Tag 34: Die Zeit, in der die Welt sich falsch herum dreht – Tag 2

Kaffee, Kiffer, Killerkatzen

Montag, 13. September 2004
Pahoa, Hawaii

Unsere erste Pahoanacht ist mehr als angenehm, da es im Gegensatz zum Hualālai Mountain hier unten in Pahoa auf maximal 500 Fuß Höhe in der Nacht nicht so stark abkühlt.
Bekki und ich machen uns an diesem Morgen so früh wie möglich auf den Weg nach Pahoa, um Dae Thea von dort aus anzurufen.

Pahoa ist eine absolut niedliche kleine Westernstadt mit Tropenflair, wobei »Stadt« stark übertrieben ist, da Pahoa nur aus einer etwa ein bis zwei Meilen langen Hauptstraße besteht. Allerdings kann man im Dorfkern wie in einer tatsächlichen Wild-Weststadt durch überdachte Wild-West-Verandabürgersteige spazieren. Zudem haben alle Häuser hier die Farben grün, gelb, himmelblau, rot, rosa oder beige. Das einzige rosa gestrichene Haus der Stadt ist passenderweise der Friseur.
Vor dem 7-Eleven-Supermarkt lassen wir uns nieder und versuchen erneut Dae Thea mit der neuen, zweiten Nummer telefonisch zu erreichen. Und siehe da, es meldet sich wer! Die Dame am anderen Ende heißt jedoch nicht Dae Thea, weiß glücklicherweise aber worum es geht.
Immerhin erfahren wir nun, dass Dae Thea, deren bürgerlicher Name Gwenette lautet, kein eigenes Telefon besitzt. Margie, Gwenettes Freundin, gibt uns daraufhin die Nummer einer weiteren Freundin Dae Theas namens Christie. Und ebendiese Christie hat uns gestern am Telefon erklärt, keine Dae Thea zu kennen. Tja, Dae Thea kennt sie nicht, Gwenette aber schon. Dumm, wenn man zwei Namen hat, aber nicht jeden darüber in Kenntnis setzt. Auf alle Fälle kann Christie uns auch nicht weiterhelfen, sodass nun Warten angesagt ist. Margie weiß aber indes schon, dass Dae Thea/Gwenette uns mittlerweile in Pahoa sucht. »Kann ja nicht so lange dauern«, denken wir uns und warten.
Nach knapp viereinhalbstündigem Warten und zwei weiteren Telefongesprächen mit Margie finden wir Dae Thea/Gwenette tatsächlich mit ihrem Truck auf Pahoas einziger Straße.
Dae Thea/Gwenette, eine große rothaarige 53-jährige Frau, ist uns sofort sympathisch, da sie offen und lustig ist. Unsere neue Chefin plappert wie ein Wasserfall, sodass es etwas schwer ist, ihr immer zu folgen. Innerhalb kürzester Zeit haben wir bereits mehr mit ihr geredet, als in den kompletten vorherigen vier Wochen mit Ausbeuter Trent.
»Yes, I speak a lot, ’cause I’m Irish! And everything I say … is brilliant!«
Bevor es zur Farm geht, muss Gwenette, die sich selbst den Namen Dae Thea gegeben hat, da ihr Gwenette zu hart ist, noch eins zwei Dinge erledigen. Dae Thea soll griechisch sein und »Der Tag Gottes« bedeuten.
So machen wir noch einen Abstecher zu einem ihrer Exhäuser, wo wir Ingwer frisch vom Baum essen und Wellblech auf den Truck laden. Danach fahren wir zum Recyclecenter, einer Art Müllflohmarkt: Müll, der zu schön, unbenutzt oder zu gut zum Wegwerfen ist, wird hier gelagert und für extrem billig verkauft. Der Preis wird nach Pfund berechnet: für 25 Pfund bezahlt man einen Dollar.
Dae Thea kauft daher reichlich ein: einen Wäschekorb voll Bücher für einen Dollar, ein Fahrrad für zwei Dollar, Unmengen Bretter für einen Dollar etc.pp.
Lustig, lustig.
Nun allerdings, endet die lustige Zeit mit Gwenette alias Dae Thea …
»Ich habe keine Elektrizität.«
Was?
»Das komplette Viertel, in dem ich lebe – welches, nebenbei erwähnt, gerade einmal zwölf Meilen von Pahoa entfernt am Arsch der Big Island liegt – hat keinen Strom.«
Bitte wie?
»… und fließend Wasser haben wir auch keins.«
Ähh …!?
Kein Telefon, keine Elektrizität, kein fließend Wasser, keine Zivilisation … und das ohne Vorankündigung. Das ist richtig hart!
Als wir dann endlich (?) auf der Farm im Niemandsland, die übrigens nur knapp 500 Meter von Pangaia und Andy Sarhanis entfernt liegt, ankommen, folgt die nächste Überraschung: »Oh, Katzen! Süß!«
Bekki und ich beugen uns nach den kleinen, haarigen Schmusemonstern und streicheln sie lieb. Mehr und mehr Miezekätzchen näherns sich uns. Och, zutraulich! Süüüß!
»Dae Thea, wie viele Katzen hast du eigentlich?«
»40 bis 50.«
»Oha!«
Wir streicheln sie hinterm Ohr, den Rücken hinunter, das Bäuchlein entlang, die Nasenspitze hoch und runter, über das aus der Augenhöhle einen Zentimeter hervorstehende eitrige Auge … Aaarrgh! Was ist das?!
Das Mondlicht offenbart es uns: So ziemlich jede dieser Katzen hat ein …dämonisches Auge!
Ein Auge, dass am entzündeten Sehnerv aus dem Schädel heraushängt und eitert. Oh – mein – Kotz!
Und überall kacken einem diese verlausten und mit irgendeinem Augenvirus infizierten Katzen vor die Füße! Durchfall kommt wohl auch noch dazu, denn nach dem offenbarenden Mondlicht folgt ein kurzer nicht minder offenbarender Windstoß: Die komplette Farm stinkt nach Scheiße und Pisse. Die Streichelstunde ist hiermit beendet – für immer. Das Wort Drecksviecher hat nun eine ganz neue Bedeutung für Bekki und mich. Doch aus dem Weg gehen kann man ihnen nicht … Es sind … zu viele.
»Das ist das Haus.«
»Was? – Das!?«
Aaaaah!
Wir stehen vor einem verrotteten Etwas aus Holz mit Löchern auf Stelzen. Aus den Löchern springt immer mal wieder eine Zombiekatze, die übrigens tatsächlich alle einen Namen haben. Nicht jeder Fensterrahmen beheimatet auch eine Scheibe. Dort, wo es keine Scheiben mehr gibt, haben sich die fettesten Spinnen aller Zeiten eingenistet, die wohl durch die ganze Katzenscheiße mutiert sind – anders kann ich mir ihren silbern leuchtenden Panzerrücken nicht erklären.
Nachdem wir die verfaulte Holztreppe – nach einem gutgemeinten Rat unserer Gastgeberin – auf der linken Seite bezwungen haben – in der Mitte und rechts ist dies aufgrund der hohen Einsturzgefahr nicht mehr möglich – zeigt uns Dae Thea das »Haus« von »innen«.
»Innen« finden wir ein weiteres Dutzend kranker Killerkatzen, weitere riesengroße und seildicke Spinnennetze, Millionen von Kakerlaken und ungefähr genauso viele unausgepackte Umzugskartons vor.
»Die Koffer könnt ihr ins Badezimmer stellen.«
Ins Badezimmer? Wofür gibt es in einem Haus ohne fließend Wasser überhaupt ein Badezimmer? Wir dringen durch den Umzugskarton-Canyon bis zur Badezimmertür vor. Unter unseren Sohlen knacken die Panzer der Kakerlaken. Die Tür zum funktionsunfähigen Bad öffnet sich und uns offenbart sich eine Katzenbrutstätte, die auch die Kakerlaken für sich entdeckt haben. Uuaarrgh!
Mit Widerwillen und dem größten Ekel, den wir je in unserem Leben verspürt haben, stellen wir unsere Koffer in das Zimmer des Grauens.
»Und wo können wir aufs Klo gehen?«
»Da gibt es mehrere Möglichkeiten!«
Höhö.
»… Entweder ihr geht hinter einen Busch oder ihr benutzt die Außentoilette!«
»Außentoilette?«
Die »Außentoilette« ist nichts weiter als ein im Boden versenkter Plastikeimer mit Deckel oben drauf.
»Nach dem Scheißen einfach mit Wasser ausspülen und fertig.«
Uuaarrgh! Kotz!
Das Wasser, von dem Ekelette spricht, sammelt sie übrigens in irgendwann einmal gekauften Plastikflaschen. Das in diesen alten Plastikflaschen gesammelte Wasser soll auch unser Trinkwasser darstellen.
Nachdem alles abgeladen ist und wir aufgrund der erstaunlicnen Hitze hier im flachen Osten ziemlich schwitzen, sollen wir trotzdem noch zu einem Bad kommen. Und wo badet ein Mensch wie GwenBäh!tte?
Natürlich umsonst in den Hot Ponds. Da braucht man auch kein Shampoo zu benutzen … und wenn’s schon dunkel wird, braucht Gwenuuäärghette sogar noch nicht einmal einen Bikini. Uuaarrgh! Kotz! Bäh!
Damit jetzt keiner vor Ekel aufhört zu lesen, folgt ein kleiner aufmunternder Einschub über die Hot Ponds:

<center>Hot Ponds</center>
Die Hot Ponds sind natürlich entstandene Becken, gefüllt mit warmem Wasser. Dieses Süßwasser (!) ist nichts weiter als Regenwasser aus den Bergen, welches sich unterirdisch seinen Weg in Richtung Meer bahnt. Unter der Erde wird es von Hawaiis »natürlicher Bodenheizung«, der Lava erwärmt, sodass es, wenn es im Tal bzw. direkt am Meer, wieder an die Öffentlichkeit tritt, Badewassertemperatur hat! Eine tolle Sache!

Zurück zur Horrorshow … Sorry.
Nachdem wir nun also »frisch gewaschen« sind, geht es zurück ins Gruselkabinett.
»Wo schläfst du eigentlich, Dae Thea?«
»Ich? Ich schlafe nicht hier. Ich schlafe bei Freunden. Ach, das wird toll, wenn ihr in vier Wochen wieder geht, ist es vielleicht schon so wohnlich, dass ich hier einziehen kann!«
Juchhe.
Gwenratte zeigt uns schnell noch unser Schlafzimmer und sämtliche Kerzen des Hauses – ganze drei Stück – und schon ist sie verschwunden. Alleine sind wir aber dennoch nicht, denn auch in unserem Zimmer haben sich ein paar süße kleine Kakerlaken eingenistet. Zwar sind hier nicht ganz so viele, wie im Rest des Hauses, aber ekelhaft genug ist es trotzdem. Es ist allerdings auch unmöglich, sich einen Überblick über diesen Raum zu verschaffen, da auch dieser mit unzähligen Kisten zugestopft ist. Uns wird klar, dass unsere »Gastgeberin« eine krankhafte Sammlerin sein muss.
Angewidert setzen wir uns auf unser nicht frisch gewaschenes Bett. Erst einmal Fenster auf, damit der Gestank der Katzenpisse wenigstens etwas neutralisiert wird. Glücklicherweise ist wenigstens das Fliegennetz am Fenster heil, sodass keine weiteren Tiere – Gekkos haben wir auch – bei uns einziehen können. Alles ist so widerlich. Wir rühren uns kaum.
Ziemlich schnell fassen wir den Entschluss, dass wir in diesem Zimmer unmöglich schlafen können und von daher besser nach draußen fliehen sollten. Wir schnappen uns also unser neu gekauftes Zelt, studierten die Bauanleitung in Rekordgeschwindigkeit – bloß raus hier! – und versuchen unser Glück in der nassen Dunkelheit.
Als der Regen stärker wird, verzichten wir auf die vorschriftsmäßige Vollendung des Zeltbaus und verkriechen uns schnell unter der fast gut zusammengeschusterten Plane.
Die Nacht soll ungemütlich und nass werden. Ungemütlich, da wir uns aufgrund der Kakerlaken nicht trauen unsere Koffer zu öffnen, um Schlafsäcke und die Luftmatratze herauszuholen. Unsere Koffer als neues Eigenheim der Schaben … das muss nicht sein. Und nass ist die Nacht, weil wir das Zelt in der Eile und dem Stress dann doch nicht so gut aufgebaut haben.
Wir träumen von der Krätze, Flöhen, Mord und Totschlag …

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