Tag 34: Tuol Sleng, Durian und das Olympiastadion

Curry-Competition

Tuol Sleng (S-21)

Montag, 29. März 2010
Phnom Penh, Kambodscha

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Wir laufen zu viert zum Tuol-Sleng-Genozid-Museum. Das Museum ist eine ehemalige Schule, die in den 1970er Jahren von den Roten Khmer in ein Foltergefängnis (auch S-21 genannt) umfunktioniert wurde. Der Komplex besteht aus vier Häusern, in denen in vier Jahren unvorstellbar grausame Dinge geschehen sind und mindestens 14.000 Menschen zu Tode gefoltert wurden.
Heute kann man hier vor allem die Fotos der zahlreichen Opfer ansehen und sogar noch in die alten Zellen der Gefangenen hineingehen: Neben den schulklassengroßen Zellen für hochrangige Offiziere des geschlagenen Systems und Reiche wurden auch brutal kleine und eher provisorisch errichtete Zellenverschläge von 80 Zentimeter Breite und zwei Metern Länge benutzt. Die originalen Folterwerkzeuge und die vermutlich vom Blut verfärbten Fliesen offenbaren den Terror des Pol-Pot-Regimes und verbreiten auch über 30 Jahre nach den Gräueltaten noch eine extrem bedrückende Atmosphäre.
Im Schulhof wurde neben den Turnstangen der Schüler ein Holzgestell errichtet. Den Gefangenen wurden die Hände hinter dem Rücken verbunden. Dann bekamen sie ein Seil um ihre Handgelenke gebunden und wurden an diesem hoch- und heruntergezogen, bis sie das Bewusstsein verloren. Man stelle sich diese Schmerzen vor: Auf brutalste Art und Weise bekamen die Opfer ohne Unterlass die Schultergelenke durch ihr eigenes Körpergewicht ausgekugelt! Sobald die Gequälten in Ohnmacht gefallen waren, wurden ihre Köpfe in stinkende und eiskalte Abwasserkübel getaucht, wodurch sie sofort ihr Bewusstsein wieder erlangten und die Tortur von Neuem begann. Auf diese Weise wollte man sie zu »Geständnissen« zwingen. Eine weitere Foltermethode, die man im S-21 anwandte, war die des Waterboardings: Der Kopf des Opfers wird so lange unter Wasser gedrückt, bis der Gefangene fast ertrinkt. Fingerspitzen wurden ohne Betäubung amputiert und Brustwarzen abgeschnitten.
Als das Gefängnis von vietnamesischen Truppen entdeckt wurde, fand man nur 14 Überlebende vor. Sieben dieser 14 Geretteten starben aber noch innerhalb einer Woche nach ihrer Befreiung an Unterernährung und Krankheiten. Alle Beweismittel, wie Aufzeichnungen, versuchten die Verantwortlichen vor ihrer Flucht noch zu zerstören, was ihnen größtenteils auch gelang. Lachen ist im Museum übrigens untersagt, worauf man durch Schilder hingewiesen wird. Wer an diesem Ort lachen muss, muss aber auch einen gehörigen Schaden haben.

Tuol Sleng (S-21)

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Nach dem Museum und einem Spaziergang auf dem Monivong Boulevard organisieren wir uns ein Tuk-Tuk. Der Fahrer amüsiert sich köstlich darüber, dass wir mit ihm den Preis aushandeln und fährt uns dann zum Central Market. Hier probieren wir erstmals Durian als Frucht. Bislang kannten wir Durian nur als stinkendes Eis (Kuala Lumpur) mit mäßig gutem Geschmack und seinen üblen Geruch (Siem Reap). Heute wird der Geschmack der frischen Frucht gekostet! … Und darauf hätte man auch verzichten können.

2010 03 29 16.21.46 Rebekka isst Durian

Ich frage mich, ob mein Nachbar Alex unter Geschmacksverirrungen leidet oder mich weniger mag, als ich es verdiene. Die Konsistenz der seltsamen Frucht, die optisch der Jackfrucht sehr nahe steht, ist ungefähr genauso ekelig wie der Gestank, den sie verbreitet. Jeder von uns vier würgt sich ein Stück der ekelhaften Kötzlichkeit herunter, bis wir beschließen, sie unauffällig verschwinden zu lassen. Unauffällig, weil wir sie in einer kleinen Bar unweit des Marktes konsumieren und von den Tischnachbarn schon genervte Blicke wegen des von uns verbreiteten Gestanks rübergeworfen bekommen.

Der Central Market ist übrigens nicht sonderlich spannend, neben dem Tuol-Sleng-Genozid-Museum und den gut 60 Kilometer weit vor Phnom Penh gelegenen Killing Fields, auf denen Tausende Kambodschaner ermordet wurden, aber die einzige angepriesene »Sehenswürdigkeit« der Stadt. Bis auf die Killing Fields, von deren Besichtigung uns aber vorher bereits mehrfach abgeraten wurde, haben wir nun also anscheinend alles gesehen, was die Hauptstadt der Khmer zu bieten hat. Den Verkehr kann man aber auch als Sehenswürdigkeit bezeichnen … In Phnom Penh gibt es laut Wikipedia geschätzte 500.000 motorisierte Zweiräder! Und das ist bestimmt nicht übertrieben.
Die Killing Fields sollen – wie gesagt – nicht allzu interessant sein: Anscheinend bekommt man einen einfachen Acker sowie einige Totenköpfe gezeigt und wird währenddessen darüber informiert, was hier Grausames passiert ist.
Außerdem soll es einen Baum geben, an dem Babys erschlagen wurden. Die Truppen der Roten Khmer besaßen nämlich nicht viel Munition, weswegen sie auf andere Tötungsmethoden wie Erschlagen zurückgriffen. Barbarisch … Ebenfalls barbarisch ist die Tatsache, dass viele Touristen sich nach Besichtigung der Killing Fields zu einem Schießstand fahren lassen und dort mal richtig schön losballern. Wie bescheuert können Menschen eigentlich sein?

Impressionen von Phnom Penh

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Mit dem Sonnenuntergang pilgern viele Einheimische zum Olympiastadion. Rebekka und ich konnten bereits gestern aus der Entfernung sehen, dass sich die Menschen dort anscheinend zum Massenyoga treffen. Das wollen wir uns heute mal anschauen.
Den Sonnenuntergang verpassen wir leider, dafür bekommen wir eine ganz andere Show geliefert, die wir so nicht erwartet haben: Die Kambodschaner treffen sich nicht zum Yoga, sondern zum Tanzen! Hunderte, vielleicht sogar ein paar Tausend junge Leute versammeln sich am oberen Tribünenrand und hüpfen lustig zu schrecklicher Dancefloor-Musik aus den 90ern. Individuell zappelt hier allerdings keiner herum: Ein Vortänzer, oftmals mit angestecktem Mikrofon, das in noch miserablerem Zustand als die knatternden Lautsprecher zu sein scheint, gibt die Schritte vor. Alle 50 Meter gibt es einen anderen Vortänzer mit anderer Musik und so entsteht ein bunter und lauter Klangteppich vor Phnom Penhs abendlicher Kulisse. Den besten Ausblick über die Stadt dürfte man übrigens auch vom Tribünenrand des Olympiastadions aus haben.
Wie auch schon zuvor in der Stadt läuft eine Frau mit einer alten Badezimmerwaage umher und lässt die Leute gegen Geld Gewissheit über ihr Gewicht bekommen.
Die Stimmung ist toll, doch Blitzlichtgewitter aus Europa sind die schüchternen Tänzer wohl nicht gewohnt. Zumindest drehen sich die durchgehend nicht wirklich guten Tänzer bei jedem Blitz fast schon erschrocken um, manche pausieren sogar, solange Patrick und ich wie wild fotografieren.

2010 03 29 18.55.47 Dancin’ Phnom Penh

Nach unserem Besuch im Stadion verbringen wir mit Eugen und Patrick einen feuchtfröhlichen Abend auf der Terrasse unseres Hostels. Allabendlich schließen die Besitzer aber den Raum, in dem der Kühlschrank mit dem Bier steht zu, sodass wir gezwungen sind, im gegenüberliegenden Green Guesthouse Nachschub zu organisieren. Als ich den Versorgungsengpass schließen muss, grüße ich auf Kambodschanisch einen Tuk-Tuk-Fahrer, der uns schon eine Weile von der Straße aus beobachtet hat. Er erwidert den Gruß grinsend mit den Worten: »You drink a lot.«
»Uhm, no«, erscheint mir die sinnigste Antwort zu sein. Also, ich merke noch nichts. Im benachbarten Guesthouse ist der Rezeptionist schon weit weniger kritisch: »You can speak cambodian.«
»Uhm, no?«, müsste auch diesmal die passende Reaktion sein.
»Yes, yes!«, beharrt der Mann mit dem knallgrünen Polohemd auf seiner Aussage: »You said ›sousdey‹!«
Ja, da hat er wiederum recht. So habe ich sowohl den Tuk-Tuk-Fahrer, als auch ihn begrüßt.
»But that’s all I can say: sousdey, aukun cheran and leah huey.«
Das heißt hallo, vielen Dank und tschüss. Er lacht und bringt mir noch schnell ein paar Zahlen und »gute Nacht« bei. Für Kambodschanischunterricht war es dann vielleicht doch schon ein Bier zu viel. Zumindest habe ich, nachdem ich kurz bei Rebekka und unseren neuen Freunden mit meinen frisch erworbenen Kenntnissen herumgeprollt habe, schon wieder alles vergessen. Ist aber auch eine schwere Sprache. »Otey« heißt »nein« …
Zu später Stunde gesellt sich noch die bereits mittelstark angeschwipste Susanne an unseren Tisch! Die nette Berlinerin arbeitet seit einigen Monaten in einem Krankenhaus in Phnom Penh und wohnt in unserem Guesthouse. Susanne erzählt uns von ihrer Arbeit in Kambodscha, was hochinteressant ist. Ganz nebenbei ist sie auch eine Heldin: Sie hat Medikamente für HIV-Infizierte, die viel zu teuer sind und von denen es in Kambodscha viel zu wenige gibt, über die Grenze geschmuggelt.
Kurz vor Sonnenaufgang bemerken Rebekka und ich, dass wir wohl zu wenig Geld haben, um die Hostelrechnung am nächsten Morgen begleichen zu können. Am Automaten noch mal Geld abheben, wollen wir vermeiden. Zum einen kostet das ordentlich Gebühren, was ärgerlich ist, und zum anderen muss man in Phnom Penh ganz schön suchen, um mal einen Geldautomaten zu finden!
Susanne leiht uns deswegen zehn Dollar. Nicht nur, um ihr das geliehene Geld zurückgeben zu können, versprechen wir uns gegenseitig, uns nach ihrer Rückkehr in Berlin zu treffen.

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