Jahren, seit seiner Ankunft in Amerika. Dann ist die schöne Unterhaltung mit dem netten Kerl leider schon vorbei, da wir den Flughafen erreichen. Er zeigt mir noch, wie ich zu meinem Bus komme. Das heißt, er hupt und deutet in die andere Richtung als die, die ich gerade eingeschlagen habe.

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Im Linienbus schiebe ich zwei Dollar in den Automaten und wundere mich, dass kein Ticket herauskommt. Diese Frage ist an sich vollkommen nutzlos, da ich fĂŒr zwei Dollar eben nur eine Fahrt bekomme. Wozu sollte ich also ein Ticket bekommen, wenn der Busfahrer auch gleichzeitig der Kontrolleur ist? Ein freundlicher Afroamerikaner hört mein Fragen jedoch und deutet dies offensichtlich so, dass ich eher einen Day Pass als ein Einzelticket benötige. Als er aussteigt, kommt er deswegen noch einmal kurz zu mir und schenkt mir sein Tagesticket â€“ was mir in Vegas nicht zum ersten Mal passiert. Solidarity and serendipity: Yeah!
Der Bus fĂ€hrt nicht den Strip entlang, sondern irgendwo parallel dahinter. Abseits des Strip fĂ€llt mir nicht zum ersten Mal auf, dass es in Las Vegas eine Unmenge an AnwĂ€lten zu geben scheint. Nach den ĂŒblichen Gastronomie-, Hotel- und Kasinojobs muss das der Job schlechthin in Vegas sein. Die Stadt ist wahrhaftig zugepflastert mit Werbung fĂŒr Advokaten. In Gegenden wie diesen ist die Dichte an Kanzleien zudem so hoch wie die von Kneipen in der DĂŒsseldorfer Altstadt. Die Leute haben’s hier wohl nötig. Kaum ist der Gedanke zu Ende gedacht, sehe ich eine der stets erniedrigend ablaufenden Polizeikontrollen. Ein junger Kerl steht gefesselt und kerzengerade im Scheinwerferlicht des Polizeiwagens und darf sich nicht rĂŒhren, wĂ€hrend die Cops seine Personalien checken. Es sieht absurd aus und die Handschellen sind vermutlich eine maßlos ĂŒbertriebene Maßnahme. Dann doch lieber etwas Liebe: Die Viva Las Vegas Wedding Chapel wirbt damit, dass Erin Brockovich dort geheiratet hat, UB40 mal da waren und Elvis in the building is. NatĂŒrlich ist dies auch laut dominant angebrachter LED-Tafel die »Best Wedding Chapel in Las Vegas«. Von wem und wann das Zitat stammt, wird nicht eingeblendet. Neben den traditionellen Hochzeiten gibt es natĂŒrlich noch Themenhochzeiten, wie beispielsweise die Rocky Horror Wedding. Ja, ich wĂŒrde auch gerne in Strapsen heiraten.
Im 7-Eleven kaufe ich mir etwas zu trinken. Als ich mich mit: »Have a nice evening«, verabschiede, antwortet die VerkÀuferin: »You too, baby.«
Ich Tier.
Ich checke wieder im Hostel Cat ein und mache mir darĂŒber Gedanken, was ich morgen machen könnte. Ich wĂŒrde ja gerne ins Death Valley fahren. Aber wie komme ich da hin? Mit einem normalen Mietwagen ist es nahezu unmöglich, die von der Hitze aufgeplatzten Pisten des Nationalparks zu befahren. Ende Januar ist es dort zwar bei Weitem nicht so heiß wie im Sommer, die interessanten Straßen sind dennoch Gift fĂŒr jeden Reifen. Ich könnte mir mit anderen Interessierten aus dem Hostel einen GelĂ€ndewagen mieten. Die kosten aber auch gleich wieder eine gute Stange Geld. Das grĂ¶ĂŸere Problem dĂŒrfte derweil sein, jetzt am Abend, noch Menschen zu finden, die spontan genug sind, mitzumachen. Ich frage kurz in die Runde und erhalte nur KopfschĂŒtteln als Reaktion. Ich sehe den Zettel, den ich vorige Woche ans Schwarze Brett gepinnt hatte, um Mitfahrer fĂŒr meine ursprĂŒnglich routentechnisch etwas anders geplante Tour zum Grand Canyon zu finden. Da hatte sich auch nur einer gemeldet, was fĂŒr mich mit Ausschlag gebend war, dass ich die SĂŒdtour ĂŒber Yuma und Phoenix nach Flagstaff eingeschlagen hatte und nicht ĂŒber Vegas gefahren bin. Leicht resigniert nehme ich den Zettel mit meiner Telefonnummer von der Pinnwand herunter. Das Death Valley kann ich mir abschminken. Mal sehen, ob mir noch etwas einfĂ€llt oder ob ich bereits morgen nach Los Angeles zurĂŒckkehren werde. Drei Tage habe ich noch zum Reisen, bevor ich ab 1. Februar fĂŒr meine letzten vier Tage mit Chris am Drehbuch arbeiten werde. Cari empfiehlt mir nach meinen Lobeshymnen auf Chloride, noch einmal nach Arizona zurĂŒckzufahren und die Geisterstadt Jerome und das MinenstĂ€dtchen Bisbee aufzusuchen. Witzig. Jerome liegt bei Sedona und Bisbee schon fast in Mexiko.
»Why don’t you go to Mexico? Not enough time?«
Not enough time. Ach, ich wĂŒrde liebend gerne noch drei weitere Monate dranhĂ€ngen â€Š
Heute wohne ich in Zimmer 4, in dem ich auf Jana aus Pforzheim treffe. Sie will heute zeitig schlafen gehen, da ihr Flieger morgen frĂŒh um vier Uhr geht. Na, dann gute Nacht. Ich breche auf in Richtung Downtown.
Cari hatte gestern ihren ersten Arbeitstag. Ich dachte, der wĂ€re erst heute und bin froh, als sie mir erklĂ€rt, dass es deswegen lĂ€nger dauerte, um auf meine Nachrichten zu antworten. Ich hatte bereits die BefĂŒrchtung, dass sie beginnt, eine gewisse Distanz aufzubauen.
»Well«, entgegnet sie, »I think we probably should start getting used to distance. We’re not going to be in each other’s lives really for a long time, so maybe we should start thinking of each other as past, and focus on the future, until we get a chance to meet again.«
Manchmal ist mir die Frau, die auf alles eine Antwort weiß, schon fast zu rational.
»The distance will come by itself«, antworte ich. »We don’t have to support it, I guess. And I still believe that one day our time will come. So, you’re not past but also future, I hope. Hopefully a future not too far away â€Š Just don’t forget me. I will for sure never forget how happy I was with you.«
»You are impossible to forget!«
Kurz nach Mitternacht erreiche ich die Fremont Street Experience und sehe mit »Area 51« dieselbe Show wie schon einmal. Ich gehe in ein Kasino und verspiele einen Dollar, wofĂŒr ich eine Bloody Mary bekomme. Zwischendurch komme ich mal auf 2,55 Dollar, doch die Gier â€Š die Gier. Danach gehe ich in die D Bar, ein Lokal, das man nur ĂŒber eine Rolltreppe betreten kann. Allerdings geht diese nur in das Barkasino hinein. Wie man wieder herunterkommt, ist mir ein RĂ€tsel. Also irre ich durch das Kasino und öffne aus Versehen eine TĂŒr, die ich offensichtlich nicht öffnen durfte. Vermutlich ist es der Backstagebereich der sexy TĂ€nzerinnen, die auf der Open-Air-Bar im Erdgeschoss tanzen. Also genau da, wo ich gerne hin möchte: ins Freie. NatĂŒrlich kommen in dem Moment, in dem ich mich in den Backstageflur verirre, zwei SicherheitsmĂ€nner um die Ecke. Was fĂŒr ein Timing. Ich bezweifle dennoch stark, dass sie so schnell wegen mir angerĂŒckt kommen. Bevor ich mit Gewalt des Ladens verwiesen werde, gehe ich direkt auf die Uniformierten zu und lasse mir verlegen grinsend von den beiden den Ausgang zeigen.
Ich verlasse die Fremont Street Experience und gehe ĂŒber den Las Vegas Boulevard in den Fremont East District, wo ich im Salon of Beauty â€“ ja, der Laden hat tatsĂ€chlich diesen bescheuerten Namen â€“ die wahrscheinlich grĂ€sslichste KaraokesĂ€ngerin aller Zeiten entdecke. Deswegen und weil der Laden echt prollig aussieht, betrete ich ihn erst gar nicht. Die TĂŒr ist aber weit geöffnet und die Stimme so grausig, dass ich, wie bei einem Unfall, fĂŒr den einen Song bewegungslos davor verharre. Herrlich. Als NĂ€chstes gehe ich zum Triple B, dem Backstage Bar & Billiards, das sich selbst auch als: »Downtown Las Vegas’ Premier Rock and Roll Bar â€Š with Balls!«, bezeichnet. Meine Fresse. Ich öffne die TĂŒr und sehe in die geradezu erschreckten Gesichter der Barkeeper. Also mache ich die TĂŒr wieder zu. So viel Buchstaben und leere Worte fĂŒr eine Bar, die es schafft, mich noch in der TĂŒrschwelle wieder zum Umdrehen zu bewegen? Nun, es liegt immerhin primĂ€r nur daran, dass sich außer den Barkeepern und mir niemand anderes in dem doch recht großen Laden befindet. Das sieht also eher langweilig aus. Der Style ist zudem nicht so wirklich mein Ding â€“ trotz Rock â€™n’ Roll.
Hinter der 7th Street ist Downtown auch schon wieder vorbei. Zumindest befinden sich auf der rechten Seite nur noch Brachland und Baustelle. Nach einer allzu aktiven Baustelle sieht dieses Bauland allerdings nicht aus. Es stehen zwar ein paar Maschinen herum, die hingegen kaum ausreichen dĂŒrften, um hier ein weiteres Kasino-Hotel hinzuzaubern. Es ist also nichts los, weshalb ich beschließe, zum Hostel zu schlendern und ins Bett zu gehen.

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Als ich gegen halb zwei das Hostel erreiche, treffe ich auf einen jungen Afroamerikaner, den ich zunĂ€chst ĂŒberhaupt nicht zuordnen kann. Ihm gelingt die Zuordnung wesentlich besser, nĂ€mlich auf Anhieb. Ich will nicht ĂŒbertreiben, aber er freut sich beileibe tierisch, mich wiederzusehen. Es ist der Kollege, der im Hostel arbeitet und meinen Bart so liebt. Als er diese Liebe nach der BegrĂŒĂŸungsumarmung noch einmal manifestiert, weiß ich zum GlĂŒck in etwa auch wieder, wer er ist. Er ist mit seinem Kumpel Mark unterwegs, einem sehr klein gewachsenen Afroamerikaner, dem er mich wie einen Helden vorstellt. Ich möchte die Lobhudelei entschuldigen, aber so hat er mich nun mal prĂ€sentiert: Mein unbekannter Freund sagt, dass ich der most humble Mensch sei, den er seit Langem oder ĂŒberhaupt jemals getroffen habe. Er fĂŒgt noch an, dass er von meiner Entspanntheit so begeistert sei. Ja, ich scheine wahrlich einen Fan zu haben. Peinlich nur, dass ich mich zwar wieder daran erinnere, dass er meinen Bart und anscheinend auch mich toll findet, aber absolut keinen Plan mehr habe, wie der Junge heißt. Erst spĂ€ter, als ich ihn frage, wie er seinen Namen eigentlich buchstabiert, kann ich dies in Erfahrung bringen.
»E â€“ Z â€“ A â€“ N â€“ A.«
Ja, ich weiß: Das ist geschickt. Ich bin nur froh, dass er nicht Joe heißt.
Ezana und Mark haben Hunger. Als wir den 7-Eleven betreten, vor dem mich Jim Carreys böser Zwilling einst abholte, sieht es so aus, als hĂ€tten wir Las Vegas’ inoffizielles Obdachlosenasyl entdeckt. Der Kassierer steht recht entnervt hinter seinem Tresen, wĂ€hrend vor ihm zwei Obdachlose einfach nur so dastehen und ein Dritter in seinem Rollstuhl sitzt und vor sich hin flucht.
Wir beschließen, uns gemeinsam ein Sixpack zu kaufen und gehen gegenĂŒber zu Walgreens. Ezana ist noch keine 21, weswegen ich den Kauf abwickeln muss. Er will dabei unauffĂ€llig an der Seite stehen, was das Ganze jedoch auffĂ€llig macht. Wir kaufen ein Sixpack Blue Moon â€“ laut Ezana Amerikas bestes Bier â€“ und unterhalten uns im Hof des Hostels. Mark trinkt nicht mit und haut auch schnell wieder ab. Das Bier schmeckt ĂŒbrigens nicht gut und Ezana ist ein weiterer Amerikaner, der staunt, als ich ihm erklĂ€re, dass PBR Amerikas bestes Bier zu sein scheint. Abgesehen von der Bierphilosophie fĂŒhren wir eine fĂŒr diese Uhrzeit ĂŒberraschend anspruchsvolle Unterhaltung ĂŒber Gott und das Universum. Ezana ĂŒberrascht mich. Nachdem er mir vor einer Woche nur stĂ€ndig den Bart kraulen wollte, hĂ€tte ich nicht gedacht, dass der Junge so tiefgrĂŒndig, intelligent aber auch melancholisch ist. Aus heiterem Himmel teilt er mir mit, dass er mein inner light sehen könne, was ziemlich beeindruckend sei. Das ist ein merkwĂŒrdig vertrauter Moment. Ezana fĂŒhrt weiter aus und erklĂ€rt, dass zwar jeder das Licht in sich trĂ€gt, allerdings nur wenige es zum Scheinen bringen können. Ich lĂ€chle geschmeichelt und weiß sofort, woran mich dieser Moment erinnert. Es ist wie damals, 2004, als Zohreh, die Ă€ltere iranische Hippiedame aus Hawaii, die mich beim Trampen mitgenommen hatte, mir den Auftrag gab: »Let your light shine in the world!«
Ein Satz, den ich mir vielleicht sogar ein wenig zu meiner Lebensphilosophie gemacht habe. Ich gebe mein Bestes. Ab und an scheint es zu funktionieren.
Ich möchte wissen, wer mein neuer Kumpel ist. Also erzĂ€hlt er mir seine Geschichte: Ezana kommt aus Washington, D.C. und arbeitete vor Kurzem noch auf einem Ölfeld in Texas. Der Job sei super bezahlt worden, dafĂŒr körperlich ohne Ende anstrengend gewesen. Er hatte einen Vertrag fĂŒr eine 28 Tage lange Schicht Ă  zwölf Stunden unterschrieben. Die Kollegen seien krass drauf gewesen, was an der abartigen Arbeit und den Ă€ußeren ZustĂ€nden gelegen habe. Er lebte inmitten der WĂŒste in einem Trailer. Es sei bitterkalt gewesen. Ezana berichtet, dass man am Tage zwölf Stunden lang auf dem Feld ackert, am Abend in seinen Trailer kommt und den eingeatmeten Chemieschlamm der letzten Stunden heraushustet. Das kann nicht gesund sein, dachte er sich, brach nach 17 zermĂŒrbenden Tagen ab und floh regelrecht. Ein Kollege habe ihn nach San Angelo, die nĂ€chstgrĂ¶ĂŸere Stadt, gefahren. Wenige Tage spĂ€ter habe er sein Gehalt bekommen und ist »somehow« nach Las Vegas gekommen. Irgendetwas muss Ezana auf dieser Reise passiert sein. Was es ist, will er mir nicht erzĂ€hlen. Allerdings deutet er mehrfach an, dass etwas geschehen sei. So wie er es betont, wie er mitten im Satz stockt und nach einem Weg sucht, die Geschichte fortzufĂŒhren, ohne doch wieder auf diese Erlebnisse zu sprechen zu kommen, kann es nichts Gutes gewesen sein. Er tut mir leid. Auch, wenn ich nicht weiß, wofĂŒr ich ihn bemitleiden muss. Ezana ist einer von den Guten. So viel steht fest. Er wĂ€chst mir heute Nacht wirklich ans Herz. Er ist cool, smart, tiefgrĂŒndig, offen und hat schon so einiges erlebt. Hier spricht einer aus Erfahrung, aus dem Herzen. In Vegas angekommen hat er sich zunĂ€chst ein Zimmer genommen und dann ĂŒber Craigslist den Job im Hostel Cat bekommen. Wo er hin will und was er machen möchte, weiß er selbst noch nicht. Er sucht. Als er fertig ist, fĂŒgt er hinzu, dass seine Eltern stets an ihm zweifeln, was ihn sehr belastet und ein Grund dafĂŒr war, aus Washington abzuhauen. Er fragt mich, wie mein VerhĂ€ltnis zu meinen Eltern ist. Ich erklĂ€re ihm, dass meine Eltern mich voll unterstĂŒtzen und ich sehr viel Liebe von ihnen erfahre. Ich sei ein glĂŒcklicher Mensch, sagt er. Da hat er wohl recht.
FĂŒnf Wochen nach dieser Unterhaltung schreibt mir Chandler, der Besitzer des Hostels, dass Ezana ohne Vorwarnung abgehauen und verschwunden sei. Er glaubt gehört zu haben, dass Ezana einen neuen Job bekommen hat. Im Hostel soll er indes anderen seine Schichten aufgedrĂŒckt und jemandes Computer zerstört haben. Daraufhin habe er sich in seinem Zimmer eingesperrt, was recht seltsam gewesen sein soll: »Odd he was the one to make such a positive impression on you, but I’m glad he did. He’s a good kid otherwise, I suppose.«
Ich hoffe, ihm geht’s gut.
Als ich zurĂŒck ins Zimmer komme, ist darin noch absolute Partystimmung. Die Jungs im Zimmer sind am Feiern und machen bei eingeschaltetem Licht ordentlich Krach. Seltsam, dass wir im Hof davon gar nichts mitbekommen haben. Das MĂ€del aus Pforzheim liegt sehr mĂŒde, aber nicht genervt aussehend, im Bett. Dass die Jungs Partytiere sind, hatte sie mir bei unserer Unterhaltung direkt nach meiner Ankunft im Zimmer bereits erzĂ€hlt. Gestern Nacht war es wohl schon genauso. Man teilt mir mit, dass mein Bett verflucht sei. Derjenige, der darin schlĂ€ft, mĂŒsse saufen ohne Ende. Aha. Als ich kurz aufs Klo gehe, liegen auf einmal alle in ihren Betten. HĂ€? Abkacker. Da ich das Bett direkt neben TĂŒr und Lichtschalter habe, werde ich gebeten, das Licht auszuschalten. Im Dunkeln gehen die Unterhaltungen weiter. Ich verstehe aber nichts. Also melde ich mich verĂ€rgert zu Wort und teile den Jungs mit, dass der grĂ¶ĂŸte Fluch dieses Bettes wohl der ist, dass es sich direkt neben der lauten Heizung befindet und man daher kein Wort von dem versteht, was im Raum gesprochen wird. Mit einem Lacher endet dieser vollkommen coole Tag â€Š

Die komplette Tagesroute:

Quellen
Informationen zu Boulder City: Wikipedia
Informationen zum Hoover Dam: usbr.gov, sueddeutsche.de, Wikipedia
Informationen zum Lake Mead: Wikipedia und nationalparkstraveler.com

Tag 80 – Teil 1   Inhaltsverzeichnis   Tag 81

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